Offener Brief an den Botschafter Deutschlands in der Ukraine


Der Text bezieht sich auf den Vortrag von Grzegorz Rossolinski-Liebe in der am 01. März 2012 in der deutschen Botschaft in Kiew. Andere Reaktionen darauf sind hier zu finden:

Weitere Übersetzungen zur Dokumentation der Position der nationalistischen Ukrainer sind in Arbeit.

Unterzeichner Askold S. Losynsky ist bekannt durch seine antisemitischen Ansichten (u.a. hier ersichtlich: How insensitive bigots continue to play Ukrainians and Jews against each other – siehe der Kommentar von Oleksandr Feldman). Darüber hinaus ist er sehr bemüht jegliche Beteiligung von ukrainischen Nationalisten an Judenpogromen während der deutschen Besatzung der Ukraine zu verneinen. (siehe diese Diskussion: Where’s the evidence of Ukrainian wartime atrocities against Jews?). Mitunterzeichner Borys Potapenko wiederum weigert sich ebenfalls die Beteiligung von ukrainischen Nationalisten am Holocaust anzuerkennen (siehe dieser Beitrag: OUN-Bandera: An Open Debate With Whom?.

Eine Studie zur Mythenproduktion um die OUN/UPA und Bandera findet sich in diesem Paper: The OUN, the UPA and the Holocaust: A Study in the Manufacturing of Historical Myths, The Carl Beck Papers in Russian and East European Studies 2107 (Pittsburgh: University Center for Russian and East European Studies, 2011). Losynsky wird auf den Seiten 36/37 erwähnt.


Offener Brief an den Botschafter Deutschlands in der Ukraine

12. März 2012

An den Außerordentlichen und Bevollmächtigten Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in der Ukraine,
den geehrten Herrn Dr. Hans-Jürgen Heimsoeth

Eure Exzellenz,

unser Schreiben an Sie ist durch ein gewisses Unbehagen der ukrainischen internationalen Gemeinschaft veranlasst. Ihre Gewährung der Möglichkeit am 1. März 2012 den Vortrag „Bandera – ein Faschist“ eines deutsch-polnischen Wissenschaftsanfängers zu halten, der nur durch seine extremistischen Aussagen bekannt ist, wird von uns als Signal für einen anti-ukrainischen Ruck in der Regierung der Bundesrepublik Deutschland angesehen. Unser Standpunkt ist, dass, obwohl die Entscheidung zur Durchführung dieser Veranstaltung möglicherweise einfach jemand in Ihrer Botschaft getroffen hat, die Schuld hierfür vollständig bei der deutschen Regierung liegt.

Es geht nicht um die Frage der Freiheit der Presse oder der Forschung, welche in unseren beiden Ländern geehrt werden. Außerdem bewerten wir hier nicht die Vertrautheit oder Nichtvertrautheit der Botschaft mit dem Thema. Diesbezüglich halten wir uns von einer Korrektur jedweder empörender Erklärungen, die im Zuge der Präsentation abgegeben wurden, zurück. Wir haben diesbezüglich nichts mit der deutschen Botschaft zu besprechen. Stepan Bandera war ein ukrainischer Nationalist des 20. Jahrhunderts, der für die Unabhängigkeit der Ukraine kämpfte. Er war ein Held für uns und damit, natürlich, ein Feind für die anderen. Er kämpfte für das ukrainische Volk gegen das imperiale Polen, Sowjetrussland und Nazideutschland, die alle die Ukraine zu verschiedenen Zeiten besetzt hatten. Polnische, russische, deutsche, ukrainische und andere Wissenschaftler können seine Tätigkeit und seine Briefe diskutieren. Eine Botschaft, die sich in Kiew, in der Ukraine befindet, ist dazu jedoch nicht befähigt und ihr wurden auch keine Vollmachten dafür erteilt.

Wir schätzen den Großteil aller Anstrengungen, die auf eine Förderung von Bildung und Verbreitung von Informationen gerichtet sind. In diesem Fall jedoch, wenn schon der Titel des Vortrages eine grobe Provokation darstellt und er von einem unbekannten Wissenschaftler, der einzig durch seine extremistischen Ausfälle bekannt wurde, gehalten wird, sollte das bereits hinreichender Grund für Ihre Institution sein, eine Anfrage auf Gewährung von Räumlichkeiten abzulehnen. Außerdem sollte Ihre Behörde umsichtig genug sein, in Erfahrung zu bringen, warum keine geachtete Bildungseinrichtung in der Ukraine bereit gewesen war, diese Veranstaltung durchzuführen. Scheinbar ist Ihr Behörde zeitgleich taub und blind geworden.

Die Respektlosigkeit und offensichtliche Missachtung des diplomatischen Rahmens mit diesem Ereignis, bei dem – ziemlich ungewöhnlich für eine Botschaft – derart sorgfältig und öffentlich in der Geschichte der Figuren des gastgebenden Landes gewühlt wurde, kann uns zu der Annahme verleiten, dass jemand in Ihrer Botschaft eine Demütigung und Beleidigung zum Ziel hatte. Wahrscheinlich ist auch, dass einfach nur ein Fehler begangen oder dem Geschehen nicht genügend Aufmerksamkeit gewidmet wurde und der Botschafter wäre die letzte Person, die hiervon Kenntnis genommen hätte.

Wir würden gerne die Möglichkeit für eine Klärung anbieten, warum dieses Ereignis stattgefunden hat, und Ihre Ergebnisse mit überzeugenden Erläuterungen vorzustellen. Als Alternative könnte eine ehrlich gemeinte Entschuldigung vor dem internationalen Ukrainertum für diese falsche Entscheidung der Botschaft dienen. Dieses Ereignis mag für Sie, aufgrund der eingeschränkten Beteiligung, unbedeutend erscheinen. Wir versichern Ihnen aber, dass der Widerhall darauf beträchtlich war.

Seien Sie ebenfalls versichert, dass wir in dieser Frage auch weiterzugehen bereit sind. Wir haben vor damit zu beginnen, die Ukrainer von der Ukraine bis Neuseeland zu einem Boykott deutscher Erzeugnisse oder einem Verzicht auf Fahrten nach Deutschland aufzurufen, und sogar Demonstrationen vor deutschen diplomatischen Missionen auf der ganzen Welt zu organisieren. Schließlich, da diese Verunglimpfung mit Beteiligung der deutschen Botschaft und damit sozusagen auf dem deutschen Hoheitsgebiet erfolgte, sind wir bereit den lebenden Angehörigen der Familie von Bandera dabei zu helfen die Möglichkeit einer Verleumdungsklage gegen Deutschland in Betracht zu ziehen. Dieses Szenario betrachten wir ungerne. Wenn Sie sich jedoch bei der Korrektur dieses Fehlers nicht kooperativ zeigen werden, so wird unser Vorgehen entschieden sein.

Die deutsch-ukrainischen Beziehungen müssen mit großem Interesse unserer beiden Länder gepflegt und ausgebaut werden, bedingt durch die Nähe, die gemeinsamen wirtschaftlichen und politischen Ziele und die gemeinsamen kulturellen/humanitären Probleme. Berücksichtigt man die Größe und strategische Lage unserer beiden Länder, handelt es sich dabei nicht um kleine Ziele und Probleme. Wir sind sicher, dass Sie diese Beziehungen wertschätzen. Deshalb werden Sie auch verstehen, dass es notwendig ist, sich gegenseitig zu respektieren und entsprechend auch die Kultur und Geschichte des Gegenübers. Und das schließt mindestens eine diplomatische Achtung vor den Helden des Partnerlandes ein.

Es muss noch viel für eine Festigung der ukrainisch-deutschen Freundschaftsbande getan werden. Bedauerlicherweise stellten die letzten Ereignisse in Ihrer Botschaft einen Schritt rückwärts dar. Wir hoffen ehrlich darauf, dass Sie nun einen Schritt nach vorne machen werden.

Hochachtungsvoll,

Weltkonferenz der ukrainischen staatlichen Organisationen

Quelle: Four Freedoms

Übersetzer:   Leo Litke  — Wörter: 1000

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