Von Kruty nach Rostow
Die von Wahlkampfpanik erfassten Regierenden vernichten die eigenen (oder wenigstens während ihrer Herrschaft dank unglaublicher Anstrengungen und Drucks westlicher Partner und gesellschaftlicher Aktivisten eingeführten) Errungenschaften.
Michail Gannizkij, Chefredakteur von UNIAN
Mit der faktischen Formulierung „dafür, dass er den Präsidenten zu wenig zeigte“, wird Surab Alassanija aus der Nationalen gesellschaftlichen Fernseh- und Radiogesellschaft der Ukraine [Öffentlich-Rechtliche Rundfunk- und Fernsehanstalt der Ukraine, A.d.Ü.] entlassen – den ersten Leiter dieses Haushaltsgelder fressenden Kontors, der nicht zum ausführenden Diener der Bewohner der Petschersker Hügel [Regierungsviertel, A.d.Ü.] wurde. Seinerzeit, auf der Welle der postrevolutionären Euphorie, versuchte man aus dem trostlosen UT-1, der den nachrichtlichen Bedarf der Regierung bediente, ein öffentliches Fernsehen zu machen, ein Analogon zur britischen BBC. Doch das Analogon erwies sich für das Präsidialamt und die Regierung als zu unbequem. Anstelle von Übertragungen sinnloser „Parkett“-Veranstaltungen unter Teilnahme von Poroschenko wurden Beiträge über die Beziehungen zwischen Pjotr Alexejewitsch [Poroschenko] und den Vetter Putins [Wiktor] Medwedtschuk gezeigt.
In den vergangenen zwei Jahren wurde die Unabhängigkeit der Antikorruptionsorgane von der Zentralregierung komplett beseitigt. Wenn es dem Team des Präsidenten sofort gelang „eigene“ Leute in die Nationalen Agentur zur Korruptionsverhütung einzuschleusen, so musste der Chef der Spezialisierten Antikorruptionsstaatsanwaltschaft [Nasar] Cholodnizkij eine gewisse Zeit gezähmt werden. Als letztes fiel das Nationale Antikorruptionsbüro, das bezaubernd das eigene Verfahren gegen den Leiter der Antikorruptionsstaatsanwaltschaft scheitern ließ. Und das Aquarium half auch nicht [Im Aquarium im Dienstzimmer von Cholodnizkij war eine Wanze des Antikorruptionsbüros installiert. A.d.Ü.].
Technischer als sonst ergab es sich mit den Richtern: zuerst, auf der postrevolutionären Welle und der Eröffnung der Ermittlungen zu Verbrechen, die während des Maidans begangen wurden, wurden die Richter an den Haken trüber Aussichten von Strafverfahren und der Lustration gehängt, diese zwingend für die Regierung und ihr Nahestehende notwendige Urteile zu fällen. Diese Urteile wurden wiederum zum effektiven Haken für die Diener der Themis. Anschließend schnitt das Team des „Lebens auf neue Art“ [Poroschenkos damalige Wahlkampflosung, A.d.Ü.] im Laufe der Justizreform schrittweise das Oberste Gericht auf seine Bedürfnisse zu, wo, entgegen den Versprechen der Politiker und der gesellschaftlichen Nachfrage, anrüchige, aber gut durch die Präsidialverwaltung lenkbare Personen auftauchten.
Am schmutzigsten geriet es bei den örtlichen Verwaltungen, wohin Poroschenkos Team an einige Stelle offenkundige Schlägertypen aus den 1990ern setzte, die keine zwei zusammenhängenden Worte sagen können oder ausführende Bullen [Wiktor] Janukowitschs (im Fall des Chefs der Kiewer Gebietsverwaltung musste der Präsident sich sogar persönlich beflecken, indem er die Lustration des Spezialisten zur Niederwerfung von Maidanen und Protesten [Alexander] Tereschtschuks aufhob). Die Familiennamen einzelner Vertreter des Präsidenten in den Regionen figurieren jetzt nicht einmal nur in Strafverfahren wegen Korruption. Die Ermordung von Katerina Gandsjuk war nach der Revolution der Würde und die Zentralregierung zeigte keine realen Versuche die Auftraggeber dieses bestialischen Verbrechens zu bestrafen.
Am dümmsten kam es beim Rechtsschutzsystem und der Staatssicherheit. Auf einen Generalstaatsanwalt (der die Herkunft seiner Immobilie in Tschechien nicht erklären konnte und sich jetzt irgendwo verbirgt [gemeint ist Wiktor Schokin, A.d.Ü.]) wurde ein Anschlag mit Hilfe eines Wärmebildgeräts inszeniert, ein anderer ist komplett ohne juristische Ausbildung, doch mit gutem Spürsinn, der es ihm erlaubt rechtzeitig Urlaub zu nehmen und gerade dann auf Dienstreise zu gehen, wenn der Chef der Generalstaatsanwaltschaft Strafverfahren und Überprüfungen bei, gelinde gesagt, nicht ganz eindeutigen Handlungen der ihm unterstellten Staatsbediensteten höherer Ebene hätte einleiten können [gemeint ist der amtierende Generalstaatsanwalt Jurij Luzenko, A.d.Ü.]. Die Polizei mischt sich in blutige Auseinandersetzungen zwischen Bürgern und von illegalen Bauherren engagierten Schlägern nicht ein. Ermittlungen von Angriffen, Anschlägen und erfolgreich verübten Morden an gesellschaftlichen Aktivisten treten auf der Stelle. Aus dem Geheimdienst der Ukraine, besonders aus dessen Zentralapparat, ist in den vergangenen fünf Jahren ein großer Teil der Profis gegangen. Diese wurden auf verantwortlichen Positionen von inkompetenten, aber sehr folgsamen Ausführenden ersetzt, die in den Pausen zwischen der Masturbation auf Kinderspielplätzen [Vorfall im September 2018 in Cherson, A.d.Ü.] irgendwelche ungeschickten vorgetäuschten Morde an Journalisten fabrizieren, wegen denen die Ukraine das Vertrauen der Weltpresse verliert. Einer der obersten Leiter der Aufklärung steht in familiären Beziehungen zu Bürgern des Aggressorstaates mit dem wir Krieg führen und kann die Herkunft seiner Reichtümer nicht erklären [gemeint ist der Erste Stellvertreter des Vorsitzenden der Auslandsaufklärung Sergej Semotschko, dessen Frau die russische Staatsbürgerschaft angenommen haben soll. A.d.Ü.].
Die irre Gier nach leichtem Erwerb und das scharfe Verlange nach der Sicherung der Macht drängt die ersten Personen im Staate zu weiteren undurchdachter Erhöhung der Einsätze im Spiel des politischen Überlebens. Und je näher die Wahlen kommen, bei denen die Soziologen ein Scheitern der heutigen Eliten prognostizieren, um so verzweifelter werden ihre Handlungen. Das hybride Kriegsrecht am Ende des vergangenen Jahres könnte den Wählern durchaus noch als unschuldiger Bubenstreich erscheinen.
Bereits jetzt ist das herrschende Team in seiner Rhetorik auf ein primitiv-instinktives Niveau übergegangen, dabei vollständig das polittechnologische Modell der Errichtung des autoritären Regimes in Russland der Form Mitte der 1990er – Anfang der 2000er kopierend. „Poroschenko oder Putin“ das ist gleich „Explosionen in den Häusern oder Putin“ [Gemeint ist die Veranstaltung in dieser Woche, auf der Poroschenko seine Kandidatur bei den Präsidentschaftswahlen ankündigte und auf der dieser Leitspruch eingeblendet wurde. A.d.Ü.]. Ja und es hat nicht erst heute begonnen, der vorher unternommene Versuch zivilgesellschaftliche Aktivisten und Korruptionsbekämpfer zu zwingen Einkommensdeklarationen einzureichen, die Geburt der Fabriken von Netztrollen, die mehrfachen permanenten Wehen das ukrainische Segment des Internets und die Medien als Klasse in die Boxen zu jagen – nichts Neues unter der Sonne, alles solche antidemokratische Ausarbeitungen, die bereits im benachbarten Zarenreich eingeführt wurden.
… die steigende Vorwahlhysterie der Staatsobrigkeit mit ihren Häschern verheißt uns neue unangenehme Überraschungen. Darauf sollte die ukrainische Gesellschaft vorbereitet sein. Aber auch die, die sich über diese Gesellschaft stellten, sollten darauf vorbereitet sein, dass der Weg von Kruty nach Brüssel die unverständlichen Reisenden nach Rostow führen könnte [Kruty ist ein Dorf im Gebiet Tschernigow, an dem wohl vor allem aus Jugendlichen bestehende Einheiten der Ukrainischen Volksrepublik 1918 den Bolschewiki unterlagen, was in der neueren Geschichtsschreibung Kiews für ein Heldenepos herhalten muss. Poroschenko erklärte seine Kandidatur am 101. Jahrestag des Gefechts unter dem Motto „Von Kruty nach Brüssel“. Ex-Präsident Wiktor Janukowitsch floh im Februar 2014 zuerst nach Rostow am Don in Russland. A.d.Ü.].
01. Februar 2019 // Michail Gannizkij, Chefredakteur von UNIAN
Quelle: Unian