Kiew "droht" mit drastischer Senkung des Gasimports aus Russland
Die Ukraine sucht neue Einflusshebel auf „Gasprom“. Am Vorabend der nächsten Verhandlungsrunde über den Preis für russisches Erdgas hat das Energieministerium Änderungen in das Hauptenergiedokument des Landes eingebracht: die Strategie zur Entwicklung der Branche bis zum Jahr 2030. Gemäß den Vorschlägen soll sich der Gasimport aus der Russischen Föderation in den nächsten Jahren um zwei Drittel verringern. Experten zweifeln daran, dass die Ukraine in einer so kurzen Zeit fähig ist für das russische Gas einen Ersatz zu finden und daran, dass diese Handlungen legitim sind.
Eine scharfe Absenkung der Gaskäufe bei Russland ist in den Änderungen für die Energiestrategie der Ukraine vorgesehen, die am letzten Freitag vom Energieministerium bestätigt wurden, erzählte dem “Kommersant-Ukraine” ein hochgestellter Informant in der Abteilung für die Erdöl-, Erdgas- und erdölverarbeitende Industrie beim Ministerium. Innerhalb von fünf Jahren – von 2012 bis 2017 – plant die Ukraine die Gaskäufe bei der Russischen Föderation von 41 auf 12 Mrd. Kubikmeter zu reduzieren. Es wird erwartet, dass es über eine Erhöhung der Gasförderung im (Schwarzmeer-)Schelf gelingt das Kaufvolumen um 7 Mrd Kubikmeter zu senken. Die Förderung von Schiefergas und Gas aus Kohleschichten soll eine Senkung um weitere 5 bzw. 4 Mrd. Kubikmeter bringen und der Übergang der Elektroenergie- und der Metallwirtschaft zu Kohle um 8 Mrd. Kubikmeter. Außerdem ist geplant 5 Mrd. Kubikmeter Gas über ein Flüssiggasterminal aus Aserbaidschan zu liefern.
„Eine solche ernste Reduzierung des Gasverbrauchs der Ukraine sollte die russische Seite zum Nachdenken zwingen und wir hoffen darauf den Preis in Richtung einer Senkung zu revidieren“, sagte der Gesprächspartner des “Kommersant-Ukraine”. Er erinnerte daran, dass die Ukraine derzeit bei Russland 40-50 Mrd. Kubikmeter Gas im Jahr kauft, wobei die Länder der Europäischen Union gleichzeitig 120 Mrd. Kubikmeter im Jahr kaufen. „Anfang September werden in die Strategie ebenfalls Änderungen eingetragen, welche die Elektroenergiewirtschaft betreffen. Danach bestätigt das Kabinett dieses Dokument und wir legen es den russischen Kollegen vor“, erläuterte der Gesprächspartner des “Kommersant-Ukraine”.
Die nächste Verhandlungsrunde mit „Gasprom“ über den Gaspreis findet gerade eben in dieser Woche statt, präzisierte man beim Energieministerium. Bei den letzten Verhandlungen, die Mitte August in Sotschi stattfanden, hatte der Präsident Russlands, Dmitrij Medwedjew, dem Minister für Energiewirtschaft und Kohleindustrie, Jurij Bojko, vorgeschlagen „die Zusammenarbeit im Gasbereich“ nach dem gleichen Modell zu entwickeln, wie mit Weißrussland. In diesem Jahr erhält Minsk Gas nach der Formel „des mittleren europäischen Preises abzüglich Zoll und Transitkosten“ (270$ pro tausend Kubikmeter). Im Austausch dafür konnte „Gasprom“ 50 Prozent der Aktien von „Beltransgas“ erwerben, welches das Gastransportsystem von Weißrussland besitzt. Derzeit werden Verhandlungen über den Kauf der restlichen 50 Prozent des weißrussischen Gastransportsystems durch „Gasprom“ geführt. Dies und ebenfalls die Tatsache, dass die Länder Mitglieder der Zollunion sind, erlaubt es Weißrussland Gas zu innerrussischen Preisen plus die Transportkosten, also für 100-120$ für tausend Kubikmeter zu erwerben.
Der Gaspreis für die Ukraine schließt seinerseits den russischen Zolltarif ein und die Kosten für den Transit über das Territorium der Ukraine werden nicht herausgerechnet. Bleibt anzumerken, dass der Gaspreis für das Land im Laufe des Jahres ständig anstieg. Im III. Quartal erhöhte er sich gegenüber dem II. Quartal um 19,2 Prozent auf 354$ pro tausend Kubikmeter. Insgesamt liefert „Gasprom“ der NAK (Nationalen Aktiengesellschaft) „Naftogas Ukrainy“ nicht weniger als 40 Mrd. Kubikmeter Gas (im I. Halbjahr 27,36 Mrd. Kubikmeter).
Bei „Gasprom“ werden die Erklärungen des ukrainischen Energieministeriums nicht kommentiert. Doch vorher hatte Moskau mehrfach erklärt, dass die Revision der Gasabkommen ohne Zugeständnisse von Seiten der Ukraine unmöglich ist und der derzeitige Vertrag zwingt das Land dazu nicht weniger als 33 Mrd. Kubikmeter Gas im Jahr zu kaufen. Das heißt im Falle einer Realisierung der neuen Strategie verstößt Kiew gegen die geltenden Abkommen. Der Minister für Energiewirtschaft der Russischen Föderation, Sergej Schmatko, erklärte in der letzten Woche, dass Moskau überhaupt keine Zweifel an der Legitimität der abgeschlossenen Verträge für die Gaslieferung zwischen Russland und der Ukraine hat und sich nicht anschickt diese zu revidieren. „Die Unterzeichnung der Verträge und Vereinbarungen entspricht vollständig den Normen des internationalen Rechts und dem Geiste unserer Regierungsabkommen“, unterstrich Schmatko. Seinen Worten nach droht mit einer Klage der Ukraine an einem internationalen Gericht zur Auflösung des Vertrages eine unvermeidliche Verschlechterung der ukrainisch-russischen Beziehungen.
Experten zweifeln auch am Realitätsgehalt der verkündeten Pläne zu Erhöhung der Gasförderung. Das Mitglied des Energieausschusses der Werchowna Rada, Alexander Gudyma, betont, dass die eigene Förderung der Ukraine im Verlaufe vieler Jahre sinkt. Insbesondere in den ersten sieben Monaten dieses Jahres verringerte sich das Erdgasfördervolumen um 1,1 Mrd. Kubikmeter.
Die Förderung von Schiefergas in den verkündeten Mengen ist ebenfalls unrealistisch, meint der Analyst des Investmentunternehmens „Troika Dialog“, Walerij Nesterow: „Kanada und die USA benötigten mehr als 15 Jahr für die Erkundung und den Beginn der industriellen Erschließung des Schiefergases. Innerhalb von fünf Jahren dessen Förderung auf 5 Mrd. Kubikmeter zu bringen, ist unrealistisch“. Unvorteilhaft sind auch Gaslieferungen aus Aserbaidschan für die Ukraine, betont Nesterow. Derzeit verkauft Baku dieses für 270-300$ pro tausend Kubikmeter, was die Ukraine unter Einberechnung von zweimal Umschlagen und der Lieferung über das Meer teurer zu stehen kommt, als der Import von russischem Gas.
Einen weitaus größeren Einfluss auf die Verhandlungen zeigt der Start der Umgehungspipelines durch Russland, ist der Leiter der Allianz „Neue Energie der Ukraine“, Walerij Borowik, überzeugt. Er erinnert daran, dass am 19. August am Ufer des Finnischen Meerbusens die Verschweißung der letzten Naht des ersten Flügels der Nord Stream Pipeline stattgefunden hat. Im Ergebnis dessen haben sich die Gastransportsysteme Europas und Russland vereinigt. „Gasprom“ hat bereits verkündetet, dass es Anfang September damit beginnt, Gas über diese Pipeline auf den Gasmarkt der Europäischen Union zu liefern. Aufgrund des Starts von Nord Stream wird die Ukraine im nächsten Jahr 20 Mrd. Kubikmeter weniger durch die eigenen Pipelines pumpen, als erwartet. „Falls Russland schrittweise auf den Transport seines Gases verzichtet, dann führt das dazu, dass die Ukraine 8-9 Mrd. $ im Jahr verliert, was weitaus mehr ist, als der Verlust durch den Verzicht auf den Kauf von russischem Gas“, sagt Nesterow. „Eine Verringerung des Gaspreises für die Ukraine erfordert entweder den Beitritt des Landes zur Zollunion mit Russland oder, was wahrscheinlicher ist, die Schaffung eines gemeinsamen Unternehmens auf der Basis des ukrainischen Gastransportsystems“, meint der Leiter der analytischen Abteilung des Investmentunternehmens „BrokerCreditService“, Maxim Schein. Ein zusätzliches Argument für die Schaffung eines gemeinsamen Unternehmens auf der Basis des ukrainischen Gastransportsystems könnte der Meinung des Experten nach die Möglichkeit „Gasproms“ zur Investition in das ukrainische Gastransportsystem sein. Ausgehend von den finanziellen Plänen des russischen Monopolisten, könnte er im Verlaufe von fünf Jahren für diese Belange etwa 10-12 Mrd. $ bereitstellen. „Die Bildung eines solchen Joint Venture erlaubt es ebenfalls das Gastransportvolumen über das Territorium der Ukraine zu garantieren“, stimmt Gudyma zu.
Oleg Gawrisch, Dmitrij Belikow
Quelle: Kommersant-Ukraine