Ukraine fällt bei der europäischen Integration hinter Moldawien und Georgien zurück


Gestern wurde im Rahmen des Zivilgesellschaftlichen Forums der Östlichen Partnerschaft in Poznan (Polen) ein Rating zur europäischen Integration der Länder der Östlichen Partnerschaft veröffentlicht. Die Ergebnisse der Untersuchung erwiesen sich als sensationell. Die Ukraine, die als regionaler Führer in diesem Bereich galt, rutschte auf den dritten Platz ab, dabei nicht nur Moldawien/Moldau an sich vorbeilassend, das sicher den ersten Platz belegte, sondern auch Georgien. Im Ergebnis verlor Kiew und Kischinjow/Chisinau erhielt die Möglichkeit, zusätzliche Finanzierungen bei der Europäischen Union zu bekommen. Experten halten die Bewertung für objektiv, obgleich man Protest vonseiten des ukrainischen Außenministeriums erwartet.

Am Mittwoch endete in Poznan die Arbeit des Zivilgesellschaftlichen Forums, das von der Europäischen Kommission und dem polnischen Vorsitz in der EU unter Beteiligung nichtstaatlicher Organisationen aus den sechs Teilnehmerstaaten der Östlichen Partnerschaft – Ukraine, Moldau, Georgien, Armenien, Aserbaidschan und Weißrussland – durchgeführt wurde. Eine der Hauptveranstaltungen war die Präsentation des Ratings der europäischen Integration, einer gemeinsamen Studie, die von Experten in allen Ländern der Östlichen Partnerschaft unter Finanzierung des „Renaissance“-Fonds durchgeführt wurde.

Die Studie, die nach einer einheitlichen Methodik in allen Ländern der Region durchgeführt wurde, zeigte unerwartete Resultate. „Die besten Werte hatte Moldau. Die Ukraine, die bislang als führendes Land in der Östlichen Partnerschaft galt, geriet auf den dritten Platz“, konstatierten die Autoren. Das europäische Integrationsniveau wurde nach 300 Parametern bewertet, die in drei Blöcke unterteilt wurden, dabei teilt sich Kiew im Block „Annäherung“ den dritten Platz mit Eriwan, das nicht einmal Bestrebungen zur Integration in die Europäische Union deklariert.

Bekanntlich rief die Führung Kiews in der Region bis vor kurzem keinerlei Zweifel weder in der Ukraine, noch in der Europäischen Union hervor. Bei der Gründung der Östlichen Partnerschaft bezeichneten europäische Beamte das Land als „Lokomotive“ innerhalb dieses Formats und sagte voraus, dass die übrigen Staaten die Leistungen Kiews kopieren müssen (siehe Ausgabe des “Kommersant-Ukraine” vom 1. Dezember 2008). Jedoch änderte sich vor nicht allzu langer Zeit die Situation spürbar, betonen Experten. „Innerhalb der letzten zwei Jahren haben sich in der Ukraine einige Indikatoren verschlechtert. Doch die Hauptsache ist die, dass die Ergebnisse Moldaus sich in diesem Zeitraum in vielen Punkten verbessert haben“, erläuterte dem “Kommersant-Ukraine” die Leiterin der Studie, der Direktorin des europäischen Programmes von „Renaissance“, Irina Solonenko.

Der Erfolg Chisinaus erwies sich sogar für moldawische Experten als unerwartet, die an der Studie beteiligt waren. „Ich wusste, dass Moldau sich sehr schnell vorwärts bewegt, doch habe ich nicht erwartet, dass wir auf den ersten Platz kommen, da es üblich war, dass man die Ukraine vor einem sah“, erzählte Leonid Litra, Direktor des moldawischen Instituts für Entwicklung und soziale Initiativen bei der Präsentation in Poznan. „Die Ukraine hat ihre ausgezeichneten Ausgangspositionen und das bessere Kooperationsniveau mit der EU nicht genutzt“, konstatierten die Autoren der Studie.

Hervorgehoben wird ebenfalls, dass der Abstand zu den neuen Führenden im Rating bei der Ukraine ungleichmäßig ist, sogar im Rahmen eines Blocks weist Kiew sowohl zulegende als auch nachgebende Werte auf. „Den ersten Platz bei der Handels- und Wirtschaftsintegration mit der Europäischen Union belegend, ist die Ukraine vorletzter – schlechter als sie ist lediglich Weißrussland – in der Frage der Entsprechung der Prinzipien einer Marktwirtschaft“, wird im Bericht bekräftigt.

Nicht wenige Ansprüche gegenüber Kiew fanden die Experten bei der Bewertung des Systems der staatlichen Verwaltung, darunter im Bereich der europäischen Integration. „In der Frage der Entwicklung der Organe, welche die staatliche Politik im Bereich der Annäherung an die EU formen und koordinieren, zeigte sich Moldau den anderen Ländern der Östlichen Partnerschaft als weit voraus. Die Ukraine steht sogar hinter den Ländern des Kaukasus zurück. Insbesondere werden in Kiew Mängel bei den Organen festgestellt, welche die übersektorale Zusammenarbeit koordinieren“, meinen die Autoren der Studie. Bei der Zusammenfassung der Ergebnisse wurden die Resultate anderer autoritativer Studien mit berücksichtigt, darunter das Doing Business Rating der Weltbank, gemäß dem in Georgien das beste Wirtschaftsklima unter den Ländern der Östlichen Partnerschaft herrscht und in der Ukraine das schlechteste.

Die hinreichend hohen Ergebnisse Georgiens, das in Europa kaum jemand als zukünftiges EU-Mitglied sieht, verwunderten georgische Experten, die daran erinnerten, dass es in Tbilissi nicht wenige Probleme bei der Einhaltung demokratischer Standards gibt. „Die hohe Punktzahl Georgiens bedeutet nicht, dass in diesem Land alles ideal ist. Es bedeutet lediglich, dass die Situation in den anderen Ländern noch schlechter ist“, kommentierte Irina Solonenko die Ergebnisse der Studie.

Europäische Experten betonen, dass die desaströsen Ergebnisse der Ukraine in dieser Studie zu finanziellen Nachteilen für Kiew führen können. In diesem Jahr verkündete die EU die Politik „mehr für mehr“, das einen Finanzierungsanstieg für die Länder vorsieht, welche die besten Ergebnisse bei der Annäherung an die Europäische Union vorweisen. „Bei der Europäischen Union gibt es keine klaren Bewertungskriterien. Dieses Rating könnte zu einem der Faktoren für die Entscheidungsfällung werden“, erläuterte Viorel Ursu vom Open Society Institute in Brüssel dem “Kommersant-Ukraine”. „Zweifellos werden Moldau und Georgien an die EU appellieren und für eine Erhöhung der Finanzierung auf dieses Rating verweisen“. Ursu fügte hinzu, dass für Moldau und die Ukraine die Führung dieses „Wettbwerbsindex“ hilfreich ist. „Offiziell redet man nicht davon, doch zwischen den Ländern, die in die Europäische Union streben, existiert offensichtlich eine Konkurrenz“. Die Studienergebnisse werden den Regierungsorganen der Teilnehmerstaaten der Östlichen Partnerschaft übergeben, teilten gestern die Autoren mit. „Das Außenministerium wird fraglos, unzufrieden sein und wir werden unfreundliche Worte an die Adresse der Autoren des Ratings hören“, ist sich der wissenschaftliche Direktor des Instituts für euroatlantische Zusammenarbeit, Alexander Suschko, sicher, das nicht an der Studie beteiligt war.

Die Organisatoren der Studie unterstreichen, dass es ein Pilotprojekt war und für den Übergang zu einer jährlichen Bewertung des Fortschritts der Teilnehmerstaaten der Östlichen Partnerschaft könnten in der Methodik Änderungen vorgenommen werden, welche die Punktzahlen der Teilnehmerstaaten verändern. Nichtsdestotrotz halten Experten das vorgestellte Rating für vertrauenswürdig. „Man kann über einzelne Kennzahlen streiten, doch das Gesamtbild ändert sich nicht. Viel zu viel zeugt davon, dass die Ukraine ihre Führungsposition eingebüßt hat“, teilte Suschko dem “Kommersant-Ukraine” mit. „Vor 15 Jahren war es schwierig sich damit abzufinden, dass wir soweit hinter Polen liegen. Vor zehn Jahren begriffen wir, wie weit wir hinter den Ländern des Baltikums zurückliegen, vor fünf Jahren war es für uns schwer zu begreifen, dass Bulgarien an uns vorbeigezogen ist und vor zwei Jahren Serbien. Es sieht so aus, als ob jetzt die Zeit gekommen ist, sich mit dem Gedanken anzufreunden, dass wir sogar hinter Moldau und Georgien zurückstehen“.

Sergej Sidorenko

Quelle: Kommersant-Ukraine

Übersetzer:   Andreas Stein  — Wörter: 1066

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