Verminte Präsidentschaftswahlen?
Man kann schon heute sagen, dass die juristische Makellosigkeit der bevorstehenden Präsidentschaftswahlen unter Zweifeln steht; was für unsere Realien natürlich kein besonders außergewöhnlicher Fakt ist. Traurig ist, dass dies mit den Anstrengungen von Richtern der administrativen Vertikalen gemacht wird, die mit der Vollmacht ausgestattet sind, alle mit dem Wahlprozess zusammenhängenden Streitfragen durchzusehen, die mit dem Wahlprozess zusammenhängen. Und was vollends traurig stimmt: Die höchste richterliche Instanz, welche das Schicksal der Wahlen bestimmt – der Oberste Administrative Gerichtshof der Ukraine -, trägt nicht nur nicht zur Einhaltung der Gesetzesprinzipien in der Rechtssprechung bei Wahlfragen bei, sondern lässt deren Verletzung wissentlich zu.
Seit Beginn des Wahlprozesses hat der Oberste Administrative Gerichtshof (WASU) schon dutzende Streitfälle behandelt. Nebenbei bemerkt, wie Dokumente und konkrete Entscheidungen beweisen, verletzte er dabei die fundamentalen Grundlagen der Rechtssprechung und des Wahlrechts, und trat folglich die konstitutionellen Rechte einzelner Bürger mit Füßen. Und es gibt offenbar keinen Grund zu der Annahme, dass sie die folgenden Angelegenheiten, die mit dem Wahlprozess zusammenhängen, plötzlich prinzipiell anders betrachten wird. Hierzu zählt auch die „Hauptwahlsache“ – die Feststellung der Ergebnisse der Wahlen, welche für die Gesellschaft von höchster Bedeutung sein wird. Im Übrigen sind auch die derzeitigen Gerichtssachen in Bezug auf die Wahlen prinzipiell wichtig, da von ihrer Gesetzmäßigkeit und der Richtigkeit ihrer Lösungen der Charakter der Wahlen, der Verlauf des Wahlprozesses, die Sicherstellung eines echten Mechanismus zum rechtmäßigen „gewählt sein“ und das Recht auf Wahl unseres Staatsoberhaupts abhängen.
Ungesetzliche Untätigkeit
Das Parlament hat zwar dem Kiewer Appellationsgerichtshof (KAS) die Vollmacht erteilt, alle wichtigen Streitfragen in erster Instanz zu behandeln, dabei aber nicht festgelegt, in welcher Zusammensetzung er dies tun soll – kollegial oder individuell. Deshalb hielten sich die Richter an das allgemeine Recht (Teil 1, S.23 des ukrainischen Rechtskodex), nachdem administrative Streitsachen in erster Instanz vom Gericht individuell betrachtet werden. Mit der Richtigkeit einer solchen Position, erklärte sich auch der stellvertretende Vorsitzende des Obersten Gerichtshofs (WASU), M. Tsurkan, einverstanden. Jedoch hatten sich die Richter des Appellationsgerichtshofs schon bald davon überzeugt, dass man nicht alles glauben muss, was in einem offiziellen Schreiben des WASU steht. Denn diese Instanz begann damit, die Entscheidungen in jenen Sachen mit der Begründung wieder zurückzunehmen, dass diese von den Richtern – individuell – betrachtet wurden. Dabei berichtigte der WASU einige Entscheidungen des Appellationsgerichtshof, andere hingegen nicht. Nach letzten Angaben wurden vier solcher Entscheidungen abgelehnt und vierzehn – ebenfalls individuell getroffene – in Kraft gesetzt.
Und so verweigerte das Kiewer Appellationsgericht (KAS) die Befriedung von Klageforderungen eines Landsmannes, der um die Einsetzung einer – nicht mit der Konstitution und dem Gesetz „Über die Wahlen des Präsidenten“ in Einklang stehenden – zentralen Wahlkommission bat. Dass dieser Herr selbst Ambitionen auf das Präsidentenamt hegt, ist in diesem Fall nicht von Bedeutung. Wichtig ist nur, dass der WASU die Beschwerde des Landsmannes ebenfalls abwies und dem Beschluss des KAS ohne Änderungen folgte, mit der Feststellung: „Der Kläger nimmt irriger Weise an, dass durch das Gericht der ersten Instanz Artikel 24 des Administrativen Rechtskodex der Ukraine verletzt wurde, demzufolge eine Sache von einem einzelnen Richter betrachtet wird und nicht von einem Kollegium aus 3 Richtern.“
Gleichzeitig beschloss eben dieser WASU die Aufhebung einer anderen Entscheidung des KAS und stellte fest, dass diese „durch eine Verletzung der Normen des Prozessrechts, genauer des Teils 1, S.24 des ukrainischen Rechtskodex, nachdem, wenn der Gegenstand der Beschwerde eine Entscheidung, Handlung oder die Untätigkeit des Präsidenten der Ukraine, des Ministerkabinetts der Ukraine … einer Wahlkommission (einer Kommission zu einem Referendum) oder der Mitglieder dieser Kommission sind, solche Sachen von einem administrativen Bezirksgericht in einem Kollegium von drei Richtern betrachtet und entschieden werden.“ Es ist angebracht, zu bemerken, dass der WASU, der in diesem Fall auf die vorgeschriebene Gesetzeslage verweist, die Tatsache ignorierte, dass dies ein Bezirksgericht und kein administratives Appellationsgericht betrifft. Aber man muss auch kein oberer Richter sein, um den offensichtlichen, juristischen Unterschied zwischen diesen beiden Gerichten zu erkennen.
Eine solche – mit Verlaub gesagt – „Kollision“ gibt es also. Und wen beunruhigt das? Natürlich niemanden! Mit Ausnahme des Vorsitzenden des KAS, A.Denisow, der noch am 16. Oktober dieses Jahres den Vorsitzenden des WASU, A. Pasenjuk bat, „eine offizielle Erklärung über die Zusammensetzung des Gerichts (einzeln oder kollegial) hinsichtlich der Durchsicht und Entscheidung durch das Kiewer Appellationsgericht als Gericht erster Instanz über die Beschwerde über die Entscheidungen, Handlungen und Untätigkeiten der Zentralen Wahlkommission und ihrer Mitglieder abzugeben“. Einen halben Monat später erhält A. Denisow eine Antwort des WASU mit der Unterschrift M. Tsurkans, in der es heißt: „Administrative Streitfragen über die Beschwerde über die Entscheidungen, Handlungen und Untätigkeiten der Wahlkommission, ihrer Mitglieder, der Kandidaten für das Amt des Präsidenten der Ukraine und ihrer Vertrauenspersonen sollen von den Richtern des KAS individuell entschieden werden.
Als aber danach der WASU begann, die Entscheidungen des KAS zu widerrufen, weil die Wahlangelegenheiten von den Richtern individuell behandelt wurden, schlug der Vorsitzende des KAS erneut die Alarmglocken. Nun ist es ja irgendwie unangebracht, einer höhergestellten Instanz etwas zu schreiben wie: „Seid ihr denn da alle verrückt geworden, mit was beschäftigt ihr euch überhaupt?“ Deswegen verfasst der hartnäckige Denisow erneut eine Botschaft an den Vorsitzenden des WASU, in der er höflich und delikat die rätselhaft widersprüchliche Position des hohen Gerichts darlegt, auf die offenbare Zeitnot hindeutet und seine Bitte wiederholt, „eine offizielle Erklärung über die Gerichtspraktik des WASU in der entsprechenden Angelegenheit abzugeben“: „Angesichts der Dringlichkeit einer Durchsicht der Angelegenheiten, die mit dem Wahlprozess zusammenhängen, und dem wöchentlichen Anwachsen ihrer Zahl, bitte ich, in kürzester Frist eine Erklärung abzugeben. Gleichzeitig teilen wir mit, dass am 20.11.2009 um 14:00 Uhr eine operative Besprechung der Richter des KAS zu den bekannten, höheren Fragen der Gerichtspraktik stattfindet. Ich halte eine Teilnahme der Führung des WASU an genannter Besprechung für zweckmäßig.“ Und jetzt lassen alle alles liegen und kommen gelaufen, um endlich einheitliche Richtlinien zu schaffen. Und Pasenjuk kehrt aus diesem nichtigen Grund natürlich sofort aus Kroatien zurück… Es ist klar, dass auf der Besprechung niemand aus der Führung erschien, geschweige denn den Anstand besaß, einen Grund für sein Fernbleiben zu nennen. So was nennt sich: Schreiben Sie einen Brief!
Und Denisow schreibt. Dieses mal dem Vorsitzenden des Rates der administrativen Gerichte, S. Matolitsch.
Wie bekannt ist, wurden nach dem 20. November zwei weitere Gerichtsentscheidungen aufgrund dessen widerrufen, dass sie von den Richtern individuell betrachtet wurden.
Entweder verwechselt man beim WASU die 1 mit der 3 oder es gibt sonst was für einen Grund. Aber es ist wahrscheinlich schwierig, die Gerichtspraktik unter den Umständen eines solch strengen Pluralismus im Obersten Administrativen Gerichtshof zu vereinheitlichen. All das veranstaltet ein oberstes Gericht, dem nach dem Gesetz die Pflicht auferlegt ist, den untergeordneten Gerichten methodische Hilfe zu leisten, mit dem Ziel der einheitlichen Anwendung von Konstitution und Gesetzen. Ein Gericht, das den Spezialgerichten Empfehlungen in Fragen der Gesetzgebung, der Einhaltung ihrer Normen bei Entscheidungen entsprechender Angelegenheiten – welche in diesem Falle mit dem Wahlprozess zusammenhängen – gibt. Aber wer kann anderen etwas klarmachen, wenn er doch bis jetzt selbst kaum etwas versteht?
„Ich glaube, dass das Verschweigen des Problems, das mit dem Fehlen einer einheitlichen Gerichtspraxis des WASU bei den konkreten Angelegenheiten in Bezug auf die Präsidentschaftswahlen zusammenhängt; wenn es nicht innerhalb von wenigen Tagen gelöst wird, einen negativen Einfluss auf den Zustand der administrativen Rechtssprechung und der Autorität der Justiz haben wird.“ Das ist wahrscheinlich das einzige, in dem sich Richter Denisow irrt – in Bezug auf Zustand und Autorität. Über den Zustand hat „Serkalo Nedjeli“, wie es scheint, schon alles geschrieben und über die Autorität wollen wir gar nicht erst sprechen…
Nach vorliegenden Informationen hat der WASU in den letzten Tagen schon eine andere Erklärung zur Zusammensetzung der Gerichte, welche sich mit den Wahlangelegenheiten beschäftigen sollen, abgegeben. Dieses Mal fiel die Entscheidung auf ein Kollegium von Richtern, so dass es jetzt zwei offizielle Positionen des WASU zu dieser Frage gibt, die sich gegenseitig kategorisch ausschließen. Wie im Übrigen auch seine Entscheidungen bei konkreten Angelegenheiten dieser Kategorie.
Ungesetzliche Tätigkeit
Es versteht sich, dass das oben erwähnte Missverständnis nicht plötzlich an einem Ort aufgetreten ist. Es ist nur ein Glied in einer langen Kette von Gesetzübertretungen und Unrechtmäßigkeiten, die genauso dreist waren, wie sie ungesühnt blieben.
Heute steht die Organisation der Tätigkeit des WASU nicht im Einklang mit der grundlegenden Gesetzeslage. Dies stellt automatisch die Rechtmäßigkeit bei der Erfüllung seiner Rechtssprechung in Frage, wozu auch die Behandlung in Streitfällen bei Wahlfragen zählt. Dies betrifft nach Expertenmeinung die Legitimität des Wahlprozesses und seine Ergebnisse.
Das Gesetz sieht vor, dass man am höheren Spezialgericht Kammern einrichten kann, die sich mit gesonderten Kategorien von Spezialfällen befassen. Allein durch den Beschluss des Vorsitzenden des WASU sind verschiedene, nummerierte Gerichtskammern eingerichtet worden – eine erste, zweite, dritte und vierte. Bis zu Kammer Numero sechs ist man wohl noch nicht gekommen. Das heißt, dass Pasenjuk anstelle von Gerichtskammern mit jeweils bestimmten Spezialisierungen, Kammern in ordentlicher Reihenfolge – wahrhafte Pionierabteilungen – schuf. Und das ist keine formale Schikane, sondern der Aufbau einer Hausmacht.
Im kürzlich erfolgten Beschluss der gemeinsamen Sitzung des Präsidiums des hohen Gerichts und dem Rat der Richter in der Ukraine wird festgelegt, dass das Fehlen einer genauen Spezialisierung negative Folgen für die Durchführung der Rechtssprechung hat. Dies betrifft auch die Behandlung von Streitfällen im Wahlrecht.
Die Nichterfüllung des Gesetzes bei der Schaffung von Gerichtskammern hatte Gesetzesübertretungen schon unmittelbar bei der Verwirklichung der administrativen Rechtssprechung im WASU zur Folge. Noch am 16. Oktober 2009 gab Pasenjuk eine Verordnung heraus, in der sowohl eine Liste der Gerichte im WASU (insgesamt 20), die sich mit Eingaben und Klagen beim nahenden Wahlprozess beschäftigen werden, festgelegt wird, als auch die Verteilung dieser Eingaben und Klagen und die Zusammenstellung der Richterkollegien.
Als zweite Verordnung setzte der Präsident des WASU fest, dass die Einteilung von Klagen in Angelegenheiten, die mit dem Wahlprozess oder einem Referendum zusammenhängen, in der Reihenfolge der Richter in den Gerichtsbeständen, auf gesonderte Verordnung des Vorsitzenden des WASU erfolgt.
In Zusammenhang damit wird in der Verordnung der erwähnten gemeinsamen Präsidiumssitzung gesondert vermerkt, dass das Gesetz dem Vorsitzenden des WASU nicht die nötigen Vollmachten zur Schaffung so genannter Gerichtsbestände gibt, die sich mit der Behandlung von Klagen in Bezug auf Wahlfragen und Referenden befassen. Es wird als genau vorgeschrieben: Der Präsident hat die Grenzen seiner Vollmachten überschritten, sich ungesetzmäßig verhalten und die organisatorischen Voraussetzungen für eine ungesetzmäßige Funktionsweise des WASU bei der Behandlung von Wahlstreitigkeiten geschaffen.
Eine solche Entscheidung ist im Prinzip nicht nur illegal. Alle seine Thesen selbst widersprechen dem Gesetz. Ein starkes Dokument!
Bestimmte Listen von Richtern zur Schaffung eines Gerichtsbestands zur Behandlung von Wahlfragen entsprechen nicht der Gesetzeslage über die Funktionsweise des WASU im Bestand von Gerichtskammern und haben keine Beziehung zu den Vollmachten des Präsidenten des WASU.
Als klarer Missbrauch der amtlichen Vollmachten erweist sich die These darüber, dass „im Falle einer Unumgänglichkeit, die Schaffung eines Gerichtskollegiums zur Behandlung von Fragen des Wahlprozesses durch den Vorsitzenden des WASU erfolgt“. In der Praxis bedeutet dies, dass die Zusammensetzung des Gerichts, das sich möglicherweise auch mit Fragen des Wahlergebnisses beschäftigen wird, unter dem persönlichen Regime Pasenjuks erfolgt. Aber das Gesetz gibt ihm solche Rechte nicht. Das bedeutet, die Formierung solcher Gerichtskollegien durch ihn ist ungesetzlich.
Die These eben dieser Verordnung über die Verteilung von Eingaben und Klagen zwischen konkreten Richtern erwies sich als Fiktion. Nach der Lage vom 23. November werden Klagen und Eingaben bei Wahlstreitigkeiten zur Durchsicht etwa acht bis neun Richtern vorgelegt. Fünf Richter bekamen nichts ab, vier – nur ein bisschen. Dem gebe ich was, dem gebe ich nichts…
Auf diese Art wurden die rechtlichen Grundlagen der organisatorischen Tätigkeit des WASU bedeutend verletzt. Es wurden die Voraussetzungen zur Verletzung des Prinzips der Gesetzmäßigkeit in der Rechtssprechung geschaffen. Denn ein Gericht, das auf nicht rechtmäßige Weise formiert wurde, ist ein Gericht ohne Vollmachten. Und die Entscheidungen, zu denen ein solches Gericht gekommen ist, können nicht als gesetzmäßig anerkannt werden. Gleichzeitig betreffen die Entscheidungen in Wahlstreitfragen, die der WASU trifft, entscheidende Fragen des Wahlprozesses. Die Registrierung der Kandidaten für das Präsidentenamt, die Gesetzmäßigkeit der Tätigkeit der Wahlkommission und nicht zuletzt die Realisierung der Wahlrechte der Bürger. Diese Fragen sind wesentlich für den Verlauf des Wahlprozesses und seines Wesens, und sie können sich als entscheidend für die Feststellung des Ausgangs der Wahlen erweisen. Und ein illegal agierendes Gericht führt den Wahlprozess vom Weg ab, mit allen sich daraus ergebenden Folgen.
Aleksandra Primatschenko
Quelle: Serkalo Nedeli