FacebookTwitterVKontakteTelegramWhatsAppViber

Lohnt es sich Machno zu Ehren zu marschieren? Gedanken zu dem Gerangel in Lwiw

0 Kommentare

Machno-Friedensmarsch in Lwiw
„Wir rufen euch auf, sich dem Marsch zum Gedenken an den revolutionären Kampf des ukrainischen Volkes und seines berühmten Anführers Nestor Machno anzuschließen.“ So haben sich die Organisatoren des „Friedensmarsches“, welcher am 6. November in Lwiw stattfinden sollte, an die Bewohner der Stadt gewandt. Aus bekannten Gründen kam es jedoch nicht dazu [der Marsch wurde gerichtlich verboten, außerdem griffen am Abend des 6. November Mitglieder des Rechten Sektors und des Zivilkorps von „Asow“ das linke Zentrum „Zitadelle“ an, deren Aktivisten den Marsch geplant hatten, A.d.Ü.], gleichwohl aber blieben einige Fragen offen. Es ist interessant, wie aufrichtig die Veranstalter des Marsches Machno ihre Ehre erweisen wollten. Oder kann es sein, dass der Geburtstag von Nestor Iwanowytsch nur als Vorwand dienen sollte, die Veranstaltung dem 99. Jahrestag der Oktoberrevolution „unterzuschieben“? Natürlich ist das eine rhetorische Frage. Aber ob Nestor Machno einen Platz im Pantheon der ukrainischen Helden verdient hat – darüber lässt sich in der Tat nachdenken.

Betrachtet man die Fakten, so war Nestor Machno in den turbulenten Jahren des Bürgerkrieges tatsächlich einer der wichtigen Anführer des ukrainischen Volkes. Genauer, Kommandant einer 150.000-Mann starken Bauernarmee, der sich auch reichlich exotische Formationen angeschlossen haben: Don- und Kubankosaken, deutsche Kolonisten, ein griechisches Regiment und sogar eine jüdische Kompanie. Jede militärische oder politische Bewegung erhält ihre Kraft aber durch entsprechende soziale Tendenzen. Die soziale Basis der Machno-Bewegung war die ukrainische Bauernschaft. Die damaligen Bauern des Gouvernements Jekaterinoslaw [heute Dnipro, A.d.R.] wollten allen voran zwei Dinge: ihr eigenes Land und dass man sie in Frieden ließ.

Die Gutsbesitzer – ganz gleich ob russische, ukrainische oder welche auch immer – waren den Bauern zuwider. Aus diesem Grund halfen die Machnowzi [Bezeichnung für die Anhänger der Machno-Bewegung] den Bolschewiki das Russische Reich in Gestalt der Armeen Denikins und Wrangels zu zerstören.

Hätten die Bolschewiki ihre Losung „das Land den Bauern“ in die Tat umgesetzt, die Machno-Armee hätte sich aufgelöst. Die sowjetischen Machthaber aber, die das Land den Gutsbesitzern entrissen hatten, begannen es an Sowchosen und Kommunen zu übergeben und die Bauern damit erneut in die Fronarbeit zu treiben. So etwas konnten sie nicht dulden und die Machnowzi begannen gegen die Bolschewiki zu kämpfen.

Die Perspektiven, die sich hierbei eröffneten, waren nicht uninteressant, da die sowjetischen Machthaber es schafften, mit vielem zu verwirren. 1920 entstand bei Machno die Idee, eine breite antibolschewistische Front zu schaffen (fast wie der Antibolschewistischer Block der Nationen). Die Machnowzi führten Gespräche mit den Aufständischen am Kuban, am Don und in Tambow. Zu jener Zeit besaßen die sowjetischen Machthaber zahlenmäßig eine absolute Überlegenheit, da die Rote Armee an die fünf Millionen Soldaten umfasste. Größtenteils handelte es sich dabei aber um Bauern, zumal unter Zwang mobilisierte. Den Machnowzi waren deshalb auch einige Teile der Roten Armee zugeneigt.

Nicht ohne Grund also erschraken die Bolschewiki vor dem Aufstand der Bauern und zeigten sich zu Zugeständnissen bereit. Sie übergaben den Bauern einen Teil des Landes der Gutsbesitzer, führten anstelle der Lebensmittelabgaben eine moderate Lebensmittelsteuer ein und erlaubten es, die überschüssigen Lebensmittel auf dem Markt zu verkaufen. Es ist klar, dass das lediglich der traurig berühmte „leninsche Tango“ gewesen ist: zwei Schritte zurück zu machen, um gerade mal zehn Jahre später durch die Inszenierung des Holodomor grausam mit dem ukrainischen Volk für seinen Ungehorsam abzurechnen. Nach solch einem kollektiven Trauma schaffte es die Bauernschaft nicht mehr auf die Beine zu kommen und gab für lange Zeit der Leibeigenschaft in den Kolchosen nach.

Das Ende der Machno-Bewegung und das von Machno selbst waren recht unrühmlich. Die Bauernarmee wurde zerschlagen und ihr Anführer starb in der Emigration an Tuberkulose. Dennoch brachte die Bewegung nicht wenige heldenhafte Gestalten und einiges an Material für dutzende Romane und historische Blockbuster hervor. Es war eine fraglos aufrichtige und zweifellos ukrainische Bewegung, für die man sich schwerlich zu schämen braucht. Selbst ihr Ende entspricht ganz und gar ukrainischen Traditionen – die Mehrheit unserer damaligen Helden hat zwar ruhmreich gekämpft, scheiterte aber und starb entweder an der Front, im Gefängnis oder irgendwo unter einem fremden Himmel.

Das Hauptproblem der Machno-Bewegung bestand darin, dass es eine blinde Bewegung gewesen ist. Nachdem die Bolschewiki zu taktischen Eingeständnissen gezwungen wurden, erkannte Machno nicht die wahre Größe des Problems. Die Herren und Kommissare haben zwar ihre Tracht Prügel bekommen, das ukrainische Volk hätte aber nur der Kollaps des Imperiums retten können, ganz gleich, ob in seiner „weißen“ oder „roten“ Variante. Zumindest hätte die Ukraine aus ihm herausgerissen werden müssen. Jedoch vermochten die Bauern und ihre Anführer nicht, über ihre eigene Nasenspitze hinaus zu blicken. Deshalb konnten die sowjetischen Machthaber sie mit ihrem „leninschen Tango“ einwickeln und sie danach berauben, schänden und für viele Jahrzehnte an eine kurze Kette fesseln. Alles nur deshalb, weil es eben nicht reicht, den Kommissaren lediglich die Visage zu polieren.

Es ist absolut wahrscheinlich, dass das anarchistische Ideal der Selbstorganisation und des gerechten Zusammenlebens das wunderbarste von allen ist. Allerdings wählen wir im echten Leben niemals zwischen einem Ideal und Dreck. Selbst die Wahl zwischen gut und schlecht fällt nur einigen wenigen Glücklichen zu, niemals aber einem ganzen Volk. In der Regel sind wir gezwungen, zwischen schlecht und noch schlechter zu wählen. „Das staatliche Gewaltmonopol ist ein Garant der Sklaverei, wohingegen die allgemeine Bewaffnung und die Selbstorganisation des Volkes ein Garant seiner Freiheit sind“, versichern die Anhänger Machnos aus Lwiw. Doch wie unvollständig auch immer die ukrainischen Silowiki [Machtorgane wie Polizei und Geheimdienst, A.d.R.] dem Lustrationsprozess unterzogen wurden, die Sklaverei im Donbass blühte genau zu dem Zeitpunkt auf, als sie von dort verschwanden.

Vermutlich ist es schwierig festzustellen, ob Machno die eigene Kurzsichtigkeit bewusst geworden war. Im Vorwort zu seinen Erinnerungen beklagt er sich jedenfalls, dass sein Buch in der Ukraine und auf der Sprache des eigenen Volkes (d.h. auf Ukrainisch) nicht erscheinen konnte. Ebenso sind tausende aktive Ukrainer im Donbass, die keinerlei Sympathien für die ukrainischen Oligarchen hegten, nun gezwungen umherzuirren, solange sich in ihren Häusern friedliche burjatische Bergarbeiter und Autowäscher aus Rostow ausruhen.

7. November 2016 // Maksym Wichrow

Unseren Newsletter abonnieren und auf dem Laufenden bleiben!

Quelle: Zachid.net

Übersetzer:    — Wörter: 998

Matthias Kaufmann - Studium der Geschichte und Ethnologie in Leipzig und Kasan. Im Anschluss längere Stationen in Berlin, Ufa, Barnaul und Regensburg. Derzeit als Mitarbeiter im International Office an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

Hat Ihnen der Beitrag gefallen? Vielleicht sollten Sie eine Spende in Betracht ziehen.
Diskussionen zu diesem Artikel und anderen Themen finden Sie auch im Forum.

Benachrichtigungen über neue Beiträge gibt es per Facebook, Google News, Telegram, Twitter, VK, RSS und per Mail.

Artikel bewerten:

Rating: 5.0/7 (bei 1 abgegebenen Bewertung)

Kommentare

Neueste Beiträge

Aktuelle Umfrage

Wann kommt die Halbinsel Krim wieder unter ukrainische Kontrolle?
Interview

zum Ergebnis
Frühere Umfragen
Kiewer/Kyjiwer Sonntagsstammtisch - Regelmäßiges Treffen von Deutschsprachigen in Kiew/Kyjiw

Karikaturen

Andrij Makarenko: Russische Hilfe für Italien

Wetterbericht

Für Details mit dem Mauszeiger über das zugehörige Icon gehen
Kyjiw (Kiew)14 °C  Ushhorod15 °C  
Lwiw (Lemberg)15 °C  Iwano-Frankiwsk14 °C  
Rachiw13 °C  Jassinja11 °C  
Ternopil15 °C  Tscherniwzi (Czernowitz)15 °C  
Luzk16 °C  Riwne14 °C  
Chmelnyzkyj15 °C  Winnyzja15 °C  
Schytomyr13 °C  Tschernihiw (Tschernigow)10 °C  
Tscherkassy16 °C  Kropywnyzkyj (Kirowograd)17 °C  
Poltawa16 °C  Sumy14 °C  
Odessa20 °C  Mykolajiw (Nikolajew)18 °C  
Cherson17 °C  Charkiw (Charkow)18 °C  
Krywyj Rih (Kriwoj Rog)18 °C  Saporischschja (Saporoschje)18 °C  
Dnipro (Dnepropetrowsk)18 °C  Donezk20 °C  
Luhansk (Lugansk)16 °C  Simferopol18 °C  
Sewastopol20 °C  Jalta21 °C  
Daten von OpenWeatherMap.org

Mehr Ukrainewetter findet sich im Forum

Forumsdiskussionen

„Ich habe heute zwei Freunde getroffen, die für 15 Tage Fronturlaub bekommen haben. Einer ist normalerweise in Bachmut und der andere in Saporischja. Beide haben mir, wie auch andere, oft mitgeteilt, dass...“

„Dafür dass du dort wohnst bist du aber doch falsch informiert. Der junge Mann von Bekannten in Chmelnitzky hat sich nicht freigekauft sonder geht normal seiner Arbeit nach. Allerdings Verkauf Landmaschinen....“

„Mir ist noch etwas eingefallen und das möchte ich noch mitteilen. Die Ukraine hat seid Beginn der Gegenoffensive zwischen 2 und 3 % des Landes zurückerobert, was zuvor von Russland besetzt wurde. Das...“

„Natürlich ist das auch nur (m)eine Meinung. Zurzeit wird der Versuch unternommen, den Krieg ohne Gesichtsverlust offiziell zu "beenden". Vielleicht erst 2024..... Die Ukraine hat den Krieg verloren und...“

„Interessante Diskussion. Ich lebe seit fast 5 Jahren in der Nähe von Krolevets im Oblast Sumy mit Frau und Kind. Leider ist der Krieg längst verloren....... hat offensichtlich noch nicht jeder verstanden......“

„Dieser ewige Schwätzer Gogol, eine Diskussion auf Niveau hat er hier bereits gegen mich verloren, jetzt schmollt er und ignoriert mich, so ein "Mädchen" will wissen wie Spezialoperationen ablaufen? Die...“

„Ist eigentlich typisch für die Russentrolle. Immer wenn die Russen richtig im Arsch sind erscheinen sie kurz und behaupten das Gegenteil. Tja da hast dich tüchtig verplant mit deiner "Spezialoperation"...“

„Ist eigentlich typisch für die Russentrolle. Immer wenn die Russen richtig im Arsch sind erscheinen sie kurz und behaupten das Gegenteil. Tja da hast dich tüchtig verplant mit deiner "Spezialoperation"“

„Bis dahin also erstmal wieder abtauchen Gogol.“

„(gähn!) Die Offensive ist noch lange nicht beendet. Auch im November können die Russen schön das Laufen bekommen, siehe Cherson.“

„Nachts um 1 wieder einen feuchten Traum gehabt ? Ist ihre Antwort als ein sachliches Argument zum Status der faktisch gescheiterten "Gegenoffensive" zu betrachten, oder kann man das ruhig als das bezeichnen,...“

„Nachts um 1 wieder einen feuchten Traum gehabt ?“

„Ein rascher Durchbruch war von Kiew auch nicht geplant und ist daher auch nicht fehlgeschlagen. Es läuft gut und nach Plan. 09.09. - und so langsam kann man einen Schlussstrich unter die "Gegenoffensive"...“

„Die Beiträge zu diesem Thema sind ja allesamt schon alt, gewiss auch überholt. Mit Sicherheit gelten derzeit völlig neue zollrechtliche Regelungen, Freigrenzen und Gebührensätze. Kann jemand diese...“

„Es wird ja im Moment viel diskutiert, ob es im nächsten Jahr eine weitere Offensive durch die Ukraine geben wird, nachdem aber nun doch eine ganz erhebliche Anzahl von F16 geliefert, die meisten in 2024,...“

„Das war genauso ironisch gemeint!“

„Die Chinesen haben derzeit Deflation, nicht Russland, da sind eher leere Regale zu erwarten! Natürlich hast du Recht, dass es keine große Kompetenz ist, aber denke ich an Erdogan, dann weiß man erst...“

„Ich hoffe, dass sie bei der nächsten Parade die Panzer aus den Kindergärten nehmen! Die polnische Regierung selbst hat die Reparationsfrage für beendet erklärt, aber das erkennt die jetzige Regierung...“

„Es wird Zeit ein politisches Signal zu setzen, runter mit den Drohnen im Donaudelta, Rumänien entscheidet selbst das 200 Meter nah genug sind...zu nahe um es zu tollerien. Unbewaffnettes Flugobjekt, bewaffnete...“

„Eine Deflation nimmt niemand freiwillig in Kauf! In dieser Situation den Leitzins zu erhöhen um der Inflation entgegen zu wirken, weiß jedes Kind, da ist keine großartige Kompetenz notwendig. Sie hat...“

„Weil ich D als einen Sieger sehe, jucken mich die jährlichen Paraden zum Sieg über Nazideutschland nicht. Da dürfen z. B. die Russen gerne noch die nächsten 100 Jahre weitermachen, am Ende überlebe...“

„Die Reglungen bzgl. Der Reparationen wurden damals mit den Alliierten getroffen, daher fühlen sich Staaten wie Polen oder Griechenland uns weitere in dieser Sache nicht gefragt und aus deren Sicht nicht...“

„Das mit der Annektion war nur ironisch gemeint, um die Sinnlosigkeit zu verdeutlichen! Was hat der Waffenstillstand gebracht? Frieden, oder war es die Mitgliedschaft in der NATO? Tatsachen bleiben Tatsachen!...“

„Bin aber der Meinung von Robert, der jetzige Krieg in der Ukraine wird nicht mit einem Stück Papier, auf dem Putin oder wer auch immer auf russischer Seite unterschreibt beendet, auch kein Waffenstillstand....“

„Hmmm, warum müssen Verträge schriftlich geschlossen werden? Stillschweigende Übereinkunfte, konglutente Handlungen von Parteien führen ebenso zu einem Vertrag, zumindest in Deutschland...Gesetzgebung...“

„Wie kann man nur so ungebildet sein! Die Grenzen der Bundesrepublik waren schon durch die Ostverträge endgültig! Beide Staaten waren in der UNO! Die Alliierten hatten noch das Staatsgebiet von 1937 als...“

„Lieber Frank! Die Kapitulation ist nur von einer amtierende Regierung möglich! Hier hat nur die Armee kapituliert, was de facto ein Waffenstillstand war!“

„Ist kein Friedensvertrag, der hätte bald nach dem Krieg kommen müssen. Auch ist das kein Waffenstillstand gewesen sondern eine Kapitulation 1945“

„Das ist kein Friedensvertrag! Das ist der 2 und 4 Vertrag und regelt nur die Organsation! Die DDR ist der Bundesrepublik beigetreten!“

„Wir sind doch nicht im Kindergarten! Gehe einmal zur Schule oder wenn du erwachsen bist, dann sende mir einmal den Friedensvertrag, aber bis dahin lass mich in Ruhe!“

„Und wo ist da der Schwachsinn? Das ist doch eine Tatsache! Und Frieden haben wir trotzdem!“

„Das ist reine Logik! Russland erkannte die Ukraine als souveräner Staat an und nachdem die Atomwaffen zurückgegeben wurden, sicherte man die Unverletzlichkeit der Grenzen zu! Und was wurde aus dem Papier?...“

„Ich denke ein Friedensvertrag mit Russland ist nicht das Papier wert! Deutschland hat auch keinen Friedensvertrag, nur Waffenstillstand. Mehr wird es wohl auch nicht werden!“

„Putin ist auf Kriegswirtschaft umgestiegen und hat auch mehr importiert, besonders Waffen und Dualgüter. Die Chefin hat den Leitzins erhöht, was richtig ist! Den Spagat zwischen Inflation und dem gewollten...“

„Sie konnte den Rubelverfall im März 22 zwar aufhalten aber das hat sie nun eingeholt. Wo nix ist kann halt nix werden. Bis Sanktionen etc. wirken braucht es halt seine Zeit. Da hilft auch nix wenn sie...“

„Die Chefin der russischen Nationalbank macht ihren Job sehr gut! Das können andere nicht von sich behaupten und sie kassieren noch für ihre schlechte Arbeit Boni! Auch die Chefin stößt an ihre Grenzen,...“

„Die Ukraine sollte vorher noch russisches Territorium annektieren, sie müssen es sie ja nicht besetzen, dann wäre eine Verhandlungsbasis da! Im Mittelalter gab es Burgen, diese waren so gefestigt, dass...“