Gegen den Strom: Die ukrainische Künstlerin Marija Kulikowska über ihre Aktion „Floß Krim“ und Solidarität mit Vertriebenen
Die von der Krim stammende ukrainische Künstlerin Marija (Mascha) Kulikowska ist bekannt für ihre tief reflektierten und mutigen Performances, die mitunter an politischen Aktivismus grenzen. Im Juli 2014, während der Kunstbiennale Manifesta in Sankt Petersburg, legte sie sich auf die Eingangstreppe zu einem Gebäude der Eremitage und deckte sich mit der ukrainischen Fahne zu – aus Protest gegen die Aggression Russlands in der Ukraine. Im Mai 2015 wusch sie die Flagge der Krim im Fluss Moskwa in Moskau aus – somit protestierte sie gegen die Besetzung der Halbinsel durch Russland und Menschenrechtsverletzungen auf der Krim.
Mit ihrer von Russland annektierten Heimat ist auch die jüngste Aktion von Marija Kulikowska verbunden. Sie heißt „Wanderndes Parlament der Vertriebenen Floß Krim“ und soll auf die Rechts- und Schutzlosigkeit von Flüchtlingen und Vertriebenen aufmerksam machen.
Mitte August lebte Marija Kulikowska einige Tage auf einem Rettungsfloß, das an der Dnjepr-Promenade in Kiew angelegt war, und fuhr dann mit diesem Floß den Dnjepr herunter, um die EU-Grenze in der Südukraine zu überqueren und ihre Reise auf den Flüssen Europas fortzusetzen. Was daraus wurde – und noch werden soll – erzählte Marija Kulikowska bei der Eröffnung einer Ausstellung zu ihrer Performance im Kiewer Kulturkollektiv Visual Culture Research Center.
Mascha, was wollten Sie mit Ihrer Aktion „Floß Krim“ zeigen?
„Floß Krim“ ist eine Metapher. Es ist ein wanderndes Parlament aller Vertriebenen – unabhängig davon, ob sie von der Krim oder aus anderen Teilen der Welt stammen. Dieses Floß wurde zu einer Plattform für Diskussionen und für die Suche nach der Antwort auf die Frage, wie man Vertriebenen helfen kann. Das ist auch meine eigene Geschichte, denn ich erlebte und erlebe das alles selbst. Ich stamme von der Krim und bin immer noch dort gemeldet. Das Original meiner Anmeldung ist hier in der Ausstellung zu sehen.
Doch es geht nicht nur um die Krim. Es geht darum, ob wir jemanden als illegal bezeichnen dürfen – ob es überhaupt illegale Flüchtlinge gibt. Es gibt keine illegalen Flüchtlinge. Jeder Mensch ist legal – egal, ob er gültige Dokumente hat oder nicht. Wer darf denn entscheiden, ob die Menschen, deren Papiere plötzlich nichts mehr wert sind, Rechte bekommen oder nicht? Wir wollen, dass das „Floß Krim“ zu einem Parlament wird, das allen Menschen, die sonst kein Mitspracherecht haben, Rechte und Möglichkeiten gibt.
Ich glaube an keine Grenzen für Menschen. Wirklich nicht. Es ist kein Zufall, dass es hier in der Ausstellung überall goldenen Staub gibt. Ich, Sie, wir alle sind Teilchen des Kosmos und im Kosmos gibt es keine Grenzen. Der Mensch soll das Recht haben, sich frei zu bewegen und dort zu sein, wo er will oder muss. Nur Kriegsgerät und das Militär dürfen keine fremden Grenzen überschreiten.
Wie war es für Sie, auf dem Floß zu leben?
Vom 16. bis 19. August war das Floß an der Dnjepr-Promenade in Kiew angelegt. Ich lebte auf dem Floß 24 Stunden am Tag, ohne ans Ufer zu gehen. Als ich auf das Floß stieg, hatte ich weder Wasser noch Essen dabei – nur die Kleidung, die ich anhatte, und einen Mindestbedarf an Ausrüstung. Dann fingen die Leute an, mir Wasser und Essen zu bringen. Sie erfuhren aus den Medien und aus Facebook von der Aktion. Ich hatte zwar mobiles Internet, aber ich habe nicht geschrieben, dass ich etwas brauche. Ehrlich gesagt suchte ich keine Kommunikation mit den Menschen. Das heißt, ich wollte ihnen nicht erklären, warum ich da bin – ich wollte, dass sie das selber begreifen.
Und haben sie das begriffen?
Recht viele Menschen haben das begriffen. Zu mir kamen sehr viele Leute, die von der Krim stammen und schon lange in Kiew leben, aber sich trotzdem als Krimbewohner fühlen – wie ich. Sie sagten mir, dass es sehr wichtig für sie ist.
Am Tag der Abfahrt kam eine Frau und brachte einen ganzen Korb leckerer Äpfel mit. Ich weiß gar nicht, ob sie von der Krim stammte. Diese Hilfe kam sehr gelegen, denn alle Vorräte, die wir auf dem Floß hatten, waren bei einem Sturm in den Fluss gefallen, und wir mussten schon aufbrechen. Die Lebensmittel waren zwar nicht im Überfluss vorhanden, aber das Notwendigste hatten wir.
Eine Journalistin, die zu Beginn der Aktion ein Interview mit mir gemacht hatte, kam abends wieder, als ich schon schlafen wollte. Es war kalt und sie brachte mir eine warme Jacke, warme Socken, einen Becher Kaffee und Süßigkeiten mit.
Hatten Sie keine Angst, auf dem Floß zu übernachten?
In der ersten Nacht hatte ich Angst – vor vorbeifahrenden Schiffen, auf denen betrunkene Leute Partys feierten. Dieser Kontrast zwischen Glanz und Elend machte mich sehr traurig. Jemand, der kein Mitspracherecht hat, steht auf dem Floß und bittet um Hilfe – und die anderen feiern. Das Gleiche ist mit dem Krieg. Das alles ist sehr zynisch. Das war es, was mir Angst machte.
Marija, wie wurden Sie während Ihrer Floß-Reise von den Menschen wahrgenommen?
Wenn unser Floß an einer Uferpromenade anlegte, fragten alle, was auf dem Zelt geschrieben ist. Die meisten wussten nicht, dass Crimea auf Englisch Krim bedeutet. Man fragte uns, ob wir in die Türkei oder nach Bulgarien fahren würden.
Doch insgesamt wurden wir überall sehr positiv aufgenommen. In Wilkowo, neben der rumänischen Grenze, wurden wir geradezu mit Begeisterung empfangen. Man wollte, dass wir das ganze Essen der Welt mitnehmen. Man gab uns eine Kiste Pfirsiche, eine Kiste Tomaten und einen Haufen Donau-Heringe mit.
Aber dann wurden Sie von ukrainischen Grenzern aufgehalten. Wie war das?
Es war sehr schwierig, mit ihnen zu kommunizieren. Es war am Anfang aufregend und schwierig, denn sie waren aggressiv. Sie haben nicht verstanden, was ich mache. Sie hatten meinen Facebook-Eintrag gelesen, dass die Krim der EU beitreten würde. Sie haben das alles sehr wörtlich genommen und wollten mich vors Gericht bringen, da ich aus ihrer Sicht die Grenze illegal übertreten wollte. Dabei war ich noch gar nicht in die Nähe der Grenze gekommen – ich war nah am Ufer, das Floß wurde gerade ins Wasser gebracht.
Im Rahmen des geltenden Rechts arbeiten die Grenzbeamten zwar perfekt. Eine andere Frage ist, ob dieses Gesetz auch gegenüber realen Menschen, die in Not sind, legitim ist.
Planen Sie, die Aktion „Floß Krim“ fortzusetzen?
Ja, wir werden die Aktion fortsetzen, auch in Europa. Gestern hat mir ein Mädchen aus Argentinien, vorgeschlagen, die Floß-Aktion in Buenos Aires zu machen. Ich hoffe auch sehr, dass dieses Floß in den Flüchtlingslagern in den Niederlanden sowie in Calais auftauchen wird, wo es sehr viele Flüchtlinge und auch Diskriminierungsfälle gibt. Es gibt konkrete Pläne und wir haben starke Unterstützung und Solidarität seitens europäischer Institutionen.
Das eingekreiste A auf dem Zelt – das Symbol des Anarchismus – war es Ihre Idee?
Ja. Erstens ist es das Symbol des Anarchismus und zweitens wird der Buchstabe A im Wort „Crimea“ durch den Kreis vom „Crime“ – Kriminalität – abgetrennt. Der Anarchismus ist in Wirklichkeit ein schönes Konzept. Das sind keine randalierenden Punker, die alles um sich herum zerstören. Es geht darum, dass sich Menschen für Ideen vereinen, die man gewissermaßen sogar als christlich bezeichnen kann: Für eine neue Welt, in der es keine Grenzen gibt, dafür aber Solidarität und Liebe.
Mascha, vielen Dank für das Gespräch!