Am Donnerstag, den 19. November, fand im Büro des Majdan-Museums eine Hausdurchsuchung statt, die von Ermittlern der Nationalen Polizei in Begleitung von Mitarbeitern des Geheimdienstes SBU durchgeführt wurde. Die Polizei begründete die Durchsuchung mit Ermittlungen, die in Verbindung mit dem Bau der Gedenkstätte für die Helden der Himmlischen Hundertschaft stehen: Das Majdan-Museum hat dem Hauptauftragnehmer 111 Millionen Hrywnja Vorschuss gezahlt, doch letzterer hat angeblich diese Gelder nicht gemäß dem Verwendungszweck ausgegeben und wie von der Polizei mitgeteilt wurde, wurden „die Arbeiten zum Bau des Museums nicht durchgeführt“.
Die Geschichte besteht darin, dass von Bauarbeiten zum Museum bisher nicht einmal die Rede ist, und der Bau der Gedenkstätte kann nicht beginnen, denn das Grundstück, wo sie errichtet werden soll, ist von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt: dort werden Ermittlungshandlungen und Experimente durchgeführt, die für die Untersuchung der Erschießungen auf dem Majdan im Februar 2014 notwendig sind. So kreuzten sich zwei Bürgerwillen: der eine dazu, dass die Memorialisierung der Helden des Majdans in eine Gedenkstätte münden soll, die von den Architektinnen Iryna Wolynez und Maryna Prozyk geplant wurde, der andere zu einer gebührenden Untersuchung der Verbrechen gegen die Teilnehmer der Protestaktionen.
Die Tatsache, dass die Durchsuchung im [Büro] des Museums am Vorabend des Jahrestags des Beginns des Euromajdans stattfand und das Auftauchen der Nachricht darüber, dass das Staatliche Ermittlungsbüro die politischen Führer der Proteste in Verbindung mit der Strafsache „über den Staatsstreich“ vorlud, verursachten eine Diskussion darüber, welchen Status die Errungenschaften des Majdans haben, welche Erinnerung in der Gesellschaft über diese Ereignisse blieb und ob nicht eine Diskreditierung der Idee von Massenprotesten allgemein stattfindet.
Über all das und ebenfalls über die Schwierigkeiten bei der Errichtung der Gedenkstätte und des Museums für die Revolution der Würde [In der Ukraine ist das die offizielle euphemistische Sprachregelung für den Regierungssturz im Februar 2014, A.d.Ü.], den politischen Willen der alten und der neuen Regierung und die verworrenen Mechanismen der Staatsführung sprach LB.ua mit dem Direktor des Nationalen Museums für die Revolution der Würde, Ihor Poschywajlo.
Am Anfang würde ich gern die Erklärung durchgehen, die am Tag der Hausdurchsuchung vom SBU veröffentlicht wurde. Ich zitiere: „die Rechtsschützer fanden heraus, dass in den durch Verträge festgelegten Fristen faktisch keine Arbeiten durchgeführt wurden. Anstatt dessen wurde der Großteil der vom Auftragnehmer erhaltenen Gelder nicht für die Ziele verwendet, die in den entsprechenden Verträgen vorgeschrieben wurden.“ Es geht um 111 Millionen Hrywnja [circa drei Millionen Euro], die dem Auftragnehmer in Form eines Vorschusses gezahlt wurden. Ist Ihnen bekannt, wofür sie ausgegeben wurden?
Als Museum sind uns Fakten, dass der Bauauftragnehmer diesen Vorschuss für andere Zwecke, außer denen, die im Vertrag vorgeschrieben waren, ausgab, nicht bekannt. Er gab uns die Information über den Kauf von Bäumen und Granit – das ist der teuerste Ausgabenposten, und ebenso über andere Materialien für die Gedenkstätte. Der Auftragnehmer kaufte 105 Bäume und besonderen Granit, der aus dem Ausland hergebracht wurde und der gerade in der Ukraine gelagert wird. Dabei ist im Museum eine besondere Fachabteilung gegründet worden, die sich mit allen Fragen beschäftigt, die mit dem Bau in Verbindung stehen.
Doch haben wir keine juristischen Mechanismen zu überprüfen, wofür der Generalauftragnehmer die Gelder verwendet hat. Der einzige Schutz vor nichtzweckgemäßer Verwendung liegt darin, dass diese Gelder sich auf dem Regierungskonto befinden. Daher müssen sie entsprechend dem Projektetat und gemäß dem Vertrag zwischen dem Museum und dem Generalauftragnehmer verwendet werden.
Hätte der Auftragnehmer Ihnen gegenüber über seine Arbeit Bericht erstatten sollen? Jährlich oder quartalsweise, beispielsweise?
Nein, er muss nur über die verrichteten Arbeiten berichten. Gegenstand des Vertrages ist die Errichtung der Gedenkstätte. Offiziell ist es in den Dokumenten so formuliert: Rekonstruktion der Allee, Einrichtung einer Fußgängerzone, Außengestaltung und Begrünung des Territoriums. Der Generalauftragnehmer muss Bericht erstatten, wenn das Objekt – die Gedenkwand aus weißen Granitplatten, die Pflanzung der Bäume, die Einrichtung der Fußgängerzone – errichtet wurde. Soweit die Materialien gekauft und die Arbeiten nicht durchgeführt sind, gibt es für den Auftragnehmer keinen Mechanismus, wonach er Bericht erstatten muss.
Wir haben mehrfach an die uns übergeordneten Organe geschrieben – das Ukrainische Institut für Nationales Gedächtnis, das Kulturministerium, wandten uns an das Staatliche Ermittlungsbüro und das Büro der Generalstaatsanwaltschaft, um zu klären, dass das Museum eine Geisel der Situation ist. Wir informierten die Regierung, die uns mit ihrer Anordnung von 2018 bevollmächtigte die Funktion des Auftraggebers für die Projektierung und den Bau zu übernehmen. Es ist nicht in unserer Kompetenz den Bau zu stoppen, wie auch gegen das Gesetz zu verstoßen, denn das beschlagnahmte Grundstück ist ein klares Signal, das uns verbietet, irgendwelchen Veränderungshandlungen auf dem Territorium vorzunehmen. Daher setzten wir ab dem 20. Juni 2019, als das Grundstück zum zweiten Mal beschlagnahmt wurde, mit den ständigen Schriftwechseln mit Staatsanwälten, Ministerien fort und wir versuchten, irgendeinen Ausweg aus dieser Situation zu finden. Das Projekt der Gedenkstätte für die Helden der Himmlischen Hundertschaft hat einerseits niemand abgesagt und niemand hat uns von unseren Pflichten dieses zu verwirklichen entbunden, doch andererseits hat niemand angemessene Bedingungen für dessen Umsetzung geschaffen.
Gab es im Vertrag mit dem Auftragnehmer einen Stichtag, an dem das Projekt hätte abgeschlossen sein sollen?
Ja, als wir diesen Vertrag unterzeichneten, war der Abgabetermin der August 2019. Ende 2018 wurde über offene Einkäufe im Prozorro-System ein Sieger der Ausschreibung festgelegt – die Nordukrainische Bauallianz. Doch nach einer Beschwerde lehnte das Antimonopolkomitee ihn wegen Verstößen bei der eingereichten Dokumentation ab. Daher wurde der Sieger derjenige, der den zweiten Platz belegte – die Spezialisierte wissenschaftliche Restaurations-Projektbaufertigungswerkstatt „Ukraine – Restauration“. Der Termin für die Fertigstellung der Arbeiten war acht Monate. Doch als acht Monate vergangen waren, hat die Regierung, im Hinblick auf das Unvermögen der Generalstaatsanwaltschaft die Ermittlungsexperimente und -handlungen auf der Allee der Himmlischen Hundertschaft abzuschließen, mit einer neuen Anordnung erlaubt, die Abgabefrist um 24 Monate zu verlängern.
Das heißt bis zum August 2012?
Ja.
Wissen Sie, ob es solche Durchsuchungen wie bei Ihnen auch beim Auftragnehmer gab?
Ja, ich habe davon gehört.
In der Nachricht bei Facebook wurde vom Museum geschrieben, dass die erste Grundstücksbeschlagnahmung im November 2018 vorgenommen wurde. Stimmt das?
Ja, das ist wahr.
Doch den Vorschuss an den Auftragnehmer, die 111 Millionen, haben Sie im Dezember 2018 überwiesen, als das Grundstück bereits beschlagnahmt und klar war, dass in der nächsten Zeit nicht gebaut werden kann. Warum geschah das?
Die Ausschreibung haben wir vor der Beschlagnahmung durchgeführt, im Oktober 2018. Deren Ergebnissen nach mussten wir, gemäß der geltenden Gesetzgebung, einen Vertrag mit dem Sieger schließen und die Gelder überweisen, andernfalls wären uns Strafen auferlegt worden. Doch von der Beschlagnahmung erfuhren wir erst, nachdem wir dem Generalauftragnehmer den Vorschuss überwiesen haben. Uns hat niemand darüber informiert, dass das Grundstück beschlagnahmt worden war. Außerdem teilten uns die damaligen Vertreter der Verwaltung für Spezialermittlungen der Generalstaatsanwaltschaft in offiziellen Briefen mit, dass sie für die Experimente ein paar Wochen benötigen und sie alles abschließen werden. Und tatsächlich, im Februar 2019 wurde der Arrest des Grundstücks auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft aufgehoben und wir begannen mit den vorbereitenden Arbeiten, registrierten diese bei der Staatlichen Architektur- und Bauinspektion und stellten den Plan für die temporäre Einschränkung der Umgebung auf, erhielten die Zustimmung beim Kulturministerium. Die Generalstaatsanwaltschaft teilte uns offiziell mit, dass wir im unteren Teil der Allee mit der ersten Etappe der Arbeiten beginnen können, im März/April tauchte der Bauplatz auf, es wurde ein Zaun errichtet, es erschien Bautechnik. Am Tag, als wir mit dem Kulturministerium öffentlich die Bereitschaft verkündeten mit dem Bau der Gedenkstätte zu beginnen, wurden uns Briefe aus der Generalstaatsanwaltschaft geschickt – „Nein, nein, nein, Sie können nicht bauen, wir brauchen noch ein paar Wochen für den Abschluss der Experimente“. Briefwechsel mit der Generalstaatsanwaltschaft fanden beinahe jede Woche statt, der Termin wurde bereits nicht mehr um zwei Wochen verlegt – um einen Monat, um ein halbes Jahr, bis Ende des Jahres und so weiter. Und dann wurde am 20. Juni 2019 die wiederholte Beschlagnahmung vorgenommen.
Außer dem Gedenkstättenprojekt auf der Allee gibt es noch ein weiteres Projekt, für das Sie verantwortlich sind. Das ist das Projekt des Museums der Revolution der Würde, das auf der Allee der Helden der Himmlischen Hundertschaft gebaut werden soll, das über einen gesonderten internationalen Wettbewerb festgelegt wurde, mit einem gesonderten Budget und so weiter. Übrigens, was für ein Budget gibt es für dieses Museum überhaupt?
Bisher haben wir noch keine Berechnungen angestellt. Wir haben lediglich die Ergebnisse des internationalen Wettbewerbs – der Projektidee. Dafür, um die genauen Berechnungen anzufertigen, muss ein Vertrag mit dem Sieger des Wettbewerbs geschlossen werden, dem deutschen Unternehmen Kleihues + Kleihues Gesellschaft von Architekten, das uns danach die technischen Erfordernisse geben wird. Danach ist es notwendig, die Ausgangsdaten für den Entwurf zu bestellen, einschließlich der städtebaulichen Bedingungen und Einschränkungen. Zum heutigen Tag ist in der Ukraine noch kein einziges Museum gebaut worden, das Ausländer den Ergebnissen eines internationalen Wettbewerbs nach projektierten. Das ist eine schwierige Angelegenheit.
Der Vertrag wurde mehr als ein Jahr lang deswegen nicht unterzeichnet, weil die Ukraine dem Wettbewerbs-Sieger keine Prämie gezahlt hat. Es gelang ihr diese erst Ende 2019 – Anfang 2020 zu zahlen.
Obgleich das verschiedene Projekte und Architekturteams sind, sieht das Musemsprojekt die Realisierung der Gedenkstätte vor: sie sind integriert, vereint durch wichtige stilistische und symbolische Elemente – dabei verlängert der Gehweg um das Musemsgebäude die Zickzackform der Gedenkstättenallee. Klar ist, dass die Deutschen das verfolgten, was um die Gedenkstätte geschah, die bereits seit langem eröffnet worden sein sollte, und sehen einige Risiken für ihr Projekt hier. Doch wir suchen von unserer Seite aktiv eine Lösung, die es uns erlaubt mit der Verwirklichung dieses Projekts bereits zum Anfang des kommenden Jahres zu beginnen.
Gibt es bei uns keinerlei Hürden im Gesetzeswerk für eine Zusammenarbeit mit ausländischen Firmen auf Staatskosten? Oder fügt das Probleme hinzu?
Ein direktes Verbot zu dieser Zusammenarbeit gibt es nicht. Eben daher wurde der Wettbewerb auch als internationaler organisiert und er fand, aus juristischer Sicht, sauber statt – das hat ein Audit des Kulturministeriums bestätigt. Doch es gibt keine klaren und überprüften praktischen Mechanismen, wie das Siegerprojekt richtig und fristgemäß zu realisieren ist.
Die Errichtung des Museums der Revolution der Würde – ist eine Geschichte, die unter der aufmerksamen Aufsicht sowohl der Gesellschaft, als auch der Kontrollorgane, der Politiker und der ausländischen Partner steht. Es gibt Anzeichen eines politischen Willens der Staatsführung dennoch den Projektvorschlag der Deutschen zu realisieren. Das ist auch deshalb wichtig, um die Reputation der Ukraine im Bereich internationaler Architekturwettbewerbe nicht zu schädigen.
Das Projekt des Majdan-Museums ist wirklich auch ein Produkt politischen Willens. Es war so eine Art Großprojekt des vorherigen Präsidenten Petro Poroschenko, sogar die First Lady [Maryna Poroschenko] war in die arbeiten daran einbezogen, wenn ich mich nicht irre.
Ja, sie wirkte inoffiziell mit. Es wurde ein Organisationskomitee zu den Problemen der Entwicklung des nationalen Gedenkstättenkomplexes geschaffen. Im Komitee gab es zwei Co-Vorsitzende – den Stellvertreter des Chefs der Präsidialverwaltung und den Vizeregierungschef. Es gibt nicht wenige Stakeholder dieses Projekts – über 50, als war das nicht nur lediglich ein Projekt von Präsident Petro Poroschenko. Es wurde vor allem unter dem Druck der Öffentlichkeit begonnen, als Antwort auf die gesellschaftliche Nachfrage nach einer angemessenen Memorialisierung und Musealisierung des „Territoriums der Würde“ – des Protestraums inmitten der Stadt Kyjiw.
Das Vorhandensein eines politischen Willens begünstigte die Finanzierung des Museums, sehr schnell und effektiv wurde der internationale Wettbewerb durchgeführt, ein Grundstück bereitgestellt – die „Baugrube“, die vorher eine zweifelhafte Reputation hatte. Doch andererseits ist der Hauptgrund, warum jetzt der Bau der Gedenkstätte stoppte, das sind fehlende objektive, rechtzeitige und komplette Ermittlungshandlungen, das vor Gericht bringen des Verfahrens und das zur Verantwortung ziehen der Schuldigen. Das ist das größte Hindernis.
Wenn es einen politischen Willen wirklich eine Gedenkstätte und ein Museum zu errichten gäbe, so, denke ich, gäbe es auch den politischen Willen eine effektive Ermittlung der Verbrechen auf dem Majdan durchzuführen und das Verfahren bis zu Gerichtsurteilen zu bringen. Das findet aus irgendeinem Grunde nicht statt.
Übrigens, der politische Wille und die lauten Ansagen von Petro Poroschenko begünstigten, dass das Grundstück auf der Institutsstraße dem Majdan-Museum zugeteilt wurde. Dagegen kämpfte das Nationale Kunstmuseum sehr lange darum, das dort seine Filiale und das Museumsdepot bauen wollte. Und es gab sogar Nachrichten darüber, dass Sie mit ihnen ein Memorandum darüber unterzeichnet haben, dass sie in einem Gebäude sein werden. Was passierte, warum fiel das Museum letztendlich aus dieser Gleichung heraus?
Das war ganz am Anfang, als unser Museum erst erschien und wir den Antrag beim Kyjiwer Stadtrat einreichten, damit uns dieses Grundstück an der Allee der Helden der Himmlischen Hundertschaft zur Nutzung übergeben wird – um die Gedenkstätte und das Museum zu errichten. Das haben wir nicht deswegen getan, weil wir das so wollten, das war durch die Ergebnisse des internationalen Architekturwettbewerbs „Terra Dignitas“ bestimmt worden, der in den Jahren 2014-2015 durchgeführt wurde und der zwar nicht mit der Realisierung der Siegerprojekte endete, jedoch den Ort des Baus festlegte. Es ging um das Grundstück mit der Baugrube für das Museum und um die Allee der Helden der Himmlischen Hundertschaft für die Gedenkstätte. In Reaktion auf unseren Antrag antwortete man uns, dass dieses Grundstück sich in internationaler Schlichtung befindet, die Geschichte darum ist sehr dunkel. Daher wurde es uns verweigert.
Das Nationale Kunstmuseum schlug uns damals vor, gemeinsam um das Land zu kämpfen. Das war mutig, doch gleichzeitig eine romantische Idee, denn ein Grundstück kann nicht gleichzeitig für zwei Museen ausgewiesen werden. Jedoch schlugen wir dem Nationalen Kunstmuseum vor, dass wir ihm eine Ausstellungsfläche für temporäre Ausstellungen geben und dass wir mit ihnen ständig gemeinsame Ausstellungsprojekte und Bildungsprogramme machen könnten. Doch war klar, dass die drängenden Bedürfnisse des Nationalen Kunstmuseums woanders lagen – sie brauchten eigene Räume für die Einrichtung eines Museumsdepots, einer Galerie zeitgenössischer Kunst. Daher von Nutzung eines Grundstücks durch verschiedene juristische Personen zu reden, und besonders strittig, und ebenfalls die Einrichtung gemeinsam zu bauen, ist natürlich unrealistisch. Davor kam das Gesetz über Änderungen in den Schlusspositionen der Regulierung der städtebaulichen Tätigkeit heraus, das eine schnelle Zuweisung von Grundstücken ermöglichte und ihre weitere nicht zweckgebundene Nutzung verhinderte, indem es verbot, Grundstücke und Räume in Gebäude zu vermieten. Deswegen kann ein Museum dem Gesetz nach sein Territorium nicht vermieten.
Wenn die Ukraine keine Erfahrung bei der erfolgreichen Errichtung eines neuen Museums innerhalb von fast 30 Jahren ihrer Unabhängigkeit hat, dann was soll man da von der Unterbringung zweier Museen unter einem Dach sagen?
Und noch einige Fragen zum Geld. Dieses Jahr fiel der Posten zum Bau von Objekten nationaler Bedeutung im Kulturbereich unter einen Haushaltsstopp – ihm wurden etwa 500 Millionen Hrywnja [knapp 15 Millionen Euro, A.d.Ü.] genommen, blieben nur 100. Die Gelder wurden nach der Revision dieses Haushaltsstopps nicht zurückgegeben?
Nein. Von diesen 100 Millionen wurden uns theoretisch 60 zugeteilt, aber doch nicht zugeteilt. Das heißt, auf unseren Konten gibt es keine Gelder für den Bau. Und das ist noch ein Grund, warum wir die Verhandlungen mit den Deutschen zur Projektierung des Museums nicht abschließen konnten.
Ist eine Haushaltsfinanzierung für den Bau des Museums im nächsten Jahr geplant und in welcher Höhe?
Ja. 60 Millionen Hrywnja figurieren im Entwurf des Staatshaushalts. Wir haben einen Bedarf von 95 Millionen angemeldet, doch wurden uns lediglich 60 Millionen zugewiesen. [Der Haushalt für 2021 ist noch in der Diskussion. A.d.Ü.]
In der Diskussion um das Majdan-Museum taucht oft der Gedanke darüber auf, dass es schwer ist, ein Museum der Geschehnisse zu bauen, die von der Sache her nicht abgeschlossen sind – Urteile für diejenigen, die den Befehl auf die Teilnehmer der Proteste zu schießen gab, gibt es nicht. Wie haben Sie für sich selbst diese Frage entschieden? Welcher Sinn ist für Sie diesem Museum zugrundegelegt und welches Narrativ könnte es gerade anbieten, am siebenten Jahrestag des Majdan-Beginns?
Von Beginn an sammelte die Bürgerinitiative des „MajdanMuseums“, die sich im Januar 2014 herausbildete, alle Belege, Dokumente, Artefakte, arbeitete von der Sache her an der Kollektion eines zukünftigen staatlichen Museums. Am Ende des Jahres 2014 schloss sich uns die Bürgerinitiative „Museum der Freiheit“ an, die unter anderem von Jewhen Hlibowyzkyj, Olexander Baklanow, Oles Ostrowskyj vertreten wurde, die der Museumskonzeption einen anderen Vektor gaben. Sein Schwerpunkt wurden nicht nur die Ereignisse der Revolution der Würde, nicht nur der Tod der Helden der Himmlischen Hundertschaft, nicht nur die Verletzten auf dem Majdan, sondern die Werten mit Zugkraft, die wichtige soziale Erfahrung, die Kontinuität des Kampfes für Freiheit, für Demokratie, für die Rechte und die Würde der Menschen, die kritische Reinterpretation unserer Geschichte.
Daher wollten wir mehr über Freiheit reden. Das Museum hätte „Museum des Majdans / Museum der Freiheit“ heißen sollen. Wir haben ein Memorial der Helden der Himmlischen Hundertschaft, das die Umgekommenen ehrt, doch das Museum des Majdans, sollte von den Lehren der Revolution der Würde erzählen, sich nicht nur auf die Tragik und die Traumata der Menschen konzentrieren, sondern ebenso auf das Positive. Darauf, dass die Ukrainer massenhaft Solidarität und Selbstorganisation zeigten, auf jede Art und Weise in persönlicher Weise die Proteste unterstützten, eine Reihe von bürgerlichen Initiativen gründeten.
Aktuell, gemäß soziologischen Untersuchungen, vergessen viele unserer Bürger den vieldimensionalen und phänomenalen Majdan. Die Menschen erinnern sich mehr an Politiker oder die Morde auf dem Majdan. Und vergessen die wichtige Sache, welche die Ukrainer einte, als zu Zehn-, Hunderttausenden absolut fremde Leute auf die Straße gingen, die ein gemeinsames Ziel hatten: Sich selbst ändern, den Staat ändern, die Gesellschaft ändern. Die Zivilgesellschaft/Bürgergesellschaft stark und einflussreich zu machen. Die Möglichkeit zu geben, die Zukunft des eigenen Staates selbst zu gestalten.
Wir haben viele soziologische Untersuchungen durchgeführt – 2018 sahen wir, dass über 70 Prozent der Befragten es für notwendig halten ein Museum und eine Gedenkstätte zu schaffen, die dem Majdan gewidmet sind. Sogar diejenigen, welche die Proteste nicht unterstützten. Wir haben auch so unser Museum nicht als politisches Projekt erdacht, nicht als Museum, das nur eine Seite beleuchtet, oder die Position der regierungstreuen Politiker, sondern als Museum, das von den Werten reden wird, die den Ukrainer und den Politikern unterschiedlicher Parteien eigen sind, um unserer Gesellschaft zu helfen, sich zu einigen angesichts der globalen und inneren Herausforderungen.
Das Thema des Majdans ist sehr heiß und schmerzhaft, doch das Fehlen eines Museums und einer Gedenkstätte fördert die Trübung der Erinnerung an ihn, macht sie selektiv. Das Gedächtnis hat die Tendenz sich unter dem Eindruck anderer traumatischer Ereignisse zu ändern. Heute haben wir hinreichende Anlässe dafür. Daher ist es wichtig eine Institution zu schaffen, welche die Verantwortung auf sich nimmt und zum Platz der Wahrung des historischen Gedächtnisses wird, zur Bestätigung der nationalen Identität, der Aktivierung von Bürgerinitiativen. Das Gedächtnis erfordert eine kräftige Infrastruktur und ein Gedenkstätten- und Museumskomplex ist ein sehr wichtiger Pfosten dafür, um uns vor der Nivellierung oder Manipulation unseres historischen Gedächtnisses durch Politiker zu bewahren.
Wir studierten die Erfahrung der Schaffung des Museums- und Gedenkkomplexes für die Opfer der Terrorakte des 11. Septembers in New York – dort gab es auch eine Periode von bürgerlicher Entrüstung, Diskussion, politischer Turbulenzen. Doch letztendlich nahm jemand die politische Verantwortung auf sich. Und im Fall des Museum- und Gedenkkomplexes für 9/11 waren das der Bürgermeister von New York und der Gouverneur des Staates.
Wer in der Ukraine könnte in der Ukraine zum Subjekt einer solchen politischen Verantwortung werden, Ihrer Meinung nach?
Der Präsident der Ukraine. Wenn wir vom Hauptgrund der Blockade beim Bau der Gedenkstätte reden, dann ist es der fehlende Abschluss der Ermittlungsaktivitäten und das Fällen von Urteilen. Das ist die Kompetenz des Staatlichen Ermittlungsbüros und des Büros der Generalstaatsanwaltschaft, die der Präsident bestimmt.
Hat sich mit dem Antritt der neuen Regierung die Atmosphäre um das Museum geändert? Wie läuft derzeit die Kommunikation mit der Regierung ab?
Die Atmosphäre hat sich geändert, denn die Vorgängerregierung hat die Probleme koordinierter betreut. Nach den letzten Präsidenten- und Parlamentswahlen beobachte ich diese gute Organisation und Interessiertheit an der Realisierung unseres Projekts nicht mehr.
Bei der neuen Regierung hat sich der Kulturminister Wolodymyr Borodjanskyj sehr aktiv der Lösung unserer Probleme angenommen – eben in seiner Kadenz wurde den Wettbewerbssiegern die Prämie ausgezahlt. Doch er trat im Februar zurück und seitdem steht die neue Führung des Regierungskabinetts vor anderen Herausforderungen, deswegen sind das Museum und die Gedenkstätte für sie keine Priorität. Obgleich offene Sabotage nicht sichtbar ist – es gibt irgendwo das Verständnis dafür, dass unser Museums- und Gedenkstättenkomplex benötigt wird. Daher werden die Budgetanforderungen unterstützt, wenn auch nicht im vollen Umfange, gewisse Gelder werden für den Bau eingeplant.
Ich habe gesehen, dass das Museum des Majdans auf das Aufkommen des Begriffs „Staatsstreich“ im öffentlichen Diskurs in Bezug auf die Geschehnisse des Majdans reagierte und parallel zu den Nachrichten über die Durchsuchung [des Büros] des Museums tauchte die Nachricht auf, dass das Staatliche Ermittlungsbüro die politischen Führer des Majdans zur Befragung eben in Verbindung mit der Strafsache zu jenem „Staatsstreich“ vorgeladen hat. Wovon kann das Ihrer Ansicht nach zeugen?
Davor gab es noch ein bezeichnendes Ereignis: die Aufhebung der Verurteilung in Abwesenheit des Hauptfiguranten in den Strafsachen zu den Verbrechen auf dem Majdan, Wiktor Janukowytsch. Das war ein Signal dazu, dass die Kräfte der Revanche in der Ukraine an die Macht kommen, die versuchen die Aufgabe des Aggressorstaates Russische Föderation umzusetzen. Sie versucht zusammen mit den ehemaligen Regionalen [gemeint ist die zwischen 2010 und 2014 unter Wiktor Janukowytsch regierende Partei der Regionen, A.d.Ü.] auf jede Art und Weise zu beweisen, dass der Euromajdan, die Revolution der Würde, keine Revolution, sondern ein Staatsstreich war, dass die Regierung, die infolge dessen an die Macht kam, illegitim war und die Besetzung der Krim und Teile des Donbass vollkommen gerechtfertigt waren. Es ist komplett offensichtlich, dass eine Spezialoperation mit dem Versuch die Revolution der Würde zu entwerten verwirklicht wird.
Wenn es Urteile nicht nur bei den „Tituschky“ [Schlägertypen], sondern bei den Ausführenden und Auftraggebern der Erschießungen und Folterungen, den damaligen Hochrangigen, gegeben hätte, dann wäre ein Akt der Gerechtigkeit geschehen und die Tatsache dieser Verurteilungen, wäre darunter in Geschichtslehrbüchern und in wissenschaftlichen Diskussionen belegt. Doch insofern die Hauptfiguranten der Strafverfahren zum Majdan freigelassen werden, drängt sich der Eindruck auf, dass niemand der Machthaber sich anschickt, Gerechtigkeit zu verwirklichen und die gesamte Wahrheit über diese Vorgänge zu erzählen. Im Gegenteil, die geflüchteten Politiker des damaligen Regimes Janukowytsch kehren zurück und versuchen aktiv den Majdan als zivilisatorische Handlung zu diskreditieren und seine historische Bedeutung und dessen Werte zu nivellieren. Und die das Tuenden hoffen darauf, den Prozess der Eurointegration der Ukraine zu stoppen, ihre Reformen zu stoppen und ihre Unabhängigkeit zu vernichten.
21. November 2020 // Darija Badjor
Quelle: LB.ua
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