Land der Privilegien und des Straferlass
Wissen Sie, die ukrainische Gesellschaft erhebt sich jedes Mal zu einem großartigen Protest, den sogar die revolutionären Franzosen beneiden könnten, und jedes Mal verpufft der Elan, wenn es an die praktische Verwirklichung der großen Ideen geht. Das ist keine einzigartige Position, sondern die Häufung der Dinge zeugt von einer klaren Tendenz. Daher ist es wichtig sich der Motive der Aufständischen und der kurzfristigen Ziele klarzuwerden, die sie sich stellen. Denn das langfristige Ziel, so scheint es, ist das gleiche für alle – eine reiche und erfolgreiche Ukraine, wohlhabende und glückliche Ukrainer. Wo liegt dann also der Fehler?
Bereits viele Male berief ich mich auf einen dieser „kaiserlichen“ Juden aus Tscherniwzy, dessen Lebensprinzipien die Tochter Sali Sontag im Buch „Sein Name war Vater“ beschrieb. Das Prinzip war einfach: Tue den Leuten Gutes und vergiss es sofort. Warum so? Denn wenn du dich daran erinnerst, dann könnte das bedeuten, dass du Dank für die guten Taten erwartest und darin zeigt sich Eigennutz.
Und jetzt kehren wir zur ukrainischen Situation zurück. Und hier ist die Hauptfrage, was die ukrainischen Teilnehmer der beiden Revolutionen persönlich erwarteten? Wollten sie ihre persönliche Lage verbessern oder vielleicht den allgemeinen Rahmen ändern, damit sich neue soziale Lifte ergeben, damit endlich eine gesunde Konkurrenz auftaucht und alles das Gesetz entscheidet? Zweifellos gab es auch diejenigen, die so handelten und vorgingen. Doch die Mehrzahl der Aktivisten und der seinerzeitigen Oppositionselite wünschten sich Ehrungen bereits und unverzüglich für die Beteiligung an der guten Sache. Eben sie begannen Regierungsposten zu verteilen. Eben sie traten die Pfade durch die Brandherde des Majdans zu den vorherigen Mächtigen der hiesigen Welt aus und nahmen von ihnen Schutzgeld.
So war es während der Orangen Revolution [2004, A.d.Ü.], so wurde es auch leider während der Revolution der Würde [ukrainische Sprachregelung / Euphemismus für die Demonstrationen 2013/2014, die zum Sturz von Präsident Wiktor Janukowytsch führten, A.d.Ü.]. Die revolutionäre Masse bemerkte es nicht einmal, wie ein Häuflein erfahrener politischer Marodeure sie am Finger herumführte und sich in die Regierungssessel setzte. Tatsächlich hat jeder von ihnen bereits einen Ablassbrief in der Tasche. Unabhängig davon, wie ihre Rolle auf dem Majdan war. Sie begannen bereits vor dem Wettlauf sich mit jenen Majdan-Ablässen dafür auszustatten, damit kein außenstehendes Auge sie daran hinderte, die in den Majdan investierte Kraft und Energie zu kapitalisieren.
Erinnern wir nur an die Aktivisten von der Majdan-Bühne, die, kaum im Ministersessel sitzend, damit begannen die Pharma-Mafia zu decken, Posten zu verkaufen und die Hauptsache still die Bourgeois des vorherigen volksfeindlichen Regimes zu enteignen. Und es geht nicht nur um neue revolutionäre Top-Staatsbedienstete, die sich still das Eigentum der Familien Janukowytsch, Kurtschenko [Serhij Kurtschenko, Jungmillionär, der auch als Geldbörse Janukowytschs galt. A.d.Ü.] überschrieben und Lösegeld von den Brüdern Kljujew [Serhij und Andrij Kljujew, Abgeordnete bzw. Funktionäre der Partei der Regionen. A.d.Ü.] nahmen, das Verfahren gegen Jurij Jenakijewo [Jugendfreund von Janukowytsch, A.d.Ü.] brachten und Dutzende andere Figuranten zum Scheitern brachten, und auch die kleineren Schufte, die das Eigentum der Vorgänger wegtrugen.
Wer kann jetzt sagen, was mit dem goldenen Brotlaib geschah, der in der Residenz von Janukowytsch entdeckt wurde? Was geschah mit den wertvollen Arbeiten aus dem Anwesen des ehemaligen Generalstaatsanwalts Pschonka? Wohin kam die rare Autosammlung der Familie Janukowytsch? Das, was einem zuletzt einfällt, ist, dass ein Teil der „Hostomeler“ Kollektion für den revolutionären Bedarf der Kommandeure der Majdan-Selbstverteidigung und des Rechten Sektors konfisziert wurden. Und was ist dann mit diesem Eigentum geschehen?
Der ehemalige Kommandeur der 11. Hundertschaft der Selbstverteidigung, Anatolij Schornowyj, konnte sich nicht „entsinnen“ wem er zwei der teuren Autos aus dem Autopark übergab und ob er sie überhaupt übergeben hat? Und das, wie der Führer des Rechten Sektors, Dmytro Jarosch, im Janukowytsch abgenommenen teuren Kleinbus durch die Gegend brauste und danach unter dem Druck der Öffentlichkeit angeblich ihn zu übergeben gezwungen war. Doch danach, als der Nimbus des Heldentums über dem Rechten Sektor sich verzog und er sich mehrere Male spaltete, was wurde dann mit dem fremden Eigentum? Was geschah mit den verschiedenen Palästchen, Jagdgrundstücken, die jemand besetzte, sich von revolutionärer Zweckmäßigkeit leiten lassend.
Als das sind sichtbare und bezeichnende Beispiele von Plünderung. Für die Gesellschaft ist es wichtig sich ebenfalls daran zu erinnern, wie viel Missbrauch und Gesetzesverstöße unter dem Schutzmantel des Status „Majdan-Teilnehmer“ und „Teilnehmer an der Antiterroroperation“ [ATO = Antiterroroperation. Offizielle Bezeichnung für die Kampfhandlungen gegen die ostukrainischen Separatisten zwischen April 2014 und Mai 2018, A.d.Ü.] geschehen sind. Es drängt sich der Eindruck auf, dass diejenigen, die sich mit ihrer Beteiligung an der Verteidigung des Vaterlands schmücken, meinen, dass sie ein für allemal einen Ablass für jede Gesetzlosigkeit von ihrer Seite erhalten haben. Dass sie, und nicht das Gesetz, der Maßstab für Wahrheit und Gerechtigkeit sind.
Man kann lange in Richtung der unreformierten und korrupten Gerichte nicken, auf die Ungerechtigkeit von Urteilen hinweisen, sich ihnen wegen entrüsten und zur gleichen Zeit mit dem Status „Teilnehmer der Antiterroroperation“ auf Gerichte Druck ausüben. Die These unterliegt keinem Zweifel, dass die ukrainische Zivilgesellschaft die Unabhängigkeit der Ukraine rettete. Und dabei spielte die Freiwilligenbewegung die wichtigste Rolle. Doch der Status des Freiwilligen befreit den Menschen nicht von der Verantwortung für Verbrechen. Und der Freiwilligendienst ist von seiner Natur her eine unbezahlte Sache, daher sind keinerlei Belohnungen für gutes Handeln vorgesehen. Und diejenigen, die verkünden, dass sie Freiwillige „für Lohn“ sind, sind in Wirklichkeit keine solchen. Sie haben nur den Freiwilligendienst in einen Beruf verwandelt, in einen Einnahmeposten für das eigene armutslose Leben. Und daher müssen sie als Jobber und nicht als Freiwillige aufgefasst werden.
Diejenigen, denen ständig Wohltätigkeitsgelder, Autos und andere Wertsachen an den Händen „kleben bleiben“, müssen sich unbedingt vor dem Gesetz verantworten. Doch bei uns kommt es genau umgekehrt. Diejenigen, die sich in den verschiedenen Organisationen der „Freiwilligen der Antiterroroperation“, der „Veteranen der Antiterroroperation“ und der „Freiwilligen“ vereinen, haben sich über irgend Wunder nicht nur das Recht zugeschrieben Regierungsorgane zu bedrängen, Gerichtsurteile infrage zu stellen, sondern versuchen auch sich außerhalb der Geltung der Gesetze der Ukraine zu stellen. Als ob der verbrecherische Freiwillige aufhört ein Verbrecher zu sein oder sich der Schläger und Marodeur, der in der Zone der Antiterroroperation war, augenblicklich in eine moralische Autorität verwandelt.
Warum um den heißen Brei herumreden, zum moralischen Verfall der Freiwilligen- und Veteranenbewegung hat auch die ukrainische Regierung sehr beigetragen. Um straflos zu stehlen, war es für sie notwendig Leute mit nicht ganz tadelloser Reputation zu gesellschaftlichen „Autoritäten“ zu machen. Und diejenigen, die wirklich kämpften und das Land verteidigten, in gewisse korrupte Schemata hineinzuziehen. Dafür wurde eine Reihe von Gesetzen verabschiedet, in denen den Teilnehmern an der Antiterroroperation gewisse Privilegien garantiert werden. Dabei geht es um Baugrundstücke.
Von vornherein ist klar, dass nicht alle Teilnehmer der Antiterroroperation in der Lage sind, sich ein Haus zu bauen. Und bei der ersten Gelegenheit verkaufen sie diese an Reiche. Bei ihnen beginnen sofort Interessenten herumzulungern, welche attraktive Grundstücke für wenig Geld kaufen wollen. Das sind örtliche Reiche, Staatsbedienstete und ihre Familien. Und all das wird unter pathetischer Begleitmusik zur Ehrung der Helden gemacht.
Doch auch hier legt der Staat eine Mine unter die örtliche Selbstverwaltung und weiteren Frieden und Ruhe. Die Sache ist die, dass mit diesem Gesetz der Staat den Leuten einen Knochen hinwirft, die Waffen in den Händen hielten, doch dies nicht auf eigene Kosten macht. Das Land muss von konkreten Gemeinschaften genommen werden. Und hier beobachten wir einfach eine wilde Situation, wenn die Staatsbediensteten der Oblast in Absprache mit den reichsten Leuten der Region, unter dem Deckmantel und in Absprache mit den Veteranenaktivisten (die nicht immer Veteranen sind), frech dieses Land aufteilen.
Dazu muss noch die wilde Szene des Drucks auf Sitzungen von Stadt-, Siedlungs und Dorfräten hinzugefügt werden. Wenn dort Pöbeleien von Gruppen verkleideter und echter ATO-Veteranen veranstaltet werden. Nach einer Reihe derartiger „Auftritte“ sieht die Veteranenbewegung derart autoritätslos und befleckt in den Augen der Gesellschaft aus, dass viele abwinken und der Wunsch den ukrainischen Militärs zu helfen für immer verschwindet.
Für die Liste kann eine Vielzahl von Beispielen derartiger Zusammenstöße der Gesellschaft mit ATO-Veteranen gefunden werden. Was kosten allein nur die Zahlungen aus den örtlichen Haushalten oder die kostenlose Vergabe von Wohnungen? Es scheint, dass die Staatsangestellten mit derartigen Praktiken versuchen sich von den getöteten, verstümmelten, verwaisten Ukrainern auf Kosten anderer Ukrainer freizukaufen. Anstatt für die Soldaten, die für die Ukraine kämpfen, einen würdigen Sold und Zahlungen vorzusehen, gehen die Staatsbediensteten zu offenen Manipulationen über, um die Ukrainer mit Hilfe der Gesetzlosigkeit unter Kontrolle zu halten.
Was ist in dieser Geschichte wichtig? Das Wichtigste ist jetzt die Aufgabe die Anarchie zu beenden und die Oberhoheit des Gesetzes zu durchzusetzen. Denn wirkliche ukrainische Patrioten, die Blut bei der Verteidigung der Ukraine vergossen haben, haben kein Recht Oligarchen, örtlichen Reichen und korrupten Staatsangestellten zu Diensten zu sein, um deren private Interessen zu verteidigen. Sie dürfen kein ungesetzliches Druckinstrument in den Händen der aufgezählten Kategorien von Schuften sein, indem sie sich an bezahlten Demonstrationen, Versammlungen und Protesten beteiligen. Haben sie denn für eine solche Ukraine gekämpft? Haben sie wirklich an ihre Karriere und den eigenen Vorteil gedacht, als sie auf die Barrikaden gingen oder sogar in den Krieg? Begreifen sie wirklich nicht, dass sie, indem sie an solchen Aktionen teilnehmen, sie nicht das alte System überwinden und das Land reformieren helfen und damit dessen Ende näher bringend?
7. Februar 2020 // Wassyl Rassewytsch
Quelle: Zaxid.net