Präsident vs. Janukowitsch
Offizielle Wahlergebnisse liegen noch nicht vor, die Konsequenzen zeichnen sich jedoch durch Vorlieben der Wähler ab: Im Westen des Landes wird man Ukrainisch auskosten, im Osten – Russisch, in Petschersk (Stadtteil von Kiew) – schwarzen Kaviar. Eigentlich kann Wiktor Janukowitsch ruhig aufatmen und seinen Sieg feiern. Seine Partei hat in diesem politischen Wettrennen die Mehrheit der Stimmen geerntet. Durch das neue Wahlgesetz, Einschüchterungen und Bestechungen, Klonen neuer Parteivereinigungen, Sterilisierung von Wahlkommissionen und das verwunderlich lange Prozedere der Stimmzählung hat sein Team es geschafft, die Distanz zu den Gegnern deutlich zu verringern. Die Partei der Regionen hat auf fremdem Boden „Wurzeln geschlagen“ und will Mehrheiten mit eigenen Beteiligungen in über zwanzig Oblasträten bilden. Wie der Lehrer Harry Potters Professor Dambledore sagte: «Gut so, «Slytherin»! Einfach klasse, «Slytherin»! Doch wir haben die jüngsten Geschehnisse nicht berücksichtigt…».
Und die jüngsten Geschehnisse legen ziemlich unmissverständlich nahe, dass der Präsident des Staates in einer Zwickmühle steckt. Während die Gouverneure samt Direktkandidaten die Stimmen zählen und die Parteistäbe nach vorläufig erstellten Protokollen die Tendenz erkennen, die besagt, dass die Opposition weniger Stimmen einfuhr, als die Exit-Polls zeigten, und die Regierungspartei hingegen mehr, versuchen wir, uns davon ein bisschen zu distanzieren und die Probleme des Siegers in Augenschein zu nehmen.
Das Problem Nr. 1
Der Präsident Janukowitsch hat einen politischen Kampf mit dem Westen aufgenommen, wobei er, fast wie in einem Computerspiel, einen gehörigen Vorrat an „Leben“ hat. Dieser Vorteil wurde dem neuen Präsidenten in Brüssel und Washington aus zwei Gründen gegeben: erstens haben alle das unendliche Zanken und Schwatzen satt, das von der früheren ukrainischen Regierung mit Vorliebe betrieben wurde, und man ist froh im „Lande gescheiterter Staatlichkeit“ einen verhandlungswilligen Partner zu haben; zweitens Osteuropa und die Ukraine gehören nicht mehr zu den Prioritäten des Westens, die meiste Aufmerksamkeit kommt nun der Wirtschaftkrise, Afghanistan, Indien, China, dem Irak, dem Iran und Brasilien zu. Der US-Botschafter in der Ukraine John Tefft, der sich in der Bankowa-Straße (Sitz des Präsidenten) viel häufiger als bei Pressekonferenzen blicken lässt, wiederholte gegenüber Janukowitsch gebetsmühlenartig nur das einzige: «Reformen und Vorgehen im Rahmen demokratischer Gepflogenheiten». Neun Monate ist Wiktor Janukowitsch bereits an der Macht, und die Reformen bleiben immer noch nur auf Papier. Was den Rahmen demokratischer Gepflogenheiten anbelangt, so erkennt die Regierung diese einfach nicht an. Vielleicht haben die Beobachter dies nicht begriffen, als sie während der Wahlen bei den Wahllokalen keine Schlägertrupps, Haufen gefälschter Wahlzettel, zugerichtete Oppositionelle in den Wahlkommissionen vorfanden und somit die Wahlen für demokratisch befunden haben? Doch in Brüssel und Washington machte man sich das Bild von der Serie mit dem Titel „Ukrainische Kommunalwahlen“ nicht etwa aufgrund eines Tages (die 50. Folge), sondern man schaute sich die ganze Serie von Anfang bis Ende an – das Wahlgesetz, die Wahlkampagne und die Stimmenzählung inklusive. Es hat ihnen nicht gefallen. Hässliche Wahlen – das sind keine Steinzeiterklärungen von Jelena Bondarenko und der von Walerij Choroschkowskij erwiesene Bärendienst. Und das gab der US-Vizepräsident Joe Biden gegenüber Wiktor Janukowitsch klar zu verstehen.
Auf diese Art und Weise hat der ukrainische Staatschef all seine Leben einfach verspielt. Doch das Spiel steht erst an. Vanco hat bekommen, was es wollte, und das Uran aus Charkow ist für immer verloren (der getane Gefallen ist keiner mehr); der Markt für Brennelemente wurde an Russland abgetreten (hier ist nicht mehr zum feilschen)… Die Reformen geraten ins Stocken. Die Demokratie verfällt. Aber das IWF-Geld hat man so nötig. Doch es gibt nichts mehr, womit man sich neue „Leben“ erkaufen könnte. Oder doch vielleicht ukrainische Burschen nach Afghanistan schicken? An die Elfenbeinküste Cote d’Ivoire hat man sie ja schon hingeschickt… Warum sollte man denn nicht den von Leonid Kutschma tradierten Weg einschlagen: als das Verhältnis zu Washington in eine Sackgasse geriet, hat man sich doch am Ende daraus gerettet, indem man ukrainische Truppen nach Kuwait und in den Irak entsandte. Eine Sackgasse hat Janukowitsch bislang noch irgendwie vermieden, war aber schon sehr nah dran.
Neben den IWF-Geldern erhofft sich die neue Regierung auch Investitionen aus dem Westen. Und vor allem in das ukrainische Gastransportsystem. Man rechnet damit, dass die einflussreichsten Staaten Europas nicht nur an einem potenziellen Konsortium teilnehmen, sondern auch auf das Projekt „South Stream“ zugunsten Modernisierung und Ausbau des ukrainischen Gastransportsystems verzichten. Das will Kiew erreichen, indem es versucht, den vorsichtigen Partnern vorzumachen, wie überschaubar seine Politik doch ist, und welchen unverrückbaren Wert Absprachen mit der heutigen Macht haben. Doch unterlassene Verpflichtungen im Bereich Justiz und Demokratie können auch die Fähigkeit in Frage stellen, in jedem anderen Bereich Vereinbarungen einhalten zu können.
Nicht zu vergessen ist die Tatsache, dass Wiktor Janukowitsch partnerschaftliche Beziehungen mit dem Westen als Rückendeckung gegenüber Putin braucht. In Washington und Brüssel ist man sich ohne Zweifel der klimatischen Veränderungen zwischen Kiew und Moskau bewusst. Und trotzdem versteht man in den USA und Europa, dass man Janukowitsch nicht allzu sehr unter Druck setzen darf. Sonst wird er sich hinter die Kreml-Mauer flüchten müssen. Allerdings ist Wiktor Janukowitsch sich darüber im Klaren, dass er dort ohne die Leckerbissen der ukrainischen Aktiva auch nicht besonders begehrt ist.
Das Problem Nr. 2
Wäre Wiktor Janukowitsch eine Frau, hätte ihm die Lebenserfahrung sagen können: die Frau, die jemandem schöne Augen macht und kokettiert, wird öfter belästigt, als die, die gegenüber einem aggressiven Machoman hart im Nehmen ist. Aber eigentlich wird es kaum jemandem gefallen, an der Nase herumgeführt zu werden. Den russischen Machthabern ganz bestimmt nicht.
Es hat aber alles so gut angefangen: Moskau hat sich mit der Schwarzmeerflotte sowie mit dem für Kiew knebelnden Gasvertrag durchgesetzt; es schaffte, sich bei großen ukrainischen Unternehmen mit russischem Bankkapital einzukaufen; sonstigem Kapital hat die neue Staatsmacht geholfen, die Schulden von ukrainischen Oligarchen herauszupressen und etliche Aktiva zurückzubekommen; im Kernbereich, Flugzeugbau, Schiffbau, im Weltall – „die unzerbrechliche Union freier Republiken“. Das Präludium versprach hundertprozentige Befriedigung. Und da ging es los… «Naftogas» will nicht von Gasprom übernommen werden; Das Energieministerium will kein Konsortium bei gleichzeitiger Fortsetzung von „South Stream“; trotz allem kam Weissrussland doch an das venezolanische Öl; den Aserbaidschanern hat man fest versprochen: sollte Russland bis Silvester mit seinem Öl den umgekehrten Betrieb (der Pipeline Odessa-Brody) nicht sichern, dann kann das aserbaidschanische Öl in nördlicher Richtung fließen; und den Energieüberfluss nach Europa will keiner abgeben; auch die Sache mit den Anteilen bei „Prominvest“ von Matwienko ist nicht ohne Haken… Kurzum gab die ukrainische Macht zu verstehen, dass sie für ihre Pöstchen nicht dafür kämpfte, um die Einkommen mit Moskau zu teilen. Und dies war eine Überraschung für Putin. Das hat ihm auch nicht gefallen. Die ukrainischen Hühner und Gänse wurden flugs vom russischen Markt fortgejagt. Und der Beitrag in „Bolschaja rasniza“, der in der ICTV-Übertragung weggeschnitten wurde, war eine Überraschung für die Bankowa, doch nicht für den Kreml. Und das ist nur der Anfang. Janukowitsch und sein Team sind bereit, ihre Pfründe zu verteidigen. Doch in Moskau hat man mit ihnen erstmal noch gar keinen richtigen Krieg gemacht. Die Parodie „Wiktor Almighty“ unterscheidet sich von der Serie „Der Pate Lukaschenko“… Um die Verteidigungslinie selbst bei mittelgroßen Schlachten halten zu können, braucht Kiew Verbündete. Und die Verbündeten fordern nach Reformen und Demokratie. Um diese vorweisen zu können, muss Janukowitsch wieder auferstehen oder wenigstens Einschränkungen in Kauf nehmen. Und damit hat er große Probleme.
Das Problem Nr. 3
Jede Regierung will wie eine Virenkolonie möglichst mehr Raum erobern. In gesunden Staaten gibt es Kräfte, die diesem natürlichen Wunsch entgegenwirken können. Dafür gibt es die Opposition, die Gerichte, die Medien und die Bürgergesellschaft. Sie sind dafür da, um Rahmen für die Regierung zu schaffen. Und sie sind es, die einen Übergriff unmöglich machen. In der Ukraine sind kaum Kräfte vorhanden, die diesen Rahmen schaffen würden. Und das ist ein großes Problem von Janukowitsch, dessen er sich übrigens nicht bewusst ist.
Er hat die ganze Macht an sich gerissen und die Loyalität sich gegenüber zum Standard gemacht, doch er sorgte nicht für ein Fehlervermeidungssystem. Indem er sich jeglicher Rahmen entledigte, verdammte er sich zu zahlreichen Fehlern. Je länger Wiktor Janukowitsch sich an dieser Allmacht ergötzen wird, desto schrecklicher werden die Konsequenzen ausfallen.
Doch im Grunde genommen sind für diese „Rahmenlosigkeit“ nicht nur der Präsident und sein Gefolge verantwortlich zu machen. Klar, dem Justizsystem hat der amtierende Präsident den Rest gegeben, mit freundlicher Unterstützung eines Schlägertrupps des Höchsten Justizrates, wonach die Richter zu Kerberossen/Höhlenhunden der Alleinherrschaft geworden sind.
Mit den Medien ist es viel komplizierter. In dieser Zunft gibt es immer noch mehr Selbstzensur als Zensur. Und die Qualität ist viel niedriger, als die Einkünfte. Ich finde, dass die Bewegung „Stoppt die Zensur!“ heute nicht so aktuell ist wie „Startet das Hirn und das Rückgrat!“. Ein Journalist unterscheidet sich von einem PR-Mann genauso wie der Aufklärer vom Spion. Der erstere soll Informationen beschaffen und die Gesellschaft aufklären. Der letztere will die Vorteile des Kunden hervorheben und die schädlichen Seiten des Produktes verschweigen. Die ersteren werden immer weniger. Die letzteren immer mehr. Um von Meinungsfreiheit sprechen zu können, braucht man mehr, als nur diejenigen, die die Informationen besorgen, analysieren und daraufhin auch veröffentlichen können. Es ist nötig, dass die Macht auf diese Informationen reagiert. Wo blieb die Reaktion der Staatsanwaltschaft auf die Serie glänzender Untersuchungen von Sergej Leschtschenko zu Meshigorje (Ehemalige Staatsdatscha, die heute Wohnsitz von Präsident Janukowitsch ist. Er hat sie mutmaßlich illegal privatisiert.)? Warum ist die Reaktion der Polizei und Justiz auf die TVi-Sendungen ausgeblieben? Warum hat man keine Strafverfahren angestrengt nach den Serkalo Nedeli-Publikationen über Diebstähle im Oblastgassystem? Was ist mit dem Einlenken des Staates im Fall „Rosukrenergo“? mit den Anschaffungen der Verteidigungs- und Gesundheitsministerien? den Spielen des Wirtschaftsministeriums mit einem Vollzieher? den Verbrechen im Landwirtschaftfonds etc? Was für Buchprüfungen machen Sie, Herr Janukowitsch?! Für diese Show mit der amerikanischen Abteilung zur Bekämpfung von Veruntreuung von sozialistischem Staatseigentum kann es einen einzigen Titel geben: «Die Buchführung Janukowitschs hat die Schemata des Ministerkabinetts Timoschenkos enthüllt, die die Regierung von Asarow erbte». Die Medien wimmeln von Beweisen. Doch braucht der Präsindent wirklich diese Rückwirkung?
Über den Zustand der Gesellschaft sprechen wir unbedingt auch noch, aber nicht jetzt. Nur eine Frage möchte ich anschneiden. Es gab mal einen geistreichen Mathematiker, der berechnete, mit welcher Geschwindigkeit sich der Weihnachtsmann bewegen muss, um in der Weihnachtsnacht allen Kindern Geschenke zu bringen. Um die Wahlen zu fälschen, hätte Wiktor Janukowitsch keine derlei hohe Geschwindigkeit entwickeln müssen. Aber auch hier glauben wir einem Märchen und meinen, dass er das geschafft hat? Vielleicht waren es aber doch hunderttausende Wahlkommissionsmitglieder, die ihre Zukunft für 500-1000 Hrywnja verkauften? … Indem sie die Wahlzettel wegschmissen, beschädigten, die Protokolle fälschten, diejenigen aus den Kommissionen vertrieben, die die Regelverstöße anmelden wollten, indem sie die Direktkandidaten einschüchterten, indem sie für Geld nicht zur Wahl gingen oder ihre Stimmen für 40-100 Hrywnja verkauften? Von welchem Rahmen für den Staat kann bei so einer Gesellschaft die Rede sein?
Die Opposition verdient ebenfalls besondere Erwähnung. Zu Beginn würde es sich lohnen, eine Antwort auf die Frage zu geben: „Wer fungiert heute eigentlich als Opposition?“. Aber eine Antwort darauf findet man kaum in den Nachrichtenspalten, die regelmäßig von markanten und emotionalen Erklärungen mehrerer führender Politiker nur so wimmeln. Eine Antwort darauf findet man auf dem Server, wo Telefonate von Andrej Klujew gespeichert sind. Namen, Ziele, Beträge, Methoden, Posten, Versprechen – dort findet man alles. Die Verhandlungen zur Vereinigung der Opposition – die so unheimlich wichtig und aktuell ist – führt man am besten im Büro des Ersten Vize-Premiers. Unter seiner Schirmherrschaft. Diejenigen, die den Weg in den siebten Stock des Ministerkabinetts nicht kennen, können sich auf der Turowskastraße versammeln – „Batkiwschtschyna/Vaterland“ ist bereit, alle aufzunehmen, denn sie hat eine Transplantation der abgefallenen Organe sehr nötig (zumal wird nach diesen Wahlen der Prozess des Absterbens von Batkiwschtschyna-Bürgermeistern und Abgeordneten mit neuen Mandaten wieder von vorne anlaufen). Die übrige Opposition kann gemütlich beim Kaffeetrinken in irgendeinem Lokal tagen.
Da es keinen eindeutigen und einfachen Ausweg aus der entstandenen Situation gibt, kann die Opposition sich nicht endgültig aufstellen und ihren Worten Taten folgen lassen. Da die Opposition tatenlos bleibt, betreibt die Regierung ihre Willkür. Die Willkür der Macht wird nicht nur zum Problem für die Gesellschaft, sondern auch zum Problem für die Macht selbst. Der Hauptfeind Janukowitschs ist er selbst. Wenn es keinen starken Opponenten außerhalb der Regierung gibt, fängt die Regierung an, sich selber aufzufressen, was wir momentan hinter den Kulissen beobachten. Und es ist nur der Anfang. Man darf noch etwas nicht vergessen: die Willkür macht die Wachsamkeit stumpf und provoziert zu Verbrechen, welche die Anschuldigungen gegen Makarenko, Danilischin und Iwaschtschenko als kleine Kavaliersdelikte erscheinen lassen werden. Es war aber Janukowitsch selbst, der den Pandora-Kasten mit Verhaftungen öffnete…
Das Problem Nr. 4
Die Flitterwochen der neuen Regierung sind vorbei. Ablenkungsmanöver wie Abfassung des Reformprogramms, öffentliche Präsentation hiervon, Konzentration von Vollmächten de jure und Kommunalwahlen wurden schon alle zu Register gezogen. Doch es muss etwas getan werden. Natürlich hält Janukowitsch noch eine Show vorrätig – die Parlamentswahlen im März. Aber es gibt etliche Gründe, die so eine Entscheidung des Präsidenten nicht so offensichtlich erscheinen lassen, wie viele Experten zu glauben pflegen.
Erstens ist man in der Bankowa der Auffassung, dass das Parlament für fünf Jahre statt nur vier gewählt werden soll, wie dies in der wiederbelebten Verfassung 1996 verankert ist. Zweitens ist die Zahl der Stimmen, welche die Partei der Regionen laut Exit-Poll-Angaben bekommen hat, viel weniger als die, die Janukowitsch in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen erhielt: die Wahlbeteiligung unterscheidet sich stark, das heißt, dass die „gefälschten“ Beliebtheitswerte gefallen sind. Selbst im Osten hat man mit den Füßen abgestimmt. Und der kleinere Teil, der mit seinen Händen votierte, weist einen beispiellos hohen Anteil der Stimmen für die Option „Gegen alle“ auf. Am 31. Oktober hatte es die Macht mit passiven, desillusionierten und verärgerten Wählern zu tun. Und im März 2011 hat sie alle Chancen darauf, dass die Menschen, die ihre Zahlungen und Vergünstigungen bereits bekommen haben werden, all die Vorteile des neuen Steuergesetzbuches zu schätzen wissen werden sowie das, was für Kriegskinder und „frühe“ Rentner getan sein wird. Kurzum: lieber den Ball flach halten.
Drittens würde nach den Märzwahlen Julija Timoschenko ins Parlament einziehen. Samt Turtschinow. Und dies ist ein Dorn im Auge. Die Verwaltung der Fraktion auf Distanz und das Fehlen einer ständigen Tribüne ist ein großer Vorteil für die Regierung. In der Bankowa will man diesen nicht einbüßen. Und schließlich viertens: Wenn Janukowitsch etwas gutes und uneigennütziges für das Land tun will, braucht er Zeit für stille Konzentration. Falls die Entscheidung über die Märzwahlen getroffen wird, kann man alles vergessen, was in der Bankowa für das Haushaltsjahr eingeplant wurde. Deswegen ist es wahrscheinlich, dass der Präsident darauf hinarbeiten wird, 2012 der Gesellschaft bestimmte positive Ergebnisse vorzuweisen, die aus dem Volksgedächtnis den unangenehmen Nachgeschmack der unpopulären Schritte auslöschen sollen.
Die theoretische und methodologische Basis zur Durchführung einiger Refomen, wie sie in der Bankowa konzipiert wurden, ist schon vorbereitet. Streng geheim werden die Matrizen von Irina Akimowa behandelt, die für jedes Ministerium erstellt wurden. Etwa zweihundert eierköpfige junge Menschen wurden von der Administration des Präsidenten ausgesucht, damit sie die Einhaltung des Inhaltes und des Zeitplans der Umwandlungen in jeweiligen Ministerien überwachen. Sie werden im Namen der Exekutivbehörde des Reformkommittees agieren, und dem McKinsey-Abgänger Aleksandr Danilenko untergeordnet sein (ob sie, junge unerfahrene Kontrolleure, innerhalb zusammengeschweißter bürokratischer Teams effizient sein werden ist eine rhetorische Frage, doch versuchen kann man es ja). Das Augenmerk des Präsidenten wird in nächster Zukunft auf die Verwaltungsreform gerichtet sein. An drei Gesetzesentwürfen für diese Reform arbeitet ein gemeinsames Team auf Hochtouren. Die Exekutive zu umwandeln, ihre Funktionsgrundsätze umzubauen, die Beamtenzahl um 20-30 Prozent zu verringern und gleichzeitig Parlamentswahlen durchzuführen – das kann Bruce Allmighty, aber nicht der Präsident eines Landes.
Also, Wiktor Janukowitsch ist das Vertrauen des Westen abhanden gekommen – es gibt keine Freiversuche mehr; er ist in den Bereich der Abkühlung in den Beziehungen mit Russland eingetreten mit Aussicht auf Eisperioden oder Kapitulation; er hat seine Zeit verscherzt und steht nun unter Zeitdruck wegen der Durchführung unpopulärer Reformen, die ein populäres Ergebnis bis zu den nächsten wichtigen Wahlen liefern sollen; er hat maßgeblich zur Lage beigetragen, in welcher der unbegrenzte Appetit der Machthaber unweigerlich zum baldigen Wechsel der Macht führen wird. Dabei macht der Präsident keine Anstalten, die Korruption in seiner Umgebung zu bekämpfen. Statt „Ersatzspieler“ hat der Präsident „Glücksspieler“.
Das Problem Nr. 5
Ob Wiktor Janukowitsch für sich Konsequenzen gezogen hat, wird in der nächsten Zukunft klar. Der erste Lackmus wird die regionale Personalpolitik sein. Werden Opfer gebracht aus den Reihen der Gouverneure, die sich besonders verdient gemacht haben? Natürlich, wird dem Präsidenten die Entscheidung nicht so leicht fallen, denn je härter ein Gouverneur vorgegangen ist, desto höher ist sein Ergebnis. Wenn Tschmyr in Sumy, Prisashnjuk in Kiew, Tulub in Tscherkassy und Matwijtschuk in Odessa ihre Ämter beibehalten, dann wird dies bedeuten, dass bei den nächsten Wahlen alles von vorne anfangen wird. Der Lackmus ist aber dafür, um die Zusammensetzung zu bestimmen. In diesem Fall die Zusammensetzung der Gedankenfolge und Prioritäten.
Der zweite Lackmus wird eingefärbt, wenn Wiktor Janukowitsch das Gesetz über die Parlamentswahlen in der Werchowna Rada vorlegen wird. Bekanntlich tüftelt schon die Arbeitsgruppe am Dokument. Zum ersten Mal gehört ihr nicht nur kein einziger Abgeordneter von der Opposition, sondern überhaupt kein Abgeordneter an. Wird das Gesetz über die Parlamentswahlen die Muttermale des Gesetzes über Kommunalwahlen erben? Mal schauen… ist doch schon ziemlich bald.
Und schließlich der dritte Lackmus, dessen Reaktion wir nicht sehen, sondern spüren werden. Wenn ich den amtierenden ukrainischen Präsidenten beobachte, fällt mir ein Gespräch mit einem ukrainischen Premier ein:
— Was wollen sie im Endeffekt erreichen?
— Ich? Ich will acht Jahre lang das Premieramt innehaben. Was muss ich dafür tun?
— Sie müssen anfangen, etwas abzugeben.
— Ich werde etwas erst dann abgeben, wenn alles mir gehören wird.
— Im Grab gibt es keine Taschen…
Der Ex-Premier lebt noch, Gott sei Dank. Doch ich glaube nicht, dass er sein Leben genießt. Vierzehn Jahre sind vergangen. Und das Gespräch ist wieder aktuell. Oder irre ich mich doch, Herr Janukowitsch? Was sagt Ihnen der Lackmus?
Er sollte Ihnen eigentlich nahelegen, dass die jetzige Macht nur einen Weg zur Heilung hat – all die angesprochenen Probleme je nach ihrer Dringlichkeit zu lösen. Aber wirklich lösen. Sonst wird der amtierende Präsident sehr bald mit einem einzigen, aber riesigen Problem konfrontiert. Denn das gesamte Land wird für ihn zu einem riesigen Problem, das höchst wahrscheinlich nicht mehr zu lösen sein wird.
06.11.2010 // Julia Mostowaja
Quelle: Serkalo Nedeli