Wenn man sich nicht einigen kann
Am 20. Mai 2011 fällte das Bundesgericht des Staates Oregon in der Stadt Portland ein Urteil, demnach in den Staatshaushalt der Ukraine über 19 Mio. $ zurückgezahlt werden müssen, die von der Regierung Julia Timoschenko für den Erwerb von medizinischen Präparaten zu erhöhten Preisen über eine Kette von Mittelsmännern aufgewendet wurden.
Am 23. Mai bestätigte die Berufungsinstanz in den USA das Urteil aus erster Instanz und lehnte damit die Forderungen der Verteidigung ab.
Der Pressedienst von „Batkiwschtschina/Vaterland“ erklärte bereits, dass die Regierung Julia Timoschenkos keinerlei Beziehung zu dem Ankauf von überteuerten Medikamenten hatte, denn den Einkauf von Arzneien und Impfstoffen führte nicht sie durch, sondern das Gesundheitsministerium in eigener Initiative. Für diesen Impfstoffeinkauf waren dort unmittelbar die Stellvertreter des Ministers Sinowij Mytnyk verantwortlich, damals Leiter des Tenderkomitees des Ministeriums. Derselbe Mytnyk, den man auf persönliche Initiative Nikolai Asarows bereits unter der Regierung Janukowitschs zum Gesundheitsminister gemacht hatte.
In den letzten 15 Jahren hat sich unerschütterlich erwiesen: Alles, was „Batkiwschtschina“ oder Timoschenko persönlich erklären, zieht immer die Überprüfung des Wahrheitsgehalts einer Sache nach sich. Wahrheit oder Lüge, das ist die Frage.
Dass den Kauf der Medikamente das Gesundheitsministerium durchgeführt hat und nicht die Regierung Timoschenko, entspricht nicht der Realität. Die Angelegenheit war folgendermaßen. Am 30. Oktober 2009 erklärte das Ministerkabinett die Einführung einer Quarantäne in 9 westlichen Oblasten der Ukraine. Timoschenko selbst erklärte, dass in drei Oblasten (Iwano-Frankiwsk, Ternopil und Lwiw) die epidemische Schwelle überschritten wurde und es in den benachbarten Oblasten (Transkarpatien, Tscherniwzi, Riwne, Chmelnizkiy, Winnyzja und Wolhynien) bereits Fälle der Erkrankung durch den Virustyp A/H1N1 gibt. Einige Tage später erklärt Timoschenko, dass die Regierung 3 Mrd. Hrywnja für den Kauf von Medikamenten, Masken und medizinischer Ausrüstung bereitstellt. Irgendwo in dieser Liste ging auch der Impfstoff „verloren“. Diese Entscheidung wurde auf einer Sitzung des Regierungskabinetts gefällt und von Timoschenko selbst verkündet.
Das Zeigen auf Sinowij Mytnyk, der tatsächlich als Minister gedient hat und den man vor Langem entlassen hat, ist das Einzige, womit die Leute Timoschenkos auf das Gerichtsurteil in Portland antworten konnten. Die andere Alternative wäre es gewesen, einfach zu schweigen. Es ist übrigens nicht ausgeschlossen, dass Mytnyk in diese Angelegenheit tatsächlich verwickelt ist. Und wenn Mytnyk schuldig ist, dann muss er die Verantwortung tragen. Aber er arbeitete während der „Grippeepidemie“ unter Wassilij Knjasewitsch, welcher von Timoschenko eingesetzt wurde. Und jedem, der ein wenig über die Realität der ukrainischen Politik weiß, ist klar: 3 Mrd. Grivna „freimachen“, das ist nicht das Level Mytnyks, nicht einmal das des Vizepremiers. Sie können nicht über das Schicksal einer solchen Geldsumme entscheiden. Und wenn man sich dann die nächste Amtshierarchiestufe nach dem Vizepremier ansieht?
Was bedeutet die durch die Berufungsinstanz bestätigte und rechtswirksam gewordene Entscheidung des Gerichts in Oregon und warum ist sie wichtig?
Zunächst deswegen, weil hier die Handlungen der Regierung Timoschenkos durch ein amerikanisches Gericht offiziell als kriminell eingestuft worden sind. Als kriminell, und das ausgerechnet durch ein amerikanisches Gericht. D.h., nicht durch ein ukrainisches, das seit einem Jahrzehnt die Erklärungen Timoschenkos, dass all seine Entscheidungen „bestellt“ seien, von sich weist.
Die Justizbehörden der USA haben noch einmal nachgewiesen: Dort ist man in der Lage, gerichtliche Fristen einzuhalten und diese nicht endlos auszudehnen. Zum ersten Mal in den USA „griff“ ein Beweis in der Angelegenheit Pawel Lasarenko – jetzt bezüglich der Korruption der Vorgängerregierung. Die Sache wurde in Portland, Oregon, durch das Gericht im Rahmen des US-Gesetzes „Racketeer Influenced and Corrupt Organizations Act“ betrachtet. Klare Worte in diesem Gesetz sind „Racketeer“ und „korrupte Organisation“. „Trout Cacheris“ und „Akin Gump Strauss Hauer and Feld“, die die Prüfung der Tätigkeiten der Regierung Timoschenko begleiten, stritten sich vor Gericht mit dem Unternehmen „Olden Group“. „Trout Cacheris“ und sein Chef Plato Cacheris haben bewiesen, dass sie arbeiten können. Das Gericht in Portland bestätigte: Bei uns in der Ukraine genügen die Beweise gegen Timoschenko niemals und die Dauer der Ermittlungen und der gerichtlichen Prüfung ist praktisch endlos.
Für das amerikanische Gericht genügten die Beweise, viel Zeit war dafür nicht nötig. Und DREI TAGE für die Berufung erwiesen sich als völlig ausreichend. In Übereinstimmung mit dem amerikanischen Recht muss die „Olden Group“ 19 Mio. $ erstatten. Diese Entscheidung ist kaum weniger bedeutend als die Anerkennung der Handlungen der Regierung Timoschenko als kriminell, aber 19 Mio. $ liegen nicht einfach auf der Straße. Sie müssen zurück in die Ukraine. Die Frage an die maßgeblichen ukrainischen Behörden lautet: Wie zurückgeben? Wird es auf dem Weg nicht verschwinden? Aber das ist Zukunftsmusik. Derzeit ist die „Olden Group“ wohl kaum begeistert über die Rückgabe des Geldes.
Die Nichtbeachtung des Urteils eines Gerichts in den USA ist allerdings nicht das gleiche wie in der Ukraine. Dort hätte der Einbehalt des Geldes das Einfrieren des Vermögens zur Folge, anfangs das des Unternehmens, danach das der Eigentümer. Kann man die Verhältnisse dazu ausnutzen, um vor Gericht eidesstattliche Zeugenaussagen dafür vorzubringen, wer den „Löwenanteil des Rückflusses“ erhalten hat? Ob das Gericht in Oregon auf der Basis der Zeugenaussagen zu dem Schluss kommen kann, das Timoschenko die Organisatorin eines kriminellen Systems ist? Und ob dies einen gerichtlichen Haftbefehl des Organisators bedeutet, in den USA und den Staaten, mit denen ein entsprechendes Abkommen existiert?
Aber es existiert noch mindestens eine Klage. Damals wandte sich das Katastrophenschutzministerium der Ukraine an den Obersten Gerichtshof in London. Das Katastrophenschutzministerium beschuldigte dabei das britische Unternehmen „Legal Business Consultants Ltd.“ und Mitglieder des Regierungskabinetts unter Timoschenko des Einkaufs gebrauchter Fahrzeuge zu überhöhten Preisen. In der Klage bestätigt das Ministerium, dass „Legal Business Consultants Ltd.“ und andere Beteiligte des Systems gemeinsam Verantwortung trugen und Verbindungen besaßen zu ehemaligen Ministern der Regierung Timoschenko.
Das Urteil des amerikanischen Gerichts kann auch in die ukrainische Rechtsprechung einbezogen werden. „Wenn dem Untersuchungsleiter Materialien des Oregoner Gerichts vorgebracht werden“, wie die Vertreter der ukrainischen Staatsanwaltschaft erklärten. Und wenn nicht? Soll dies ein offizielles Schreiben sein? Aber daraus wird nichts, denn das Bundesgericht in Oregon ist der ukrainischen Staatsanwaltschaft gegenüber nicht rechenschaftspflichtig. Ist es möglich, dass der Generalstaatsanwalt der Ukraine sich auf Ersuchen des Ermittlers an das Gericht in Portland wendet mit der Bitte um Rechtshilfe, um offiziell die Urteilsbegründung zu erhalten? Ob wohl offizielle Persönlichkeiten der ukrainischen Botschaft in den USA, welche für juristische Angelegenheiten zuständig sind, der Generalstaatsanwaltschaft bei der Beschaffung der Urteilsunterlagen behilflich sein und für ihre sichere Übersendung sorgen können?
Von dem Gerichtsurteil, welche jene oder auch andere Handlungen der Regierung Timoschenko als kriminell qualifiziert, ist es nur ein einziger Schritt zu der Feststellung, wer diese Taten durchführte. Wer also folglich der Verbrecher ist. Welche Hierarchie besaß das rechtswidrige System unter Bezug auf das föderale Gesetz „Über korrupte Organisationen“? Aus wem bestand die Gruppe, wer war der Organisator, wer Mittäter und wer Durchführender?
Bald, so sagt man, wird der Generalstaatsanwalt der Ukraine Wiktor Pschonka ein Gerichtsverfahren anstrengen. Er erklärte bereits, dass der Kauf überteuerter Impfstoffe von Beamten durchgeführt wurde, welche angeleitet wurden von der ehemaligen Regierungschefin Julia Timoschenko, dass es bereits Festnahmen gibt, gegen drei Personen ermittelt wird und insgesamt fünf Personen einer Straftat beschuldigt werden, darunter zwei höhere Beamte. Werden diese Personen Aussagen gegen Timoschenko abgeben? Werden sie Timoschenko als Organisatorin des Systems benennen?
Oder wird man sich in der Ukraine wieder mit Timoschenko „verständigen“? Wird man sozial unschuldige Posten für nicht gemäß den Kyotoer Protokollen verwendetes Geld vorweisen? Und wird Timoschenko das sogleich wirkungsvoll nutzen – sie hat ja die Renten bezahlt? Wird man sich vor Gericht um die Gasverträge streiten? Aber Timoschenko ist im Streit besonders laut, wenn sich „herausstellt“: An ihr rächen sich die Oligarchen, welche sie dazu zwangen, höhere Gaspreise zu zahlen. Warum bringt der Generalstaatsanwalt die Angelegenheit der „Grippeepidemie“ nicht ins Rollen, abgesehen von einer einzigen Erklärung Wiktor Pschonkas?
Welche gesellschaftliche Resonanz wird das nach sich ziehen? Das Interessanteste spielt sich dabei im Ausland ab. Dutzende Amtsträger der USA gaben sehr viele öffentliche Erklärungen ab zum „selektiven Charakter der Rechtsprechung“ in der ukrainischen Realität. Entschuldigen sie sich für diese Stellungnahmen? Nein, die Amerikaner entschuldigen sich nicht und geben auch keine Fehler zu wie im Falle des angeblich von Kutschma an Saddam verkauften „Koltschuga“1? Hören sie auf mit den Behauptungen? Sind sie bereit, auch das Urteil des amerikanischen Gerichts in Oregon als Beispiel einer „selektiven Rechtsprechung“ zu bezeichnen? Oder machen sie einfach eine solche Miene, als ob es das Portlander Urteil nie gegeben hätte? Sind sie bereit, es als von „Timoschenko-Experten“ der Europäischen Volkspartei „bestellt“ zu deklarieren? Ist Hanne Severinsen, ehemalige PACE-Koreferentin für die Ukraine, eine Beraterin Timoschenkos?
Und was die gesellschaftliche Resonanz in der Ukraine betrifft… Ich bezweifle sehr, dass es eine geben wird. Erinnert man sich denn in den Gebieten von Iwano-Frankiwsk, Ternopil, Lwiw, Transkarpatien, Tscherniwzi, Riwne, Chmelnizky, Winnyzja und Wolhynien an die nicht vorhanden gewesene „Grippeepidemie“? Hat man denn dort die Panik in den Städten vergessen, die Gerüchte über die „Pestepidemie“, wie Timoschenko persönlich das Flugzeug mit Tamiflu in Borispol empfangen hat, von dem ein großer Teil in Anbetracht des Ablaufs der Haltbarkeit in den Lagern des Katastrophenministeriums verschwand? Haben denn nicht Journalisten tausende Artikel über die „Grippeepidemie“ geschrieben, wurde darüber nicht im Fernsehen gesprochen?
Niemand in der Ukraine kann sagen, das er nichts über die „Grippeepidemie“ von 2009 weiß. Niemand. Aber immerhin, hat man denn nicht im vorigen Jahr bei den Kommunalwahlen abgestimmt, in den Gebieten der Westukraine und nicht nur dort, für Personen, die ihr Mandat unter dem Zeichen Timoschenkos erhielten? Und wurde nicht von verschiedenen soziologischen Diensten festgestellt, dass Timoschenko trotzdem genügend Wählerstimmen hat, um ins Parlament zu kommen?
Manchmal hört man, dass Menschen nicht für Timoschenko stimmen, aber gegen ihre Gegner. Das ist eine fehlerhafte Logik. Wenn in Europa es Leute nicht für notwendig halten, für bestimmte Politiker zu stimmen, gehen sie nicht zur Wahl und stimmen nicht ab. In Folge dessen fühlt man sich moralisch nicht verantwortlich, wenn jemand, der früher eine „Grippeepidemie“ verkündete, mit seinen Wählerstimmen siegte und dann eine „Pestepidemie“ organisierte.
1 „Koltschuga“ ist ein passiv arbeitendes und daher nur schwer zu lokalisierendes Funkmess- und Überwachungssystem der ukrainischen Firma Topaz. 2002 wurde der damalige Präsident Kutschma persönlich von der Opposition des illegalen Verkaufs dieses Systems an den Irak beschuldigt.
01.06.2011 // Wjatscheslaw Pichowschek
Quelle: Lewyi Bereg