Warum ist das Abkommen mit dem IWF für die Ukraine wichtig und was behindert den Abschluss
Bei der Zusammenarbeit mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) ist das Aktionsprogramm wichtiger, als das Geld
Das Hauptproblem der Ukraine besteht nicht in den Bedrohungen und Risiken von Außen, der Rohstoffabhängigkeit bei den Exporten, der großen Rückzahlsumme und der Bedienung der Staatsschulden 2013 und den darauf folgenden Jahren (vor allem von Auslandsschulden) oder den existierenden binnenökonomischen Ungleichgewichten (Haushalt, Außenhandel, Währung). Das Hauptproblem besteht in der Unvorhersagbarkeit, den Unklarheiten (nicht nur) in der Wirtschaftspolitik: in den unpassenden, unrealistischen verkündeten Zielen und Aufgaben. Und mehr noch im Fehlen eines effektiven Maßnahmenprogrammes mit klaren, angemessenen Zielen, Aufgaben und Erfüllungskriterien (für die Schlüsselparameter – das Haushaltsdefizit, die Währungsreserven, die Geldmenge usw.) auf einer quartalsweisen Basis mit Daten für die Umsetzung klarer Aufgaben (Erhöhung der Tarife, konkrete Reduzierungsvorgaben bei Problemkrediten usw.).
Das Vorhandensein eines derartigen Programmes stellt das wertvollste Ergebnis der Zusammenarbeit mit dem IWF dar. Obgleich es dem Mandat des IWF gemäß hauptsächlich makroökonomischen Charakter trägt, enthält es traditionell auch eine Reihe wichtiger Strukturreformen (in der Energiewirtschaft, der Sozial- und Bankensphäre, bei Privatisierungen, der Transparenz von Finanzströmen der staatlichen Monopole usw.).
Damit werden allgemeine, doch sehr klare ökonomische Grenzen für die Reformen gegeben, die natürlich eine gewissenhafte Umsetzung durch die Regierung (das Ministerkabinett, die Zentralbank und andere Regierungsorgane) erfordert als auch eine Entfaltung der Maßnahmen in sektoralen Programmen.
Klar ist, dass 2013 und in den darauffolgenden Jahren der finanzielle Teil der Zusammenarbeit mit dem IWF außerordentlich wichtig ist. In diesem Jahr müssen das Ministerkabinett und die Zentralbank etwa neun Milliarden US-Dollar an Auslandsschulden zurückzahlen. Und das unter der Bedingung eines bedeutenden negativen Leistungsbilanzsaldos und eines Misstrauens gegenüber der Landeswährung. Möglichkeiten wenigstens zur Refinanzierung der Rückzahlungen an den IWF (fast sechs Milliarden Dollar allein in diesem Jahr) zu niedrigen Zinsen (etwa drei Prozent p.a., was bedeutend unter den Werten liegt, zu denen die Regierung im Ausland Darlehen aufnehmen kann, selbst wenn Kredite erhältlich und die Investoren und der Ukraine wohlgesonnen sind) sind ohne das IWF-Programm sehr unwahrscheinlich. Zudem eröffnet die Zusammenarbeit mit dem IWF Finanzierungsmöglichkeiten vonseiten der Weltbank, der Europäischen Union und anderer internationaler Finanzinstitute. Und über eine spürbare Absenkung der Nachfrage nach Außenfinanzierung in den offenen Märkten kann die Ukraine eine bedeutende Senkung der Kosten bei der Aufnahme dieser Kredite erreichen.
Die konsequente Realisierung der Zusammenarbeit mit dem IWF stellt die Wiederherstellung finanzieller Stabilität im Land sicher und auf dieser Basis eine Erhöhung der Investitionen (sowohl der Binneninvestitionen als auch der von Außen) und ein beständiges Wirtschaftswachstum.
Widerstand gegen den Verzicht auf manuelle Eingriffe existiert auf allen Regierungsebenen
Sind die Ukrainer in der Lage selbstständig ein in der Qualität nicht zurückstehendes Wirtschaftsprogramm vorzubereiten? Ja, sie sind dazu fähig! Die Zentralbank, die Ministerien für Wirtschaft und Finanzen und andere Organe haben eine hinreichende Zahl an außerordentlich qualifizierten Spezialisten mit den nötigen Fertigkeiten und dem nötigen Wissen, einem Verständnis der existierenden Probleme und der zu ihrer Lösung unumgänglichen Maßnahmen. Doch alle vorhergehenden Versuche in Regierungsprogramme klare realistische Ziele und Aufgaben in den Bereichen einer qualitativen Geld- und Fiskalpolitik und Gewährleistung von Transparenz in den Finanzströmen, Konkurrenz bei staatlichen Ausschreibungen, Verzicht der Regierung auf Einmischungen in die wirtschaftlichen Prozesse seitens der Verwaltung usw. aufzunehmen, fanden und finden keine Unterstützung bei der Regierung und stießen auf verzweifelten Widerstand und Gegenmaßnahmen seitens der Mehrheit der mittleren Ebene in den staatlichen Organen. Dies insofern, da die Oberen (Politiker) und Unteren (Staatsangestellte) in ihrer Mehrzahl auch weiterhin Möglichkeiten manueller Eingriffe in wirtschaftliche Prozesse nutzen wollen und darauf nicht zu verzichten wünschen.
Ja, es gibt auch Situationen, in denen die ein oder andere Maßnahme, die vom IWF, ausländischen und ukrainischen Experten vorgeschlagen wurden, auch von hochgestellten Staatsangestellten unterstützt werden. Die oberste Führung der Zentralbank schlug Maßnahmen und Handlungen vor und unterstützte dies auch, die von der Regierung im Fiskalbereich für die Verringerung des Haushaltsdefizits und die Erhöhung der Qualität staatlicher Ausgaben umzusetzen sind. Dabei wurde äußerst wenig für eine Erhöhung der Klarheit der Ziele der Geldpolitik, die Gewährleistung ihrer Effektivität, Transparenz und Verständlichkeit für die Gesellschaft und die Wirtschaft, einen Verzicht auf manuelle administrative Regulierung des Devisenmarktes und der Refinanzierung der Banken getan.
Eine ähnliche Situation liegt auch bei den Vorschlägen einzelner Ministerien zu Maßnahmen der Zentralbank vor, doch nicht nur der Regierung. Obgleich anzumerken ist, dass von der Regierung hauptsächlich Vorschläge zur Ausweitung der administrativen Zuteilung finanzieller Ressourcen über die Finanzierungsgewährung für konkrete Wirtschaftssektoren zu Vorzugszinsen eingehen. In jedem Fall erinnere ich mich nicht an eine Forderung der Regierung an die Zentralbank, die analog den Empfehlungen des IWF, der Weltbank oder internationaler Experten gewesen wäre.
Die derzeitige Regierung ist nicht an erfolgreichen Reformen interessiert.
Die derzeitige Regierung ist an einer Beibehaltung der Ukraine in einer Grauzone interessiert, in welcher der Wert von Aktiva, besonders in der Landeswährung, niedrig ist. Zumal wenn die staatlichen Einflusshebel zur Neuverteilung bei ihr liegen. Die Regierung ist nicht an der Verbreitung der Prinzipien und Grundlagen einer transparenten, vorhersagbaren Wirtschaftspolitik interessiert, die das Wesen der Programme des IWF und der Weltbank ausmachen.
Daher rührt auch die ständige Suche nach ausländischen Ressourcen in Russland, China, den arabischen Staaten und in letzter Zeit von großen Investitionen aus den USA und Europa. Sollen sie für den Staat auch teurer sein, die eine oder andere Zugabe, darunter politischer Art, erfordern, verlangen sie doch gleichzeitig keine wirtschaftlichen Reformen. Reformen, welche die Grundlagen der Regierungsmacht untergraben, die auf manueller administrativer Regulierung wirtschaftlicher Prozesse und auf der Kontrolle der Finanzströme auf allen Ebenen gründet.
Wenn die Regierung zu unpopulären Reformen übergeht, dann nur auf Kosten der einfachen Leute und nicht der eigenen Geschäftsinteressen.
Klar ist, dass auch die Regierung zu einigen Änderungen bereit ist. Besonders wenn diese nicht den engsten Kreis betreffen, Fremde trifft (darunter die Oligarchen) und einen guten Knüppel für die nicht ganz Eigenen darstellen.
Das Geschäker mit der minderbegüterten Bevölkerung bei den Preisen für Gas, Strom, kommunale Dienstleistungen und den Sozialleistungen setzt sich fort, da es einen klaren Begriff davon gibt, dass eine weitere Beraubung der Armen (das ist faktisch die Mehrheit der Bevölkerung) bei maßloser Bereicherung eines kleinen Teiles der „Eigenen“ schnell zu einer sozialen Explosion führen könnte.
Derweil ist die Staatsmaschinerie überhaupt nicht bereit zu kardinalen Änderungen der Sozialpolitik bei der Umverteilung von Dutzenden Milliarden Hrywnja, die bei Naftogas angeblich zum Nutzen der ungeschützten Bevölkerungsschichten im Nichts verschwinden.
Es verstärkt sich auch der Druck von Außen. Dabei genügt es sich an die letzten Forderungen von Gasprom an die NAK (Staatliche Aktiengesellschaft) Naftogas Ukrainy zu erinnern und der Erhalt bedeutender Finanzmittel aus China oder den arabischen Staaten ist unmöglich ohne Zugeständnisse beim Landverkauf (siehe die weißrussische Erfahrung) oder Produkten der Agrarindustrie.
Klar ist, dass die Regierung kein geschlossenes Team ist. Es gibt Politiker, die an einer maximalen Integration mit Russland interessiert sind und für sie ist die Schwächung der Ukraine die beste Möglichkeit ihre Absichten zu verwirklichen. Daher werden sie auch weiter die Ausarbeitung und Umsetzung der Maßnahmen behindern, die der Wirtschaft der Ukraine helfen, dem Nachbarn zu widerstehen und nicht in dessen Umarmung zu fallen. Darunter fällt auch die Wiederaufnahme der Zusammenarbeit mit dem IWF. Zumal unter den vorrangigen Sachen auch sozial unpopuläre sind, nach deren Lösung man auch aus der Regierung hinausgebeten werden kann. Leider gibt es in der Regierungsmannschaft bisher keine Politiker, die bereit wären Verantwortung für unpopuläre Entscheidungen zu übernehmen und etwas für das Allgemeinwohl des Landes zumal in fernerer Perspektive zu tun (ukrainische Balcerowicz’).
Der zweite Teil der Regierungsmannschaft, von der Gruppe „Texas können nur die Texaner ausrauben“ präsentiert wird, sucht nach Möglichkeit ein Abkommen mit dem IWF zu erreichen, da sie die politökonomischen Folgen des Fehlens dieser Zusammenarbeit begreifen, entsprechend auch die Schwächung ihrer Positionen im Hinblick auf den russischen Druck.
Sind sie bereit ihre Geschäftsinteressen zu opfern? Antwort: Nein. Nur die Interessen der einfachen Leute, fremder oder nicht ganz so nahestehender Wirtschaftsgruppen. Doch das bedeutet, dass schwere Verhandlungen mit dem IWF bevorstehen und noch schwierigere Abstimmungen in der Regierungsmannschaft.
Dabei ist die Position des IWF bekannt – es reicht, das vorherige Kooperationsprogramm zwischen dem Fonds und der Ukraine zu lesen und die Zusammenarbeit dieser Organisation mit anderen finanzielle Hilfe bedürfenden Ländern zu studieren. Tatsächlich finden bei jeglichen Verhandlungen bestimmte Änderungen in den Positionen der Teilnehmer statt: eine Schwächung oder Stärkung der einen oder anderen Forderung oder Verpflichtung, unbedeutende Verringerungen/Erhöhungen der Anzahl der Richtwerte – des Haushaltsdefizits, der Währungsreserven usw. Doch die allgemeine Position des IWF ist bekannt und transparent.
Gleichzeitig bleiben die wirklichen Positionen und Absichten der ukrainischen Regierung und ihrer einzelnen Gruppen sowohl in der derzeitigen Situation als auch für die Zukunft geheim.
Das Nichterreichen einer Übereinkunft mit dem IWF, darunter auch die Umsetzung vorhergehender Maßnahmen (noch vor der Sitzung des IWF-Direktoriums) wird die Positionen der Ukraine, meiner Ansicht nach, nur schwächen, darunter auch auf den ausländischen Finanzmärkten und in den Beziehungen zu Russland, bis zum möglichen Verlust der Unabhängigkeit (zuerst der wirtschaftlichen und mit der Zeit der politischen).
Ohne unverzüglichen gesellschaftlichen Druck wird das Land weiter in die Krise rutschen
Am schmerzhaftesten ist in dieser Situation das Fehlen eines eigenen Programms wirtschaftlicher Reformen bei den patriotischen politischen Kräften, der ukrainischen Wirtschaft, den Gewerkschaften und ebenfalls die ungenutzten analytischen Möglichkeiten der ukrainischen nichtstaatlichen Institute, der qualifizierten Analysten, die in ukrainischen Investmentunternehmen, Banken usw. arbeiten. Das macht die Gesellschaft und die Wirtschaft zu abseitsstehenden Beobachtern im Verlaufe der Verhandlungen mit dem IWF und gestattet es der ukrainischen Seite nicht gegenüber dem Fonds ein effektives Programm wirtschaftlicher Maßnahme auszuarbeiten und zu vertreten, dass dabei auch gesellschaftliche Unterstützung erfahren würde.
P.S. Persönlichen Dank an Natalia Sinez, Journalistin der Agentur Thomson Reuters, deren Fragen zum Schreiben dieses Textes anregten.
1. Februar 2013 // Igor Schumilo
Quelle: Serkalo Nedeli