Interview mit Arsenij Jazenjuk: Der Vater des „Vaterlandes“
Arsenij Jazenjuk über eine [mögliche] lebenslange Haftstrafe für Julia Timoschenko, ein ägyptisches Szenario für die Ukraine sowie darüber, ob es 2015 überhaupt Wahlen geben wird.
In den vergangen fünf bis sechs Jahren hat die Zeitschrift „Korrespondent“ mehrmals Kommentare und Meinungen Arsenij Jazenjuks eingeholt und Interviews mit ihm geführt. Der relativ junge Politiker [geb. am 22. Mai 1974], der gegenwärtig der Führer der Timoschenko-Partei „Allukrainische Vereinigung Vaterland“ (Batkiwschtschyna) und stärkste Figur der Opposition ist, machte dabei stets einen entschlossenen Eindruck und stach aus der Masse seiner Kollegen durch die Klarheit seiner Positionen und, wo immer es nötig war, auch durch die Schärfe seiner Urteile hervor. Im Interview, das Jazenjuk mit der Zeitschrift am 21. Januar im Parteibüro im Kiewer Stadtteil Podol führte, machte der Politiker hingegen zunächst einen ziemlich mitgenommenen Eindruck.
Kein Wunder, hat doch nur wenige Tage vor diesem Treffen der Generalstaatsanwalt der Ukraine, Viktor Pschonka, mitgeteilt, dass sein Büro die Untersuchungen zum Mord am ehemaligen Abgeordneten Jewgenij Schtscherban aus dem Jahr 1996 abgeschlossen habe. Der Generalstaatsanwalt ist nun bereit, Julia Timoschenko der Organisation an diesem Mord anzuklagen. Mit anderen Worten: Der siebenjährigen Haftstrafe, die die Ex-Premierministerin gerade verbüßt, könnte noch eine lebenslange Haftstrafe hinzugefügt werden.
Jazenjuk reagierte hierauf unverzüglich, indem er mitteile, dass seine Fraktion die Durchführung einer vorgezogenen Parlamentssitzung fordere, in der sowohl der Generalstaatsanwalt als auch die in den Fall der „Lady Ju“ involvierten Mitarbeiter des Geheimdienstes angehört werden sollen. Freilich ist die Stimmung des wichtigsten unter den freien Oppositionspolitikern des Landes nicht unbeeindruckt geblieben von den neuen Vorstößen der Regierung und dem Bewusstsein um die Ungleichheit der Machtverteilung.
Im Laufe des Gesprächs ist dann aber derjenige Jazenjuk, wie wir ihn von früher kennen, wieder aufgeblüht.
Korrespondent: Am Freitag hat die Generalstaatsanwaltschaft offiziell bekannt gegeben, dass sie Julia Timoschenko der Organisation des Auftragsmordes am ehemaligen Parlamentsabgeordneten und Geschäftsmann Jewgenij Schtscherban verdächtigt. Das heißt, dass „Lady Ju“ zu allem Übermaß eine lebenslange Haftstrafe erhalten könnte. Weshalb brauchen die Machthaber diese Anschuldigung? Und wie stichhaltig sind deren Argumente?
Arsenij Jazenjuk: Das ist die absurdeste und dümmste Entscheidung überhaupt. Ich selbst kenne einige Versionen des Vorfalls. In Anbetracht der Tatsache, dass diese Nachricht die Durchführung des [für den 25. Februar in Brüssel angesetzten] EU-Ukraine-Gipfels infrage stellt, würde ich nicht ausschließen, dass auch andere Länder, insbesondere Russland, ein Interesse an derartigen Entwicklungen und Ereignissen haben. Auf dem Gipfel, der auf jeden Fall stattfinden sollte, müssen die Fragen nach den europäischen Perspektiven für die Ukraine und nach der Freilassung Julia Timoschenkos nicht nur gestellt, sondern entschieden werden.
Möglicherweise stellt diese Entwicklung auch eine Folge von internen Machtkämpfen im Umfeld des Präsidenten dar. Dieses neuerliche Strafverfahren hat doch die letzten Überreste des Vertrauens in Janukowitsch beseitigt.
Die Details, die aus dem Material der amerikanischen Gerichte, die den Fall Lasarenko untersucht haben, bekannt sind, enthalten nicht einmal entfernte Hinweise auf eine Beteiligung Timoschenkos am Mord an Schtscherban.
Timoschenko wartet ab und hofft, dass die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, die in naher Zukunft erwartet wird, ihr dabei helfen wird, frei zu kommen. Teilen Sie diese Hoffnungen?
Ganz klar, dies stellt den ersten wichtigen Schritt auf dem Weg hin zu einer gerechten Entscheidung im Fall Timoschenko dar. In diesem Stadium wird klar, dass die Verhaftung gesetzeswidrig und der ganze Fall politisch motiviert war. Dies sollte dann Grundlage für eine weitere und tiefergehende Beschäftigung der europäischen Gerichte mit dem Fall werden und eine weitere Entscheidung herbeiführen, die dann wiederum zur Grundlage dafür werden sollte, dass die ukrainischen Gerichte den Fall neu aufrollen müssen, was der Freilassung Timoschenkos dienlich sein wird.
Gegenwärtig zeigt sich die Opposition wieder aktiver. Sie fordern die Durchführung einer außerplanmäßigen Parlamentssitzung, in der Sie den Generalstaatsanwalt sowie die Chefs des Innenministeriums und des Geheimdienstes anhören wollen. Ferner fordern Sie die Gründung eines temporären Untersuchungsausschusses, der sich mit dem Fall Timoschenko und dem Fall des ehemaligen Chefs des Innenministeriums, Jurij Luzenko, auseinandersetzen soll. Inwiefern ist die Durchführung einer außerplanmäßigen Sitzung realistisch?
Wir haben der Werchowna Rada Dokumente übergeben und eine Liste mit Fragen eingereicht. Der nächste Schritt besteht darin, 150 Unterschriften auf speziell dafür vorgesehenen Unterschriftsbögen zu sammeln. Der Verwaltungsapparat der Werchowna Rada hat jedoch bislang die Aushändigung dieser Bögen mit allen Mitteln zu verzögern versucht. Dort hat man die von der Opposition auf der Tagesordnung vermerkten Fragen gesehen, und nun werden sie alles in ihrer Macht stehende unternehmen, um die Entscheidung über die Durchführung einer außerplanmäßigen Sitzung in die Länge zu ziehen.
Und was bringt eine solche Sitzung, wo doch offensichtlich ist, dass die Opposition nicht in der Lage sein wird, den Generalstaatsanwalt seines Amtes zu entheben?
Die Opposition würde über eine ausreichende Anzahl an Stimmen für die Entlassung des Generalstaatsanwaltes verfügen, wenn die unabhängigen Kandidaten auch wirklich unabhängig wären und nicht, wie es sich in Wirklichkeit darstellt, von Janukowitsch abhingen.
Als Opposition haben wir das Recht auf eine Anhörung des Generalstaatsanwaltes, des Chefs des Geheimdienstes und des Innenministeriums. Das sind immerhin diejenigen Leute, die für die Einhaltung der Gesetze des Landes Verantwortung tragen – und nicht für deren Verhöhnung. Das Parlament stellt dasjenige politische Organ dar, innerhalb dessen politische Entscheidungen getroffen werden.
In der Sitzung können wir in jedem Fall eine Untersuchungskommission [zur Überprüfung möglicher Verstöße gegen die Verfassung im Zusammenhang mit der Verhaftung Timoschenkos und Luzenkos] einberufen. Hierfür benötigen wir 150 Stimmen – und die haben wir. Im Grunde ist dies der einzige recht- und verfassungsmäßige Weg, über den die Opposition Einfluss auf die gegenwärtige Situation nehmen kann.
Es wird schwierig, eine außerplanmäßige Sitzung einzuberufen. Für Sie und die Opposition wäre es einfacher gewesen, ohne Ferien weiter zu arbeiten. Immerhin hat das neue Parlament gerade mal ein paar Wochen gearbeitet, und die Situation rund um Timoschenko war schon zum damaligen Zeitpunkt nicht gut.
Dies war nicht unsere Entscheidung. Batkiwschtschyna hat nicht für diesen Zeitplan gestimmt. Genau deshalb werden wir ja nun eine außerplanmäßige Sitzung einberufen.
Warum wirkt das Handeln der Opposition bisweilen unlogisch und mitunter geradezu so, als würde es der Regierung in die Hände spielen? Ein Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit: Die Abstimmung über die Entkriminalisierung derjenigen Paragrafen, die die Grundlage für die Verurteilung Timoschenkos und Luzenkos bildete. Die Opposition hat einen seltsamen Eindruck gemacht, als [teilweise] nicht einmal ihre eigenen Abgeordneten für dieses Gesetz stimmten.
Ich möchte anmerken, dass wir [im Gegensatz zu anderen Parteien] nur von jenen Abstimmungskarten Gebrauch machen, die uns auch de facto zustehen. Wir haben immerhin erreicht, dass die Frage nach der Entkriminalisierung dem Plenum zur Abstimmung vorgelegt wurde. Dafür wurden 161 Stimmen abgegeben. Darüber hinaus bestand unsere Aufgabe darin, die eigentliche Position und die Beweggründe der Partei der Regionen aufzudecken, die diesen Gesetzesvorschlag erneut ablehnten.
Wie weit geht ihr Vertrauen in ihre Verbündeten im Parlament? Einige Politiker versuchten, mich davon zu überzeugen, dass der Vorsitzende von UDAR, Wladimir Klitschko, vom Milliardär Dmitrij Firtasch, und Swoboda von Igor Kolomojskij, einem weiteren Milliardär, finanziert werden. Diskutieren Sie in fraktionsübergreifenden Treffen solche Themen überhaupt bzw. inwiefern interessiert es Sie, welche Kräfte hinter Ihren Partnern stehen?
Wenn man in den Kampf ziehen möchte, muss man nicht nur über eine gute Rückendeckung, sondern auch nach vorne hin über Schlagkraft verfügen. Ich glaube, dass es sich bei unseren politischen Partnern um Leute handelt, die um die Verantwortung dem eigenen Land gegenüber und um die Wichtigkeit der politischen Reputation wissen, die schließlich durch kein Geld der Welt zu ersetzen ist.
Inwieweit fühlen Sie sich als Vertreter des demokratischen Lagers wohl in der Zusammenarbeit mit Leuten, die, wie der Vorsitzende von Swoboda, Oleg Tjagnibok, zu Protokoll geben, dass sie nicht für die Menschenrechte, sondern für die Rechte der Nation kämpfen werden?
Zunächst möchte ich anmerken, dass mich mit Oleg Tjagnibok die Sorge um die Zukunft des Landes verbindet, und dass wir deshalb auch in der Lage sind, uns zu unterhalten, uns abzusprechen und zu verbünden. Wir haben schließlich die nicht gerade einfache Zeit des letzen Wahlkampfes gemeinsam durchschritten und dabei gezeigt, dass wir uns verständigen und einigen können, wie das am Beispiel der Nominierung gemeinsamer Kandidaten für bestimmte Wahlkreise schön zu sehen war. Es gibt aber auch Dinge, die beide Seiten nicht miteinander teilen. Jeder von uns hat seine Position, die er vertritt und verteidigt.
Und gibt es Schwierigkeiten innerhalb von Batkiwschtschyna? Viele Leute vertreten die Ansicht, dass Andrej Koshemjakin und Aleksandr Turtschinow den Zugang zu Timoschenko gewissermaßen monopolisiert haben und die Informationen, die von ihr kommen oder an sie herangetragen werden, manipulieren. Ihnen persönlich sind doch im Grunde jegliche Kommunikationskanäle zu Timoschenko abgeschnitten?
Kommunikationsprobleme gibt es in keinster Weise. Wenn es etwas mitzuteilen gibt, dann schreibt mir Julia Timoschenko per Brief oder ich ihr. Die einzige Schwierigkeit, die ich sehe, liegt in dem Umstand, dass sie im Gefängnis sitzt und sich nicht in Freiheit befindet.
Warum scheint es, als hätten Sie das Thema der beiden Tabalows, Vater und Sohn, die über die Listenplätze Ihrer Partei in die Werchowna Rada eingezogen und anschließend zur Partei der Regionen übergelaufen sind, vergessen? Warum versuchen Sie nicht, ihnen die Mandate zu entziehen?
Um ihnen die Mandate zu entziehen, müssten sie zuallererst Mandate haben. Sie haben keinen Eid geschworen und deshalb auch keinen offiziellen Status als Volksvertreter der Ukraine erhalten. Um dies zu beweisen, richten wir eine temporäre Untersuchungskommission ein. Ferner verfügen wir über Videomaterial, das uns helfen wird, die Wahrheit ans Licht zu bringen.
Ich möchte auch anmerken, dass die Situation im Zusammenhang mit den beiden Tabalows eine Art Kriegsführung darstellt, die sich in erster Linie gegen mich persönlich richtet. Weshalb brauchte die Partei der Regionen die beiden Männer, da ihnen doch schon mit den Kommunisten ausreichend Stimmen zur Verfügung standen? Der Auftrag bestand darin, die beiden Tabalows zu kaufen, um darauf aufbauend eine groß angelegte PR-Geschichte zu inszenieren. Man wollte mich in eine Position drängen, die es mir unmöglich machen sollte, die Fraktion zu führen. Man wollte mich auf politischer Ebene untragbar machen und auslöschen.
Die ersten Tage im neu zusammengesetzten Parlament haben gezeigt, dass Swoboda den Status einer Art „Spezialeinheit“ innerhalb der Oppositionsparteien beansprucht. Sie haben den Zaun, der die Werchowna Rada umgibt, durchsägt, und die beiden Tabalows, Vater und Sohn, recht unsanft aus einer Parlamentssitzung befördert. Darin aber haben sich die Aktivitäten erschöpft. Was ist passiert?
Die Opposition wird nur dann effektiv arbeiten, wenn sie gemeinsam handelt. Und das gilt für alle Bereiche der Zusammenarbeit. Einen eindrucksvollen Beweis für diese These stellt der Wahlkampf im Vorfeld der letzten Parlamentswahlen dar. Die Opposition hat nur dort gesiegt, wo sie vereint aufgetreten ist. Und dieses Prinzip müssen wir auch auf die Präsidentschaftswahlen 2015 übertragen. Dasselbe trifft auch auf die Kiewer Bürgermeisterwahl zu, die eine Art Feuertaufe für die Präsidentschaftswahlen wird.
Ist hierüber bereits eine Einigung erzielt worden?
Die Position von Swoboda ist klar – ein gemeinsamer Kandidat der Opposition für den Posten des Kiewer Bürgermeisters sowie ein gemeinsamer Kandidat für den Wahlkreis. Ich hoffe, dass UDAR ebenso arbeiten wird.
Bislang sind die Prognosen für die Hauptstadt eher enttäuschend. Die Umfragewerte des Leiters der Stadtverwaltung, Alexander Popow, sind ziemlich hoch.
Es gibt Leute, die nicht nur eine ernsthafte Konkurrenz für Popow darstellen, sondern auch gegen ihn gewinnen können. Deren Namen aber werde ich nicht nennen, damit sie nicht, wie Timoschenko oder Luzenko, vorzeitig an der Ausübung ihrer politischen Tätigkeit gehindert werden.
Kommen wir also auf die Präsidentschaftswahlen 2015 zu sprechen. Hört man auf die Experten, dann ist nicht auszuschließen, dass bereits jetzt [von Seiten der Regierung] auf folgendes Szenario hingearbeitet wird: Tjagnibok soll als Oppositionsvertreter in die zweite Wahlrunde einziehen, da er vermeintlich der einzige Kandidat der Opposition ist, gegen den Janukowitsch in einer Stichwahl gewinnen würde.
Welcher Oppositionsvertreter auch immer in die zweite Runde einzieht – er wird gegen Janukowitsch gewinnen, wenn er die Unterstützung von allen drei Oppositionsparteien erhält.
Was Tjagnibok betrifft, so habe auch ich von einem solchen Szenario gehört, wobei ich daran nicht glaube. Freilich kann es zu einem Stimmungsumschwung unter den Wählern kommen, so dass Tjagnibok in die zweite Wahlrunde einzieht, aber in diesem Fall wird er gegen Janukowitsch gewinnen. Somit wären dann alle eventuell in diese Richtung gehenden Pläne der Regierung zunichte gemacht.
Es sieht so aus, als ob sich die Präsidentschaftswahlen 2015 schwierig gestalten dürften.
Man muss sich auch fragen, ob es überhaupt zu Wahlen kommen wird, da nicht auszuschließen ist, dass aus den Wahlen eine Ernennung des Präsidenten unter dem Deckmantel freier Wahlen wie in Russland und Weißrussland werden könnte. Genau aus diesem Grund bin ich dagegen, den Dialog mit unseren europäischen Partnern einzustellen.
Lohnt es sich, derart große Hoffnungen in diese Partner zu setzen? Im letzten Interview, das sie dem „Korrespondent“ vor den Parlamentswahlen gegeben hatten, sagten sie, die Regierung würde Wahlfälschungen fürchten, aus Angst vor der Reaktion der internationalen Gemeinschaft. Verstöße, darunter auch gravierende, gab es aber reichlich. Europa hingegen umgarnt nun ebendiese Regierung und bereitet sogar ein Gipfeltreffen vor.
In diesem Punkt teile ich Ihre Meinung nicht. Ursprünglich planten sie [die Vertreter der Partei der Regionen], bei der letzten Parlamentswahl 35% der Stimmen zu erreichen und Batkiwschtschyna nur 17% zu überlassen. Dennoch erhielten wir 26% und sie 30%. Deshalb muss man, wenn man die Dinge realistisch betrachtet, konstatieren, dass es auch hätte schlechter ausgehen können. Dass es aber im Endeffekt nicht schlechter ausging, ist auf die große Anzahl an Wahlbeobachtern und die aktive Teilnahme unserer westlichen Partner während des gesamten Wahlprozess zurückzuführen.
Nun zum Gipfeltreffen. Das Gipfeltreffen ist ja kein rauschendes Fest mit glamourösem Empfang für die Regierung, sondern ein politisch notwendiges Treffen zwischen der Ukraine und unseren westlichen Partnern, in dessen Rahmen die Fragen zum europäischen Schicksal unser Landes entschieden und Vereinbarungen mit der Europäischen Union unterzeichnet werden, zum visafreien Reisen, zum Ende der politischen Schikanen und zur Annäherung der Ukraine an die Europäische Union. Der Gipfel stellt ein Instrument zur Lösung politischer Probleme und keine PR-Bühne für Janukowitsch dar; deshalb sollte der Gipfel auch stattfinden.
Unsere westlichen Partner führen einen Dialog mit der Ukraine, und nicht mit Janukowitsch, der derzeit die Regierungsgeschäfte führt. Neben Präsident Janukowitsch gibt es in der Ukraine auch eine Opposition, mit der sich unsere westlichen Partner ebenso im Dialog befinden. Das ist entscheidend für unser Land. Deshalb haben wir uns schon im Vorfeld des Gipfeltreffens an unsere europäischen Partner gewandt und um ein eigenständiges Treffen mit der ukrainischen Opposition gebeten.
Nach den neuerlichen Beschuldigungen gegen Timoschenko weiß die Hälfte des Landes nicht, was sie von der Regierung erwarten soll. Wie wird sich die Situation fürderhin entwickeln? Ihre Prognose als Anführer der Opposition, bitte.
Selbst ein oberflächiger Blick auf die Situation genügt, um zu dem Schluss zu gelangen, dass sich in der Ukraine kein weißrussisches Szenario – denn selbst dort gibt es kein derart hohes Ausmaß an Korruption wie hier bei uns –, sondern vielmehr ein ägyptisches Szenario entwickelt hat. Ferner lässt sich, um die Analogie fortzuführen, sagen, dass wir uns irgendwo im 25. Regierungsjahr Hosni Mubaraks [des ehemaligen ägyptischen Präsidenten, der nach 30 Jahren an der Macht gestürzt wurde] befinden.
Sie [die Machthaber] verfügen über kurzzeitige taktische Vorteile und sind vergleichbar mit Schweinen in Ritterrüstungen. Aber sie merken nicht, dass sie sich auf sehr dünnem Eis bewegen. Sie denken, dass Stärke aus den Milliarden an amerikanischen Dollar besteht, die sie [dem Land] in den letzten beiden Jahren gestohlen haben. Sie denken, dass Stärke aus der politischen Macht und den Ämtern, die sie beschlagnahmt haben sowie in der Furcht vor ihnen besteht. Sie sind nicht die ersten, die so denken, aber sie nehmen in der Geschichte eine ganz schwache Stellung ein.
Wovon lebt also meine Hoffnung? Nicht von einer außerplanmäßigen Sitzung oder der Entscheidung eines europäischen Gerichts, sondern von dem Glauben daran, dass man all dies ändern kann. Dieser Glaube ist weitaus wichtiger und stärker als alles andere.
Und in der Geschichte gibt es durchaus Beispiele dafür, dass Politiker, die sich auf diesen Glauben und auf die Leute, die den Glauben daran teilten, stützten, große Änderungen herbeiführen konnten. Es ist dies für mich derzeit die Hauptquelle, aus der ich Kraft schöpfe.
Und glauben Ihnen die Leute, die die Enttäuschungen der Orangenen Revolution durchlebt haben?
Ich weiß, dass es in der Geschichte immer einen Moment gibt. Ich kann keine Welle der gesellschaftlichen Unzufriedenheit erzeugen. Uns sagt man, die Opposition sei schwach, weil sie es nicht vermag, die Leute auf die Straße zu bringen. Das ist aber nicht die Schwäche der Opposition, es liegt vielmehr an den Leuten selbst, die nicht auf die Straße gehen. Wenn das Volk zufrieden, die Opposition aber unzufrieden ist, dann heißt das, dass der Moment noch nicht gekommen ist. Doch dieser Moment wird eintreten – mit Sicherheit.
25. Januar 2013 // Irina Solomko
Quelle: Korrespondent Nr. 2 (542) 25. Januar 2013, S. 16-18