Ukraine muss Atomkraftwerksprojekte im Ausland kaufen


Die Ukraine hat zugegeben, dass sie die Hilfe Russlands bei der Projektierung von Atomkraftwerken benötigt. Gestern hat das Staatliche Atomenergieunternehmen “Energoatom” erklärt, dass es zum ersten Mal ein Kraftwerksprojekt im Ausland einkauft – die Energieblöcke werden in der Ukraine nach der Vorlage des russischen
Atomkraftwerks in Balakowo gebaut. Die ukrainischen Projektanten – das Kiewer und Charkower Institut “Energoprojekt” – verloren in den letzten Jahren einen Großteil ihrer Mitarbeiter und sind nicht in der Lage diese Arbeit auszuführen. Experten prognostizieren, dass sich in der Zukunft die Situation weiter verschlechtern wird und die Ukraine sogar unbedeutende Projektierungsarbeiten nicht mehr ohne ausländische Hilfe durchführen kann.

“Energoatom” beabsichtigt in Russland die Lizenz für das Projekt des Balakowoer Atomkraftwerk zu erwerben, erklärte gestern der Direktor des wissenschaftlich-technischen Zentrums bei “Energoatom”, Nikolaj Wlassenko. Seinen Worten nach, passen ukrainische Spezialisten das russische Projekt für den Bau von Atomenergieblöcken in den Chmelnizkijer und im Rownoer Atomkraftewerken an: das Charkower Institut “Energoprojekt” arbeitet das Projekt des Maschinenraums aus, und das Kiewer Institut die Reaktorinstallation. Insgesamt, gemäß der Strategie der Entwicklung des Treibstoff- und Energiekomplexes bis zum Jahre 2030, soll “Energoatom” alle zwei Jahre einen Energieblock fertigstellen. Zusätzliche Kapazitäten sollen in allen vier ukrainischen Atomkraftwerken aufgebaut werden – dem Chmelnizkijer, dem Rownoer, dem Jushno-Ukrainskijer und dem Saproshsker.

Das Atomkraftwerk Balakowo (Russland, Saratower Oblast) – ist das neueste und stärkste russische Atomkraftwerk. Wurde 1988 ans Netz angeschlossen. Die jährliche Energieerzeugung beträgt 29 Mrd. kWh.

Die Pressesprecherin von “Energoatom”, Ilona Sajaz, beeilte sich gestern ihren Kollegen zu berichtigen. “Das wissenschaftlich-technische Zentrum kann lediglich eine Empfehlung für den Kauf dieses oder jenen Projektes geben. Die endgültige Entscheidung ist bislang nicht getroffen worden und ich bin nicht sicher, dass wir eben das Projekt des Atomkraftwerks Balakowo kaufen werden.”, erklärte Sajaz. Dabei schloss sie nicht aus, dass zu der Projektierungsarbeit Auftragnehmer aus der Europäischen Union, den USA, Japan oder Kanada herangezogen werden. Momentan gibt es in der Welt mehr als 17 Unternehmen, welche fähig sind Atomkraftwerke schlüsselfertig zu konzipieren, die Mehrzahl von ihnen sitzt in der Ländern der Europäischen Union.

Der Generaldirektor des Forschungszentrums “UkrAtomStroj-Consulting”, Wladimir Kasaschin, ist sicher, dass “Energoatom” gezwungen sein wird das Projekt des Balakowoer Atomkraftwerks zu kaufen: “Wenn in Russland das Projekt eines Atomkraftwerkes 30-40 Mio. $ kostet, dann in anderen Ländern 250-300 Mio. $.”

Bis 2005 konnte das Kiewer Institut “Energoprojekt” und bis 2007 das Charkower Institut “Energoprojekt” selbständig ein Atomkraftwerk schlüsselfertig konzipieren, sagt Kasaschin. Doch aufgrund der unbefriedigenden Arbeitsbedingungen ist das wissenschaftliche Potential dieser Institute verloren gegangen – jetzt ist die Mehrzahl der Spezialisten “nach Moskau gefahren oder handelt auf den Märkten”. Vorher hatte sich das Kollektiv des Charkower “Energoprojekt” an den Präsidenten Wiktor Juschtschenko mit der Bitte gewandt, das Unternehmen vor Versuchen der gerichtlichen Liquidierung zu schützen. Die Mitarbeiter des Institutes erklärten, dass wenn das Institut aufhört zu existieren, dann droht der Ukraine der Verlust des letzten wissenschaftliche-technischen Kollektivs. Beim Präsidialamt versprach man sich in den Konflikt einzuschalten, doch konkrete Maßnahmen wurden nicht ergriffen (Ausgabe des “Kommersant-Ukraine“ vom 13. November 2007).

Der Meinung des Mitgliedes des Parlamentsausschusses für den Treibstoff-Energiekomplex, Oleg Sarubinskij, nach, kann die Ukraine in nächster Zeit keine eigenes wissenschaftliches Potential für Atomkraftwerksprojekte mehr aufbauen. “Die ukrainischen Wissenschaft ist unterfinanziert und geplant in den letzten 15 Jahren beseitigt worden und dieses Potential schnell wieder zu errichten wird nicht gelingen. Daher sind wir gezwungen das russische Projekt zu kaufen. Mehr noch hat es bestimmte Vorteile – es berücksichtigt die heutigen Besonderheiten unserer Atomkraftwerke.”, stimmt ihm sein Ausschusskollege Alexander Gudyma zu.

Quelle: Kommersant-Ukraine

Übersetzer:   Andreas Stein  — Wörter: 618

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