Julia Timoschenko könnte für sieben Jahre ins Gefängnis kommen
Die Generalstaatsanwaltschaft fordert für Julia Timoschenko eine Freiheitsstrafe von sieben Jahren. Dies verkündete die Staatsanwältin Lilija Frolowa gestern im Verlaufe des Gerichtsprozesses in der Strafsache der Ex-Premierin. Sie teilte ebenfalls mit, dass die Schuld von Timoschenko bewiesen ist und strafmindernde Umstände in der Sache nicht festgestellt wurden. Dabei bat die Staatsanwältin das Gericht darum, die Angaben der Zeugen der Verteidigung nicht zu beachten, deren Wahrheitstreue in Zweifel ziehend. Die Verteidiger halten die Strafdauer, die von der Anklageseite vorgeschlagen wurde, für erdacht.
Der gestrigen Gerichtssitzung in der Strafsache zur Überschreitung der Amtsvollmachten durch die ehemalige Premierministerin Julia Timoschenko ging eine zweiwöchige Pause voraus, die von dem vorsitzenden Richter Rodion Kirejew verkündet wurde, damit die Verteidigungsseite sich entsprechend auf die Abschlussplädoyers vorbereiten kann (siehe “Kommersant-Ukraine” vom 13. September).
Unter dem Druck der Weltgemeinschaft nahm sich die Regierung eine Auszeit für die Vorbereitung eines neuen Aktionsplans
Bei der Eröffnung der Sitzung verkündete Rodion Kirejew, dass beim Gericht eine Reihe von Anträgen der Verteidigung eingegangen ist, darunter zur Wiederaufnahme der Beweisaufnahme und der Änderung der gegen Julia Timoschenko verhängten Sicherheitsauflagen. „Das Stadium der gerichtlichen Prüfung beachtend, hält das Gericht es für möglich den Antrag auf Wiederaufnahme der Beweisaufnahme zur Diskussion zu stellen“, verkündete der Vorsitzende. Dabei ignorierte er den zweiten Teil des Gesuchs, der die Freilassung von Timoschenko betraf.
Die Verteidigung bat darum die Beweisaufnahme wiederaufzunehmen, da während des Prozesses nicht alle Materialien des Strafverfahrens veröffentlicht wurden, darunter Beweise der Verteidigung. „Wenn wir wenigstens näherungsweise die Strafprozessordnung befolgen, muss die Beweisaufnahme wieder aufgenommen werden“, erklärte Julia Timoschenko. Ihr Anwalt, Alexander Plachotnjuk, unterstrich, dass man die im Verlaufe der Verhandlung zugelassenen Unzulänglichkeiten nur beseitigen kann, wenn man zum Stadium der Beweisaufnahme zurückkehrt. „Andernfalls ist die Aufhebung des Urteils aus formalen Gründen möglich“, warnte er.
Die Seite der Anklage beachtete die Gründe für die Bewilligung des Gesuchs nicht und merkte dabei an, dass eine Rückkehr zum Stadium der Beweisaufnahme lediglich in Verbindung mit der Notwendigkeit für neue Beweise möglich ist. Zur Prüfung dieses Antrags musste sich Rodion Kirejew nicht einmal in das Beratungszimmer zurückziehen – er traf die Entscheidung gleich vor Ort. „Berücksichtigend, dass vom Gericht alle Beweise studiert wurden, wird dem Gesuch nicht stattgegeben“, verkündete er.
Danach ging das Gericht zu den Debatten über. Als erste erhielt die Staatsanwaltschaft das Wort. Eine von ihnen, Lilija Frolowa, holte bei ihrem Auftritt weit aus: sie verkündete, dass die Verbrechen, die von oberen Amtsträgern verübt werden, zu den gefährlichsten gezählt werden und ihre Aufklärung hat für die Rechtsschutzorgane oberste Priorität. „Das ist ein Übel, welches das Vertrauen zum Staat untergräbt, die gesellschaftliche Stabilität zerstört und der staatlichen Sicherheit Schaden zufügt. Vom Erfolg des Kampfes mit ihm hängt der Erfolg der Innen- und Außenpolitik ab2, erklärte die Staatsanwältin mit Pathos. „Ja, das ist die PR-Agentur der Mafia und keine Staatsanwaltschaft! Welche Beziehung zur Sache hat die PR-Tätigkeit dieser Vertreterin der Mafia?“, entrüstete sich Julia Timoschenko, die sich bemühte die Staatsanwältin zu unterbrechen. Jedoch setzte Frolowa unerschütterlich mit der Verlesung des vorher vorbereiteten Textes fort. ??„Die staatliche Anklage meint, dass die Schuld der Angeklagten vollständig durch die Zeugenaussagen, das Beweisstudium und die Schlussfolgerungen von Experten bewiesen ist“, verkündete die Staatsanwältin. Im Gegenzug murrten die im Saal anwesenden Parlamentsabgeordneten unzufrieden.
Das Verhalten der Abgeordneten entrüstete Richter Kirejew. „Es werden Handlungen vollzogen, die auf eine Sprengung der Gerichtsverhandlung abzielen. Die Anwesenden behindern die Prüfung der Angelegenheit. Der Vorsitzende wünscht nicht irgendjemanden aus dem Saal zu entfernen, doch wenn sich derartige Handlungen wiederholen, wird der Vorsitzende gezwungen sein Maßnahmen zu ergreifen“, warnte er.
Der Auftritt der Staatsanwältin enthielt einige Schlüsselthesen und -formulierungen aus der Anklageakte. So erklärte Lilija Frolowa erneut, dass Julia Timoschenko, bei der Zustimmung zu dem für das Land unvorteilhaften Gasvertrag mit Russland, von dem „Wunsch sich selbst ein positives Image einer effektiven Führerin zu schaffen“ leiten ließ. Die Vertreterin der Generalstaatsanwaltschaft wiederholte einige Male, dass die Ex-Premierin persönlich die Direktiven für den Abschluss der Gasverhandlungen zu „ökonomisch unvorteilhaften und unannehmbaren Bedingungen“ bestätigte, dabei dem ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der NAK (Nationalen Aktiengesellschaft) „Naftogas Ukrainy“, Oleg Dubina, falsche Informationen über die Bestätigung der Direktive durch die Regierung gebend. „Eben die rechtswidrigen Handlungen Timoschenkos zwangen ihn (Oleg Dubina) dazu die Verträge zu Bedingungen zu unterzeichnen, die er als strikt unannehmbar ansah“, resümierte Staatsanwältin Frolowa.
Die Vertreterin der Generalstaatsanwaltschaft unterstrich, dass die Anklageseite die Angaben von Zeugen der Anklage in Zweifel zieht und darum bittet diese nicht zu berücksichtigen, darunter die vom ehemaligen Minister für Brennstoffe und Energiewirtschaft, Jurij Prodan, und dem Ex-Leiter des Apparates zur Gewährleistung der Tätigkeit von Premierministerin Julia Timoschenko, Michail Liwinskij, da sie den Angaben widersprechen, welche die Zeugen im Verlauf der Vorermittlungen machten. Kritisch wertete die Anklageseite auch die Aussagen von dem ehemaligen Ersten Vizepremier Alexander Turtschinow, der seine Position damit motivierte, dass er „ein langjähriger Mitstreiter der Angeklagten ist“ und sich ebenfalls „aktiv an den Aktionen zur Diskreditierung des Gerichtsprozesses beteiligt“. Derweil zeugen die Aussagen des ehemaligen Präsidenten Wiktor Juschtschenko den Worten der Staatsanwaltschaft nach „deutlich davon, dass die Handlungen Timoschenkos nichts mit der Verteidigung der nationalen Interessen gemein hatten“.
Der Auftritt Lilija Frolowas vor Gericht dauerte bereits etwa anderthalb Stunden, als im Saal unerwartet das Licht ausging. In Verbindung damit verkündete Rodion Kirejew eine 20-minütige technische Pause. Nachdem die Stromversorgung wieder hergestellt war, wurden die Gerichtsdebatten um weitere anderthalb Stunden fortgesetzt. „Den Ergebnissen der gerichtlichen Prüfung nach bitten wir darum, Timoschenko, Julia Wladimirowna, als schuldig zu erklären und bitten unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen Gefährdung und des Schweregrades des Verbrechens darum als Strafe einen Freiheitsentzug von sieben Jahren ohne Recht auf weitere Ausübung von staatlichen Posten im Verlaufe von drei Jahren verhängen“, schloss Lilija Frolowa ab. Außerdem bittet die staatliche Anklage darum der Zivilklage der NAK „Naftogas Ukrainy“ zum Ersatz der Verluste in Höhe von 1,516 Mrd. Hrywnja (ca. 137 Mio. Euro) nachzukommen. „Umstände, welche die Schuld Timoschenkos abschwächen oder erschweren würden, gibt es nicht“, unterstrich Staatsanwältin Frolowa.
Die Verteidiger der Ex-Premierin erwiesen sich vorhersehbar als nicht einverstanden mit den Schlüssen der Generalstaatsanwaltschaft und der geforderten Gefängnisstrafe. „Aus formaler juristischer Sicht existieren keinerlei Grundlagen für eine Prüfung der Sache Timoschenko“, erklärte Verteidiger Sergej Wlassenko dem “Kommersant-Ukraine”. „Auf absolut erdachter Grundlage fordert die Staatsanwaltschaft plötzlich sieben Jahre! Auf das Urteil kann nur eines Einfluss ausüben – die Meinung des Präsidenten des Landes. Es wird der Telefonhörer abgehoben, Richter Kirejew direkt angerufen und man sagt ihm, welches Urteil er verkünden soll – andere Signale benötigt er nicht“.
Jelena Geda
Quelle: Kommersant-Ukraine