Rede von Wolfgang Templin beim Automaidan in Berlin


Liebe Freundinnen und Freunde,
liebe Freunde vom Automaidan,

Ihr habt den Ort Berlin, den Weg entlang des Mauerstreifens und hier diesen Platz am Brandenburger Tor gut gewählt, als Teil eurer Reise durch europäische Städte.

Berlin ist eine Stadt des Kampfes um die Freiheit. Die Berliner Mauer war ein Symbol für Unfreiheit und Unterdrückung. Der Tag als die Mauer fiel, war ein glücklicher Moment in meinem Leben. Noch glücklicher war ich jedoch, als wenige Wochen vorher, im Oktober 1989, in Leipzig und anderen Städten der DDR, Hunderttausende demonstrierten und sich gegen die Unterdrückung auflehnten. Ungezählte Menschen erhoben sich von den Knien und fanden so ihre Würde zurück.

Das Jahr 1889 ist mit zahlreichen dramatischen Ereignissen und Bildern verbunden. Auf unseren Berliner Ukraine-Demonstrationen der letzten Monate konnte man auch georgische Fahnen sehen. Im April 1989 gab es in der georgischen Hauptstadt Tbilissi eine Demonstration für die Unabhängigkeit des Landes. Sondereinheiten des sowjetischen Innenministeriums gingen mit Giftgas, Schlagstöcken und scharfgeschliffenen Pionierspaten gegen friedliche, singende Demonstranten vor. Über 20 von Ihnen wurden ermordet. Während Jelena Bonner und Andrej Sacharow die Verletzten in den Krankenhäusern besuchten und Hilfe organisierten, schwieg der Friedensfürst Michail Gorbatschow und wies alle Verantwortung von sich.

Wir haben die Bilder vom Platz des Himmlischen Friedens vor Augen, auf dem im Juni 1989 demonstrierende Pekinger Studenten von Panzerketten zermalmt wurden. Im gleichen Monat gelang der polnischen Solidarnosc ein triumphaler Wahlsieg. Sie konnte mit Tadeusz Mazowiecki den ersten nichtkommunistischen Ministerpräsidenten stellen.

Zum Jahrestag des Hitler-Stalinpaktes bildeten Beteiligte in allen drei Ländern des Baltikums am 22.August 1989 eine gewaltige Menschenkette, welche ihre Hauptstädte verband. Sie forderten ihre Unabhängigkeit ein, weigerten sich, die letzten Kolonien in Europa bleiben und appellierten an ihre Nachbarn es Ihnen gleich zu tun.

Im September 1989 kam es zum Gründungskongress der Volksbewegung zur Umgestaltung der Ukraine – Ruch, an dem auch eine polnische Delegation teilnahm, zu der Adam Michnik und Jacek Kuron gehörten. Das unabhängige Polen wurde in zur Brücke in den Osten Europas und zum wichtigsten Botschafter für eine freie und souveräne Ukraine.

Im Januar 1990 schließlich bildete sich zur Erinnerung an die Vereinigung der West- und der Ostukraine in der ukrainischen Republik von 1918, eine Menschenkette zwischen Lemberg und Kiew. Blaugelbe Fahnen, der goldene Dreizack und die immer wieder gesungene Hymne der Ukraine machten deutlich, dass es nicht mehr nur um Autonomie, sondern um volle, ungeteilte Souveränität ging.

Knapp zwei Jahre später erblickte die staatlich souveräne Ukraine das Licht der Welt. Sie erklärte ihren festen Willen, den Abschied aus der sowjetischen Zwangsgemeinschaft auf zivilisierte Weise zu nehmen und mit dem engen Nachbarn Russland gute Beziehungen zu unterhalten.

Ein Vierteljahrhundert später haben wir eine andere Realität vor uns. Die Ukraine hat es mit einem russischen Nachbarn zu tun, der sich von der Devise leiten lässt: Lieber eine zerstörte Ukraine als eine europäische Ukraine.

Ein immer aggressiver gewordenes imperialistisches System versucht seinen Hegemonialanspruch mit verbrecherischen Methoden durchzusetzen und geht dafür über Leichen. Die große Mehrheit der russischen Gesellschaft hat sich vom nationalistischen Taumel anstecken lassen und bejubelt ihren starken Führer. Umso mehr ist der Mut und die Haltung von russischen Menschen zu bewundern, die in Moskau und anderen russischen Städten fragen: „Ukrainer könnt ihr uns vergeben?“.

Wir alle haben die Stationen des blutigen Weges der letzten Monate vor Augen. Letztlich ist Wladimir Putin gescheitert. Die Operation Noworossija schrumpfte auf ihren terroristischen Kern zurück, der angestrebte separatistische Flächenbrand im Osten und Süden der Ukraine kam nicht zustande. Die Ukrainer dort verweigerten mehrheitlich den Separatisten und Terroristen die Unterstützung.

Nachdem es zur furchtbaren Tragödie des Abschusses einer Verkehrsmaschine mit fast dreihundert Toten kam, konnte man annehmen, dass die russische Seite wenigstens jetzt innehalten und einlenken würde. Weit gefehlt. Die Desinformations- und Lügenkampagne mit Schuldzuweisungen für die ukrainische Seite lief auf Hochtouren, die weiter offene Grenze wurde nicht geschlossen, Personal, Nachschub und schwere Waffen für die Terroristen dringen bis heute in die Ukraine hinein.

Wladimir Putin wird zum Gefangenen seiner eigenen Eskalationsstrategie. Er wollte den Abschuss mit Sicherheit nicht, hat jetzt aber Mühe damit, die Geister, die er rief, in die Flasche zurückzuholen. Mordgesellen wie Iwan Iwanowitsch Girkin alias Strelkow werden selbst Wladimir Wladimirowitsch Putin noch das Fürchten lehren.

Angesichts dieser Entwicklung hat sich die EU endlich zu deutlicheren Sanktionen entschlossen. Viel zu spät, seit Beginn der Eskalation sind Monate und nicht Wochen vergangen. Rechtzeitige Sanktionen hätten Putin unter Umständen vom ostukrainischen Kriegsabenteuer abgeschreckt,

Gespräche waren und sind notwendig aber maßgebliche Kreise der EU haben zu lange nur auf Verhandlungen gesetzt. Frank Walter Steinmeier wurde zum meistbetrogenen Außenminister Europas. Die ungezählten Stunden der Gespräche mit Sergej Lawrow werden ihm in unguter Erinnerung bleiben.

Die Ukraine wollte diese Konfrontation nicht, sie ist ihr aufgezwungen worden. Sie hat das volle Recht, jetzt ihre Souveränität zu verteidigen. Wenn Sie das erreicht hat und der terroristische Spuk im Osten der Ukraine besiegt wurde, wenn Wladimir Putin die Hände gebunden sind, kommt die wichtigste Aufgabe. Nach Kämpfen, Krieg und Leid, muss die innere Einheit der Ukraine stabilisiert werden. An dieser Aufgabe scheiterte Wiktor Juschtschenko und der Kleptokrat Wiktor Janukowytsch bediente nur seinen Donezker Clan, seine Familie und sich selbst.

Die Eigenständigkeit des Ostens der Ukraine, muss ernst genommen werden, auch dort leben ukrainische Patrioten. Eine künftige ukrainische Menschenkette sollte von Lemberg nach Kiew und nach Donezk reichen.

Es geht darum, dass der Westen, der Osten, der Süden der Ukraine, gemeinsam ihren Weg in die Europäische Union finden. Es wird ein harter Reformweg sein aber wir, die Seite der EU, werden euch dabei unterstützen. Hoffentlich wirksamer und konsequenter als in der Vergangenheit.

In dieser europäischen Aufgabe steckt auch ein zentrales Projekt gewachsener deutsch-polnischer Partnerschaft. Noch immer galt die alte polnische Losung: Für eure und unsere Freiheit, za wolność naszą i waszą.

Es lebe die Ukraine

2. August 2014 // Wolfgang Templin

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