Warum die Vereinigte Orthodoxe Landeskirche für alle orthodoxen Ukrainer sinnvoll sein kann


Wie kann man sich und andere davon überzeugen, dass die Arbeit an der Schaffung einer Vereinten Landeskirche kreativ, in ihrem Wesen ehrenhaft und moralisch dankbar ist? Dass es bei dieser Arbeit sehr viel Platz für Erzbischöfe, für Priester und für Laien gibt. Die Teilnahme der Laien ist ebenfalls sehr wichtig, weil ihre Position, Stimmung, Ermutigung und Unterstützung für die Geistlichen nötig ist. Zu allererst muss man wissen, wie man den Menschen erklärt – den Gläubigen der Ukrainischen Orthodoxen Kirche ebenso wie den „einfachen Orthodoxen“, die die Feinheiten nicht so gut verstehen – warum die Vereinte Landeskirche für alle gut ist, und dann auch, wie man die Mythen widerlegt, die zu uns aus der „Salissja“ [wörtlich „hinter dem Wald“, historische Bezeichnung für die Gebiete der Rus nordöstlich von Kyjiw und Tschernihiw im heutigen Russland A.d.R.] gekommen sind. Im Folgenden finden Sie eine Auflistung von Argumenten, „Horrorgeschichten“ und Mythen, die in den Medien, welche gegen die Landeskirche sind, häufig verbreitet werden, und eine logische Antwort darauf. Die einfachste Auflistung dieser Argumente kann man dem offenen Manifest des Abgeordneten Wadym Nowynskyj entnehmen, eines gebürtigen Nowgoroders, der nach 40 Jahren, die er in seinem Heimatland gelebt hat, seine Staatsangehörigkeit Russlands in die ukrainische getauscht hat und jetzt als Politiker und mächtiger Finanzier, als wichtigster Führer des russischen Einflusses auf die ukrainische Orthodoxie auftritt. Wir geben sie in der Reihenfolge wieder, wie sie im Interview formuliert sind.

Argument eins: Die Schaffung der Landeskirche ist im Wesentlichen ein Wahlmanöver Petro Poroschenkos.

Antwort: Es ist offensichtlich, dass die Bildung der Landeskirche Sache nicht nur eines Poroschenko ist. Seit vielen Jahren und Jahrzehnten hat sich ein bedeutender Teil der ukrainischen Politiker (mit Ausnahme offensichtlich pro-russischer und verborgen pro-russischer Kräfte) für die Notwendigkeit der Anerkennung der Autokephalie [kirchliche Eigenständigkeit, A.d.Ü.] für die Akzeptanz der Ukraine als eines unabhängigen Staates ausgesprochen und daran gearbeitet. Nur erst nach dem Majdan hat sich ein solches Gleichgewicht der Kräfte eingestellt, dass das ukrainische Parlament es geschafft hat, eine Position bezüglich der Unabdingbarkeit der Autokephalie zu bezeugen. Wonach jetzt unsere Gesellschaft und Regierung streben, war hundert oder mehr Jahre zuvor für die Gesellschaft der Länder Osteuropas selbstverständlich, die damals die Autokephalie ihrer Kirchen durchsetzten.

Und wenn ein Politiker abgesehen von dieser wichtigen gemeinsamen Sache davon persönliche Vorteile haben will, so ist das typisch für Politik und Politiker. Die Bedeutung dieser Sache wird dadurch nicht verringert.

Argument zwei: Die Initiative der Regierung bei der Autokephalie ist eine staatliche Einmischung in die Angelegenheiten der Kirche.

Antwort: Das Argument enthält einige Schlauheit. In Russland (im Moskauer Zarenreich und im Russischen Imperium und in der Sowjetunion) war die Kirche mehr als 400 Jahre ehrlich und offen dem Staat untergeordnet. Die orthodoxe Kirche kann nur in zwei Fälle in einem separaten nationalen Staat von der Regierung unabhängig sein: a) ihr Zentrum befindet sich in einem anderen Staat – die ist der Fall bei Ländern auf dem Territorium des einstigen Russischen Imperiums (der UdSSR), und dann lenkt genau der imperiale Staat die Kirche nicht nur auf seinem Territorium, sondern auch in jenen Ländern (eine etwas andere Situation für Katholiken, die den Vatikan haben, aber auch hier nehmen die Staaten auf die katholischen Kirchenstrukturen in ihren Ländern Einfluss); b) in einem Land gibt es dank einer großen Mittelschicht, die nicht vom Staat abhängt, eine starke Zivilgesellschaft. In einem solchen Land hängt die Kirche nur von ihren Gemeindegliedern ab. Zu einer solchen Kirche müssen die Ukrainer aufschließen. Und eine derartige Bewegung entfernt sich von der russischen kirchlichen Tradition, sowohl der alten wie auch der gegenwärtigen.

Argument drei: Die Verleihung der Autokephalie durch Konstantinopel (auch wenn sie passieren wird), und nicht vom Moskauer Patriarchat, zu dem die kanonische Ukrainische Orthodoxe Kirche (Moskauer Patriarchats) gehört, verstößt gegen das Kirchenrecht.

Antwort: Erstens, in der Orthodoxie gibt es kein kohärentes und unumstrittenes System von Gesetzen (Kanones), die eindeutig interpretiert und zu einem plötzlichen Zeitpunkt aktuell würden, was kein Schaden ist. Die Tatsache, dass ein solches System kompliziert ist, zeigt die Arbeit vieler Parlamente. Es besteht ein ständiger Bedarf, Gesetze zu schaffen und zu verbessern, um sie mit den ständigen Veränderungen in der Gesellschaft in Einklang zu bringen. So gibt es in der Orthodoxie unveränderliche Dogmen des Glaubens, jahrhundertealte Erfahrung eines aufrichtigen religiösen Lebens, aber diesmal gibt es keine Institution, die die Kanones korrigierte, die (zumeist) im Byzantinischen Reich vor einem Jahrtausend geschaffen wurden. Daher berufen sich die verschiedenen Parteien in interorthodoxen Diskussionen auf ihre eigene Interpretation der Kanones und kirchlichen Praktiken. Die Interpretation des Patriarchats von Konstantinopel hat die folgende logische Abfolge: Die Kyjiwer Metropolie wurde im 17. Jahrhundert an das Moskauer Patriarchat nicht in jeglicher Hinsicht übertragen, der Akt von 1686 wurde für illegal erklärt. Genau infolge dieser Interpretation wurde 1924 der Polnischen Orthodoxen Kirche als Teil der Kyjiwer Metropolie des 17. Jahrhunderts die Autokephalie verleiht (übrigens auf Initiative und unter dominierender Teilnahme des polnischen Staates). Moskau stimmte dem faktisch zu (obwohl es 1948 die Situation „überwand“, indem es erklärte, dass nur sie es ist, die die „echte“ Autokephalie verleiht). Ferner hat Konstantinopel unter Rückgriff auf das Verständnis seiner eigenen Vollmacht der Estnischen Orthodoxen Kirche im Jahr 1996 die Autonomie zurückgegeben, die es dem Tomos von 1923 zufolge besaß, obwohl das der Position von Moskau entgegengesetzt ist.

Argument vier: Wir sind im Allgemeinen nicht gegen Autokephalie, aber wir müssen zuerst die Spaltung überwinden. Es gibt keinen anderen Mechanismus, als Buße zu tun und in den Schoß der Ukrainischen Orthodoxen Kirche zurückzukehren und dann, vielleicht, an die Regionalsynode der Russischen Orthodoxen Kirche zu appellieren. Und nur die Synode der Ukrainischen Orthodoxen Kirche hat als einzige kanonische Kirche in der Ukraine das Recht, die Autokephalie zu beantragen.

Antwort: Erstens. Das Argument über die Notwendigkeit der Umkehr (oder nicht) betrifft nicht nur die ukrainische Situation, es ist ziemlich alt. Keine Griechische Orthodoxe Kirche, keine Bulgarische Orthodoxe Kirche im 19. Jahrhundert, weder die Polnische Orthodoxe Kirche noch die Georgische Orthodoxe Kirche im 20. Jahrhundert haben vor den Patriarchaten von Konstantinopel und Moskau „bereut“, nachdem sie die Autokephalie ausgerufen hatten. Die Leiter dieser Kirchen, der aktive Klerus mit Unterstützung der Laien, die weltliche Macht waren der Ansicht, dass die direkte Anwendung des 34. Apostolischen Kanons und der Kanones 17 des IV. und 38 des VI. Ökumenischen Konzils, nach denen die kirchlich-administrative Verfasstheit der staatlichen Verfasstheit entsprechen muss, aktueller sei das heißt: in einem unabhängigen Staat eine autokephale Kirche sein muss. Die Kirchen, aus denen neue autokephale Gemeinschaften sich abtrennten, wollten aus verständlichen Motiven die Autokephalie nicht anerkennen, unter Druck der Umstände aber waren sie gezwungen, dies zu tun.

Zweitens. Der Begriff „Spaltung“ (Raskol) im Kontext der russischen Geschichte ist eine Manipulation, um den Grad der Intoleranz und Ablehnung für die Gegner zu erhöhen. Seit dem siebzehnten Jahrhundert, den Zeiten [Patriarch] Nikons, war die eine Seite der Ansicht, dass die andere als „Raskolniki“ die schlimmsten Strafen bis hin zum Verbrennen verdienten, die andere Seite bekreuzigte sich um der Wahrheit willen mit zwei Fingern und war bereit, zu brennen und in Flammen aufzugehen. Dieser der russischen Orthodoxie eigene Radikalismus und Bolschewismus (lange vor den Bolschewisten) zeigte sich später in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts, als sie den „Sergejanern“, „Josifljanern“, „Gregorianern“, „Obnowlenzy“ [Erneuerern], „Katakombenchristen“ und so weiter als Gegnern jegliche Anteilhabe an der Kirche und an Christus absprachen. Genau diese im Wesentlichen bolschewistische Rhetorik wurde leider von der Russischen Orthodoxen Kirche und der Ukrainischen Orthodoxen Kirche (Moskauer Patriarchats) in den 1990er Jahren erneuert, als sie die „Raskolniki als die schlimmsten Feinde der Wahrheit charakterisierten. Ein Verbleiben in der „ungesegneten“ Gemeinschaft wurde interpretiert als freiwilliger Abstieg in die Hölle hier auf Erden.

Gleichzeitig wird in verschiedenen Kirchen (insbesondere in der katholischen Kirche, wo es ebenfalls seine Trennungen gibt), eine erheblich weichere, viel tolerantere Rhetorik verwendet. Anstelle von „Raskol“ kann beispielsweise das griechische Wort „Schisma“ (Trennung) oder „eigenmächtig“ verwendet werden. Über den Unterschied zwischen Raskol und „eigenmächtigen Versammlungen“ (so ist der Autor geneigt, die „unkanonischen“ Jurisdiktionen zu interpretieren) hat Archidiakon Andrij Schmelow der Ukrainischen Orthodoxen Kirche schön geschrieben.

Drittens. Alle verstehen schon vollkommen, dass selbst wenn man das Feld nichtwissenschaftlicher Fantastik betritt und sich vorstellt, dass alle in den „nichtkanonischen“ Jurisdiktionen Buße tun, sich mit der Ukrainischen Orthodoxen Kirche vereinen und sich gemeinsam an die Russische Orthodoxe Kirche mit der Bitte um Autokephalie wenden, dass es dann keinen Grund zur Hoffnung gibt, etwas von der Russischen Kirche zu erhalten. Erinnern wir uns, wie man in den 90er Jahren Hoffnung auf die kommende Jubiläumssynode der Russischen Orthodoxen Kirche im Jahr 2000 hatte, die das ukrainische Problem ignorierte. Und kürzlich hat der Moskauer Patriarch öffentlich erklärt, dass es keine Abtrennung Kyjiws als der Wiege der Russischen Orthodoxie von der Russischen Orthodoxen Kirche geben könne. Punktum.

Argument fünf. Egal wie zwingend die Gründe für die Vereinigung sein mögen, so wird es nichts, solange die Ukrainische Orthodoxe Kirche (Kyjiwer Patriarchat) der dem Kirchenbann unterliegende Filaret Denyssenko vorsteht. Die Sakramente, die von den Klerikern gespendet werden und die kirchlichen Riten in einer religiösen Gemeinschaft, die ein „mit einem Kirchenbann Belegter“ leitet, sind, wie man in der Ukrainischen Orthodoxen Kirche behauptet, ungültig.

Antwort: Die Vorstöße mit Kirchbann, inspiriert von der politischen Komponente (oder politischen Basis) der Russischen Kirche sind nichts Besonderes im vorliegenden Fall. Die Russische Kirche hat immer wieder politische und kirchliche Führer mit Kirchenbann belegt, nicht, weil sie die Grundsätze des Glaubens verletzten, sondern auch dafür, dass ihre Handlungen von Moskau beanstandet waren. Hier einige Beispiele: 1416 hat die Moskauer Synode, einberufen von Photius, den Metropoliten Grigorij Zamblak dafür mit einem Kirchenbann belegt, dass dieser mit Unterstützung des litauischen Großfürsten Metropolit der Rus und Litauens wurde, 1458 verhängt aus dem gleichen Grunde der Moskauer Metropolit Jona einen Kirchenbann über den Metropoliten Grigorij den Bulgaren.

Nicht nur einmal wurden Kirchenverbannungen verhängt oder wurde ihre Verhängung politischen Figuren angedroht (die Geschichte von Hetman Masepa ist die bekannteste von vielen). Vergessen wir nicht auch die jüngeren Beispiele massenhafter Dienstverbote, die beispielsweise Metropolit Sergej (Stragorodskij) unter dem Druck der staatlichen Macht gegen Hierarchen verhängte, die nicht mit seiner Politik der Servilität gegenüber der Sowjetmacht einverstanden waren (und beachten wir, dass ein Teil von denen, die dem Verbot anheimfielen, später im Jahr 2000 als Hieromärtyrer kanonisiert wurde). Und die Synode, angeführt von Metropolit Sergej erklärte die Sakramente, die in den Eparchien und Gemeinden, die nicht Stragorodskijs in den Gottesdiensten gedachten, gespendet wurden, für ungültig, und wählten die Unterordnung seiner Gegner (die Synode, die Metropolit Sergej ernannt hatte, verbot sogar die Ausführung des Begräbnisritus für diejenigen, die beim Gebet in den Kirchen nicht des Stellvertreters und Platzhalters (locum tenens) [des Patriarchen] gedachten. Und später hat man, wie wir wissen, diese traurige Initiative der sogenannten „Sergianischen“ Hierarchie der 20er Jahre bezüglich der Nichtanerkennung der Sakramente in den 90er Jahren in Russland und der Ukraine wiederholt. Obgleich in unserem Zeitalter eine Entscheidung über die Nichtanerkennung der Gültigkeit der Sakramente der Ukrainischen Orthodoxen Kirche (Kyjiwer Patriarchat) und der Ukrainischen Autokephalen Orthodoxen Kirche so weder von der Synode der Russischen Orthodoxen Kirche in Moskau noch der Synode der Ukrainischen Orthodoxen Kirche in Kyjiw angenommen wurden (möglicherweise dank einer gewissen theologischen Kultur der Bischöfe), so wurde doch die Vorstellung vom „fehlenden Segen“ der Sakramente im kirchlichen Bewusstsein der Gläubigen und Geistlichen der Russischen Orthodoxen Kirche und Ukrainischen Orthodoxen Kirche der 90er und 2000er Jahre weit verbreitet. Somit verlieren sowohl die Verwendung solcher altkirchlichen Akte wie des Kirchenbanns (das im ersten Jahrtausend nur aus Gründen des Glaubens verhängt wurde) als auch die anderen Arten von Verboten wegen ihrer offenkundigen politischen Motive die Gültigkeit.

Argument sechs. Die Leute, die sich für die Autokephalie aussprechen, so sagen ihre Gegner, haben sehr aggressive Absichten.

Wadym Nowynskyj: „Sie haben bereits ungefähr 50 Kirchen weggenommen.“ Und weiter: „Ich habe sehr klar … Patriarch Bartholomaios gesagt, dass, wenn auch nur irgendein bedeutungsloses Dokument kommt, … wird ein Bürgerkrieg beginnen … Eure Heiligkeit, Sie sind ein weiser Mann, lassen Sie nicht den Bürgerkrieg entflammen.“ Wir sehen, dass es Aussagen von Vertretern der Ukrainischen Orthodoxen Kirche des Kyjiwer Patriarchats gibt, dass die Lawra zur Ukrainischen Kirche gehören sollte. Das heißt, man möchte der „kanonischen Kirche“ in naher Zukunft die Kyjiwer und Potschajiwer Lawra wegnehmen. Folglich bereiten Kirchennationalisten einen Religionskrieg vor.

Antwort: Man sollte die Themen separat in den Blick nehmen: Erstens: Nehmen wir uns das Problem des Übergangs der Gemeinde in eine andere Kirche (Jurisdiktion) vor. Gerade dadurch, dass die aktuellen ukrainischen Gesetze keinen Mechanismus eines verständlichen Übergangs einer religiösen Gemeinschaft in eine andere Jurisdiktion bereitstellt (wenn das die Mehrheit ihrer Gemeindeglieder wünscht), entstehen Probleme. Tatsächlich verzögert das Parlament die Verabschiedung eines Gesetzes, das einen klaren rechtlichen Rahmen bieten würde. Das entsprechende Gesetzesprojekt ist schon lange vorbereitet, aber es gibt Abgeordnete der Opposition (und Wadym Nowynskyj ist einer der Herausragendsten), die die Verabschiedung dieses Gesetzes behindern, und dadurch tragen sie nicht dazu bei, an einigen Orten die religiösen Spannungen abzubauen.

Daher die zweite Seite der Frage: Die Aufnahme des erwarteten Tomos [Erlass] bedeutet auch die Notwendigkeit einer konsequenten Verabschiedung entsprechender Gesetze, die die Mechanismen der Berücksichtigung der Rechte der religiösen Mehrheit und der religiösen Minderheit normalisieren würden. Das Kriterium für die Gerechtigkeit dieser Gesetze kann gegenwärtig die Übereinstimmung mit der europäischen Praxis und die Zustimmung der europäischen Anwälte sein. Solche Gesetze zu verabschieden, ist unvermeidlich notwendig, weil ihr Fehlen Spannungen provoziert. Man sollte sich vor Ungerechtigkeit gegenüber der religiösen Minderheit hüten, aber Ungerechtigkeit gegenüber der Mehrheit ist auch nicht gut. Aufgrund der bestehenden rechtlichen Inkohärenz kann die Mehrheit der Gemeindeglieder (wenn solche eine Mehrheit den Platz einnimmt) nicht mit der Kirche, die ihnen gehört, in die Jurisdiktion übertreten, der der die Gemeindeglieder sein möchten.

Aber meiner Meinung nach sollte man bei dem gesamten Gesetzgebungsmechanismus vorsehen 1) ein Moratorium für die erste Zeit, beispielsweise ein-zwei Jahre, möglicherweise mit Unterstützung des Ukrainischen Kirchenrats, für gerichtliche und außergerichtliche Änderungen der Zugehörigkeit von Kirchengebäuden; und 2) eine langfristige Strategie mit Unterstützung einer entsprechenden Gesetzgebungspolitik zur Absicherung der Haupt-Konfessionen, die in einer gegebenen Region (Siedlung) Gläubige haben, zur Ermöglichung der Ausübung des religiösen Lebens. In der Ukraine gibt es übrigens gar nicht so wenige Beispiele (die man breit publizieren sollte!), wo die Konfessionen entweder übereinkommen über eine Teilung der Räumlichkeiten oder eine Konfession einer anderen hilft, ihre Kirche zu bauen. Diese Hilfe sollte auch von den lokalen Behörden geleistet werden.

Ich halte es ferner für unangemessen, öffentliche Erklärungen über die unvermeidliche und rasche Veränderung der Zugehörigkeit wichtiger religiöser Zentren wie der Lawra anzuregen. Die Propaganda der Gegner wird ihren Gläubigen den möglichen Schutz der religiösen Heiligtümer eindeutig als hohe und heilige Tat, Märtyrertum für den Glauben etc. verherrlichen. Ein gewalttätiger Konflikt um die Lawra könnte in unserer politischen Situation durchaus der Grund für eine massive bewaffnete Invasion in die Ukraine sein. Daher ist es die Aufgabe von Regierung und Gesellschaft und allen Christen, Provokationen und gewaltsame Lösungen der Fragen der Mitgliedschaft von Kirchenstrukturen zu vermeiden. Es ist wichtig zu bezeugen, dass Geduld und Großzügigkeit die Züge sind, die das Christentum in Kyjiw grundlegend von Moskau unterscheidet. Wir haben auf die Ukrainische Landeskirche seit Jahrzehnten oder Jahrhunderten gewartet, so kann man die Situation mit den Kirchengebäuden etwas aushalten. Wenn wir Christen sind, hindert uns nichts, auch jetzt zu einer passenden Zeit zu jenen heiligen Orten zu kommen und zu beten.

Argument sieben (nicht im Interview erwähnt, aber es klingt oft aus dem Mund der Sprecher der Ukrainischen Orthodoxen Kirche): In jedem Land sollte es nach den Kirchenkanones nur eine Landeskirche geben.

Antwort: Idealerweise – ja. Aber wie bereits in der Antwort auf Argument drei, in der Orthodoxie gibt es sowohl jetzt als auch in der Vergangenheit keine Harmonisierungsverfahren für kirchliche Gesetze (Kanones), die sie in einen Zustand der gegenseitigen Konsistenz bringen. Daher existieren in einigen Ländern, in denen nicht ein religiöses Zentrum seinen Einfluss monopolisieren konnte, Diözesen und Gemeinden, die zwei Zentren untergeordnet sind, von denen jede dieses Land oder ein Teil von ihm für sein kanonisches Territorium hält. Das sind Griechenland (die Griechische Kirche und die Kirche von Konstantinopel), Moldawien (die Rumänische und die Russische), Estland (Konstantinopel und die Russische). Darüber hinaus hat sich in den Ländern, die viele Einwanderer aufgenommen haben, eine orthodoxe Diaspora aus orthodoxen Ländern gebildet. Die Mehrzahl der Landeskirchen haben in den Ländern Nordamerikas, im letzten Jahrzehnt aber auch in Westeuropa ihre Gemeinden und Eparchien (nicht nur die größten Kirchen, sondern auch vergleichsweise kleine wie beispielsweise die Georgische oder Bulgarische). Das bedeutet, dass die moderne Orthodoxie polyzentrisch ist, irgendein Monopol gibt es dabei nicht. Das ist für die ukrainische Orthodoxie gut, die leider im vergangenen Jahrhundert isoliert war und allein einem Monopoleinfluss aus dem Norden ausgesetzt war.

So muss man gerechtigkeitshalber sagen, dass die Russische Kirche ohne irgendwelche Gefühlsregungen und ohne Festhalten an den kirchlichen Kanones nicht nur einmal sich kanonische Territorien angeeignet hat, die anderen Kirchen zugehörten: die Krim und die Schwarzmeerregion am Ende des 18. Jahrhunderts, Bessarabien, Moldawien, die Bukowina, Estland und einen Teil Finnlands im 20. Jahrhundert und so weiter.

Wenn wir diese Thesen und Argumente, die die Prinzipien einer Vereinten Orthodoxen Landeskirche in der Ukraine verteidigen, in einer möglichst kurzen Formel vereinen, so haben wir: die Existenz einer solchen Kirche auf kanonischen Grundsätzen, mit eucharistischer Gemeinschaft mit dem Ökumenischen Patriarchat entfernt eine ganze Reihe von Ansprüchen, die es gegenwärtig bezüglich der national orientierten Ukrainischen Orthodoxen Kirche des Kyjiwer Patriarchats und der Ukrainischen Autokephalen Orthodoxen Kirche gibt – das Unkanonische, den fehlenden Segen, das Politisierte usw.

Aber: Die Landeskirche sollte erklären, dass ihr Klerus und die Gläubigen sich tatsächlich an christliche Prinzipien halten, die es den Bürgern der Ukraine ermöglichen, in einer religiösen Gemeinschaft zu sein, unabhängig von ihrer Nationalität, Sprache, politischen und kulturellen Orientierung;

die Landeskirche bestätigt ihre Offenheit für den Reichtum und die Vielfalt der Weltorthodoxie und übt darüber hinaus Toleranz gegenüber den orthodoxen Brüdern in Christus, von denen ein Teil bein Moskauer Patriarchat bleibt, weil sie das für sich als wichtig erachten. Mehr noch, wenn in der Ukraine einige Zeit lang zwei kanonische orthodoxe Gemeinschaften existieren werden, so schließt das brüderliche (einschließlich gottesdienstliche) Beziehungen, gemeinsame soziale und Bildungsprogramme zwischen ihnen nicht aus. Aber alles wird von uns abhängen, den orthodoxen Ukrainern.

10. August 2018 // Bohdan Ohultschanskyj, Priester der Ukrainischen Orthodoxen Kirche, Wissenschaftlicher Sekretär der Offenen Orthodoxen Universität der Heiligen Sophia der Weisheit

Quelle: Lewyj Bereg sowie Risu

Anmerkungen des Übersetzers:

Die Offene Orthodoxe Universität wurde in Kyjiw am 4. März 2016 unter maßgeblicher Initiative von Erzpriester Hehorhij Kowalenko gegründet, der einst in der Presseabteilung der Ukrainischen Orthodoxen Kirche Moskauer Patriarchats neben dem stark prorussischen Wassyl Anissimow wirkte. Zu den Kräften der Universität zählen Akteure, die sich schon über ein Dutzend Jahre bei der internationalen Kyjiwer Konferenz der alljährlichen Uspenskie Tschtenija / Himmelfahrts-Lesungen treffen.

Zu den weiten kirchengeschichtlichen Hintergründen vgl. die inzwischen vergriffene Monografie von Friedrich Heyer, Kirchengeschichte der Ukraine im 20. Jahrhundert. Göttingen 2003 sowie das vor allem neuere Literatur ergänzende Supplement Christian Weise, Ukrainische Kirchengeschichte im 20. Jahrhundert: addenda et corrigenda. Lwiw 2003

Übersetzer:    — Wörter: 3116

Hat Ihnen der Beitrag gefallen? Vielleicht sollten Sie eine Spende in Betracht ziehen.
Diskussionen zu diesem Artikel und anderen Themen finden Sie auch im Forum.

Benachrichtigungen über neue Beiträge gibt es per Facebook, Google News, Mastodon, Telegram, X (ehemals Twitter), VK, RSS und per täglicher oder wöchentlicher E-Mail.