Die Heiligen aus der Werchowna Rada: Wie haben die Abgeordneten die Neujahrsfesttage für ihre PR genutzt?



Der Nikolaustag (19.12., A.d.Ü.), Neujahr und Weihnachten (07.01., A.d.Ü.) sind ideale Anlässe für Politiker, die Wähler an sich zu erinnern. Bis zum Parlamentswahlkampf bleibt weniger als ein Jahr, und so ist es Zeit, umso aktiver die Wahlkreise „anzufüttern“ und den Kampf um die Stimmen zu beginnen.

Traditionell sind Kinder das Objekt der neujährlichen Aufmerksamkeit der Abgeordneten, die die Politiker oft schamlos für ihre PR ausnutzen. Und wenn man ehrlich bis zum Schluss ist, so rechnen die Volksvertreter und zukünftigen Kandidaten vor allem damit, deren Eltern und Verwandten zu beeindrucken. Denn genau sie, begeistert über kostenlose Kindergeschenke und Konzerte, können es den Wohltätern mit einem Kreuz auf dem Stimmzettel danken.

Womit haben die zukünftigen Teilnehmer des Wahlkampfes die Wählerschaft dieses Jahr für sich eingenommen? Und wie viele Tausend Geschenke haben sie in dieser Feiertagsperiode ausgegeben? Lesen Sie dazu im Bericht des Spezialprojektes „Wybory wybory“ (dt. Wahlen Wahlen, A.d.Ü.).

Schokoladenriegel

Der Marathon der Neujahrsgrüße von Politikern begann in der zweiten Dezemberhälfte – am Tag vor dem Heiligen Nikolaus. Unter Kinderkopfkissen reichte die allgegenwärtige Abgeordnetenhand nicht ganz, doch in der Schule, im Kindergarten und sogar im Altenheim überbrachten ganze Abgeordnetenkörper erfolgreich ihre Grüße.

So besuchte der fraktionslose Direktmandatsabgeordnete Mychajlo Holowko den Kindergarten „Dswinotschok“ (dt. Glöckchen, A.d.Ü.) in Sbarasch, was in der Region Ternopil liegt, und „übergab der Kinderschar von Nikolaus dem Wundertäter angenehme Geschenke“.

Die erwachsenen Wähler erfreut die Großzügigkeit der Abgeordneten nur – in den Kommentaren bemerken sie, dass Mychajlo Holowko ein gutes Herz hat und jedes Jahr so eine gute Sache vollbringt.

Der guten Sache hat sich auch der Direktmandatsträger Olexandr Dombrowskyj aus der Region Winnyzja verschrieben. Die Kinder in den Schulen erfreute er mit zweitausend Paketen von Roshen und die Pädagogen mit Technik und alkoholischen Getränken. Diese Aufmerksamkeit der Abgeordneten gegenüber Schulen ist nicht verwunderlich, denn gerade in Bildungseinrichtungen kommen die meisten Wahllokale unter und Lehrer gehören sehr oft zur regionalen Wahlkommission.

Zu guter Letzt beglückwünschte die Abgeordnete Anschelika Labunska, aus dem Rat der Oblast Schytomyr, die Wählerschaft zum Fest am großzügigsten. Sie ist in Doppelfunktion Leiterin bei der Regionalorganisation der (Allukrainischen Vereinigung) „Vaterland“ („Batkiwschtschyna“). Nach Angaben des Portals „Schytomyr.info“ besorgte sie in der Süßwarenfabrik „Schytomyrski Lasoschtschi/Schytomyrer Delikatessen“ ganze 70.000 Geschenke.

Auf Facebook begannen sich sofort Fotos von den süßen Grüßen zu verbreiten, die massenhaft in Schulen und Kindergärten ausgegeben wurden. Um genau zu sein, stand aus irgendeinem Grund auf den Päckchen, dass unmittelbar die Chefin von „Vaterland“, Julia Tymoschenko, den Kindern ein frohes Fest wünscht und nicht die Abgeordnete Labunska.

„Uns hat man heute genauso „beglückt“ im Kindergarten. Ein Paket der Verwaltung wurde wieder abgeholt. Soll es bei ihnen zerschmelzen“, schrieben verärgerte Schytomyrer Bürger in sozialen Netzwerken.

Die Ernennung zum originellsten Nikolaus 2018 haben sich die Abgeordneten Ihor Owerko von der Partei „Nowi Oblytschja“ (dt. Neue Gesichter) und Petro Korol von „UKROP“ (dt. „Ukrainische Vereinigung der Patrioten“, rus. Dill, A.d.Ü. – Abwertende Bezeichnung der Separatisten für ukrainische Soldaten von Präsident Poroschenko zu „Ukrajinskyj Opir“ = ukrainischer Widerstand umgetauft und später vom Oligarchen Ihor Kolomojskyj als Parteinamen umgenutzt, A.d.R.) aus dem Stadtrat von Irpin verdient. Sie überreichten den Kleinen nicht einfach Geschenke, sondern warfen sie ihnen zu.

Die Direktorin der Schule №17 in Irpin, Lesja Lytwyn, war den Abgeordneten so dankbar für die Großzügigkeit, dass sie einen von ihnen sogar auf „Engelsmäzen“ taufte.

Wohltätige Konzerte mit Weihnachtsmännern

Um sich noch besser ins Wählergedächtnis einzubrennen, veranstalten einige Abgeordnete ganze Neujahrsaufführungen für sie.

So organisierte der Volksabgeordnete Ihor Hus ein Fest in der Bibliothek von Ljuboml. Unterstützt hat den Abgeordneten dabei die gemeinnützige Stiftung „Tilki rasom“ (dt. Nur gemeinsam, A.d.Ü.) von Ihor Palyzja, dem Vorsitzenden des Oblastrates in Wolhynien.

Mit persönlicher Anwesenheit beehrten die Politiker die Feier nicht, stattdessen schickten sie Animatoren im Nikolaus-Kostüm zur Unterhaltung der Kinder, eine Stellvertreterin der Stiftung sowie die Büroleiterin des Volksabgeordneten Hus.

Die Ausgabe der „Wolhynier Nachrichten“ berichtet, dass die „Kinderchen ihm (dem Nikolaus, UP) gern und freudig Gedichte vortrugen und die Belohnung für ihre Mühe waren Geschenke und Süßigkeiten.“ Selbstverständlich waren diese markiert – dass die Eltern nicht vergessen, wer das Fest für ihre Kinder gesponsert hat.

Die Stiftung von Ihor Palyzja half auch der Volksabgeordneten Iryna Konstankewytsch von UKROP ein Fest zu organisieren. „Wir Erwachsenen glauben lange nicht mehr daran, dass einmal im Jahr eine Person erscheint, die ein Märchen erschafft. Und es ist unwichtig, wer das ist – Väterchen Frost, Santa Claus oder das Jesuskind“, wird die Vertreterin der Werchowna Rada mit Märchenfiguren in eine Reihe gestellt.

PR in der Verpackung ebensolcher gemeinnütziger Stiftungen hat schon Tradition unter den Abgeordneten. So untersuchte die Bürgerbewegung „Tschesno“ (dt. Ehrlich, A.d.Ü.) die elektronischen Deklarationen und rechnete aus, dass mit Stand 2017 80 Parlamentarier Verbindungen zu 94 gemeinnützigen Organisationen hatten. Interessant, dass diese Feste und Geschenke, solange der Parlamentswahlkampf nicht begonnen hat, offiziell keine politische Agitation sind. Deshalb können Volksabgeordnete Schokoriegel verteilen und Weihnachtsmänner bringen wem und wann sie wollen – und dafür kann ihnen keiner was.

„Die im Dienst befindlichen Volksabgeordneten, die Stiftungen für sogenannte Agitation nutzen, sind bis zu dem Moment der Registrierung als Abgeordneten-Kandidaten keine Straftäter und Verbrecher“, stellt der Jurist Maxym Charwat vom Zentrum für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit klar.

Genau deswegen „glänzen“ gemeinnützige Stiftungen von Abgeordneten so oft auf verschiedenen Festen. Über eine solche Stiftung grüßte auch Serhij Paschynskyj von der „Volksfront“ die Wählerschaft.

Aktiv hat auch die gemeinnützige Stiftung des Direktabgeordneten Olexandr Presman aus der Region Odessa Geschenke verteilt. „Die Kinderschar des 139. Wahlkreises ist schon daran gewöhnt, dass der Heilige Nikolaus den Kindern immer zu seinem Fest leckere Süßigkeiten überreicht“, berichtet froh über das „Anfüttern“ der Wähler die Seite der Stiftung.

Die Ankunft des Abgeordneten als Fest

Während sich die einen Wahlkreise verkleideter Weihnachtsmänner erfreuen, ist für andere die persönliche Ankunft des Beamten oder Volksabgeordneten zum Ereignis an sich geworden.

Andrij Hluschtschenko zum Beispiel, das Stadtoberhaupt von Tatarbunary, verteilte zusammen mit seinem Stellvertreter und einer Abgeordneten des Kreisrats Süßigkeiten in Kindergärten, die in bedruckten Beuteln eingepackt waren. ??„Ungeachtet dessen, dass in den Kindergärten zu dieser Zeit Neujahrsgeschichten erklingen und Märchenaufführungen stattfinden, betrachteten die Kinder die Gäste interessiert und erfreuten sich neuer Geschenke.“
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Nicht nur die Kinder bekamen Süßes, auch die Mitarbeiter der Kindergärten. Die Beamten waren so großzügig, dass sie die Schokoladenauswahl beinahe in den Topf warfen.

Oleh Ljaschko, der „Hauptradikale“ des Landes, beschloss sich wie immer mitzuteilen und fuhr süße Geschenke im Altenheim im Dorf Iwankiw auszugeben, in der Region Schytomyr. Er demonstrierte den Rentnern und dem medizinischen Personal des Altenheims seine Fürsorge.

Eine der dankbaren Rentnerinnen, sei es weil sie sich verhört hatte oder so sehr ermüdet war, begann sich im Laufe von Ljaschkos Predigt zu bekreuzigen. „Er ist toller als Kaschpirowski [Anatoli Mychailowytsch, A.d.Ü.] und Wolf Messing [sowjetischer Hellseher, A.d.R.]. Er lädt die Menschen mit Energie auf“, interpretierte Andrij Losowyj, ein Parteikollege Ljaschkos, das Verhalten der Großmutter auf Facebook.

Auch der Volksabgeordnete Dmytro Schpenow vom „Oppositionsblock“ machte bei den Rentnern Station. Seine gemeinnützige Stiftung „Dobra Sprawa“ (dt. Gute Sache, A.d.Ü.) gab 40.000 Lebensmittelpakete in der Region Dnipropetrowsk aus.

Der ominöse Volksabgeordnete Oleh Barna aus der Region Ternopil schließlich brachte den Wählern gar keine Geschenke. Er beschloss, die Leute per Agitation für den amtierenden Präsidenten Petro Poroschenko zu grüßen, was sehr sparsam ist.


Schenkt Schokolade Stimmen?

Dass die Wähler ständig Geschenke von Abgeordneten zum Fest bekommen ist schon zu einer festen jährlichen Tradition geworden, meint der Politologe Kostjantyn Batosskyj. Doch seiner Meinung nach gewinnen an kostenloser Schokolade mehr die Leute als die Abgeordneten: ??„Sowohl die Politiker rechnen mit Geschenken als auch die Wähler erwarten Geschenke zu bekommen. Da das jedoch alle Abgeordneten machen, bringt es keinen Nutzen. Das wird nicht in Stimmen umgewandelt, denn die Leute sind daran gewöhnt und nehmen es bereits hin wie ein Naturereignis, wie Regen oder Schnee.“
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Wie sich gezeigt hat, zählen Wählergeschenke bis zu dem Zeitpunkt, da in der Ukraine der offizielle Parlamentswahlkampf beginnt – was am 29. Juli passiert – nicht als politische Agitation. Das bedeutet, dass die zukünftigen Abgeordneten-Kandidaten noch mindestens ein halbes Jahr die Wahlkreise abgrasen werden, ohne dafür Verantwortung tragen zu müssen.

11. Januar 2019 // Daryna Rohatschuk

Quelle: Ukrajinska Prawda

Übersetzerin:   Annegret Becker  — Wörter: 1354

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