Europa sollte hier sein
Jetzt ist es für das offizielle Kiew nicht mehr ganz so einfach, seine europäischen Partner zu beschuldigen, dass sie die ukrainischen Wünsche nicht berücksichtigen und alles dafür tun, dass unser Land noch nicht einmal in die Nähe der EU rückt.
Die Resolution des Europäischen Parlaments in der ukrainischen Frage ist ja wohl die Mildeste der letzten Jahre: Die Parlamentarierer sind sogar damit einverstanden, über eine europäische Perspektive unseres Landes zu sprechen. Die europäische Kommission ruft dazu auf, den Dialog mit dem Präsidenten, Viktor Janukovitsch, weiterzuführen und einen Vertragsabschluss über das Einverständnis der Assoziation mit der EU im Dezember hinzuzufügen. Auf Initiative der Leitung der Europäischen Kommission findet ein Treffen statt. Diese Gunstbezeugung mussten sogar die Abgeordneten von der Regierungspartei bemerken, dich sich darüber einig sind, dass Europa für die Ukraine nicht verschlossen ist.
Doch es gibt hier einen hausgemachten ukrainischen Schandfleck – die politische Verfolgung im Land. In der Resolution des Europäischen Parlaments steht völlig klar und verständlich geschrieben, dass ohne eine Verringerung dieser Repressionen überhaupt gar keine Integration möglich ist.
Der Ball ist nun auf Seite der Ukraine, das ist klar. Die Europäer haben keine „zwei Meinungen“, die bis zur Verurteilung Julia Timoschenkos zu beobachten waren und es der ukrainischen Führung erlaubten, zu hoffen, dass das einfach vergeht. Sie haben Timoschenko eingebuchtet und sich mit der EU geeinigt. Janukovitsch ist nicht Kravtschuk und schon lange bis auf den letzten Faden durchnässt. Und die Frage besteht nicht darin, wie zwischen diesen Tröpfchen hindurchrutscht, sondern wie er trocken wird.
Die Europäische Kommission kann natürlich ein Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten durchführen, ihm einen einheitlichen Text des Einverständnisses über die Freihandelszone mit der EU vorlegen und praktisch schon zur Vertragsunterzeichnung gelangen. Aber jetzt haben die EU-Kommissare auch noch die Resolution des Europäischen Parlaments zerstört, denn der weitere Integrationsprozess ist nur möglich, wenn auch die politische Verfolgung beendet wird. Einfacher gesagt: Julia Timoschenko und Jurij Luzenko sollen in die Freiheit entlassen werden, und es soll keine neuen Festnahmen aus politischen Motiven geben. Das ist heute vielleicht nicht das Wichtigste, aber das einzige Hindernis, das dem europäischen Integrationsprozess im Wege steht.
Zu dieser Erkenntnis muss die Regierung nun gelangen – und letztlich auch die ukrainische Bevölkerung. Ich bemerke mehr und mehr aktive Menschen, die darauf bedacht sind, ihre europäischen Interessen kundzutun – diese Menschen kommen aus dem virtuellen Raum heraus, gründen informelle Organisationen und treffen sich auf Versammlungen. Unklar ist allerdings, was genau sie von der Regierung wollen? Die ukrainischen Behörden erfüllen ihren Teil der europäischen Arbeit – die Vereinbarung mit der EU ist getroffen und praktisch fertig zur Unterschrift – sie wird unser Land nicht nur geographisch, sondern auch „faktisch“ zu einem Nachbarn der EU machen, so wie Norwegen oder die Schweiz. Doch in einem autoritären Staat machen solche Vereinbarungen gerade mal gar keinen Sinn. Erstens unterschreibt sie keiner, zweitens ratifiziert sie keiner, drittens ist mit dem Gedanke „europäisch“ Freiheit gemeint, die zu einem wichtigen Fundament für die Entwicklung des Landes wird. Und wenn die politische Freiheit beschränkt wird, wenn sich das Land in einen Platz für Zertrennen und Verteilen verwandelt – was ist das dann für ein Europa?
Deswegen muss man von der Regierung auch nicht fordern, dass sie uns nach Europa führt, sondern dass Europa hier entsteht. Und dafür müssen die politischen Gerichtsfarcen eingestellt und Timoschenko freigelassen werden. Und das ist nur der Anfang. Das ist es auch, was das Europäische Parlament von der ukrainischen Regierung fordert.
28.10.2011 // Witalij Portnikow – Chefredakteur des Fernsehsenders TVi
Quelle: Lewyj Bereg