"Null Toleranz" gegenüber Tabak
Wozu braucht man eigentlich ein neues Rauchverbot, wenn schon die alten Verbote nicht funktionieren? Die Antwort darauf ist ganz einfach: Damit die Abgeordneten erneut an die Futtertröge kommen.
Aber wie schafft man es, dass die Gesetze überhaupt wirksam werden? Da wird die Sache noch schwieriger.
An öffentlichen Plätzen zu rauchen, hat das Parlament verboten. Abgeordnete traten sehr wirksam auf den Tribünen auf, erörterten den Nutzen eines gesunden Lebensumfelds, sinnierten über den Schaden des Tabaks und andere Trivialitäten.
Rauchen ist schädlich, das kann ich Ihnen als einstiger, acht Jahre abhängiger Raucher sagen. Aber das neue Gesetz wird dieser schlechten Angewohnheit nicht gerecht werden, und auch vorherige Gesetze haben nicht gegriffen. Das neue Gesetz hat lediglich hochmoralische Reden von Abgeordneten hervorgerufen, und sonst nichts.
Abgesehen von den bereits existierenden Verboten wird nicht nur in Cafés geraucht, sondern auch an öffentlichen Haltestellen und in Unterführungen. Gerade in der vergangenen Woche ist der Fahrer des Zuges Nummer 40 (Kiew-Sevastopol), „Onkel Witja“, selbst zum Rauchen geeilt und bot den Passagieren dabei ganz beiläufig Bier oder Cognac an. Die Polizei bestraft die Raucher nicht, weil sie ja selber raucht. Oder sie „bestraft“ sie und steckt das Geld in die eigene Tasche, wenn gerade Bares gebraucht wird.
Dabei kann genau dieser Kampf gegen das Rauchen zu einer guten Einkommensquelle für den Staat werden. Und mit einem gefüllten Staatsbudget kann man beginnen, schlimmere Verbrechen zu bekämpfen.
Schon 1982 haben die amerikanischen Soziologen James Q. Wilson und George L. Kelling die „Theorie der zerschlagenen Fenster“ vorgestellt.
Grundlage dieser Theorie ist die Annahme, dass kleine Fehltritte, die ungesühnt bleiben, zu ernsthaften Folgen führen. Ein Beispiel: Ist ein Fenster im Haus zerbrochen, so werden weitere folgen. Randalierer werden die Schlösser von Türen abreißen und Diebe die Räume von den Wertsachen „säubern“.
Auf dieser Grundlage begann der Bürgermeister von New York (1994-2001), Rudolph Giuliano, den Kampf gegen das Verbrechen. Seine Strategie bekam die Bezeichnung „Null Toleranz“ (zero tolerance).
Giuliano begann mit seiner „Sanierung“ zunächst einmal bei denjenigen, die an den Ampeln ungefragt die Frontscheiben der Autos putzten und für ihre zweifelhaften Dienste auch noch Geld forderten. Dann ging er über zu anderen Störern: Graffitisprayer, Marihuanarauchern, Trinkern usw.
Im Ergebnis dieser Politik der „Null Toleranz“ kam es zu einer doppelten (!) Senkung der Anzahl an Verbrechen zwischen 1992 und 2000 in New York.
Kritiker Giulianos bemerken allerdings, dass eine tendenzielle Verringerung von Verbrechen in New York schon früher zu beobachtet war. Und dass es dem Wirtschaftswachstum und den neuen Arbeitsplätzen geschuldet ist, dass man die Banditen nun in den Griff bekommen hat. Ein weiterer kritischer Punkt: Die soziale Diskriminierung. Die Polizei bestrafe mit großem Eifer die Armen, aber taste die Mittelklasse nicht an. Nichtsdestotrotz wurde das System auch bald in anderen Ländern umgesetzt.
Heute wird die „Null Toleranz“-Strategie so oder in abgewandelter Form in zehn Ländern der Welt praktiziert. In Singapur kämpfen sie gegen die Drogen, sogar der Konsum (und nicht nur der Verkauf) von Marihuana wird hart bestraft. In Georgien dulden sie keine Korruption – dort können Polizisten zehn Jahre hinter Gitter kommen, wenn sie sich bestechen lassen. In Europa erlaubt man keinen Alkohol hinter dem Steuer. Und in Kasachstan nehmen sie den Müll auf den Straßen unter die Lupe oder besser gesagt den, der den Müll verursacht hat.
Auch in der Ukraine gibt es im Grunde die „Null Toleranz“-Strategie – gegenüber Rauchern und Verkehrssündern. Aber das System besteht nur aus Worten. Minimale Strafen führen zu ebenso geringfügigen Bestechungen. Wenn sich die Autofahrer bis zur Einführung hoher Strafen auf den Straßen schon mit einem 20 Hrywnja-Schein freikaufen konnten (etwa 2 Euro), so kostet Schmiergeld heute nicht weniger als 200 Hrywnja (etwa 20 Euro). Ich zweifle nicht daran, dass es in Sachen Rauchen genauso läuft. Der erzieherische Effekt fehlt einfach. Aus der „Theorie der zerbrochenen Fenster“ geht hervor, dass wenn man sich schon bei kleineren Vergehen loskaufen kann, dass auch größere leicht von der Hand gehen. Und das Geld fließt dann nicht in den Haushalt, um den Armen zu helfen, sondern in die Taschen der Polizisten.
Es lohnt sich für uns, es zu machen wie die Georgier und die „Null Toleranz“-Strategie gegenüber Schmiergeldnehmern anzuwenden, vor allem gegenüber denen mit Schulterklappen. Und dann auch schon kleine Vergehen zu bestrafen.
29. Mai 2012 // Andrej Janizkij
Quelle: Lewyj Bereg