An dieser Stelle möchte ich heute den Lesern des „Dserkalo Tyschnja“ (dt. „Wochenspiegel) einen von mir und meinem Team entwickelten Friedensplan vor- und zur Diskussion stellen. Die abermals blutigen Kämpfe um Awdijiwka haben mich davon überzeugt, dass ein solcher Plan gerade zum jetzigen Zeitpunkt überlebensnotwendig ist. Der Beschreibung des Plans schließen sich die Fragen an, die am häufigsten im Diskurs mit Experten auftraten.
Friedensplan für den Donbass „Drei Säulen“
Die zweieinhalb Jahre dauernden Friedensgespräche zum Donbass – im Minsker- und Normandie-Format – konnten nicht nur nicht zu einer Konfliktlösung beitragen, sondern haben zudem drei Hauptprobleme verstärkt.
Erstens: Das Fehlen eines legitimen Verhandlungspartners. Die selbst ernannten Führer der selbst ernannten Republiken wurden weder von der Ukraine noch von der internationalen Gemeinschaft anerkannt. Die Bewohner der besetzten Gebiete haben keine eigenen, legitim gewählten Vertreter. Zugleich weigert sich Russland, sich zu seiner Rolle als Konfliktpartei zu bekennen.
Zweitens: Es gelingt nicht, für Sicherheit zu sorgen. Ohne diese kann aber kein Friedensplan – egal welcher Form – umgesetzt werden. Weder im Bereich der Grenzlinien noch in den besetzten Luhansker und Donezker Gebieten. Täglich finden Schusswechsel statt, die regelmäßig in vollwertige Kampfhandlungen übergehen. An den Kontrollpunkten herrscht Korruption. Die ukrainische Bevölkerung ist wegen der aus den besetzten Gebieten geschmuggelten Waffen besorgt. Der internationale Druck auf Russland konnte bislang nicht dazu beitragen, dass Russland der Ukraine die Kontrolle über die eigenen Grenzen zurückgibt.
Drittens: Das verlorene Vertrauen. sowohl seitens der Bewohner der besetzten Donezker Gebiete gegenüber der ukrainischen Regierung als auch seitens der Bewohner der Restukraine gegenüber den Bewohner der besetzten Gebiete. Es findet kein Dialog mehr zwischen diesen beiden Gruppen statt. Alle Friedensbemühungen seitens Kiew werden von den Bewohnern der besetzten Gebiete negativ aufgenommen. Die Bevölkerung dieser Gebiete verarmt weiter, während der Flüchtlingsstrom aus den besetzten Gebieten sowohl in die Ukraine als auch nach Russland nicht abreißt. Die Bewohner der besetzten Gebiete sind heute ihrer grundlegendsten Menschenrechte beraubt: soziale Sicherheit, Bildung, eine vernünftige medizinische Versorgung. Die Kinder können in den Schulen nicht mit ukrainischen Schulbüchern unterrichtet werden und wurden daher der Möglichkeit beraubt, als ukrainische Bürger erzogen zu werden.
Die Teilnehmer der Minsker- und Normandie-Verhandlungen konzentrierten sich in ihrer Debatte vor allem auf die Frage, welcher Schritt als erstes umgesetzt werden sollte – Wahlen, Amnestie, Waffenstillstand oder Übergabe der Grenzkontrolle. In der Folge wurden aber die drei oben genannten Punkte, die für das Scheitern Verhandlungen ursächlich sind, vollkommen außer Acht gelassen.
Der „Drei Säulen“-Friedensplan legt den Schwerpunkt auf die Lösung genau dieser drei Probleme. Beginnend mit der Sicherstellung der Legitimität – damit sich in den Verhandlungen legitime Verhandlungspartner gegenüberstehen. Um anschließend für die Sicherheit zu sorgen, die einem Friedensplan auch wirklich die Chance gibt, umgesetzt zu werden, und um schließlich den Dialog wiederzubeleben, der zur Wiederherstellung des Vertrauens führt.
1. Legitimität. Wir schlagen als legitime Vertreter der besetzten Gebiete diejenigen vor, die als Letzte rechtmäßig gewählt wurden – und zwar die, die 2010 von der Bevölkerung bei den Kommunalwahlen gewählt wurden. Diese Kommunalwahlen gelten als die letzten legitimen Wahlen aus Sicht der ukrainischen Regierung.
Die Gemeinderatsmitglieder der besetzten Gebiete der Oblaste Donezk und Luhansk leben zum jetzigen Zeitpunkt in unterschiedlichen Gebieten mit unterschiedlichen gesellschaftlichen Stellungen. Ein Teil blieb in den besetzten Gebieten und setzt sogar seine Arbeit fort. Ein Teil ist in andere Regionen der Ukraine geflüchtet. Einige Abgeordnete leben heute in Russland oder anderen Ländern. Davon unabhängig sind dies aber genau diese Menschen, die von den Bewohnern der besetzten Gebiete bei den Wahlen 2010 als gesetzliche Vertreter gewählt wurden, was bedeutet, dass sie alle ein gewisses Maß an Glaubwürdigkeit und Vertrauen genießen. Dafür muss die ukrainische Regierung die Amtszeit und Befugnisse dieser lokalen Gemeinderatsmitglieder, die bis 2015 gültig waren, über 2015 hinaus verlängern. Im Gegenzug sollten die betreffenden Gemeinderatsmitglieder der Ukraine gegenüber Treue schwören.
Die ukrainische Regierung wird die internationale Gemeinschaft bitten, die betreffenden Abgeordneten als legitime Vertreter der Bewohner der besetzten Gebiete des Donbass anzuerkennen, sowie auch Russland bitten, keinen Druck auf die Führer der selbst ernannten Republiken auszuüben, da auch diese die genannten Abgeordneten als legitime Vertreter anerkennen und diesen die Kontrolle über diese Gebiete übergeben müssen.
2. Sicherheit. Die drei Jahre, die der Konflikt bislang andauert, haben Folgendes gezeigt: Ohne die Anwesenheit einer dritten Kraft an der Grenze ist es für die Konfliktparteien nicht möglich, eine nachhaltige und dauerhafte Einstellung der Kampfhandlungen zu erzielen. Es bietet sich an, bestehende internationale Mechanismen zu nutzen und in die Grenzzone die UN-Friedenstruppe – sogenannte „Blauhelme – zu holen.
Die UN verfügt über die entsprechende (und auch häufig erfolgreiche) Erfahrung in solchen Situationen. Eine korrespondierende Praxis hat die UN in zahlreichen Konfliktgebieten gezeigt und zeigt diese auch heute noch. So trennen beispielsweise Zypern und Nordzypern, Israel und Syrien, Serbien und den Kosovo, den Sudan und Südsudan, die Konfliktparteien im Südlibanon UN-Friedenstruppen .
Man mag nun einwenden, dass dies nur mit Zustimmung des UN-Sicherheitsrates möglich ist und Russland als ständiges Mitglied auf sein Vetorecht bestehen wird. Aber nach dem Amtsantritt Trumps und der Zuspitzung der Situation in Awdijiwka hat die Sicherheit im Donbass an Gewicht gewonnen. Da die Ukraine seit Februar einen Sitz im UN-Sicherheitsrat hat, haben wir jetzt die einmalige Gelegenheit, eine entsprechende Anfrage im Sicherheitsrat zu stellen. Derjenige, der eine entsprechende Entscheidung blockiert oder gegen diese stimmt, übernimmt die Verantwortung für das Scheitern der Friedensbemühungen im Donbass.
Die zweite Aufgabe besteht in der Sicherstellung der Sicherheit und Ordnung an den Checkpoints zwischen den besetzten Gebieten und dem ukrainischen Kernland. Diese Aufgabe kann – wenn beide Seiten einverstanden sind – von einer bewaffneten OSZE-Polizeimission übernommen werden.
Die Sicherstellung der Sicherheit in den besetzten Gebieten wird in zwei Phasen umgesetzt. In einer ersten Phase werden die OSZE-Polizeikräfte in diesen Gebieten implementiert. Ein Teil der Aufgaben kann im Zuge der Schaffung von Legitimität von den Gemeinderatsmitgliedern an speziell geschaffene Unterabteilungen der lokalen Polizei übergeben, die gemäß einem Mandat der gesetzmäßigen Regierung der Ukraine agieren und von dieser ausgestattet werden.
3. Vertrauen. Die ukrainische Regierung erkennt nicht nur die Legitimität der 2010 gewählten Gemeinderatsmitglieder der Donezker und Luhansler Oblast an, sondern übergibt diesen zudem sämtliche Vollmachten und Instrumente, die diese zur Reintegration der Bewohner der vorübergehend besetzten Gebiete des Donbass zu einer vereinten rechtlichen, ökonomischen und humanitären Gebietskörperschaft der Ukraine benötigen.
Um dies auch wirklich umsetzen zu können, werden den Gemeinderatsmitgliedern die für Bildung, Gesundheitsversorgung und Rentenversorgung vorgesehenen Budgets zur Verfügung gestellt.
Hierbei darf nicht vergessen werden, dass unter den 2010 gewählten Abgeordneten auch Flüchtlinge sind, die nach der Besetzung aus dem Gebiet geflohen sind. Eine der Aufgaben der wiederhergestellten Gemeinderäte wird die Wiedereingliederung der Flüchtlinge, einschließlich der Wiederherstellung der Eigentumsrechte in den besetzten Gebieten, sein.
Die genannten Maßnahmen werden dazu beitragen, das Vertrauen wiederherzustellen und eine Wiederaufnahme des Dialogs zwischen den Bewohnern der besetzten Gebiete und der Restukraine sowie den jeweiligen Regierungsvertretern beider Gebiete zu ermöglichen.
Der Plan „Drei Säulen: Legitimität – Sicherheit – Vertrauen“ sollte in drei Schritten umgesetzt werden.
Schritt 1. Beschränkung der Vollmachten des Präsidenten hinsichtlich der Durchsetzung von Verhandlungen zu einer friedlichen Lösung im Donbass. Zu diesem Zweck wird das Primat des Parlaments diesbezüglich wiederhergestellt. Wie die Erfahrungen zur Umsetzung der Minsker Vereinbarungen gezeigt haben, ist es nicht möglich, ohne die Beteiligung des Parlamentes, positive Resultate hinsichtlich eines Friedensprozesses zu erreichen. Die Werchowna Rada sollte eine hochrangige Delegation unter Beteiligung von Abgeordneten und Vertretern der exekutiven Macht initiieren, die auf der Basis eines vom Parlament gegebenen Mandats die Verhandlungen zum Aufbau eines nachhaltigen Friedens im Donbass und zur Rückkehr der besetzten Gebiete zum ukrainischen Rechtsgebiet führen wird.
Schritt 2. Verabschiedung eines Gesetzes, das die Vollmachten und Verpflichtungen der Abgeordneten der Oblast- und Gemeinderäte determiniert, die 2010 in den besetzten Gebieten der Donezker und Luhansker Oblaste gewählt wurden.
Schritt 3. Nach Verabschiedung des „Drei Säulen“-Plans durch das Parlament sollte dieser an den UN-Sicherheitsrat und die unterzeichnenden Parteien des Budapester Memorandums zur Bewertung übergeben werden, um die volle Einbeziehung der zuständigen internationalen Organe und Schlüsselstaaten bei der rechtmäßigen Implementierung sicherzustellen.
Wir rufen die Abgeordneten aller Fraktionen der Werchowna Rada auf, die Verantwortung für die nationale Einheit und territoriale Integrität der Ukraine zu übernehmen und sich für die Umsetzung des „Drei Säulen“-Plans stark zu machen.
Heutzutage führt jeder Vorschlag zu einer friedlichen Lösung im Donbass zu einer hitzigen Debatte in unserem Land. Um dieser vorzugreifen, haben wir einige der für uns wichtigsten Fragen zu unserem Plan bereits beantwortet.
Fragen und Antworten zum „Drei Säulen“-Plan
1. Wenn sich Russland nicht als Partei des Konflikts versteht und sich auch öffentlich zu einer solchen Rolle nicht bekennen wird und wir darauf auch nicht bestehen werden, erkennen wir dann nicht den Konflikt als innerukrainischen Konflikt an und legitimieren wir dann diesen nicht auch als solchen?
Wir können Russland nicht dazu zwingen, sich öffentlich als Konfliktpartei zu bezeichnen. Dafür verfügen wir nicht über die richtigen Instrumente. Das wäre ein gefährlicher Trugschluss. Aber die internationale Gemeinschaft verfügt über solche Instrumente und kann Einfluss auf Russland ausüben und es davon zu überzeugen versuchen, sich als Unterstützer des Plans sowie als Garant für dessen Umsetzung zu verstehen. Und genau aus diesem Grund wurde Schritt 3 in den Plan aufgenommen: Russland wird sowohl in seiner Rolle als ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrats als auch in der als unterzeichnende Partei des Budapester Memorandums für die Umsetzung des Planes zur Verantwortung gezogen werden.
2. Das ist unsere grundlegende Position. Und das ist ein Fehler der heutigen Regierung – sie vergisst, dass ein großer Teil der Bewohner des Donbass, Menschen sind, die im Donbass leben wollen, aber heute zu Flüchtlingen geworden sind. Und eben diese Menschen, die schuldlos flüchten mussten, haben 2010 die letzte rechtmäßige Regierung im Donbass gewählt.
3. Wie soll sich mit den „Regierungen der DNR/LNR“ darauf verständigt werden, dass den 2010 gewählten Abgeordneten ihre jetzigen Vollmachten übertragen werden.
Im Plan wurde bereits gesagt, dass dies lediglich auf russischen Druck möglich ist. Und ein solcher Druck seitens Russlands ist nur durch Druck seitens der internationalen Gemeinschaft auf Russland möglich, unter anderem durch Wirtschaftssanktionen bei Nichterfüllung dieser Forderung.
4. Die OSZE-Polizeimission wird nicht die Korruption an den Kontrollpunkten lösen. Wie soll man dann mit dieser umgehen?
Heute gibt es dort keine „OSZE-Polizeikräfte“. Heute gibt es vor Ort lediglich Beobachter. Daher schlagen wir ja gerade vor, der OSZE polizeiliche Funktionen zu übertragen. Dort vor Ort ein bewaffnetes OSZE-Kontingent zu implementieren, das über das Recht verfügen wird, nach eigenem Ermessen auch Gewalt anzuwenden.
5. Wird die Übertragung der lokalen Budgets an die Gemeinderäte nicht zu noch mehr Korruption führen?Wie soll die Ausgabe der Mittel kontrolliert werden? Wie soll man sicher sein, dass diese Mittel nicht für Kämpfer ausgegeben werden?
Das ist das, was momentan geschieht. Wir handeln mit den besetzten Gebieten, wir kaufen dort Kohle und andere Produkte. Das Geld schicken wir in die „DNR“ und „LNR“, ohne es zu kontrollieren. Und diese können dieses Geld auch zur Finanzierung der Kämpfer verwenden. Wir möchten diese Situation abändern. Die Mittel aus dem Handel mit den besetzten Gebieten sollen an die von der Ukraine anerkannten Vertreter des Donbass fließen, die nach ukrainischem Recht handeln.
6. Wie und mit welchen Mitteln soll das deklarierte Programm zur Rückkehr des verlorenen Immobilieneigentums umgesetzt werden?
Dafür sind keine Mittel erforderlich. Alle Transaktionen, die im Rahmen von Immobilienverkäufen in den besetzten Gebieten stattfanden, sind aus Sicht der ukrainischen Gesetzgebung illegal. Und die betreffenden Immobilien werden an die legalen Besitzer zurückgegeben, d. h. an diejenigen, denen die Immobilen zu Beginn der Okkupation gehörten. Diese Vorgehensweise hat sich beispielsweise auch in den baltischen Staaten bewährt. Dort konnte das Eigentum an diejenigen zurückgegeben werden, denen dieses 50 Jahre zuvor, vor dem Einmarsch der sowjetischen Armee, gehörte. Bei uns ist zum Glück nicht ganz so viel Zeit vergangen.
7. Ist eine Reintegration der Flüchtlinge wirklich erforderlich? Ist nicht zu befürchten, dass dadurch neue soziale Konflikte entstehen, da die Bewohner der besetzten Gebiete die Flüchtlinge häufig als Verräter auffassen?
Man muss der Reihe nach agieren. Zuerst – der Dialog. Als Folge des Dialogs wird Vertrauen aufgebaut. Und erst dann kann eine Reintegration stattfinden. Und natürlich nur von denen, die in ihre Häuser zurückkehren möchten. Aber das sind viele.
8. Wer genau aus der Werchowna Rada soll statt des Präsidenten die Verhandlungen führen?
Das wird die Werchowna Rada selbst entscheiden müssen. Und darf sich dabei nicht wie der Präsident verhalten, der zufällig irgendjemanden als verhandlungsführende Person nach Kriterien, die nur ihm selbst bekannt sind, benennt.
9. Wo und in welcher Funktion werden die ukrainischen Soldaten sein, die an der Frontlinie und in den Frontgebieten stationiert sind?
Zunächst werden sie da bleiben, wo sie sind. Das UN-“Blauhelm“-Kontingent wird sie lediglich von den gegnerischen Truppen trennen. Erst mit fortschreitender Umsetzung des Friedensplans im Donbass werden sich unsere Soldaten wieder auf dem gesamten Gebiet der gesamten Ukraine verteilen, auch in den momentan besetzten Gebieten.
10. Was sind die Bedingungen für die Verlängerung der Abgeordnetenmandate von 2010?
Es gibt eine Bedingung – sie alle müssen einen Eid auf das ukrainische Volk schwören. So werden sie nicht nur die gesetzlichen Vertreter der Menschen im Donbass, sondern sich auch den Prinzipien der nationalen Unabhängigkeit und territorialen Integrität der Ukraine verpflichten.
10. Februar 2017 // Serhij Taruta, direkt gewählter Abgeordneter aus Mariupol, Teilhaber der Industrieunion Donbass, 2014 Gouverneur des Gebietes Donezk
Quelle: Dserkalo Tyschnja
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