Julia Timoschenko rief die EU dazu auf, das Assoziierungsabkommen nicht zu unterzeichnen
Die Führerin von „Batkiwschtschyna/Vaterland“, Julia Timoschenko, hat ihre Position bezüglich des Assoziierungsabkommens zwischen der Ukraine und der Europäischen Union scharf geändert. Sie rief Brüssel dazu auf „der Janukowitsch-Bande nicht in die Hände zu spielen“, obgleich sie im Sommer noch Brüssel darum bat, die Unterzeichnung des Vertrages nicht wegen der Demokratieprobleme in der Ukraine auszusetzen. Experten sprechen von negativen Folgen eines Stopps der Verhandlungen und warnen vor der möglichen Wiederholung des Szenarios des Jahres 2008, als die Gewährung des NATO Membership Action Plans für Kiew scheiterte.
Am Sonnabend veröffentlichte die Zeitung The Times ein Interview mit Julia Timoschenko, das der Zeitung aus dem Lukjanowkaer Untersuchungsgefängnis übermittelt wurde. Timoschenko kommentierte unter anderem die von Kiew und Brüssel verkündeten Pläne so schnell wie möglich die Verhandlungen zum Assoziierungsabkommen abzuschließen. „Dies zu tun bedeutet Janukowitsch und seiner Bande in die Hände zu spielen. Sie möchten, dass Sie glauben, dass sein Typus der autoritären Regierung das beste Angebot ist, zu dem die Ukraine fähig ist. Sie möchten, dass die Welt vor dem Tod der Demokratie in der Ukraine die Augen schließt“, zitiert The Times die Führerin von „Batkiwschtschyna“.
Diese Erklärung steht in starkem Kontrast zu dem, was Julia Timoschenko früher sagte. „Ich bitte Sie unter keinen Umständen die Gegenmaßnahmen gegen die politischen Repressionen und ungesetzlichen gerichtlichen und strafrechtlichen Verfolgungen mit der Unterzeichnung der Abkommen über die Assoziierung und die Freihandelszone zu verbinden“, wandte sie sich Ende Julia Timoschenko an die Führung der EU. Die gleiche Position bei den Verhandlungen mit den europäischen Diplomaten befolgten auch ihre Mitstreiter (siehe “Kommersant-Ukraine” vom 22. Juli).
Die Äußerungen von Timoschenko waren kein Versprecher, bestätigen Experten im Bereich der Eurointegration. „Auf dem letzten Treffen der Botschafter der EU-Staaten mit den Mitgliedern des Widerstandskomitees gegen die Diktatur aus der Opposition gab es keine Einigung in Bezug auf die Notwendigkeit zum Abschluss der Verhandlungen über die Assoziierung. Den Worten der Diplomaten nach haben einige Oppositionsführer die gleiche Position vertreten, wie jetzt Timoschenko“, sagte Oleg Rybatschuk, Leiter des zivilgesellschaftlichen Expertenrats beim ukrainischen Teil des Komitees für Fragen der Zusammenarbeit zwischen der Ukraine und der EU, dem “Kommersant-Ukraine”.
Vorher hatte die ukrainische Regierung bei ihrem Beharren auf der Unterzeichnung des Vertrages, als Argument die einstimmige Unterstützung von Seiten der Opposition angeführt; jetzt hat Kiew dieses Argument verloren. Bleibt anzumerken, dass es selbst unter den Anhängern Julia Timoschenkos dazu keine einheitliche Position gibt. Der Stellvertreter des Leiters des Ausschusses zur Eurointegration in der Werchowna Rada, Stepan Kurpil („Block Julia Timoschenko Batkiwschtschyna“), erklärte dem “Kommersant-Ukraine”, dass er das Interview mit Julia Timoschenko noch nicht gelesen hat und lediglich ihre vorherigen Äußerungen kennt. Er hält wie gehabt die baldige Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens für notwendig.
Unter diesen Bedingungen wird die Expertengemeinschaft zum Hauptlobbyisten des baldigen Verhandlungsabschlusses. Den Informationen des “Kommersant-Ukraine” nach wird heute nach Brüssel und Warschau ein gemeinsamer Brief einer Reihe von Vereinigungen von Nichtregierungsorganisationen gesandt, in dem geäußert wird, dass Änderungen in den Plänen der EU zur Paraphierung des Vertrages auf dem Ukraine-EU-Gipfel im Dezember unzulässig sind. „Er gibt den ukrainischen Machthabern zusätzliche Stimuli für die Durchführung von demokratischen und wirtschaftlichen Reformen… Alternative Szenarien könnten zu negativen Änderungen führen“, wird im Entwurf des Dokuments bekräftigt, der dem “Kommersant-Ukraine” vorliegt.
Rybatschuk betont, dass die Situation um die Vorbereitung des Ukraine-EU-Gipfels mehr und mehr an die Ereignisse des Jahres 2008 erinnert, als die Ukraine damit rechnete den Membership Action Plan der NATO auf dem Bukarester Gipfel der Allianz zu erhalten. „2008 hat Russland vor dem Gipfel in Bukarest alle Anstrengungen für eine Torpedierung der Gewährung des Membership Action Plans unternommen und heute hat Moskau erneut alle Kräfte für ein Scheitern des Assoziierungsabkommens aufgeboten. 2008 hätte eine Stabilität in den Beziehungen zwischen Timoschenko und Juschtschenko unsere Position in Bukarest spürbar gestärkt, doch diese Politiker begannen einen Krieg gegeneinander und brachten damit die Gewährung des Membership Action Plans zum Scheitern. Heute wiederholt sich alles und das Prinzip ‘die Ukraine über alles’ verliert gegen das Prinzip ‘Batkiwschtschyna über alles‘“, meint der Experte.
Vorher hatte Brüssel mehrfach die Bereitschaft deklariert, die Verhandlungen mit der Ukraine in diesem Jahr abzuschließen, doch könnte sich die Verhandlungsposition der EU theoretisch ändern. Die Europäische Union sucht Druckmittel für Kiew, um die Zulassung Julia Timoschenkos zu den Parlamentswahlen 2012 zu erreichen. Darüber wird die Rede auf dem Treffen von Wiktor Janukowitsch und dem EU-Erweiterungskommissar Štefan Füle in Jalta gehen. „Nach dem Urteil des Petschersker Gerichts ist es noch nicht zu spät, da eine Berufung noch möglich ist. Und man braucht nicht zu glauben, dass wir Märchen glauben, als ob Janukowitsch das Gericht nicht beeinflusst. Wir sind nicht so dumm“, erläuterte dem “Kommersant-Ukraine” ein Informant in Brüssel.
Sergej Sidorenko
Quelle: Kommersant-Ukraine