Operation Belarus: Russlands Zwischenstation zu einem großen Krieg?
Aktuelle Gefahrenszenarien und die weitere Entwicklung im russischen Krieg gegen die Ukraine und gegen die aktuelle Friedens- und Sicherheitsordnung in Europa und der Welt.
In meinem Artikel „Wie Russland in die Ostukraine einmarschiert ist und seine Invasionskräfte steuert“ vom 07. Mai 2016 habe ich ausführlich dargelegt, wie Russland seine Invasionskräfte steuert und wie selbst am heimischen PC der russische Einmarsch mit regulären Streitkräften im Donbass nachvollzogen werden kann. Anhand der frei zugänglichen Satellitenbilder (z.B. über Google Earth) werden die russischen Feldlager in unmittelbarer Grenznähe und auch das massive Artillerie- und Raketenfeuer auf ukrainische Stellungen in Grenznähe im Zeitraum Juli-September 2014 von Stellungen, die sich auf russischem Territorium befanden, sichtbar.
In meinem Artikel vom 14. August 2014 habe ich den Aufbau von militärischer Infrastruktur der russischen Streitkräfte an den Grenzen zur Ukraine näher in den Fokus gerückt.
Geopolitisch sind 2016 mit dem Brexit und der Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der USA für die Ukraine und die EU klar negativ zu bewertende Ereignisse eingetreten. Der Populist befeuert die Phobien des Wutbürgers, ob in Amerika mit Trump, in Frankreich mit Le Pen oder in Deutschland mit der AfD und Russland unterstützt ganz gezielt solche Kräfte. Die Populisten und einige korrumpierte Eliten (pro-russische Lobby) sollen bei der systematischen Zerstörung der globalisierten Welt und ihrer heutigen Sicherheits- und Friedensordnung helfen und aufgrund der vorhandenen Ängste in der Bevölkerung werden politische Kräfte, die gegen den Freihandel agitieren und eine antidemokratische Einstellung verkörpern immer beliebter. Radikale politische Kräfte vom linken und rechten Rand werden ebenso verstärkt von Russland unterstützt, wie auch etablierte politische Kräfte, die man für seine Ziele einsetzen möchte. Russlands Desinformationskampagnen gewinnen ebenso an Schärfe wie die gezielten Cyberangriffe auf wichtige staatliche Einrichtungen, Ministerien, Parlamente europäischer NATO-Staaten. Aktuelle Cyber-Angriffe wurden von den Außenministerien Polens und der Tschechischen Republik vermeldet. Die Server des Bundestages und der Bundesregierung waren anscheinend den Indizien nach zu urteilen bereits russische Angriffsziele.
Wie die russische Propaganda ukrainische „Banderowzy-Nazis“ kreiert.
Mit Sicherheit lässt sich sagen, dass die geopolitischen Ambitionen nicht nur auf die Ukraine und die ehemaligen Sowjetrepubliken beschränkt sind, wo man in Moskau ein uneingeschränktes Einflussgebiet für sich beansprucht, was mit der Ideologie einer sogenannte „russländischen Welt“ (Russkij Mir) manifestiert wird und sich darin äußert, dass der ukrainischen und belarussischen Sprache, Kultur und Nation das Existenzrecht abgesprochen wird. Dem russischen TV-Publikum – und das TV ist das wichtigste Medium zum Empfang von Nachrichten in Russland – wird seit Sommer 2013 systematisch eingeimpft, dass die Ukraine kein funktionierender Staat sei (fast jeden Tag hört man Begriffe wie: „Nedogosudarstwo“ – was für einen nicht lebensfähigen Pseudostaat steht), mit der Revolution der Würde wurde aus Ukrainern (gemeint sind hier alle ukrainischen Staatsbürger als Teil einer ukrainischen Bürgernation oder politischen Nation unabhängig von ihrer ethnischen Herkunft oder Religionszugehörigkeit) pauschal sogenannte „Faschisten“ oder „Banderowzy“ – Anhänger von Stepan Bandera, Anführer der Organisation der ukrainischen Nationalisten – OUN vor, während und nach dem 2. Weltkrieg, wobei es in dieser Organisation Ende der 1930er zu einer Spaltung in zwei Organisationen kam. Bandera verbrachte drei Jahre im deutschen KZ und kurioserweise hat der sowjetische Staatsanwalt bei den Nürnberger Prozessen die Repressionen der deutschen Besatzung gegen die sogenannte „Bandera-Bewegung“ als Beweis für die deutschen Verbrechen vorgelegt. Tatsächlich wurden Anhänger der OUN systematisch verfolgt, erschossen bzw. erhängt. OUN und die Aufständigen-Armee UPA haben also keineswegs mit den Deutschen kollaboriert, sondern sie auch aktiv mit Partisanentaktik bekämpft. Beispiele hierfür sind gezielte Operationen gegen Truppenteile der Wehrwacht in Wolhynien 1943. Umstritten sind OUN-UPA dennoch, aber dies betrifft vor allem die Aufarbeitung der interethnischen Konflikte zwischen Polen und Ukrainern, die im Zuge des 2. Weltkriegs in massenhafter gegenseitiger Gewalt umschlug und 2003 zu der Formel geführt hat: „Vergebt uns, wir auch wir Euch vergeben“. Gerne wird jedoch von russischer Seite gezielt mit der schwierigen ukrainisch-polnischen Geschichte der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts gespielt und manipuliert. Alle Ukrainer werden unter der Berufung auf die Person von Bandera als Faschisten dargestellt, die, wie es in den russischen politischen Talk-Shows oft heißt, den Verstand verloren hätten. Den Zuschauern wird verschwiegen, wie der sowjetische Staatsanwalt die sogenannte „Bandera-Bewegung“ während der Nürnberger Prozesse eingestuft hat- als Widerstandskämpfer gegen das deutsche nationalsozialistische Besatzungsregime, während OUN-UPA in einer sogenannten Anti-Terror-Operation in der Westukraine in den Jahren 1945-1947 von Spezialtruppen des NKWD’s mit einer Stärke von 500.000 Mann bekämpft wurden. OUN-UPA stehen für den Widerstand gegen beide totalitären Systeme, aber im Zuge der polnisch-ukrainischen interethnischen Konflikte gegenseitig verübten Massenverbrechen und die unklare Rolle von OUN-UPA werfen sicherlich einen Schatten auf eine zu positive Deutung von OUN-UPA in der Ukraine, was man allerdings aufgrund der existenziellen Bedrohung für die ukrainische Staatlichkeit nachvollziehen kann. Eine gemeinsame polnisch-ukrainische Historiker–Kommission hat längst (bereits vor acht Jahren) eine 7-bändige Aufarbeitung der gemeinsamen Beziehungen geliefert, in denen beiderseits die gegenseitig verübten Verbrechen anerkennt werden und Versöhnung im Mittelpunkt steht. Die Moskauer Propaganda zielt mit der Gleichsetzung von Ukrainern als „Banderowzy“ nicht nur auf die russische Bevölkerung, sondern auch auf die polnische, da Polen ein wichtiger internationaler Partner der Ukraine ist. Seit 2015 gibt es eine gemeinsame polnisch-litauisch-ukrainische multinationale Brigade.
Russische Propaganda – Ukrainer sind keine eigenständige Nation
Am 28. Oktober 2016 erklärte der russische Präsident Wladimir Putin auf dem alljährigen Waldai-Forum, dass Russen und Ukrainer ein Volk seien, was getrost als Kriegserklärung verstanden werden kann.
Das dem überhaupt nie so war, zeigt die eindrucksvolle 3-teilige Dokumentation „Rückkehr zur eigenen Geschichte“, eine Produktion des TV-Sender 1+1 auf Ukrainisch, wie Russland über Jahrhunderte versucht hat, die ukrainische Identität zu vernichten und die Geschichte unter anderem der Kyjiwer Rus einzuverleiben, gleichwohl der sogenannte Moskauer Staat mit dem Kyjiwer Staat nichts gemein hatte, war er doch zur Blütezeit der ersten de-facto ukrainischen Staatlichkeit nur in ein weites Sumpfgebiet eingebettet….
Um behaupten zu können, die Ukrainer gäbe es als eigenständige Nation nicht, wurde Geschichte systematisch gefälscht, Kulturdenkmäler entwendet oder zerstört oder zur Abwechslung 1709 eine ganze Stadt (Baturyn) niedergemetzelt, denn das Blut sollte über den Dnipro die gesamte Ukraine erblicken…
Kriegsziel Russlands ist nicht die Verteidigung von etwaigen Rechten einer angeblich „russisch-sprachigen“ Bevölkerung (was nur ein reiner Propagandabegriff ist und mit den tatsächlichen Begebenheiten wenig zu tun hat – so liegt der Anteil der Bürger ukrainischer Nationalität im Gebiet Cherson an der administrativen Grenze zur von Russland annektierten Halbinsel Krim bei über 80 Prozent und selbst im sogenannten Donbass (obwohl dort Priasowja und Teile vom historischen Gebiet „Sloboschanschtschyna“ oft mit dazugezählt werden) liegt der Anteil der Bürger russischer Nationalität laut dem Zensus von 2001 klar weit unter 50 Prozent, der übrigen Ostukraine erreicht er im Durchschnitt nicht einmal 25 Prozent . Russland manipuliert, in dem es Ukrainer und Bürger anderer nicht-russischer Nationalitäten vereinnahmt, die aufgrund der Folgen der starken Russifizierung und Sowjetisierung – besonders in den Industriezentren der Ostukraine ihren Bezug zur eigentlichen Muttersprache verloren haben. So ergibt im Donbass das vermeintliche Bild einer russischsprachigen Dominanz. Dies trifft allerdings nur auf die Städte zu, während in den Dörfern Ukrainisch als Muttersprache und im Alltag der „Surschyk“ eine Mischsprache aus Ukrainisch und Russisch, mit ukrainischer Phonetik, allerdings mit teilweiser gemischter Lexik gesprochen wird. Der „Surschyk“ ist im Prinzip auch nur eine Folge einer Russifizierungspolitik seit den Zeiten des russländischen Zarenreiches.
Laut dem Bevölkerungszensus von 2001 lebten zum Zeitpunkt der Volkszählung im Oblast Donezk 352.688 Ukrainer im ländlichen Raum, davon sprachen 276.856 Ukrainisch als Muttersprache, gegenüber 89.158 Russen und davon 83.756 mit Russisch als Muttersprache.
Allerdings gibt es über den Donbass (die Gebiete Donezk und Luhansk) hinaus gibt es trotz Folgen der Russifizierung keinen einzigen Oblast (Gebiet), in dem die sogenannten Russisch-Muttersprachler einen Anteil von 50 Prozent und mehr der Bevölkerung stellen würden. Im Durchschnitt liegt hier Anteil in der übrigen Ost- und Südukraine bei unter 1/3 der Bevölkerung. Von einer russisch-sprachigen Ostukraine zu sprechen ist rein manipulativ und entspricht nicht der Realität. Vielmehr ist die ukrainische Sprache und Kultur ein Immunitätsfaktor. Russland plante ein Neurussland (siehe Pressekonferenz von Wladimir Putin vom April 2014) von Donezk, Luhansk über Charkiw, Dnipro (ehemals Dnipropetrowsk), Saporischschja, Cherson, Mykolajiw bis Odessa. Hauptstadt von Neurussland sollte Charkiw werden. Dafür hat man versucht das Krim-Szenario eins zu eins auf diese Gebiete zu übertragen, konnte allerdings in keinem Gebiet außerhalb des Donbass kritische Massen gewinnen und auch im Donbass kann man nicht per-se von einer pro-russischen Mehrheit sprechen, sondern die pro-ukrainischen Demonstrationen im März und April in Donezk waren zahlenmäßig sogar bedeutender als entsprechende pro-russische Demonstrationen mit aus Südrussland zugereisten „Touristen“. Aber diese Gebiete unterschied vom Donbass ein mehrheitlich ukrainisches Schulwesen. Eine ganze Generation der Unabhängigkeit ist auch im Osten und Süden der Ukraine herangewachsen, was eine radikale Verschiebung elektoraler und geopolitischer Sympathien zur Folge hatte. Während die elektorale Karte noch 2010 eine vermeintlich „gespaltene Ukraine“ zeigte, so erreichte der jetzige Präsident der Ukraine 2014 bei seiner Wahl in jedem Oblast zumindest eine einfache Mehrheit (eingeschlossen der Kreise in den Oblasten Luhansk und Donezk, in denen die Wahlen stattfinden konnten). Selbst für den Donbass und die Krim wurde in einer Umfrage der „Demokratischen Initiativen“ (durchgeführt mit dem Kyjiwer Internationalen Institut für Soziologie) im Dezember 2011 unter der Altersgruppe 18-29 Jahren eine Zustimmung für einen EU-Beitritt der Ukraine in der Zukunft von 52 Prozent festgestellt. Auch im Kreml wurden diese Prozesse wahrgenommen, so dass man sich 2013 auf entsprechende Kriegsoperationen gegen die Ukraine aktiv begonnen hat, vorzubereiten.
Überblick: kurze Rekapitulation – Phasen des russischen Kriegs gegen die Ukraine
Kein „spontaner Aufstand“ von „Separatisten“
Ich wünschte, das deutsche TV-Publikum bekäme Berichte dieser Art zu sehen. Vielleicht wird man dann irgendwann soweit sein, einzusehen, dass es weder politisch noch militärisch im Donbass wirkliche entsprechend selbstständig organisierte „Separatisten“ gibt und gab. Es gab vorher nicht einmal eine öffentlich wahrnehmbare Bewegung oder eine vernehmbare breite Unterstützung der Bevölkerung… Dieser Beitrag gibt sehr gut (zusammenfassend) Auskunft, wie der Kreml die besetzten Gebiete politisch steuert…Der Kurator für den Donbass war ja trotz Sanktionen bei den Verhandlungen in Berlin dabei…Dank des „Surkow-Leaks“ – von Hackergruppen beschaffte Dokumente aus den Jahren 2013-2016 wissen wir, dass nichts spontan und nichts zufällig war. Ebenso kennen wir bereits im Detail die militärische Organisation der russischen Armeekorps, die in die Strukturen des südrussischen Militärbezirks integriert sind.
Wie lange wird einem in den Medien noch der vollkommen falsche Begriff „pro-russische Separatisten“ begegnen?
Die „Konfliktlösung“ und die Erarbeitung einer realistischen Roadmap mit flankierenden Sanktionen und potenzieller Sanktionserweiterungen fangen hier an….
Wer das Problem und die Einflussfaktoren falsch definiert, der wird selbst mit Minsk 100 nicht ins Ziel finden…
Erst künstliche gecastete Helden, dann liquidiert oder das Märchen von „Rebellen“
Ein gewisser Herr Pawlow, Automechaniker oder Autowäscher aus Russland mit sadistischen Neigungen und der Lust am Töten wird mit den russischen Söldnern im Frühjahr 2014 in den Donbass gespült, wird vom russischen TV entdeckt und soll fortan als „Motorola“ einen angeblichen „Volksaufstand“ im Donbass verkörpern, an der Seite des ehemaligen Mitarbeiter der Hauptabteilung der russischen Militäraufklärung des russischen Generalstabs (GRU) Girkin, der den Kunstnamen „Strelkow“ verpasst bekommt. Motorola war nur Laienschauspieler. Er durfte in Propaganda-Videos als Kommandeur auftreten, seine sadistischen Neigungen an ukrainischen Gefangenen ausüben, wobei er nach eigenen Angaben 15 erschossen haben soll und eine Eigentumswohnung hat er sich in Donezk auch unter den Nagel reißen dürfen…Er hat nie wirklich militärisch irgendeine wichtige Rolle gespielt. In den größeren Operationen wie Debalzewe waren es ausschließlich reguläre Einheiten der russischen Armee, welche die Operation geführt haben. Im Falle von Debalzewe zehn hochmobile taktische Bataillonsgruppen. „Motorola“ war nur die Außendarstellung im Propaganda-TV. Er wurde in Russland zu einer eigenen Marke mit einem Wert, obwohl er militärisch gesehen vollkommen wertlos war. Er wusste allerdings viel und seine Verbrechen gefährdeten langfristig sogenannte Kuratoren, die ihn beseitigen haben lassen. Dabei verfolgt der Kreml noch ein Ziel. Man nimmt den Faden von angeblichen ukrainischen Sabotagetrupps wieder auf. Auf der Suche nach dem „Casus Belli“ und schickt den gecasteten sogenannte „Präsidenten“ der Pseudo-DVR vor, welcher prompt verlautbaren lässt: „Dies sei eine Kriegserklärung seitens der Ukraine…“
Derweil drohte Putin im Oktober 2016 öffentlich auf einer Pressekonferenz mit ausgewählten Journalisten, dass es nie Frieden im Donbass geben werde, wenn die Ukraine nicht der Legalisierung eines de-facto russischen Protektorats zustimmen sollte….Welch ein Zufall….
Mit anderen Worten: Die russische Artillerie soll erst schweigen, wenn die Ukraine ihr Todesurteil unterschreibt und einen Desintegrationsprozess einleitet.
Ukrainische Artillerieangriffe werden für das russische TV-Publikum gestellt
Es wird nun auch für das internationale Publikum immer klarer, dass im besetzten Teil des Donbass alles von Russland kontrolliert wird. Ein Team von France 24 konnte mit eigenen Augen sehen, wie russische TV-Propaganda über angebliche ukrainische Beschüsse friedlicher Städte entstehen. Die Beschüsse organisieren die Armeekorps selbst. Alles wird mit den russischen TV-Teams abgesprochen. Was viele Bewohner im Internet immer wieder berichten und die ukrainische Militäraufklärung immer wieder in ihren Lageberichten schreibt, konnte nun direkt eingefangen und nachgewiesen werden.
Hier finden Sie die Reportage von France-24:
Es reift endlich die Einsicht, dass es militärisch und politisch eigentlich gar keine wirklichen „Separatisten“ gibt. Zumindest gab es vorher überhaupt keine gewachsene Bewegung, die irgendwelche politische Forderungen gestellt hätte und eine breite Unterstützung hatte…. Es gab so eine Bewegung schlicht weg nicht. Selbst marginale Bewegungen waren öffentlich nicht sichtbar.
Der Tod von Terroristen als möglicher „Casus Belli“
Der Tod eines Nichtsnutzes, Sadisten und kriminellen russischen Söldners als „Casus Belli“…. Der russische Nachrichtensender Russia-24 widmet sich diesem Ereignis sofort in einem 15-minütigen Bericht mit Live-Schaltung. Das offizielle Russland trauert um einen Sadisten und wirft der Ukraine „Terrorismus“ vor. Motorola und rund 50.000 ehemalige russische Söldner, die bereits im „all-russischem Verband der Freiwilligen des Donbass“ organisiert sind (gegründet vom russischen Polittechnologen Borodai, welcher die DVR miterschaffen und bis Ende Juli 2014 geleitet hat), müssten nach russischem Recht alle zu Gefängnisstrafen verurteilt werden. Sie wurden jedoch in verschiedenen Zentren gezielt angeworben. Dazu kommen im Rotationsprinzip bis zu 100.000 reguläre Soldaten, die bisher eingesetzt wurden- ohne Kriegserklärung. 2015 wurden zwei russische Armeekorps als dauerhafte Invasionsstreitmacht geformt, die über das Zentrum der Territorialstreitkräfte im südlichen Militärbezirk gesteuert werden. Russland betreibt Staatsterrorismus und wirft der Ukraine Terrorismus vor, weil unter ungeklärten Umständen ihr eigener Terrorist gestorben ist….. Als Deckmantel für den massiven Einsatz von 122 mm und 152 mm Artillerie nach dem gefühlt 1000. Versprechen, dass die Waffen jetzt schweigen würden….Ein Terrorist als möglicher „Casus Belli“…
Die beiden russischen Armeekorps als Invasionsstreitmacht im Donbass
Kategorie | Armeekorps I | Armeekorps II |
---|---|---|
operatives Gebiet | Oblast Donezk | Oblast Luhansk |
Befehls- und Kommando-Steuerung | Zentrum der Territorial-Streitkräfte im südrussischen Militärbezirk | Zentrum der Territorial-Streitkräfte im südrussischen Militärbezirk |
Mann-Stärke (circa) | 20.000 | 15.000 |
Angehörige regulärer Armeeeinheiten der russischen Streitkräfte (Kommandoführung, Offiziere, Soldaten) | 25 Prozent | 25 Prozent |
5.000 | 3.750 | |
weitere Söldner aus Russland (aus dem Dienst ausgeschiedene Offiziere, Soldaten und Kriegserfahrene) | 50 Prozent | 50 Prozent |
10.000 | 7.500 | |
weitere angeworbene Kräfte (aus anderen Ländern) sowie angeworbene und eingezogene lokale Kräfte | 25 Prozent | 25 Prozent |
5.000 | 3.750 | |
Im Rotationsprinzip im Rostower Gebiet befindliche Reserve als schnelle Eingreiftruppen in Form von mobilen Bataillons-Kampfgruppen, verlegbar innerhalb weniger Stunden | bis 10.000 | bis 10.000 |
Weitere schnell verfügbare Kräfte im Rostower Gebiet und Nordkaukasus bei Bedarf zur Verlegung | bis 30.000 | bis 30.000 |
Offizielle russische Darstellung als „Volkswehr“, in Wahrheit eigene Invasionsstreitmacht
Nach übereinstimmenden Angaben von ukrainischer Militäraufklärung und Generalstab vom Oktober 2016 befinden sich in den besetzten Gebieten des Donbass zwei russische Armeekorps mit einer Anzahl an militärischem Personal von 35.000 Mann (darunter 25 Prozent aktive Kader-Offiziere- und Soldaten der russischen Armee, 50 Prozent geworbene Söldner- zum größten Teil aus der Reserve der russischen Armee und 25 Prozent sonstige Kräfte; wobei alle Kommandopositionen von russischen Kaderoffizieren besetzt sind und alle Operationen über das Zentrum der Territorialstreitkräfte im südrussischen Militärbezirk vom russischen Generalstab gesteuert werden) und zusätzlich 6000 weitere reguläre russische Soldaten und Offiziere, die sich aus gesonderten taktischen Bataillonsgruppen, Flugabwehr und Spezialeinsatzkräften zusammensetzen.
Somit befinden sich rund 13.000-14.000 reguläre russische Soldaten und Offiziere sowie rund 17.500 Kräfte aus der Reserve im Donbass. In Wahrheit also über 30.000, die alleine mit über 600 Kampfpanzern ausgestattet sind – mehr als die Bundeswehr zur Verfügung hat.
Bewaffnung der russischen Armeekorps im Donbass (Stand: September 2016)
Dabei möchte ich ganz besonders auf die Arbeit der Volontäre von Inform Napalm zur russischen Waffensystemen im Donbass hinweisen. In mühevoller Auswertung und Geolokalisierung von Aufzeichnungen und Bildern in sozialen Netzwerken und Videos hat man per Stand von September 2016 ein Video zusammengestellt, welches die Militärtechnik und Waffensysteme der russischen Invasionstruppen zeigt, die nur von der russischen Armee eingesetzt werden, nicht exportiert werden und in der Ukraine vor 2014 nicht vorhanden waren. Dabei gelang es zum Teil auch die dazugehörige Einheit zu identifizieren, welches dieses militärische Gerät benutzt. Das Video wurde auch Ende 2016 im Stabsquartier der NATO präsentiert.
System der Kommandoführung (Personalien Stand August 2016)
Tabu-Thema – gefallene russische Soldaten
Das Thema der gefallenen und verwundeten russischen Soldaten und Offiziere ist in Russland absolut tabu. Und nachdem in „westlichen Medien“ noch 2014 darüber berichtet wurde, herrscht seit dem Erlass des Präsidenten Wladimir Putin über die strikte Geheimhaltung über die Verluste bei Auslandseinsetzen in „Friedenszeiten“ sprichwörtliche Totenstille.
Minsk II ist nicht das Ende der russischen Pläne, sondern der erst der Anfang – oder die weitere Einkreisung der Ukraine.
Zwei Jahre nach dem Abkommen von Minsk zeigt nicht erst die jüngste Eskalation an der Kontaktlinie, wo allein in fünf Tagen zwischen dem 29.01. und 04.02.2017 7.500 Artilleriegeschosse (122 und 152 mm), Mörser (120 mm), Panzergeschosse (125 mm) und Grad-Raketen auf die ukrainischen Stellungen bei Awdijiwka seitens der Truppenteile des 1. Russischen Armeekorps abgefeuert wurden, dass Russland nicht an einer De-eskalation oder gar Wiederherstellung der vollen Souveränität der Ukraine über ihr gesamtes Staatsgebiet interessiert ist, obgleich die Minsker Verträge als russische UN-Resolution 2015 einen angeblich bindenden Charakter besitzen. Allerdings ist die Terminierung des Punktes – Rückübertragung der vollen Kontrolle über die Staatsgrenze im Luhansker und Donezker Gebiet an die Ukraine mit dem 31.12.2015 bereits seit über zwei Jahren abgelaufen… Ohne das Russland momentan weitere Konsequenzen der Weltgemeinschaft fürchten muss. Dies ermutigt Russland zu weiteren Schritten, wie bereits in meinem Artikel vom 14. August 2014 dargestellt, liegt der russische Fokus im Aufbau von militärischer Infrastruktur der russischen Streitkräfte an den Grenzen zur Ukraine und auf der annektierten Halbinsel Krim.
Vollkommen untergegangen ist in der internationalen Berichterstattung dabei der Erlass des russischen Präsidenten Nr. 329 vom 08.07.2016.
Erlass Nr. 329 vom 08.07.2016
Laut dem Global-Fire-Power-Index 2016 betrug die Anzahl des aktiven Militärpersonals vor dem 08.07.2016: 766.000. Mit dem Erlass Nr. 329 vom 08.07.2016 beträgt die neue Anzahl: jetzt eine Million, ein Zuwachs von +234.000 Mann!
Die Frage nachdem „Warum“ lässt sich teilweise mit den Aussagen aus der Pressekonferenz des Leiters des russischen Generalstabs nach dem Großmanöver „Kawkas 2016“ vom 14.09.2016 beantworten.
Bis Jahresende 2016 sollten demnach 30 weitere taktische Bataillonsgruppen gebildet (zusätzlich ca. 20.000 Mann) werden. Diese hochmobilen Einheiten haben alle Angriffsoperationen gegen die Ukraine im Donbass geführt.
Die Gesamtzahl sollte dann zum Jahresende 2016: 96 betragen und im Verlauf des Jahres 2017: 115 und 2018: 226 erreichen.
Das nächste Großmanöver wurde von Gerassimow am 14.09.2016 bereits groß angekündigt: „Westen 2017“. „Westen 2013“ war der Auftakt zu den Kriegsvorbereitungen gegen die Ukraine.
An „Kawkas 2016“ nahmen insgesamt 125.000 Mann (aktives Militärpersonal) teil. In fünf Tagen wurden dabei 500 Tonnen Munition verschossen. „Westen 2017“ kann dieses Ausmaß nochmals deutlich übertreffen. Zeitgleich mit dem geplanten Manöver soll auch die Eisenbahnstrecke, welche den Nordosten der Ukraine umschließt fertiggestellt sein. Übrigens ein gemeinsames „Infrastrukturprojekt“ des russischen Verteidigungsministeriums und der russischen Eisenbahngesellschaft. Die neuen Militärbasen an den Grenzen zur Ukraine und Belarus sind dann ebenfalls alle mit ihrer kompletten Infrastruktur (einschließlich Wohnblöcke für Soldaten und Offiziere) fertig.
Konzentration von russischer militärischer Infrastruktur an der nordöstlichen Grenze zur Ukraine
Einheit (Stützpunkt) | Mann-Anzahl | Entfernung zur ukrainischen Grenze (Oblast) |
---|---|---|
150. gesonderte Garde-Motschützendivision (Kadomwoskij bei Nowotscherkassk, Rostower Gebiet) | 10.500 | 50-60 km (Oblast Donezk, Luhansk) |
10. Panzerdivision der 1. Gardepanzerarmee (Bogutschar, Gebiet Woronesch) | bis 12.500 | 45 km (Oblast Luhansk, Gebiet Slobozhanschtschyna, angrenzend an den Oblast Charkiw) |
23. gesonderte Motschützenbrigade (Waluki) | bis 5000 | 20 km (Oblast Luhansk, Oblast Charkiw |
28. gesonderte Motschützenbrigade (Klinzy, Brjansker Gebiet) | bis 5000 | 50 km (Oblast Tschernihiw, 45 km zu belarussischen Grenze an der Hauptverkehrsverbindung nach Homel) |
Neben der Ukraine wird spätestens Ende August auch Belarus in den Fokus der Weltöffentlichkeit rücken. Eine militärische Besetzung von Belarus würde eine völlige Einkreisung der Ukraine mit militärischer Infrastruktur bedeuten und könnte unter Berücksichtigung des starken militärischen Ausbaus der Krim einen Angriff von vier Seiten bedeuten: von der Krim (Stoßrichtung Odessa), vom besetzten Donbass (Stoßrichtung Landbrücke Krim und Gebiete Saporischschja und Dnipro), vom Nordosten (über das historische Gebiet Sloboschanschtschyna der Gebiete Nordluhansk, Charkiw, Sumy) und von Belarus (aus dem Gebiet Homel mit Stoßrichtung Kyjiw). Wenn solche Pläne existieren sollten, dann wäre zuerst die volle politische und militärische Kontrolle über Belarus seitens Russlands zu erlangen.
Fokus auf Belarus. Steht die Besetzung von Belarus bevor?
Anlass für Spekulationen bietet das russische Verteidigungsministerium selbst. Aus dem einheitlichen Vergabesystem für öffentliche Aufträge der Russischen Föderation ist ersichtlich geworden, dass für den Transport von Bewaffnung, Munition, Militärfahrzeugen der russischen Streitkräfte in die Republik Belarus 4162 Eisenbahnwaggons bestellt wurden, während es 2015 und 2016 für gemeinsame Manöver nur 125 und 50 waren. Insgesamt vergibt das russische Verteidigungsministerium Aufträge für 5265 Eisenbahnwaggons. Auffallend ist dabei noch, dass 131 Eisenbahnwaggons für Militärtransporte nach Transnistrien vorgesehen sind, nach 30 und 20 für 2015 und 2016.
Grund für diese massive Verlegung von Militär sind die strategischen Stabskommandoübungen „Westen 2017“ (Sapad 2017), welche im westlichen Militärbezirk der Russischen Föderation und in Belarus abgehalten werden. Belarus ist formell Teil eines Unionsstaates mit Russland, der allerdings mehr auf dem Papier (bisher) existiert und eigentlich als Integrationsprojekt gescheitert ist, da weder handlungsfähige Strukturen noch eine Währungs- und Wirtschaftsunion umgesetzt wurden. Außerdem ist Belarus Teil der Zollunion sowie der sogenannte Eurasischen Wirtschaftsunion und dem kollektiven Verteidigungsbündnis (Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit, kurz: OVKS (Russisch: Организация Договора о коллективной безопасности – ОДКБ). Während die belarussische Verfassung Neutralität vorschreibt, ist Belarus de-facto und de-jure ein Bündnispartner Russlands und Teil eines Systems von kollektiver Sicherheit und Verteidigung zusammen mit Russland, Armenien, Kasachstan, Kirgisistan und Tadschikistan.
Russische Luftwaffe möchte einen dauerhaften Stützpunkt in Belarus
Russland bereitet sich zum Einsatz der Luftwaffe gegen die Ukraine vor, diese Schlussfolgerung muss man aus den Militärübungen ziehen, die 2016 anberaumt wurden.
Am 26. Oktober wurde unter Ausnutzung der Verpflichtungen der Republik Belarus im Rahmen des sogenannten Unionsstaates mit Russlands von der russischen Luftwaffe im Luftraum von Belarus ein Manöver abgehalten, um potenzielle massive Luftangriffe auf strategische Objekte der Ukraine zu simulieren.
Für die Ausführung von Manöveraufgaben entlang der ukrainischen Grenze wurde im belarussischen Luftraum das AWACS-Flugzeug Berijew A-50 U zur Kontrolle des nordwestlichen Luftraums der Ukraine und der Steuerung der strategischen Luftwaffe eingesetzt. Im Manöver wurden strategische Langstreckenbomber des Typs TU-160 und TU-22M3 der russischen Luftwaffe eingesetzt, die entlang der ukrainischen Grenze geflogen sind und das Abfeuern von Raketen simulierten. Zwei weitere Bomber des Typs SU-34 haben Manöveraufgaben bezüglich der Simulation von gezielten Raketen- und Bombenangriffen ausgeführt.
Oleksandr Turtschynow hatte im September 2015 vielleicht recht gehabt. Die Luftoperation in Syrien sei nach seinen Worten die Vorbereitung auf den Einsatz der Luftwaffe in der Ukraine. Belarus hat sich jedoch bisher den russischen Bestrebungen einer dauerhaften Stationierung der russischen Luftwaffe widersetzt.
Die Wirtschaft von Belarus ist sehr stark von Russland abhängig. 2015 ist sie um 6,6 Prozent eingebrochen. Parallel wurden von Kreml-nahen Vereinigungen Projekte wie „Sapadino-Rossija“ (Westrussland) in Bezug auf Belarus gestartet. Welche Zugeständnisse Lukaschenka machen muss, um eventuell dringend benötigte Kredite und weiterhin subventioniertes russisches Erdöl und Erdgas zu bekommen, ist nicht bekannt. 2016 hat sich in Minsk bereits eine Armee der „belarussischen Kosaken“ gegründet, die mit Belarus wenig gemein haben, sondern im Dienste der russischen Orthodoxie und der Russischen Welt stehen. Auf ihrer Gründungsveranstaltung haben sie die Partei BNF- Volksfront, die in der Zeit der Perabudowa (Perestrojka auf Belarussisch) entstand, mit dem „islamischen Staat“ verglichen. Gleichzeitig steigt das Protestpotenzial in Belarus gegen die Führung- selbst auf dem Lande, wo z.B. die Bauern im westbelarussischen Dorf Kwatschy (auch die meisten Einwohner haben diesen Familiennamen) die örtliche Kolchose per Stand Frühjahr 2016 teilweise mit 3-4 Monatsgehältern im Rückstand war. Überall in Belarus organisieren sich die Einzelunternehmer-Markthändler zu Protesten gegen eine Verordnung, die nach ihrer Meinung ihre Existenz zerstören würde.
Der Versuch die belarussische Staatlichkeit endgültig zu beseitigen oder zumindest in Babrujsk einen russischen Luftwaffenstützpunkt zu errichten und Belarus zu militärischer Gefolgschaft im Krieg gegen die Ukraine zu zwingen, darf nicht unterschätzt werden, ebenso wie das Protestpotenzial im Land selbst.
Um die Ukraine entstehen so mit Moldau-Transnistrien und Belarus weitere Probleme. Operative Pläne bezüglich der gesamten linksufrigen Ukraine scheinen nicht vom Tisch. Und von dem Ort, an dem die belarussischen Militärübungen stattfinden, hätte man eine ideale Route nach Kyjiw.
Mehrmals hat Russland versucht mit Belarus ein Abkommen über ein Luftwaffenstützpunkt für die russische Luftwaffe, der sich vermutlich auf dem Gelände des ehemaligen Fliegerhorsts in Babrujsk befunden hätte. Nach der endgültigen Absage und Weigerung der belarussischen Regierung steigt das russische Mistrauen gegenüber Belarus und bereits seit knapp einem Jahr nimmt ein Handelskrieg an Fahrt auf, der von Russland angezettelt wurde. Man will keine Subventionen mehr für leere Versprechen bezüglich von Integrationsprojekten zahlen, während auf der eigentlich in einer post-sowjetischen Mentalität verhaften gebliebene belarussische Präsident (Diktator) Aljaksandr Lukaschenka, der sich selbst 1991 noch gegen die Unabhängigkeit aussprach und nach seiner Amtsübernahme eine sofortige Destruktion der belarussischen Wiedergeburt einleitete, mit seinen Aussagen der letzten Woche praktisch seine eigene Politik der Vergangenheit infrage gestellt hat. Er sprach auf einer Pressekonferenz, die praktisch ein 7-stündiger Monolog war, dass Belarus die Unabhängigkeit praktisch in den Schoss gelegt worden sei, aber für die Unabhängigkeit müsse man auch zu Opfern bereit sein und komme auch ohne russisches Erdöl aus. Gleichzeitig sind dem belarussischen Außenminister Uladsimir Makej mehrere Erfolge auf diplomatischer Ebene geglückt. Belarus ist es gelungen, die Beziehungen zu Polen deutlich zu beleben, Sanktionen seitens der EU wurden aufgehoben und als Zeichen einer Öffnung dürfen Besucher aus 80 Ländern (darunter aus den 28 EU-Staaten) ab dem 12. Februar dieses Jahres bei Kurzbesuchen bis zu fünf Tage ohne Visum nach Belarus reisen. (Dies bezieht sich jedoch nur über eine Ein- und Ausreise via den Flughafen von Minsk).
Russland hat diesen Schritt auf seine Weise genutzt, nachdem man bereits im letzten Jahr die militärische Infrastruktur an der Grenze zu Belarus aufgebaut hat, wurden Grenzkontrollen und eine sogenannte 30–Kilometer–Grenzzone eingeführt. Offizieller Grund waren Befürchtungen, dass Menschen ohne Visum weiter nach Russland reisen, vor allem Personen, die in Russland unerwünscht seien. Russland ist jedoch in den letzten Jahren zur Sowjetpraxis zurückgegangen, wo die Grenztruppen zum KGB gehörten. Jetzt gehören die Grenztruppen und alle damit verbundenen Sondereinsatzkräfte zum FSB. Einige unabhängige belarussische Sicherheitsexperten vermuten, dass Russland unter diesem Vorwand faktisch zusätzliche Sondereinsatzkräfte stationieren wird, die dem FSB untergeordnet sind, um gegebenenfalls Spezialoperationen oder eine zukünftige Invasion vorzubereiten. Hintergrund sind die massiven Truppenübungen „Westen 2017“ die für Anfang September vorgesehen sind, in Verbindung mit einer zunehmenden Verschlechterung der sozialökonomischen Situation und einer deutlichen Zunahme des Protestpotenzials. Zuerst waren es die Kleinunternehmer, vor allem Händler, die immer wieder ihren Protest gegen das Dekret des Präsidenten vom Januar 2016 ausdrücken, mit welchem auf den für Belarus typischen Basaren (Märkten) nur noch zertifizierte Ware verkauft werden darf. Viele Kleinhändler, die vor allem ihr Geld mit Importware verdient haben, mussten darauf aufgeben. Das Protestpotenzial blieb allerdings begrenzt. Darüber hinaus fanden die üblichen Demonstrationen der pro-belarussischen und pro-europäischen Oppositionskräfte statt. Am 25.03., dem Tag des Willens (Unabhängigkeitserklärung der BNR am 25.03.1918), am 26.04. der Erinnerungsmarsch an das Reaktor-Unglück von Tschernobyl (der sogenannte „Tscharnobylski Schljach“ – der Tschernobiler Weg), welches eine 30–Kilometer–Zone unbewohnbar gemacht hat und Teile von Belarus aufgrund ungünstiger Wind- und Niederschlagsverhältnisse überdurchschnittlich radioaktiv belastet hat und schließlich der alljährlich traditionell am 02.11. durchgeführte Gedenkmarsch, wo an die Toten gedacht wird, die von Spezialkommandos des NKWD’s zwischen 1937 und 1940 in einem Waldstück bei Minsk, genannt Kurapaty, erschossen wurden. Die Patronen der Schießkommandos klickten über 1000 Mal pro Tag, über 200.000 wurden nach willkürlich festgelegten Quoten erschossen. Mit der Entdeckung der Massengräber begann 1987 die belarussische Unabhängigkeitsbewegung.
Das Denkmal an die Opfer wurde 1994 von Bill Clinton besucht, der sowjetisch geprägte Aljaksandr Lukaschenka war dort seit seinem Amtsantritt kein einziges Mal. Vielmehr hat er durch den Wald, in dem die Massenerschießungen stattfanden, über die Knochen der Opfer des stalinistischen Massenmordes eine Schnellstraße bauen lassen und die sogenannte „Stalin-Linie“ errichten lassen. „Russkij Mir“ statt nationales Gedächtnis und Erinnern. Bisher waren es jedoch nur verschiedene soziale Subgruppen, die jeweils separat für ihre Anliegen eingetreten sind. Seien es die Kleinunternehmer und Händler oder die pro-belarussische Opposition, die seit dem Verfassungsstreich von 1996 nicht mehr parlamentarisch vertreten ist, während die damaligen führenden Persönlichkeiten entweder ins Ausland emigriert sind oder wahlweise auch liquidiert wurden, wie Hantscharenka. Seit Ende 2016 gibt es wieder im belarussischen Parlament zwei Abgeordnete, die man der Opposition zurechnen kann. Da die Wahlen nicht frei und demokratisch waren, zudem Wahlbeobachter von massiver Wahlfälschung bei insgesamt nur sehr geringem Interesse (tatsächlicher Wahlbeteiligung) sprechen, kann man sagen, dass diese beiden Abgeordneten mit dem Segen des Staatspräsidenten einziehen durften. Auch damit wollte man einen gewissen Veränderungswillen und Dialogbereitschaft demonstrieren. Mit dem sogenannten Dekret zur Einführung einer Steuer für Personen ohne eigene (offizielle) Beschäftigung, was im Volk auch als „Dekret ab darmojedach“ (Dekret über die Taugenichtse) verschrien ist, ist ein gewaltiger Anstieg des Protestpotenzials sichtbar, und zwar mit der Möglichkeit, dass sich verschiedene soziale Gruppen und politische Richtungen vereinen. Die „Ploschtscha 2006“ – der belarussische Maidan für fünf Tage vom 18.03.-23.03.2006 – könnte sich wiederholen, wo sich die pro-belarussischen politischen Kräfte mit den sozial motivierten Protestierenden verbinden könnten, was der Beginn einer belarussischen Transformation und geopolitischen Kehrtwende sein könnte. Eine Gefahr, die man auch in Moskau sieht und auf die man sich vorbereitet hat.
In diesem Zusammenhang sollte man auch das massive Truppenmanöver „Westen 2017“ betrachten. Dabei stellt sich die große Frage: Was soll diese massive Truppenverlegung? In der Praxis könnte das Manöver größer ausfallen als Kawkas 2016, wo nach offiziellen russischen Angaben 125.000 aktives Militärpersonal und 90.000 Reservisten teilgenommen haben. Die belarussische Armee verfügt nach offiziellen Angaben über eine Truppenstärke von 60.000 und einer Reserve von bis zu 500.000. Am Manöver „Westen 2017“ könnte ein russisches Truppenkontingent teilnehmen, was zahlenmäßig größer ist als die gesamte belarussische Armee (über 60.000). 4.162 Eisenbahnwaggons wurden seitens des russischen Verteidigungsministeriums bestellt.
Was denken belarussische Analysten darüber?
Dsjanis Meljanzou, Senior-Analyst des belarussischen Instituts für strategische Untersuchungen will darin nicht ungewöhnliches erkennen. Eine solche Aktivität sei mit den groß angelegten Truppenmanövern im Rahmen von „Westen 2017“ verbunden, die eine Verlegung von einer bedeutenden Anzahl von Militärangehörigen und Bewaffnung nach Belarus verlangen. Solche Manöverübungen würden in einem Zwei-Jahresrythmus durchgeführt. Im letzten Jahr hätten alle wichtigen Manöverübungen auf russischem Gebiet stattgefunden, deswegen brauchte man eine solche Truppenverlegung nicht, erklärte er dem Online-Portal „Apostrof“ (Апостроф):
Sein Kollege Arsenij Siwizkyj, Direktor des Belarussischen Center für Strategische Außenpolitische Untersuchungen und Reserveoffizier der belarussischen Streitkräfte widerspricht dem kategorisch und bringt einen Vergleich mit dem letzten groß angelegten russisch-belarussischen Manöver auf belarussischem Boden „Westen 2013“, das vor dem Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine stattfand und laut einer Analyse der ukrainischen Militäraufklärung in Bezug auf die Truppenaufstellung genau dem militärischen Aufbau entsprach, der im Frühjahr 2014 an der Grenze zum Donbass sichtbar wurde.
Laut Arsenij Siwizkyj sei die Version bezüglich der Teilnahme an dem Truppenmanöver „Westen 2017“ haltlos. Bei Vergleich der Zahlen für 2013 und 2017 ergeben sich kardinal unterschiedliche Größenverhältnisse. Während 2013 für das gemeinsame Militärmanöver aus Russland 20 Militärzüge eingefahren seien, was ungefähr 200 Eisenbahnwaggons entspräche. Siwizkyj unterstreicht, dass somit 2017 die 20-fache Anzahl an Waggons seitens des russischen Verteidigungsministeriums bestellt wird. Nach seiner Information hätten von russischer Seite am gemeinsamen Manöver „Westen 2013“ etwas mehr als eine halbe gesonderte Motschützenbrigade teilgenommen, ca. 2500 Soldaten. Nach seiner Meinung wird jedoch die wahre Anzahl von Waggons in einer öffentlichen Ausschreibung nicht genannt, schließlich sei das Verschlusssache und falle unter Geheimhaltung. Es sei demnach normal, dass eine gewisse Anzahl an Waggons geheim gehalten und nicht öffentlich ausgeschrieben würde. Die Anzahl von 4.162 müsse man realistischerweise mit dem Faktor 1,5 multiplizieren, um das wahre Ausmaß zu erhalten. Er geht davon aus, dass der größte Teil der geschaffenen 1. Garde-Panzerarmee (mit dem Stab in Bakowka, Moskauer Gebiet) eingesetzt werde.
Man muss also von einem russischen Truppenkontingent ausgehen, welches über 70.000 Mann betragen könnte. Sofern man Belarus politisch und militärisch nach dem Krim-Szenario vollständig unter Kontrolle bringen könnte, würde man in Belarus eine kombinierte Streitmacht von bis zu 150.000 Mann konzentrieren können, die gleichzeitig sowohl für die Ukraine als auch das Baltikum eine Existenzbedrohung darstellt.
Stimmungsbild der belarussischen Bevölkerung
Das Stimmungsbild der belarussischen Bevölkerung objektiv zu erfassen und zu beurteilen ist sehr schwierig. Unabhängige Umfrageinstitute gibt es in Belarus selbst nicht, sondern nur ein unabhängiges belarussisches Umfrageinstitut, welches seit Mitte der 1990iger Jahre Umfragen in Belarus per Telefon aus dem litauischen Exil durchführt.
Vom 2.-12. Juli 2016 wurde eine äußerst interessante Umfrage zur geopolitischen Stimmung und der politischen und sozial-ökonomischen Lage in Belarus durchgeführt.
Meinungsbild der belarussischen Bevölkerung bezüglich des Konflikts zwischen Russland und dem „Westen“
Charakteristik | „In der letzten Zeit nimmt die Konzentration von Militär an den belarussischen Grenzen zu. Russland stellt im westlichen Militärbezirk neue Divisionen auf und die NATO stationiert Bataillone in Polen, und den baltischen Staaten. Ein Teil der belarussischen Bevölkerung unterstützt das russische Vorgehen, ein Teil das Handeln der NATO. Wie stehen Sie dazu?“ | „Und falls es zu einer Kriegsauseinandersetzung zwischen Russland und dem Westen kommt, welche Seite werden Sie dann unterstützen?“ | ||||
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Ich unterstütze das russische Vorgehen | Ich unterstütze das Vorgehen des Westens / der NATO | Ich unterstütze keine der beiden Seiten | Russland | NATO | Ich bin bestrebt, neutral zu bleiben | |
Altersgruppe: | ||||||
18-29 | 17,1 | 13,7 | 62,9 | 22,0 | 18,0 | 50,3 |
30-59 | 24,1 | 11,2 | 59,2 | 32,6 | 14,2 | 43,6 |
60 und mehr | 39,4 | 6,3 | 48,6 | 47,1 | 7,1 | 36,3 |
„Falls Sie zwischen einer Vereinigung mit Russland und zwischen einem Beitritt zur EU wählen müssten, wie würden Sie sich entscheiden?“ | ||||||
Vereinigung mit Russland | 47,0 | 4,6 | 44,3 | 62,7 | 4,3 | 28,0 |
Beitritt zur EU | 6,2 | 22,6 | 65,4 | 7,0 | 30,9 | 51,8 |
Keine Antwort | 17,4 | 4,4 | 70,0 | 20,4 | 4,4 | 58,8 |
Aus der Tabelle ist klar ersichtlich, dass mit dem Alter auch die Verbundenheit (aufgrund der Sozialisierung in der Sowjetunion) zu Russland steigt. Die Anhänger des „Russkij Mir“ sind daher eher auch in Belarus eine aussterbende Spezies. Über drei Viertel der unter 30 jährigen, die man auch als Generation der belarussischen Unabhängigkeit bezeichnen kann, unterstützen trotz starkem Einfluss russischer Propaganda und einem stark russifizierten Schulwesen (nach 1995, dem fragwürdigen Referendum, mit dem Russisch zur Amtssprache neben Belarussisch erklärt wurde) das Vorgehen Russlands nicht. Über 70 Prozent würde im Kriegsfall zwischen der NATO und Russland entweder neutral bleiben oder sich aufseiten der NATO-Staaten positionieren.
Innenpolitische Stimmungslage: sozialer Protest und Demonstrationen wahrscheinlich
Zur wirtschaftlichen Lage in Belarus befragt, geben 80,9 Prozent der Befragten an, dass die belarussische Wirtschaft in der Krise steckt. Davon geben 45,7 Prozent an, dass die Probleme hausgemacht seien und 27,8 Prozent machen äußere Faktoren für die Krise verantwortlich.
Infolge eines hohen Defizits der Rentenkasse wurde per Erlass des Präsidenten 2016 das Renteneintrittsalter für Frauen auf 58 und Männer auf 63 angehoben.
19 Prozent schließen sich der Aussage an, dass diese Entscheidung richtig sei, um die Renten zu erhöhen, 70,5 Prozent jedoch lehnt dies kategorisch ab, da viele Menschen das Rentenalter gar nicht erreichen würden, während 10,5 Prozent keine Meinung abgeben wollten.
Aljaksandr Lukaschenka behauptete jedoch mehrmals öffentlich, dass die Mehrheit der Belarussen der Erhöhung des Renteneintrittsalters zustimmen würde. Mit dieser öffentlichen Aussage von Lukaschenka erklären sich nur 15,1 Prozent der Befragten einverstanden.
In Bezug auf einen möglichen sozialen Protest ist dabei die 5. Frage dieser Umfrage interessant. „Was ist für Sie wichtiger – die Beibehaltung des jetzigen Zustands im Land oder eine Veränderung dieses Zustands?“
Auf diese Frage sprachen sich 65,5 Prozent der Befragten dafür aus, dass Veränderungen wichtiger seien.
Dabei bezeichnen 53,5 Prozent der Befragten die von Präsident Lukaschenka so gepriesene „Stabilität“ als Stagnation, während 33,4 Prozent Belarus als Insel der Stabilität bezeichnen und 13,1 Prozent eine Antwort verweigern.
Die Mehrheit der Belarussen ist der Meinung, dass der Staat nicht ausreichend oder überhaupt nicht ihre Interessen schützen würde. Nur 29,5 Prozent sind der Meinung, dass dies ihr Staat sei, weil er ihre Interessen schützen würde.
14,7 Prozent der Befragten erklären, dass sie zu Straßenprotesten bereit seien, um Belarus zu verändern, 44,1 Prozent möchten dies über freie Wahlen erreichen und 26,2 Prozent per Referendum.
14,7 Prozent der Bevölkerung wären 1,4 Millionen – und aufgrund der Einführung der Steuer auf Beschäftigungslosigkeit und der sich weiter verschlechternden Wirtschaftslage, auch aufgrund des starken Auftragsrückgangs aus Russland und der aktuellen Handelskonflikte zwischen Belarus und Russland ist dieses Protestpotenzial heute mit Sicherheit nochmals signifikant gewachsen. Eine Mehrheit von 55,5 Prozent gibt dabei an, dass die absolute Machtkonzentration in den Händen des Präsidenten für Belarus schlecht sei. Nur 26,3 Prozent der Befragten sehen eine zufriedenstellende soziale Lage in Belarus, während 27,2 Prozent der Meinung sind, dass die Lage sich weiter so entwickeln wird, dass es zu einem sozialen Aufstand kommt. 42,2 Prozent sehen eine angespannte soziale Lage, allerdings weniger angespannt als in Russland und anderen GUS-Ländern.
Bezüglich dem sozialen Protestpotenzial sind zwei Szenarien möglich: ein pro-belarussisches, pro-europäisches Protestszenario, wo sich die verschieden sozialen Gruppen unter Führung der Reste der demokratischen Opposition zu Massendemonstrationen zusammenfinden oder ein pro-russisches Szenario, in dem pro-russische Kräfte mit Unterstützung von zugereisten Spezialkräften den Osten von Belarus destabilisieren und von Belarus abspalten (Krim- bzw. Donbass-Szenario).
Beim ersten Szenario wird entscheidend sein, ob die belarussische Regierung, Lukaschenka und das Parlament zusammen mit den Vertretern der belarussischen Opposition ein Dialogformat finden, welches einen großen politischen Transformationsprozess und Machtteilung einleitet oder ob es zu offener Konfrontation und/oder zu einer russischen Intervention kommt. Besonders fraglich ist, auf welcher Seite in beiden Szenarien die belarussischen Sicherheitskräfte stehen werden (Polizei, Geheimdienst, Armee), wo ein großer russischer Einfluss besteht. Wird die belarussische Armee überhaupt moralisch in der Lage sein, die Souveränität (die bereits heute nur noch formal besteht) mit Waffengewalt zu verteidigen oder ist ein massenweises Überlaufen von Offizieren und Soldaten auf die russische Seite zu erwarten? Selbst wenn ausreichende Verteidigungsbereitschaft bestünde, zumal die Mittel vorhanden wären (Antipanzerwaffen, Raketenartillerie, über 1.500 Panzer), diese jedoch aufgrund der Militärdoktrin alle an der westlichen Grenze stationiert sind.
Derweil bereiten sich die pro-russischen Kräfte auf ein Krim- oder Donbass-Szenario vor. Letzte Woche gründete sich „NOD – Narodnoje oswoboditelnoe dwischenije“ (Nationale Befreiungsbewegung) ein russischer Ableger. Zu ihrer ersten Manifestation erschienen in der Hauptstadt Minsk ganze sechs Personen. Nur eine Minderheit von knapp 30 Prozent können als möglicher Unterstützer der „Russischen Welt“ in Belarus gelten. Aber auch auf der Krim und im Donbass waren es laut Umfragen vor 2014 weniger als 20-25 Prozent der Bevölkerung, die eine Vereinigung mit Russland unterstützten. Aber mit Hilfe von bewaffneten Soldaten, sind 90-99 Prozent Zustimmung in jedem Referendum zu erreichen.
Konsequentes Handeln. Russische Kriegsführung klar entlarven
Eine Lösung im Sinne eines russischen Rückzugs aus der Ukraine wird es nur bei einem massiven, stufenweisen Einsatz von Druckmitteln (sektorale Sanktionen, Exportbeschränkungen, Swift) geben. Dies erfordert eine klar definierte Roadmap mit einem Malus- und Bonus-System, wobei qualitativ und quantitativ messbare Ergebnisse definiert werden, die auch Meilensteine genannt werden können, deren Nichterreichen durch Russland automatisch Konsequenzen nach sich ziehen, die bereits vordefiniert und vorbeschlossen sind. Wir brauchen eine realistische Politik und keine Träumerei von einem Dialog mit einem „Partner“, der überhaupt nicht unsere Werte teilt. Inkonsequentes Handeln kann den Belarussen endgültig ihre Staatlichkeit kosten und für Europa zum Alptraum geraten.
Mensk bedeutet Hoffnung
Minsk (Mensk) und Belarus werden bald im Fokus stehen. Viele können noch nicht erfassen, welche Bedeutung dieses Land für Zukunft Europas haben wird.
Minsk und Mensk. Mit Mensk stirbt auch ein wenig Hoffnung für Belarus und Europa. Mit einem erneuten Aufleben von Mensk könnte eine erneute Wiedergeburt eines Landes beginnen, welches Europa über Jahrhunderte geprägt hat und zeitweise Zentrum des größten Flächenstaates in Kontinentaleuropa war. Minsk und Mensk ist ein bekannter Song-Titel von einer bekannten belarussischen Rockband mit dem Namen N.R.M..
N.R.M. steht für „Njesaleschnaja Respublika Mroja“- die unabhängige Republik der Träume. Mensk könnte auch die Hauptstadt dieser Republik sein. Es ist Minsk, jedoch nach der klassischen belarussischen Rechtschreibung. Es ist der Name der Stadt Minsk bis 1938.
Mit den Massenerschießungen der belarussischen Intelligenz, wo die Bolschewiken Belarus praktisch ihrer gesamten geistigen Elite beraubt haben, verschwand auch der Name Mensk.
Mensk wurde per Beschluss zu Minsk. Zu dieser Zeit starben täglich bis zu 1.000 Menschen. Sie wurden zuerst moralisch und dann physisch vernichtet, mit einer Kugel. Bis zu 1.000 Mal pro Tag dieses dumpfe Geräusch. Es geschah in einem Wald bei Mensk, Kurapaty. Ein Ort der Massenvernichtung. Vernichtung nach Quote. Später wurde die belarussische Sprache zwangsreformiert. Die Verwendung der klassischen Rechtschreibung wurde verboten, in Grammatik und Wortschatz wurde eingegriffen. Aus „Trawen“ wurde der Monat „Mai“. Aus Mensk wurde Minsk. Bis zu 250.000 sind in dem Wald bei Mensk begraben. Der Fund der Massengräber läutete Ende der 80er Jahre die belarussische Unabhängigkeitbewegung ein.
1991 wurden die nationalen Symbole wieder eingeführt. Die weiß-rot-weiße Fahne, das historische Pahonia-Wappen. Belarussisch wurde wieder zur alleinigen Staatssprache. Es war die Zeit der belarussischen Wiedergeburt. Es gab so etwas wie Demokratie, Presse- und Meinungsfreiheit. Es wurde um eine neue Verfassung gerungen, im obersten Sowjet gab es eine Opposition. Kurapaty wurde zu einem Erinnerungs- und Gedenkort. Bill Clinton besuchte Kurapaty 1994. 1994 wurde in fast 85 Prozent aller Schulen des Landes wieder in der belarussischen Muttersprache unterrichtet. Mit dem russischen Projekt Lukaschenka kamen Subventionen, günstiges Erdgas und viele russische Kredite nach Belarus. Lukaschenka wurde es ermöglicht, eine Retro-Sowjetrepublik aufzubauen.
Billiges Gas und Kredite wurden gegen die nationale Identität getauscht. Die nationalen Symbole der belarussischen Staatlichkeit wurden durch die alten Sowjetsymbole ersetzt, Russisch wieder als zweite Amtssprache eingeführt. Belarussisch wurde schrittweise aus dem Bildungssystem zurückgedrängt. Heute unterrichten nur noch rund 15 Prozent der Schulen auf Belarussisch. In vielen Großstädten ist es schwierig, überhaupt jemanden auf einen belarussischen Kindergarten oder in die belarussische Schule zu schicken. Die Menschen werden systematisch ihrer Identität beraubt. Sie wählen zum Teil selbst vermeintliche Sicherheit. Über ein Teil der Massengräber von Kurapaty wird eine Autobahn gebaut, später gar die „Stalin-Linie“ als Huldigung derjenigen errichtet, welche die Wiedergeburt der belarussischen Nation in ein rotes Meer aus Blut mit schwarzen Kugeln verwandelt haben.
Das russische Projekt Lukascheka ließ Massenproteste 1996 niederschlagen, vergewaltigte die Verfassung, trieb seine politischen Gegner wahlweise ins Exil oder vor die Schlachtbank. Hontscharenka, der ein Amtsenthebungsverfahren angestrengt hatte, wurde entführt und erschossen. Die letzten Reste des alten Minsk wurden abgerissen. Mensk verschwand in ein subkulturelles Ghetto. Aber die Belarussen haben das Unerwartete, das Partisanen-Sein im Blut. Fragen Sie einen Belarussen, werden Sie selten seine wahre Gefühlswelt erfahren. Die Menschen haben gelernt, wie es ist, in einer Diktatur zu leben. Nachdem man ihnen die Identität und das historisch Gedächtnis geraubt hat (es zumindest mit großen Anstrengungen versucht), will man Ihnen jetzt das Land rauben.
Lukaschenka braucht wieder neue Kredite und Russland will seine Luftwaffe in Belarus stationieren. Kyjiw und Vilnius wären dann in unmittelbarer Reichweite. Gerade Vilnius ist auch eine Wiege der belarussischen Kultur. 1906 erschien dort „Nascha Niva“ – anfangs sowohl mit lateinischen als auch kyrillischem Alphabet. Heute darf diese Zeitung nicht mehr mit der klassischen Rechtschreibung erscheinen.
Vielleicht bekommt Mensk eine neue Chance und damit auch Belarus und Europa. Denn wenn Mensk untergeht, Belarus besetzt wird, dann hat das nicht nur Konsequenzen für die Ukraine, sondern gravierende sicherheitspolitische Folgen für die Ostflanke der NATO. Die baltischen Staaten wären dann faktisch im russischen Schwitzkasten und eine schmale Landbrücke zwischen Polen und dem Baltikum gilt es dann zu verteidigen.
„Für unsere und eure Freiheit!“
Mensk – die Hoffnung, sie wird auch von der Navi-Band verkörpert, die Belarus beim Songwettbewerb „Eurovision 2017“ erstmals mit einem Beitrag in belarussischer Sprache Geschichte meines Lebens“ (Гісторыя майго жыцця) vertreten werden. Im Rahmen eines Auftritts beim ukrainischen Vorentscheid lieferten sie auch eine belarussische Coverversion des letztjährigen Siegersongs „1944“ von Jamala. Sie sangen auf Belarussisch über die Situation, wenn Fremde in dein Haus eindringen. Eine Parallele zur aktuellen Gefahr für Belarus, die nicht aus dem Westen kommt.
Die Zeichen stehen auf große Veränderungen und eine mögliche Revolution in Belarus. Symbolträchtigerweise wurden von belarussischen Archäologen angeblich die sterblichen Überreste eines großen Revolutionsführers des 19. Jahrhunderts entdeckt. Die Überreste von Kastus Kalinouskyj. Er war zu Beginn der 1860iger Jahre eine prägende Figur des Aufstandes des polnisch-litauisch-ruthenischen Adels gegen das zaristische russländische Imperium für die Wiederherstellung des polnisch-litauisch-ruthenischen Commonwealth, einem Unionsstaatsgebilde, dessen östliches Zentrum das heutige Belarus gebildet hatte, wobei Altbelarussisch im Großfürsten Litauen Amts- und Kanzleisprache war. Die fünf Statuten des Großfürstentums Litauen sind in Altbelarussisch verfasst worden. Ein wichtiges Sprachdenkmal gegen die russische These von einer „erdachten Sprache“ und einer nichtvorhandenen belarussischen Nation, deren politische Ursprünge bis vor die Blütezeit der Kyjiwer Rus reichen und mit dem Fürstentum von Polazk (oder nach der klassischen belarussischen Rechtschreibung Polazak) verbunden sind.
Kastus Kalinouskyj Leitsatz hieß: „Für unsere und eure Freiheit!
Wenn Mensk wieder aufleben wird, hat die Hoffnung gesiegt und es wird uns das Europa zurückgeschenkt, von dem wir träumen. „Für unsere und eure Freiheit“.
Mensk bedeutet Traum, eine militärische Besetzung von Belarus würde hingegen zum Alptraum werden. Inkonsequentes Handeln in Bezug auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine wird nicht helfen, den Traum von Mensk mit Leben zu erfüllen. Man macht sich damit zum Erfüllungsgehilfen eines Alptraums, der dann sehr schnell auch für die östlichen Mitgliedsstaaten der NATO Realität werden könnte.
Jan Schönfelder
Jan Schönfelder ist Osteuropahistoriker, Slawist und Übersetzer. Neben seiner Tätigkeit im Bereich Übersetzungen und grenzüberschreitende Zusammenarbeit verfasst er analytische Beiträge rund um die Ukraine, Belarus und Ostmitteleuropa.