„Knackis“: Wie Odessa sich in eine „kriminelle Republik“ verwandelt


Kam `ne Bande nach Odessa vom Amur
`ne Bande aus Knackis, Betrügern
schmutzige Sachen zog die Bande auf
beobachtet von der Tscheka.

Auszug aus dem Lied „Murka“

Es heißt, dass das Lied „Murka“ etwa vor 100 Jahren geschrieben wurde. Es erlangte sofort breite Popularität in Odessa, in erster Linie unter den lokalen Verbrechern.

Seitdem hat sich in dieser Stadt wenig geändert: Wie in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts ist Odessa eine Geisel der Kriminalität. Die Rechtsschützer sind in Schmuggel und Korruption verwickelt. Eine unbekannte Bande (oder Banden) treibt dunkle Sachen – überfallen zivilgesellschaftliche Aktivisten. Und vor diesem Hintergrund taucht die Frage auf, ob Odessa eine Revanche prorussischer Kräfte und die Schaffung einer „Volksrepublik“ droht.

Nach weiteren Überfällen auf Aktivisten reiste der Autor nach Odessa. Das Ziel: die Version zu überprüfen, dass die Serie der Überfälle ein Szenario für die Destabilisierung der Situation in der Stadt ist, hinter dem Russland steht.

Über die Existenz eines derartigen Planes versprach sich Jurij Luzenko am 2. August. Diese Erklärung des Generalstaatsanwalts erklang sofort nach den nächsten Angriffen auf Aktivisten.

„Im Hinblick auf die letzten Ereignisse im Süden der Ukraine, bei denen wir faktisch eine geschlossene Kette von Angriffen auf proukrainische zivilgesellschaftliche Aktivisten sehen, schließe ich nicht aus, dass … der nächste Plan zur Destabilisierung des Landes aktiviert wird“, sagte Luzenko.

Tatsächlich nahm der Generalstaatsanwalt seine Worte bald zurück. Alle Verbrechen sind aufgeklärt, Verbindungen zwischen den Angriffen auf Aktivisten wurden nicht aufgedeckt, es gibt keinen Destabilisierungsplan, erläuterte Jurij Witalijowytsch [Luzenko] Anfang September.

Gespräche des Autors mit Odessaern – von proukrainischen Aktivisten bis zu Personen, die in so genannten „separatistischen“ Sachen figurierten – bestätigten ebenfalls nicht die Version von der russischen Spur. Anstelle dessen trat ein anderes Problem zutage, vom dem öffentlich zu reden nicht üblich ist.

Odessa verwandelt sich in einen Staat im Staate. Und hier geht es nicht um eine „Volksrepublik“. Eher um eine kriminelle.

Basis dieses „Staates“ ist Korruption von irrem Ausmaß. Die örtlichen Bosse sind bereit an allem zu verdienen. Darunter auch an prorussischen Einstellungen. Im Kampf um die Finanzströme sind nicht nur Verbrecher und Rechtsschützer verwickelt, sondern auch einige Zivilgesellschaftsaktivisten.

Das erste Opfer

Mit der Ökoaktivistin Switlana Pidpala treffen wir uns bei ihrem Haus fast im Zentrum von Odessa. Auf der anderen Straßenseite von dieser Stelle überfiel sie im Juni vorigen Jahres ein Unbekannter.

„Er kam zu mir, sprach mich an, schaute mir ins Gesicht und erst danach sprühte er mit Gas und fing an mich zu verprügeln. Danach nahm er mir nichts weg. Weder die Handtasche, noch das Telefon, das ich in der Hand hielt“, erinnert sich Switlana.

Dieser dreiste Angriff rüttelte die Öffentlichkeit auf.

„Das war ein für alle unerwarteter Angriff. Switlana ist ein sehr unagressiver Mensch, ruhig, eine grüne Aktivistin. Der Angriff auf sie war eine Einschüchterung. Und das haben alle begriffen“, sagt die proukrainische Aktivistin „Nadija“, die darum bat, ihren Namen nicht in diesem Artikel zu erwähnen.

Switlana Pidpala selbst erläutert, dass sie später Insiderinformationen erhalten habe: Es war eine Reaktion auf ihre Tätigkeit bei zwei konkreten Objekten in Odessa. Die Rede geht vom Bau des Wohnkomplexes Greenwood und der Vorbereitung der Bebauung des Strands „Laguna“.

„Bei diesen Objekten habe ich aktiv gehandelt. Ich forderte Inspektionen, ich rief bei der Regierungshotline an. Am Ende fand dort eine Inspektions-Show des Stadtrates statt“, erinnert sich Pidpala. Zwei Wochen danach fand der Überfall statt.

Dagegen fand die Ermittlung keine Verbindung zwischen der Verprügelung von Pidpala und ihres gesellschaftlichen Engagements. Einer der zwei Festgenommenen erklärte, dass er die Frau einfach mit einer Bekannten verwechselt habe, die ihm Geld schuldete. Als Angreifer stellte sich ein Mann heraus, der vorher bereits siebenmal verurteilt worden war.

Ende 2017 wurde die Angelegenheit vor Gericht gebracht. Lediglich die Ausführenden des Verbrechens. Die Auftraggeber, sagt Pidpala, hat niemand gesucht.

„Der Ausführende dieses Verbrechens wurde festgestellt. Seine Verbindung oder die Beteiligung anderer Personen wurde während der Ermittlung nicht herausgefunden. Außer dem Strafverfahren, was vor Gericht kam, wurde noch in einem Verfahren zur Organisation ermittelt, diese Version wurde abgearbeitet. Jedoch weder im Hauptverfahren, noch im zusätzlichen wurden dazu Fakten ermittelt“, erläuterte Ende September der Hauptstaatsanwalt des Odessaer Gebiets, Oleh Schutschenko, bei einem Treffen mit zivilgesellschaftlichen Aktivisten in der Oblastverwaltung.

Seit April bewegt sich die Pidpala-Sache vor Gericht überhaupt nicht mehr. Der Richter unterstützte das Gesuch der Geschädigten die Frau vor Gericht vorzuladen, mit welcher der Angreifer angeblich die Aktivistin verwechselte. Doch bereits am nächsten Tag trat der Richter zurück.

„Es ist allgemeine Praxis unserer Odessaer Ermittlung und Rechtssprechung – nur 30-50 Prozent der Ermittlungen zu machen“, resümiert Pidpala.

Ihre Sache ist auch noch deswegen bezeichnend, da nach einem ähnlichen Szenario sich auch die Ereignisse um andere Angriffe auf Aktivisten entwickeln, die im Informationsraum lauter ertönen. Die Rechtsschützer nehmen die Angreifer fest und finden keine Bestätigung für den Auftragscharakter der Anschläge.

Diese Tendenz entrüstete die Aktivisten auf dem bereits erwähnten Treffen mit den Leitern der Rechtsschutzorgane in der Gebietsverwaltung.

„Die Mehrzahl der Ausführenden der Angriffe auf Aktivisten sind Ex-Knackis. Das sind keine Profikiller, die es in den 90ern gab, das sind Knackis. Ex-Mitarbeiter der Miliz wissen gut, wie mit diesen Knackis zu reden ist. Ich spiele nicht auf physische Gewalt an. Doch die Milizionäre wissen gut, wie sie von Leuten, die früher verurteilt wurden und ihre Strafe abgesessen haben, Informationen erhalten“, empörte sich einer der anwesenden Aktivisten.

„Wir begreifen, dass die Stadt von einem kriminell-oligarchischen Clan besetzt wurde. Und Sie können dagegen nichts machen. Das Rechtsschutzsystem kooperiert mit diesem Clan. Ich meine die Nationale Polizei und die Staatsanwaltschaft“, fügte der Chef der Stadtorganisation „Volksbewegung der Ukraine“, Mychajlo Kusakon, hinzu.

Die letzte Erklärung ließen die anwesenden Rechtsschützer unbeantwortet. Doch davor versicherten sie, dass Vertreter der Stadtregierung, auf die von Aktivisten als mögliche Auftraggeber der Angriffe hingewiesen wurde, von der Polizei befragt wurden. Doch wer genau und in welchem Verfahren befragt wurde, konkretisierten sie nicht.

Stehen hinter den „Knackis“ die Stadtoberen?

Nach der Zählung der Teilnehmer der Aktion „Nacht auf der Bankowa“ [Sitz des Präsidenten Kyjiw, A.d.Ü.] gab es im Verlauf des vergangenen Jahres in Odessa mehr als ein Dutzend Angriffe auf Aktivisten. Öfter als anderes verbinden die Opfer diese Angriffe mit ihrer Kritik der lokalen Regierung und der Offenlegung von Korruptionsschemen. In diesem Kontext ertönte mehrfach der Familienname des Bürgermeisters von Odessa, Hennadij Truchanow.

Während der Abwesenheit Truchanows an seinem Arbeitsplatz in letzter Zeit gelang es dem Autoren mit dessen Stellvertretern zu sprechen.

Der Erste Stellvertreter des Stadtoberhaupts, Anatolij Orlowskyj, versicherte, dass er ein negatives Verhältnis zur Tendenz der Überfälle auf Aktivisten hat. Er äußerte die Hoffnung, dass die Rechtsschutzorgane sorgfältig diese Verbrechen klären und die Auftraggeber herausfinden.

Zur möglichen Rolle seines unmittelbaren Vorgesetzten in diesen Verbrechen bezeichnete Orlowskyj die Äußerungen der Aktivisten als subjektive Meinungen der Geschädigten und ihrer Bekannten.

„Der Bürgermeister beschäftigt sich mit den Haushaltsfragen der Stadt. Er ist absolut nicht interessiert an einer Destabilisierung der Situation in der Stadt. Das ist für alle Leute klar, die wissen, dass das eine schwere Arbeit ist und dass in der Stadt Ordnung und eine stabile Situation notwendig sind“, antwortete Orlowskyj auf die direkte Frage, ob Truchanow der Auftraggeber für die Angriffe auf die Aktivisten sein könnte.

Und ein Gespräch mit dem anderen Stellvertreter des Bürgermeisters, Pawlo Wuhelman, kam nicht zustande. Anfangs deutete er an, dass man „für sehr wenig Geld heute irgendwelche Versammlungen organisieren kann.“

Die Vermutung der Aktivisten, dass die Angriffe mit der Kritik der Stadtregierung und Truchanow persönlich verbunden sein könnten, kommentierte Wuhelman auf diese Weise: „Ich habe nie von diesen Aktivisten gehört. Ich weiß nicht, wovon sie reden, daher kann ich nicht antworten.“

Ebenso konnte sich Wuhelman nicht entsinnen, wie Anhänger Truchanows den Odessaer Aktivisten Witalij Ustymenko im Gericht in Kyjiw verprügelt haben. Der Vorfall fand am 15. Februar statt, als das Solomjansker Bezirksgericht in Kyjiw Unterbindungsmaßnahmen gegen Truchanow und Wuhelman verhängte.

Weitere Unterhaltungen mit Vertretern des zivilen Sektors von Odessa eröffneten ein unangenehmes Bild: Mitunter versteckt sich hinter zivilgesellschaftlichem Engagement der Kampf um politischen Einfluss oder Finanzströme zum Nutzen der einen oder anderen Struktur und Person.

In vielen Fällen existieren Zweifel zur Verbindung zwischen den Angriffen auf Aktivisten und ihrer wahrhaftigen Tätigkeit zum Nutzen der Stadt und der Odessaer. Fragen gibt es lediglich nicht bei drei der Geschädigten: die oben erwähnten Switlana Pidpala, Witalij Ustymenko und Oleh Mychajlyk. [Letzterer wurde im September angeschossen und überlebte nur knapp. A.d.Ü.]

Bei allen anderen wurden dem Autoren verschiedene unangenehme Geschichten und Verbindungen berichtet. Die Gesprächspartner gehören unterschiedlichen ideologischen Lagern an. Doch sie baten darum, ihre wirklichen Namen nicht zu nennen.

Es muss betont werden, dass diese Leute keine unwiderlegbaren Beweise zu den Verbindungen der zivilgesellschaftlichen Aktivisten mit dem einen oder anderen Vertreter der Stadtregierung oder krimineller Strukturen oder den bestellten Charakter der zivilgesellschaftlichen Tätigkeit gaben. Doch für das Begreifen des Gesamtbildes des Stands des zivilen Sektors in Odessa lohnt es sich, allgemeine Äußerungen der Gesprächspartner des Autors anzuführen.

„Es gibt Aktivisten, die für die einen oder anderen Strukturen (kriminelle, politische, Rechtsschutz) arbeiten. Und sie werden als Figuren im Kampf, im Spiel, im Krieg benutzt. Das ist das gewöhnliche Spiel in Odessa. Oft wissen die Aktivisten, die verwickelt sind, nicht, wie sie im Kampf um die Geldströme benutzt werden“, erzählte die proukrainische Aktivistin „Nadija“.

„Kommt ein Onkel mit Geld und bestellt eine Protestaktion. In Odessa beschäftigen sich 80 Prozent der Organisationen, die auf den Bildschirmen auftauchen, mit derartigem. Jede Bewegung wird von einer finanziellen Spur begleitet. Solange kein Geld gegeben wird, startet das Auto nicht, niemand fährt nirgendwohin“, versicherte „Dmytro“, der in einem Strafverfahren in einer sogenannten „separatistischen“ Strafsache figurierte.

Offen über die Nutzung einiger Aktivisten im Kampf um Geldströme spricht der Leiter des Odessaer Wählerkomitees, Anatolij Bojko. Er bezeichnete es als „hinreichend ausgeprägte Erscheinung“. Dagegen nicht eine originäre Odessaer Erscheinung, sondern die Praxis jeder ukrainischen Stadt, in der einflussreiche Personen viel Geld haben.

Ausgehend davon ruft Bojko dazu auf alle Angriffe auf Aktivisten nicht zu verallgemeinern, sondern jeden einzelnen Fall Umstände und Motive zu klären. Und daher ist es wichtig, dass die Polizei die Ermittlungen zu Ende führt.

„Wenn jemand sagt, dass der Überfall auf einen Aktivisten inszeniert ist, dass er es selbst getan habe, dann muss die Polizei das in den Ermittlungen beweisen, den ‚Geschädigten‘ anprangern. Und andere werden bedenken, ob es nötig ist das zu machen oder nicht. Falls das Auseinandersetzungen mit ehemaligen Kameraden sind, ermittelt zu Ende, stellt die Organisatoren, die Auftraggeber fest, stigmatisiert sie. Doch was, wenn das ein wirklicher Angriff war, der tatsächlich mit zivilgesellschaftlicher Aktivität verbunden ist? Ein Angriff, der von der Stadtregierung bestellt wurde, wegen Schwarzgeschäften, Kriminellem usw. Jedoch bringt unsere Polizei nichts zu Ende“, wirft Bojko den Rechtsschützern vor.

Wer kämpft in Odessa wofür

Wer könnte zivilgesellschaftliche Aktivisten im eigenen Interesse für die Ausweitung seines Einflusses Nutzen? Dafür muss man verstehen, wer und wie die Finanzströme in Odessa kontrolliert.

Fangen wir mit den Rechtsschutzorganen an.

Gemäß den Informationen von Quellen des Autors existiert derzeit in Odessa folgende Aufteilung der Einflusssphären: die Staatsanwaltschaft deckt das Glücksspielgeschäft [seit 2009 in der Ukraine verboten, A.d.Ü.], der Geheimdienst SBU den Geldwechsel, die Polizei den Schmuggel, den Drogenhandel, Prostituierte und Bordelle. Das sind die hauptsächlichen Einflusssphären, doch keine vollständige Liste für jede der Strukturen.

Ebenso existiert zwischen den Strukturen ein Konflikt um die Finanzströme. Der größte zwischen SBU und dem Innenministerium. Die Gesprächspartner des Autors nennen diesen Konflikt „Krieg“. Krieg um Geld.

Anzeichen für den Krieg sind Kampagnen zur Diskreditierung der Odessaer Polizei und ihres Vorstehers Dmytro Holowin persönlich, die in Wirklichkeit viel Anlass für Kritik geben. In diesen Kampagnen werden auch Angriffe auf Aktivisten genutzt, welche die Polizei weder verhindern noch bis zum Schluss aufklären kann.

Als eines der Bestandteile wird auch die Aufdeckung von Eliteimmobilien, die mit Holowin verbunden werden, durch Journalisten genannt. Angeblich organisierte der lokale SBU den Zufluss der Informationen an unabhängige Journalisten, um derart den Rücktritt des Oberpolizisten und die Ernennung eines für den Geheimdienst loyalen oder kontrollierbaren zu erreichen.

Auch die SBUler erhalten Schläge.

Im Frühling gab es einen Skandal um den „Knyschka“-Markt, der im Stadtzentrum auf dem Olexandr-Prospekt gelegen ist. Die Polizisten führten dort eine Operation zur Aufdeckung von illegalem Geldwechsel durch, die in einer Schlägerei endete. Sogenannte „Walutschyky“ arbeiten bereits seit langem auf diesem Markt, der einen Häuserblock von der Gebietsverwaltung des SBU entfernt liegt.

Diesen Zwischenfall bezeichnete der Gesprächspartner des Autors als Beispiel für den Konflikt zwischen Polizei und SBU.

In einem Team mit der Polizei spielt die Stadtregierung in Person von Bürgermeister Hennadij Truchanow und dessen Partner Wolodymyr Halanternyk.

Letzteren bezeichnen Journalisten als „grauen Kardinal von Odessa“.

Die beschriebene Rolle Halanternyks und seine Verbindung zu Truchanow bestätigen auch Gesprächspartner des Autors. Doch zusammen mit diesem Paar wird noch eine weitere Person erwähnt – die kriminelle Autorität Olexandr Anhert, bekannt als „Engel“.

2017 meldeten Odessaer Medien den Tod von Anhert. Später fanden die Investigativjournalisten von Slidstvo.info heraus, dass dieser lebt, jedoch im Ausland ist. Und manchmal Odessa besucht, dabei die Grenze mit einem britischen Pass überquerend.

„Truchanow ist ein kleiner Fisch. Er hängt von Anhert ab, der die Stadt regiert. Und Halanternyk hört ebenfalls auf Anerht. Wenn Anhert der Joker ist, dann ist Halanternyk der Trumpf. Und Truchanow hört nur auf sie. Doch das hindert ihn nicht daran, vom Budget abzuzweigen“, sagt eine Person mit weiten Verbindungen in den Rechtsschutzstrukturen, die zur eigenen Sicherheit darum bat, nicht im Artikel genannt zu werden.

„Abzuzweigen“ gibt es einiges. Das jährliche Budget Odessas beträgt etwa neun Milliarden Hrywnja [circa 280 Millionen Euro, A.d.Ü.]. Zum Vergleich: die Ausgaben des Staatlichen Managements von Angelegenheiten [Behörde zur Verwaltung von Staatsunternehmen, A.d.Ü] liegen bei 2,7 Milliarden Hrywnja, Innenministerium – 4,5 Milliarden Hrywnja, Energieministerium – etwas weniger als fünf Milliarden Hrywnja, für die Nationalgarde gibt der Staat 10,9 Milliarden Hrywnja aus und für die Entwicklung von Staatsstraßen 10,7 Milliarden Hrywnja.

Als eine weiteres Odessaer „Ass“ sieht der Gesprächspartner des Autors Adnan Kiwan an. Er ist Eigentümer des Bauunternehmens „Kadorr Group“, die in der Stadt Hochhäuser baut.

Vor einigen Jahren noch arbeitete er mit Truchanow zusammen. Doch in letzter Zeit herrschen zwischen Kiwan und dem Paar Halanternyk-Truchanow angespannte Beziehungen.

„Kiwan und Halanternyk sind die größten Figuren, die wegen der Hochhausbauten in Odessa aneinander geraten. Bis 2014 war Kiwan Monopolist. Jetzt sind die beiden direkte Konkurrenten. Mit Truchanow hat sich Kiwan 2016 zerstritten. Die verkündete Version: wegen des Französischen Boulevards. Kiwan begann als erster Arkadija zu bebauen. Und er sagte Truchanow, dass der Französische Boulevard erweitert werden muss, da die Leute nicht normal zu ihren Wohnungen gelangen können. Doch Truchanow antwortete, dass wenn er das macht, wird er mit den Füßen nach vorn hinausgetragen. Und sie zerstritten sich. Danach gab es den Antitruchanow-Maidan. Und es begann der Krieg zwischen Kiwan und Truchanow“, erzählte der Gesprächspartner dem Autor.

In diesen Kriegen zwischen den Rechtsschutzstrukturen und verschiedenen Odessaer „Assen“ werden sowohl zivilgesellschaftliche Aktivisten als auch die Anschläge auf sie genutzt.

Einerseits könnten verschiedene Protestaktionen von Konkurrenten bezahlt sein. Andererseits könnte ein bestellter Angriff das Ziel haben eine Person zu belasten, gegen welche die Aktivisten auftreten.

Ist eine Revanche der „Odessaer Volksrepublik“ möglich?

Die Verflechtung der Rechtsschutzstrukturen und der Stadtregierung mit der Kriminalität auf Korruptionsbasis in Odessa erinnert an die Ukraine der Janukowytsch-Zeit.

Anatolij Bojko vom Wählerkomitee sagt direkt, dass in Odessa kein Sieg der Revolution der Würde stattgefunden hat. Die Haupteinflusspersonen des Musters von 2013 haben entweder ihren Einfluss in der Stadt bewahrt oder sogar noch die eigenen Positionen ausgebaut.

„2014 haben wir standgehalten und ließen die Schaffung einer ‚Odessaer Volksrepublik‘ nicht zu. Wir erteilten der russischen Aggression eine Abfuhr. Odessa wurde zu einer proukrainischeren Stadt. Doch der Sieg über die Unzulänglichkeiten der Janukowytsch-Zeit in Fragen der Korruption, Transparenz der Regierung usw., was die Leute auf den Maidan brachte, fand bei uns nicht statt“, sagt Bojko.

In der Konservierung der Janukowytsch-Zeiten in Odessa sieht Bojko eine große Gefahr. Ohne Entwicklung der Stadt, ohne spürbare Erhöhung des Wohlstands der Odessaer könnten letztere nicht konkreten Personen – beispielsweise Truchanow oder Poroschenko – die Schuld geben, sondern der Unfähigkeit des Staates als Ganzes.

Und erneut kommt die am Anfang gestellte Frage auf: Ist eine russische Revanche in Odessa auf der Basis der Unzufriedenheit der lokalen Einwohner mit der Ukraine möglich?

„Unsere städtischen Eliten wollen kaum eine Wiederholung des Donbass-Szenarios anstreben. Sie möchten eher den Status quo so beibehalten, wie er gerade ist. Damit es einfach ihr Revier ist, ihre Geldströme. Sie wollen diese kaum mit Putin teilen“, meint Bojko.

Eine ähnliche Version verlautet die proukrainische Aktivistin „Nadija“. Sie fügt hinzu, dass im Falle der Schaffung einer „Odessaer Volksrepublik“ alle Häfen im Gebiet stillstehen würden. Infolge dessen verschwinden alle Finanzströme, von dem gerade alles andere belebt wird.

Wie prorussisch die städtischen Eliten auch sein, welche Ansichten sie auch haben mögen, doch eine direkte russische Aggression unterstützen sie nicht. Daher wird sich die Strategie der Russen bezüglich Odessa von der 2014 unterscheiden. Dabei könnte auf etwas anderes gesetzt werden, auf die zukünftigen Wahlen. [Ende Oktober 2019 sollten Parlamentswahlen stattfinden, A.d.Ü.]

Informationen von „Nadija“ nach finanziert Halanternyk die Partei von Wiktor Medwetschuk und Wadym Rabinowytsch „Sa Schyttja“ [„Für das Leben“, A.d.Ü.] gleich in drei südlichen Gebieten. Odessa, Mykolajiw und Cherson.

Ebenso meint sie, dass die Russen ihren Einfluss über die Schaffung oder die Unterstützung proukrainischer Kräfte erhöhen werden, die aktiv gegen die amtierende Regierung auftreten.

Infolge der Unterstützung der beiden konfligierenden Lager könnte den Ergebnissen der Wahlen nach das Gebiet für sich mehr Autonomie fordern. Damit die lokalen kriminell-politischen Eliten Odessa endgültig in einen Staat im Staate verwandeln.

Und wenn Russland auch nicht komplett die „Volksrepublik“ kontrollieren mag. Wird es doch von einer solchen „kriminellen Republik“ für die ganze Ukraine nicht leichter.

* * *

Vor 100 Jahren nach der Revolution im Russischen Imperium und der Eroberung der Ukraine stand Moskau auch vor der Gefahr einer Verwandlung Odessas in eine „kriminelle Republik“.

Um den „Staat im Staate“ im Süden zu besiegen, wurden ganze Einheiten sowjetischer Tschekisten dorthin gesandt. Ihre Methoden waren brutal. Kriminelle Elemente konnten einfach auf der Straße erschossen werden.

Eine der Methoden im Kampf mit den odessitischen Banden könnte das Unterwandern des Verbrecherumfelds mit Fahndern gewesen sein, der Legende nach war das auch „Murka“.

Unbekannt ist, ob die hauptstädtischen Rechtsschützer ihre „Murka“ in den Jahren 2018-2019 finden werden.

Doch ohne entschlossene und systematische Handlungen könnte sich Odessa auf viele Jahre in eine wirkliche „kriminelle Republik“ verwandeln. Und für die Ukraine wird das bereits keine große Bedeutung mehr haben, ob diese Banditenrepublik unter ukrainischer Flagge oder unter der Trikolore einer „Volksrepublik“ steht.

18. Oktober 2018 // Olexij Bratuschtschak

Quelle: Ukrajinska Prawda

Übersetzer:   Andreas Stein  — Wörter: 3070

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