Experten des Präsidialamtes unzufrieden mit Reformentwicklung
Gestern gelangten das Projekt der Botschaft des Präsidenten, Wiktor Juschtschenko, über die innere und äußere Situation der Ukraine an die Werchowna Rada und die dieser zugrunde liegende Expertise in die Hände des “Kommersant-Ukraine“. Diese Dokumente sind eine bemerkenswert harte Kritik an die Adresse der Regierung Wikto Janukowitschs, mit Erklärungen über die Manipulation der ukrainischen Massenmedien, der Kommerzialisierung der Gerichtsbarkeit und über andere negative Tendenzen im politisch, gesellschaftlichen Leben. Im Projekt werden einige Neuerungen im Bereich der Innenpolitik vorgeschlagen, insbesondere eine scharfe Erhöhung der Sperrklausel bei den Parlamentswahlen für Blöcke politischer Parteien.
Wie bekannt ist, sollte Wiktor Juschtschenko am Dienstag in der Werchowna Rada mit seiner jährlichen Botschaft über die innere und äußere Situation der Ukraine auftreten, doch konnte er dies nicht tun, aufgrund der Blockade der Parlamentstribüne durch Abgeordnete. Im Präsidialamt erklärte man, dass das Staatsoberhaupt sich an das Parlament, nach der Stabilisierung der Situation im Abgeordnetenhaus, wenden wird. Indes gelangten die vom Präsidialamt zum 5. Februar vorbereiteten Dokumente – die Rede des Präsidenten und die 264-seitige Expertise – in die Hände des “Kommersant-Ukraine“. Das letztere Dokument sollte mit einer Auflage von 500 Exemplaren unter den Abgeordneten verteilt werden, doch im Präsidialamt entschied man sich bislang dieses nicht zu verbreiten.
Die Ausarbeitung der Expertise übernahm traditioneller Weise das Nationale Institut für strategische Untersuchungen (NISI), dessen Tätigkeit vom Präsidialamt getragen wird. “Mit dem Präsidialamt sind alle strittigen Thesen abgestimmt. Außerdem, trug das Amt noch seine Berichtigungen in das Dokument ein, nachdem unsere Experten ihre Arbeit abgeschlossen hatte.”, erzählte dem “Kommersant-Ukraine“ die erste Stellvertreterin des Direktors des NISI, Natalja Grizak.
Beim Lesen des Dokumentes fällt sofort auf, dass sich dessen Struktur spürbar gegenüber dem Vorgängerdokument 2006 geändert hat. Bei der Ausarbeitung der Vorgängerbotschaft stützte sich Wiktor Juschtschenko auf die Leistungen der “Orangen Revolution”.
Im neuen Bericht ist der erste Teil den innenpolitischen Fragen gewidmet. Wie der Gesprächspartner des “Kommersant-Ukraine” beim NISI unterstrich, ist dieser Abschnitt der wichtigste und informationshaltigste. In dem Abschnitt ist die Richtung der Reformen des politischen Systems des Landes beschrieben, welche, der Meinung der Experten und Beamten des Präsidialamtes nach, in der nahen Zukunft umgesetzt werden sollen.
Darunter ist die Einführung einer differenzierten Sperrklausel für politische Parteien und Blöcke. “Zweckmäßig ist es, eine Barriere von 3% für politische Parteien zu lassen und die Barriere für Wahlblöcke auf 5% zu heben, welche aus nicht mehr als drei Parteien bestehen, und weiter für jede zusätzliche Partei die Hürde um 1% anzuheben.”, heißt es im Dokument. Den Worten des Gesprächspartners des “Kommersant-Ukraine“ beim NISI nach, erschien der gegebene Vorschlag als strittig, doch, soweit das Präsidialamt diesen unterstützte, blieb er in der Endversion des Dokumentes. Bleibt noch anzumerken, dass, wenn die vorgezogenen Neuwahlen 2007 nach dieser Prozedur durchgeführt worden wären, der Block Litwin nicht in die Rada gelangt wäre (Resultat 3,96% bei einer 5% Barriere). Die höchste Hürde – 11% – hätte der Block “Unsere Ukraine – Nationale Selbstverteidigung” zu überwinden, der aus neun Parteien besteht (bei den Wahlen hat UUNS 14,15% der Wählerstimmen erhalten).
Die Autoren des Berichtes gehen davon aus, dass die Unterzeichnung des Erlasses zur Durchführung vorgezogener Wahlen 2007 es gestattete aus der politischen Krise zu gelangen. Derweil wird im Dokument nicht nur einmal unterstrichen, dass die vorgezogenen Neuwahlen mit einer Vielzahl an Problemen verbunden waren. “Bei den außerordentlichen Parlamentswahlen fand ein Kampf der politischen Führer und der Programme zur Entwicklung des Landes statt. Keine einzige Partei und kein Block präsentierte eine glaubwürdige Berechnung der Ressourcen, welche notwendig für die Umsetzung ihrer Programme sind.”, bestätigen die Experten. Gesonderte Aufmerksamkeit ist der These über die Verletzungen der Wahlgesetzgebung gewidmet: “Im Laufe der Wahlkampagne wurden die Rechtsschutzorgane von politischen Kräften genutzt.”
Experten kamen nicht an der Rolle der Massenmedien in der Wahlkampfzeit vorbei. “Massenmedien werden vorrangig als Mittel der Massenmanipulation gesehen. Dabei hat die Mehrheit der Journalisten in dieser Form mit den politischen Kräften zusammengearbeitet.”, heißt es im Bericht.
Bei der Durchführung der nächsten Wahlen schlagen die Experten des NISI und des Präsidialamtes vor, insbesondere “ein System der Abstimmung nach regionalen Listen einzuführen”, was dem Wähler erlaubt “nicht nur für eine politische Kraft, sondern für konkrete Leute, welche Achtung in der Region genießen, zu stimmen”. Eine Änderung des Schemas der Wahlen der städtischen und Gemeindevertreter oder im Falle der Durchführung eine Gebietsreform, die Leiter der Gemeinde durchzuführen. Die Einführung einer Gesetzesnorm darüber, dass der Kandidat für einen Posten auf der “Basis einer absoluten Mehrheit der Stimmen” gewählt wird, was den Übergang zu einem System der zwei Wahlgänge impliziert.
Ein Hauptteil des Berichts ist der Gerichtsreform gewidmet. “Die Judikative ist politisiert und kommerzialisert worden.”, denken die Autoren. Die Notwendigkeit der Durchführung einer tiefen Reform des Gerichtssystems konstatierend, nennen die Experten einige ihrer strategischen Richtungen. Neben anderem geht die Rede von der Einführung der Institution eines Geschworenengerichts; über die Reformierung des Hohen Justizrats, dessen Mitglieder Staatsangestellte sein und ihm Rat auf ständiger Basis arbeiten sollen; über den Richterrat, der “vom Hohen Gericht abhängt und sich faktisch zum Beratungsorgan des Obersten Richters gewandelt hat.” und gleichzeitig über das Oberste Gericht.
Es wird vorgeschlagen zwei spezialisierte Obere Gerichte zu gründen – ein Strafgericht und ein Zivilgericht – und das Oberste Gericht wird über die Delegierung von drei bis fünf Richtern aus den spezialisierten Gerichten verwirklicht. Auf diese Weise kann man beim Obersten Gericht die Entscheidungen der zwei spezialisierten Oberen Gerichte anfechten.
Der ökonomische Teil der Expertise steht hinter dem innenpolitischen zurück und enthält keine bedeutenden Ideen. Bemerkenswerterweise, blieb das Thema der Versorgung der Ukraine mit Energieressourcen außerhalb der Zone der Aufmerksamkeit der Berichtersteller, die lediglich an die Notwendigkeit der Diversifizierung der Lieferungen erinnern. Dieses Thema sollte Wiktor Juschtschenko in seiner Botschaft an das Parlament ansprechen. In den Besitz des “Kommersant-Ukraine“ gelangte auch der vorbereitete Vortrag des Staatsoberhauptes, vorbereitet von den Redenschreibern des Präsidialamtes. Gemäß dem Dokument, sollte der Präsident von der Regierung fordern “zu direkten Gaslieferungen überzugehen und die Balance der Gaspreise für die Ukraine und des Wertes dessen Transits über das Territorium sichern”. Im Übrigen, ist das Dokument auf die letzte Woche datiert und der “Kommersant-Ukraine“ hat keine Bestätigung dafür, dass nach der vergangenen Sitzung des Sicherheitsrates, wo es nicht gelang eine Vereinbarung zur Frage der Gaslieferung zu erlangen, keine Änderungen in das Dokument eingetragen wurden.
Das Projekt des Vortrages des Präsidenten ist auch dahingehend bemerkenswert, dass in ihm die Regierung Wiktor Janukowitschs hart kritisiert wird, welche nicht unter der Fragestellung der “strategischen Entwicklung” des Landes arbeitete und sich der “Praxis der administrativen Einschränkungen” zuwandte, was zu einer “Unterbrechung der strukturellen Veränderungen” in der Wirtschaft führte. In der Expertise fehlen harte Definitionen, doch werden viele statistische Daten angeführt, welche auf die existierenden Probleme der Ökonomie, die sich in 2007 vertieften, hinweisen.
Quelle: Kommersant-Ukraine