FacebookXVKontakteTelegramWhatsAppViber

Auf dem Weg zu einer Teillösung des „Ukrainekonflikts“? Das Instrument einer UN-Friedensmission für den Donbas und die westliche Russlandpolitik

Bei seinem Ukrainebesuch Anfang Januar 2018 sprach Außenminister Sigmar Gabriel die Entsendung einer vollwertigen UN-Friedensmission in das Donezbecken (bzw. „der Donbas“) als Mittel zur Lösung des Konflikts in der Ostukraine an. Die dahinterstehende Idee ist, dass eine vorübergehende internationale Verwaltung der derzeit besetzten ukrainischen Gebiete des Donbas die Bedingungen dafür schafft, diese Territorien schrittweise und friedlich unter vollständige Kiewer Kontrolle zurückzubringen. Gabriel bemerkte in Kiew darüber hinaus, dass es wünschenswert sei, noch vor den russischen Präsidentschaftswahlen im März 2018 ein entsprechendes Mandat des UN-Sicherheitsrates zu erhalten. Diese Aussagen des deutschen Vizekanzlers und ehemaligen SPD-Vorsitzenden wurden in Kiew mit Interesse aufgenommen.

Der Kreml, die UNO und der Frieden

Mit der neuen abgestimmten Position der USA, Frankreichs und Deutschlands zu einer größeren UN-Friedensmission in der Ostukraine (Norman & Barnes 2017) greift der Westen nun offiziell eine Idee auf, die bereits seit den ersten Eskalationen der Kampfhandlungen in der zweiten Jahreshälfte 2014 unter Expertenkreisen kursiert. 2015 wurde die Entsendung einer Friedensmission in den Donbas von der Ukraine offiziell als ein Vorschlag zur Lösung des Konflikts zwischen Russland und der Ukraine in die UNO eingebracht. In Deutschland hatte der Nürnberger Grünen-Aktivist Andrej Novak bereits Ende 2014 in englischer Sprache eine ausführliche Beschreibung und Diskussion einer möglichen UN-Mission in der Ostukraine als Lösungsmodell öffentlich gemacht. Seitdem ist der Vorschlag von anderen Beobachtern aufgegriffen worden (z.B.: Melnyk & Umland 2016; Kortunov 2017; Vershbow 2018). Allerdings wurde die Idee einer großen Friedensmission zur Lösung des Ostukrainekonflikts erst seit Putins Vorschlag der Entsendung einer kleinen und leicht bewaffneten UN-Truppe zum Schutz der bereits im Einsatz befindlichen unbewaffneten OSZE-Beobachter im September 2017 (Sherr 2017) von der westlichen Diplomatie in den Rang eines nun offiziell verfolgten Ziels erhoben. Damit besteht jetzt die Möglichkeit, einen praktikablen Fahrplan zur Umsetzung der für sich genommen unrealistischen Minsker Vereinbarungen zu entwickeln und zu implementieren.

Das fundamentale Problem des Lösungsvorschlags ist freilich, dass Russland als ständiges Sicherheitsratsmitglied ein Vetorecht hat. Moskau müsste seine Zustimmung zur Entsendung nicht nur einer symbolischen, sondern auch zahlen- und ausrüstungsmäßig relevanten sowie mit einem adäquaten Mandat ausgestatteten UN-Friedensmission von mehreren tausend bzw. sogar einigen zehntausend schwerbewaffneten Blauhelmsoldaten nebst begleitender Zivilverwaltung erklären. Nicht nur wird es – selbst bei Bereitschaft des Westens, eine solche aufwendige Friedensmission vollständig über etliche Monate zu finanzieren – schwierig sein, dieses Einverständnis vom Kreml zu erhalten. Man kann davon ausgehen, dass Moskau – falls es sich überhaupt auf die Entsendung einer vollwertigen Friedensmission einlässt – versuchen wird, die politische und organisatorische Ausgestaltung eines solchen UN-Einsatzes zu beeinflussen.

Der Kreml könnte etwa darauf bestehen, als „unbeteiligter Dritter“ ein eigenes Truppenkontingent zu stellen bzw. eine Einheit mit Truppen aus Verbündeten des Kremls, so etwa aus den Mitgliedsstaaten der Moskau-dominierten Organisation des Vertrages über Kollektive Sicherheit und Eurasischen Wirtschaftsunion oder auch aus kremlfreundlichen Dritte-Welt-Ländern, in die Mission einzuschließen. Solchen russischen und/oder mit Moskau inoffiziell verbündeten Blauhelmeinheiten könnte – so wird eventuell im Kreml kalkuliert – dann ein eigenes Kontrollgebiet innerhalb der derzeit besetzten ostukrainischen Gebiete zugesprochen werden. Womöglich würde dann dieser weiterhin de facto aus dem Kreml kontrollierte Teil der heutigen sogenannten „Lugansker“ und/oder „Donezker Volksrepublik“ zum Zufluchtsort und Sammelbecken der zuhauf im Donezbecken aktiven russischen paramilitärischen Abenteurer, Extremisten, Kosaken, Söldner usw. sowie ihrer am Besatzungsregime, Kampfgeschehen und Kriegsverbrechen beteiligten ukrainischen Kollaborateure werden. Eventuell würde dann dieses Teilgebiet über längere Zeit für die Ukraine verloren bleiben.

Probleme und Chancen einer Implementierung

Wahrscheinlich werden diese oder ähnliche Zugeständnisse der Preis sein, den der Kreml fordern wird, um sein Einverständnis für eine umfassende Friedensmission im UN-Sicherheitsrat zu geben. Ein für diesen Fall wahrscheinliches Folgeproblem wäre, dass entweder die ukrainische Regierung postwendend oder aber das ukrainische Parlament bzw. die ukrainische Gesellschaft im Anschluss derartige Moskauer Bedingungen für eine russische Zustimmung zu einer UN-Mission als unakzeptabel zurückweist. Es wird für jede ukrainische Führungsfigur – ob nun Präsident, Ministerpräsident, Außenminister, Fraktionschef usw. – angesichts der aufgepeitschten Anti-Putin-Stimmung in der Ukraine schwierig sein, auch nur auf minimale Kompromissformeln im Verhandlungsprozess öffentlich einzugehen. Für viele Ukrainer wird bereits der stillschweigende Ausschluss der Krimfrage aus den Verhandlungen mit Russland und dem Westen eine solch große zu schluckende Kröte darstellen, dass wenig politischer Raum für weitere Zugeständnisse Kiews an Moskau bleiben wird.

Trotz solcher Komplikationen, mit denen die westliche Diplomatie bei der Umsetzung eines UN-Friedensplans für das Donezbecken zu kämpfen haben wird, scheint dieser Ansatz die derzeit realistischste Chance für eine Lösung des Konflikts zu sein. Wenn man einmal von der Möglichkeit eines prinzipiellen Führungs-, Regime- und/oder Politikwechsels in Moskau in den nächsten Jahren absieht, bleibt eine internationale Übergangsverwaltung und Truppenstationierung für den Donbas vermutlich als einzige Möglichkeit, eine dauerhafte Befriedung der Ostukraine sowie eine damit einhergehende Stabilisierung zumindest der Rumpfukraine (ohne die Krim) zu erreichen. Ein großes UN-Truppenkontingent im Donezbecken würde die geopolitische Sicherheitslage der Ukraine merklich verbessern, es dem Staat und der Zivilgesellschaft des Landes erlauben, ihr Aufmerksamkeit wieder auf den inneren Reformprozess zu konzentrieren, sowie das politische Risikoempfinden potenzieller aus- und inländischer Investoren in der Ostukraine senken. Eine sich daraufhin erfolgreich reformierende und wirtschaftlich dynamisch entwickelnde Ukraine würde auf den gesamten postsowjetischen Raum ausstrahlen – eine Perspektive, die freilich auch der Hauptgrund für die Aggressivität des Kremls gegenüber der Ukraine ist.

Westliches Verhalten gegenüber Moskau

Im Lichte von Gabriels Bestreben einer baldigen Sicherheitsratsentscheidung und im Falle westlicher Bereitschaft zur Finanzierung einer großen UN-Friedensmission wird die Hauptfrage der kommenden Monate darin bestehen, wie man die russische Führung zu einem Einverständnis mit diesem UN-Missionsplan bewegen kann. Knackpunkt dabei ist, inwieweit die EU und USA im Jahr 2018 fähig sein werden, ihre Sanktionspolitik gegenüber Moskau zu koordinieren und – falls nötig – zu verschärfen. Angesichts der außenpolitischen Schwerfälligkeit der EU als Gesamtheit müssen hier womöglich einzelne Mitgliedsstaaten – allen voran Deutschland – aktiver als bisher werden und gemeinsam mit den USA eine Art Good Cop-Bad Cop-Strategie entwickeln.

Womöglich kann das Zuckerbrot einer schrittweisen Aufweichung der Sanktionen im Falle substanzieller und dauerhafter Lageverbesserungen im Donbas neben der Peitsche einer drohenden Sanktionsverschärfung bei weiterer Eskalation oder andauernder Stagnation weiterhelfen. Welche Mittel und Signale auch immer zum Einsatz kommen: Entscheidend wird sein, ob es gelingt, die russische Führung auf einen Entwicklungspfad zu bringen, der zu einer für die Ukraine annehmbaren sowie geopolitisch nachhaltigen Lösung – und nicht nur zu einem Einfrieren – des Donbas-Konfliktes führt. Da Putin inzwischen die ältere ukrainische Forderung einer Involvierung von UN-Blauhelmen vor Ort zumindest im Ansatz aufgegriffen hat (Sherr 2017), gibt es nun womöglich die Chance, einen Prozess zu starten, der zwar schwierig und lang sein wird, aber letztlich zum Ergebnis führt.

Links

Der Beitrag erschien zuvor in der “Ukraine-Analysen” Nr. 194 am 25. Januar 2018.

Autor:    — Wörter: 1249

Dr. Andreas Umland (1967) ist seit 2010 Dozent am Fachbereich Politikwissenschaft der Kyjiwer Mohyla-Akademie (NaUKMA) und seit 2021 Analyst am Stockholmer Zentrum für Osteuropastudien (SCEEUS) des Schwedischen Instituts für Internationale Beziehungen (UI).

Hat Ihnen der Beitrag gefallen? Vielleicht sollten Sie eine Spende in Betracht ziehen.
Diskussionen zu diesem Artikel und anderen Themen finden Sie auch im Forum.

Benachrichtigungen über neue Beiträge gibt es per Facebook, Google News, Mastodon, Telegram, X (ehemals Twitter), VK, RSS und täglich oder wöchentlich per E-Mail.

Artikel bewerten:

Rating: 5.7/7 (bei 7 abgegebenen Bewertungen)

Kommentare

Neueste Beiträge

Kiewer/Kyjiwer Sonntagsstammtisch - Regelmäßiges Treffen von Deutschsprachigen in Kiew/Kyjiw

Karikaturen

Andrij Makarenko: Russische Hilfe für Italien

Wetterbericht

Für Details mit dem Mauszeiger über das zugehörige Icon gehen
Kyjiw (Kiew)20 °C  Ushhorod15 °C  
Lwiw (Lemberg)15 °C  Iwano-Frankiwsk14 °C  
Rachiw10 °C  Jassinja11 °C  
Ternopil14 °C  Tscherniwzi (Czernowitz)17 °C  
Luzk15 °C  Riwne15 °C  
Chmelnyzkyj15 °C  Winnyzja18 °C  
Schytomyr17 °C  Tschernihiw (Tschernigow)17 °C  
Tscherkassy19 °C  Kropywnyzkyj (Kirowograd)19 °C  
Poltawa17 °C  Sumy16 °C  
Odessa21 °C  Mykolajiw (Nikolajew)20 °C  
Cherson20 °C  Charkiw (Charkow)18 °C  
Krywyj Rih (Kriwoj Rog)20 °C  Saporischschja (Saporoschje)20 °C  
Dnipro (Dnepropetrowsk)19 °C  Donezk21 °C  
Luhansk (Lugansk)16 °C  Simferopol18 °C  
Sewastopol22 °C  Jalta22 °C  
Daten von OpenWeatherMap.org

Mehr Ukrainewetter findet sich im Forum

Forumsdiskussionen

„Lieber @Bernd D-UA , ich will nicht leugnen, dass es sich bei diesem Post um Werbung handelt. Nach Rücksprache mit den Admins, ist dieser Teil des Forum ja genau dafür geeignet. Meine Idee war ja auch,...“

„Ich habe gerade eine Doku zum Thema Nordvietnam und Südvietnam und die darin verwickelten Parteien gesehen. Im Norden der Kommunismus, unterstützt unter anderem von Russland, im Süden die Demokraten...“

„Die Frage nach dem Willen ist sehr berechtigt! Ich wünsche mir Respekt und Haltung gegenüber den Interessen der Ukraine.“

„So ernst das Thema ist und so sehr mich der Maidan und die Menschen damals bewegt haben, sie hab3n meinen tiefsten Respekt und meine Unterstützung, aber lieber robosebi, Dein Beitrag wirkt wie eine Werbeveranstaltung...“

„Die Willensbekundungen zur Aufnahme der Ukraine in die NATO und der EU dienen doch einzig und alleine dem Zweck, die Moral der Bevölkerung und der Armee etwas aufzubessern. Wenn es denn mal akut werden...“

„Wer den Krieg in der Ukraine verstehen will, muss den Maidan verstehen! Kyjiw , November 2013. Eine überraschende Entscheidung der ukrainischen Regierung löst eine Welle von Protesten aus, die das Land...“

„Vielen Dank für die Information“

„Hallo ! Ich überlege ob ich nach Odessa in die Ukraine Fahre um ein paar Bekannte zu Besuchen. Kann mir jemand genau sagen, wie zur Zeit das Leben in Odessa ist ? Wie ist die Verfügbarkeit vom Strom...“

„In der Region Lwiw, wo ich unterwegs bin, sind 10 Hrywen unterschied je Liter keine Seltenheit. Ausgangs Lwiw z.B., kostete ein Liter Diesel 58,5 UAH und in Jaworiw habe ich für 49 UAH getankt. Tanke...“

„Hallo, Ich wollte einmal fragen ob ihr Tipps zum günstigen Tanken in der Ukraine habt? Gibt es Apps zum Preise vergleichen? Bei meiner Suche habe ich soetwas nicht gefunden. Oder gibt es spezielle Marken...“

„@naru gut zu wissen, dass die EU Privilegien weiter gelten, ich war mir nur nicht sicher, allerdings geht es eben nur wenn man mit EU Pass reißt und kein ukrainische Staatsbürger mit im Auto sitzt. Mir...“

„Das ist mit klar. Es gibt keinen Friedensvertrag mit Putin. Darum sollte es auch gar nicht mehr gehen. Der einzige Zweck eines Angebotes eines Vertrages durch die Ukr. soll die moralische Überlegenheit...“

„Interessant, dass es das nicht mehr geben soll, bzw. keinen Vorteil bringen soll. Ich bin im März über Krakowez nach UA eingereist. An der ersten Schranke auf der Autobahn waren alle gleich. Auf dem...“

„@naru also damit ich Deine Frage aber genau beantworte, ich gehe aber davon aus, dass Du mit ukrainischen Staatsbürgern im Auto diesen Service, sprich EU Spur wirst NICHT wahrnehmen dürfen. Habe mich...“

„Aus eigener Erfahrung muss ich jetzt aber noch einen Einwand machen, zum Grenzübergang Dorohusk–Jahodyn (Ягодин) In beide Richtungen gab es 2021 noch eine EU Spur, die waren beide erheblich schneller,...“

„So schlecht ist der Vorschlag sicherlich nicht! Die Abrüstung der Waffen/Militärgeräte könnte die Ukraine und Helfer... Nato in der Art umgehen, dass das ganze Material z.B. in Polen eingelagert wird,...“

„Von der Ukraine kommend und nach Polen ( EU) einreisend, gibt es keine direkte EU Spur. Alle stehen, außer CD, in einer Schlange und wie von Handrij geschrieben, wird man in einer Abfertigsspur zugewiesen....“

„Seit den visumfreie Reisen in den Schengenraum für Ukrainer sind mir da gar keine speziellen EU-Spuren mehr aufgefallen. Gibts das überhaupt noch?“

„Kurze Frage. Muss man bei der Einreise in die EU, an der polnischen Grenze, mit deutschen Fahrer und deutschen Kennzeichen, aber weiteren Ukrainern im Auto, auf die Spur für alle, oder darf man auf die...“

„Zur Diskussion - könnte so ein realistisches Angebot der Ukraine an Russland aussehen? Wie würde Russland reagieren - auf einige Forderungen/(fiktiven) Ängste Russlands wird hier ansatzweise Rücksicht...“

„Was will Faschisten-Russland schon eskalieren? Haben die nicht sogar Truppen von den NATO-Grenzen abgezogen weil es eng wird?“

„Den direkten Konflikt mit Russland gibt es doch schon lange. Natürlich ist das kein heißer Konflikt. Aber, gesprengte Pipelines, diverse Hackerangriffe, Morde an in Europa lebenden russischen Migranten...“

„Die Einwanderung ist inzwischen leichter geworden. Siehe: unbefristete-aufenthaltsgenehmigung-ein ... 48448.html Ansonsten halt der übliche Kram: Ehe, KInd, ukrainische Ahnen, Ostfronteinsatz. Aber dann...“

„Die temporäre Aufenthaltsgenehmigung hat vor allem den Nachteil, dass du für die jeweilige Erneuerung jedes Mal eine Grundlage brauchst, deren Bedingungen sich ändern können. Mit einer befristeten...“

„In der Praxis habe ich auch noch von keinem Einwanderer hier gehört, dass er seinen ausländischen Führerschein umgetauscht hat. Allenfalls, dass sich Leute einen zweiten ukrainischen zugelegt haben....“

„Liebe Alle ich habe an anderer Stelle einiges zum Thema gelesen, jedoch nicht die wirklich passende Antwort gefunden. Vielleicht hier? Muss man wirklich, wenn man eine Aufenthaltserlaubnis für die Ukraine...“

„Hat jemand eine Idee wie ich mein Bike von köln beispielsweise nach krementschuk schicken kann? Gibt es jemanden der Transporte in die Ukraine macht? Dankeeee“

„Hatte gestern so eine Situation. Nach einer Mautstelle, stand polnische Policia und verfolgte mich anschließend mit Blaulicht. Bitte folgen, das war in Kattowitz. Sie meinten, ich hatte kein Licht an,...“

„Hallo Forengemeinde, bin heute früh 6 Uhr über Korczowa in die Ukraine eingereist. 1,5 h ohne Probleme. Straßen, sind teilweise sehr marode“