Blauhelme in der Donezker Steppe


Beschwichtigen heißt, ein Krokodil zu füttern, in der Hoffnung, dass es einen zuletzt frisst – Winston Churchill

Kyjiw unternahm einen weiteren Schritt zum Einfrieren des Konflikts im Donbass. Faktisch geht es dabei um eine politische sowie wirtschaftliche Abtrennung der Territorien, welche zurzeit unter der Kontrolle der Aufständischen stehen.

Bei der letzten Sicherheitsrats-Sitzung am 18. Februar wurde die Notwendigkeit einer UN-Friedensmission unter dem Mandat des UNO-Sicherheitsrates in der Ukraine beschlossen. Nach der Meinung der Abgeordneten sollen die Blauhelmtruppen die Kontrolle der Kontaktlinie zwischen ukrainischen Streitkräften und Aufständischen sowie die Kontrolle an den Abschnitten der ukrainisch-russischen Grenze übernehmen, die zurzeit durch Separatisten kontrolliert werden.

Nach der Meinung des Präsidenten sei eine Polizeimission der EU basierend auf einem UN-Mandat aktuell das beste Format für die Ukraine. Seinerseits hatte Pawlo Klimkin die Hoffnung geäußert, dass, sollte eine gemeinsame Friedensmission im Rahmen der EU und der UNO im Osten der Ukraine bewilligt werden, der Anteil der EU dabei überwiegen würde.

Vor einigen Wochen sprach sich Kyjiw allerdings gegen jeglichen Einsatz von Friedensmissionstruppen in der Ukraine aus, eine UN-Friedensmission inbegriffen. Bei der Münchener Sicherheitskonferenz beantwortete Petro Poroschenko eine Frage einer russischen Journalistin mit den Worten, dass „wir keine Friedenstruppeneinsätze nötig haben“. Zu der Zeit beruhte diese Einstellung Kyjiws auf einer Reihe von Gründen. Um einige davon zu nennen.

Als Erstes wäre die Wahrscheinlichkeit eines russischen Einsatzes bei einer UN- Friedensmission im Osten der Ukraine zu nennen. Russland ist ein Aggressor und unmittelbarer Teilnehmer des bewaffneten Konflikts. Es ist somit naiv zu glauben, dass russische Soldaten im Rahmen einer Friedensmission unvoreingenommen handeln würden. Mit Sicherheit stünden die Blauhelme der UNO unter der Kontrolle Moskaus.

Zweitens bedeutet ein UNO-Truppeneinsatz keine wirkliche Konfliktlösung, sondern lediglich die Einfrierung des Konflikts. Dabei verliert die Zentralregierung die Kontrolle über die Territorien, welche durch Aufständische kontrolliert werden. In Endeffekt bedeutet dies den Verlust der Souveränität. So kam es seinerzeit in Abchasien, Südossetien sowie Transnistrien. Auch wenn diese Gebilde formell gesehen international weiterhin nicht anerkannt werden, de facto sind sie bereits unabhängige Staaten.

Ein weiterer Grund wäre, dass Kyjiw bei einem Blauhelmeinsatz einige Verpflichtungen eingehen müsste und dabei jegliche Möglichkeit verlöre Kampfhandlungen durchzuführen, um die Kontrolle über die Territorien wieder zu erlangen, die zurzeit von den Separatisten sowie der russischen Armee beherrscht werden. Widrigenfalls würde die Ukraine vor der internationalen Gemeinschaft als Verantwortlicher für eine weitere Konflikteskalation da stehen. Währenddessen würden die Separatisten zusammen mit Moskau weiterhin uneingeschränkt in den Süden und nach Westen vorrücken können.

Soweit uns bekannt ist, wurde in Minsk das Thema einer Friedensmission in der Ukraine nicht besprochen. Angeblich kam es zu der Frage in direkten Gesprächen unter den Staatsführern. So erwähnte Außenminister Frank-Walter Steinmeier, dass diese Frage beim Treffen der Staatsführer von Deutschland, Frankreich, der Ukraine und Russland angesprochen sei. Seinerseits versicherte der außenpolitische Chefberater Poroschenkos, Walerij Tschalyj, dass bei dem Treffen im Minsk Wladimir Putin sich nicht gegen eine Friedensmission in der Ukraine aussprach.

Nun gibt der Präsident Mittwochabends den Entschluss bekannt, die EU sowie die UNO um die Entsendung einer Friedensmission in die Ukraine zu bitten. Wo liegen denn die Gründe für so einen radikalen Sinneswandel bei der ukrainischen Staatsführung? Unsere gut informierten Gesprächspartner sind einhellig der Meinung, dass die Gründe in „Debalzewe“ zu suchen seien.

Nichteinhaltung des Minsker Abkommens seitens der Separatisten und der Russen in puncto Einstellung der Kampfhandlungen, Einnahme weiterer Territorien durch Aufständische, Unfähigkeit der OSZE-Mission (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, OSZE) die vereinbarte Einstellung der Kampfhandlungen zu überwachen und zu bestätigen haben dazu geführt, dass nun die Frage einer Friedensmission auf die Tagesordnung trat. In Kyjiw wurden im Schnelltempo die unterschiedlichen Arten einer Friedensmission abgewogen um das schleichende Vorrücken der Rebellen in den Westen des Landes zu stoppen, die Eskalation abzuschwächen und den Konflikt weniger intensiv zu machen.

Einer der entscheidenden Momente bei einer Friedensmission für die Ukraine wäre, dass die Russen der Friedensmission komplett wegbleiben müssen. Aus den zur Auswahl stehenden Arten einer Friedensmission im Rahmen verschiedener Organisationen – der UNO, der OSZE, der NATO und der EU- entschloss sich Kyjiw für eine Polizeimission der EU. Dafür spricht nach der Meinung der ukrainischen Staatsführung einiges.

Bei einer EU-Friedensmission ist jegliche Teilnahme Russlands ausgeschlossen. Deswegen ist es sehr unwahrscheinlich, trotz schwachen Optimismus des Ständigen Vertreters der Ukraine bei der UNO Jurij Serhejew, dass Russland im Sicherheitsrat nichts gegen eine EU-Friedensmission einzuwenden haben würde. Moskau will keine Friedenstruppen auf den Territorien sehen, welche unter der Kontrolle prorussischer Separatisten stehen, da ihnen dadurch die Hände gebunden sein würden. Allerdings ist für eine EU-Friedensmission keine Einwilligung des Sicherheitsrates der UNO nötig. Ein Konsensusbeschluss des Rates der EU würde vollkommen ausreichen.

Übrigens hatte eben der Rat der EU vergangenen Sommer die Entsendung einer speziellen Beratungsmission der EU in die Ukraine zur Unterstützung der Reformen des zivilen Sicherheitssektors initiiert. Die Mission besteht aus zivilen Vertretern der Polizei und des Justizsystems, welche uns bei der Ausarbeitung einer Sicherheitsstrategie sowie zügiger Umsetzung der Reformen in diesem Bereich unterstützen sollen.

Die EU-Länder würden sicherlich vorziehen, wenn die EU-Friedensmission auf einem Mandat der UNO beruhen würde, da somit die rechtliche Begründung geplanter Friedensmission in einem Konflikt verstärkt wäre. Nichtsdestoweniger hat die EU bereits zweimal eine Friedensmission ohne ein UNO-Mandat durchgeführt, und zwar in Mazedonien im Jahr 2003 und in Libyen im Jahr 2011.

Ein sehr wichtiger Punkt für Kyjiw ist dabei, dass nach der einschlägigen Beschlussfassung des Rates der EU bis zum Entsenden der Blauhelmtruppen ungefähr drei Monate vergehen würden. Im Falle einer UN-Friedensmission könnte der ganze Prozess ein halbes Jahr in Anspruch nehmen. Sechs Monate für die Ukraine ist aber eine viel zu lange Zeit, bald kommt der Frühling und mit ihm werden die Rebellen wieder richtig aktiv agieren.

Eine EU-Friedensmission passt Moskau ganz und gar nicht. Deswegen war Moskaus Reaktion auf die Beschlussfassung des Sicherheitsrates ziemlich nervös. Ähnlich reagierten die Marionetten des Kremls- die Vertreter der „Volksrepubliken“.

Nach der starken Überzeugung russischer Diplomaten und prorussischer Rebellen, mit dem Vorhaben eine Friedensmission in den Osten des Landes zu holen und die Blauhelme entlang der ukrainisch-russischen Grenze aufzustellen gefährdet die ukrainische Staatsführung das Minsker Abkommen. Klar, das Moskau nach allen Kräften versuchen wird mit Hilfe seiner Gleichgesinnten in Europa die Entscheidung des Rates der EU über eine Friedensmission in der Ukraine zu blockieren.

Zugegeben, beim Anblick der ängstlichen Europäer ist es sehr schwer zu glauben, dass deutsche, spanische oder italienische Polizisten sich in den Osten der Ukraine begeben würden, um dort in der heißen Phase des Konflikts ihr eigenes Leben zu riskieren. In der Regel werden Blauhelme erst dann aktiv, wenn die Kampfhandlungen bereits beendet sind und alle Beteiligten sich für eine politische Konfliktlösung ausgesprochen haben.

Andererseits halten sich zurzeit die EU-Blauhelmtruppen in Somalia, der Zentralafrikanischen Republik und Mali auf. Stehen sie etwa Europa in geografischer, geschichtlicher, kultureller und Werthinsicht näher als die Ukraine?

Nach unseren Informationen sprachen sich diese Woche in einem Telefongespräch mit Petro Poroschenko Angela Merkel und François Hollande nicht gegen eine Friedensmission in der Ukraine aus. Allerdings scheint die erste offizielle Stellungnahme Berlins und Brüssels diesbezüglich nicht gerade hoffnungsstiftend zu sein.

Frank-Walter Steinmayer meint, dass einer Friedensmission eine stabile Waffenruhe voraussetzen würde. Der EU-Kommissar für Europäische Nachbarschaftspolitik und Erweiterungsverhandlungen Johannes Hahn ist der Meinung, dass in dieser Sache nicht überstürzt gehandelt werden solle: „Wir sind der Meinung, dass in dieser Zeit die Implementierung des Minsker Abkommens vorrangig sein soll. Präsidenten Poroschenko wurde bereits über unsere Einstellung unterrichtet“, so Hahn. Obgleich sogar unser friedliebender Präsident bereits erklärte, dass unsere Partner in Europa endlich aufhören sollen, die Augen vor der Verletzung der Minsker Vereinbarungen zu verschließen.

Eine EU-Friedensmission ist nur in dem Fall sinnvoll, wenn alle Beteiligten des Konflikts damit einverstanden sind. Ob die Werchowna Rada (Ukrainisches Parlament) sich an die UNO und die EU mit der Bitte um die Entsendung einer Friedensmission in die Ukraine wendet, hängt von dem einschlägigen Beschluss unserer westlichen Hauptpartner ab.

Aktuell erarbeitet Kyjiw die Vorschläge zum Mandat einer EU-Polizeimission. Es ist nicht klar, welche Form das Mandat haben würde, anscheinend weiß dies die ukrainische Staatsführung auch nicht wirklich.

Einige von unseren Gesprächspartnern aus den oberen Machtetagen meinen, dass es einen Kampfeinsatz zur Friedens- und Sicherheitssicherung geben würde. Die anderen meinen aber, dass es um eine zivile Mission geht. Darin enthaltene Unterschiede sind sehr wesentlich. Bei einem Kampfeinsatz besteht die Aufgabe der Blauhelme darin, die Konfliktseiten auseinander zu bringen. Dagegen würde eine zivile Mission faktisch die Funktion einer Special Monitoring Mission der OSZE übernehmen, um die Einhaltung des Minsker Abkommens zu überwachen. Walerij Tschalyj sagte in einem Interview dem Sender 5. Kanal, dass eine Friedensmission die Lage in den umkämpften Gebieten überwachen würde. Die eigentliche Frage dabei ist, ob eine EU-Polizeimission effektiver als die Special Monitoring Mission der OSZE sein würde.

Einer unserer Gesprächspartner merkte an, dass das Mandat der EU-Friedensmission bei Bedarf im Laufe der Zeit geändert werden könne.

Eine weitere entscheidende Frage ist, wo wird der Verantwortungsbereich einer Friedensmission liegen? In Kyjiw ist man der Meinung, dass die Blauhelmtruppen sowohl entlang der Linie der Kampfhandlungen als auch entlang der nicht kontrollierten Grenzabschnitte der russisch-ukrainischen Grenze tätig sein sollen.

Nach der Meinung Kyjiws, wenn der Westen nun für eine gewaltfreie Konfliktlösung eintritt, dann sollte er zumindest ein Teil der Verantwortung auf sich nehmen, um den „Minsker Prozess zu retten und das Abkommen umzusetzen“. Unter anderem dadurch, dass er die Kontrolle der ukrainisch-russischen Grenze übernehme. Allerdings ist es unwahrscheinlich, dass die EU bereit ist, Blauhelmtruppen entlang der ukrainisch-russischen Grenze aufzustellen.

Außerdem sind die Chancen äußerst gering, dass die Separatisten die Friedenstruppen auf den Territorien dulden würden, welche nicht unter der Kontrolle Kyjiws stehen. Sonst würden die Beobachter mitbekommen, wie russische Soldaten und Freiwillige sowie Militärtechnik aus Russland die Grenze passieren. Seien wir realistisch: die Separatisten erlaubten der Special Monitoring Mission der OSZE keinen Zutritt zum Ort Debalzewe, erst recht würden sie keinem den Zutritt zur ukrainisch-russischen Grenze gewähren.

In Anbetracht dessen scheint die Aufstellung der Blauhelmtruppen an der Linie der Kampfhandlungen ein realistisches Szenario zu sein. So wird eine Pufferzone zwischen den gegnerischen Territorien geschaffen.

Eine Friedensmission garantiert kein Beenden der Kampfhandlungen. Aber dadurch wird ukrainische Armee an dem Vorrücken in den Osten des Landes gehindert, ihrerseits würde sie die prorussischen Separatisten an deren Vorrücken in den Westen der Ukraine hindern. Eine Friedensmission würde nicht nur zu einem Bestandteil der Einfrierung des Konflikts für mehrere Jahre sein, sondern wäre ein Schritt zum wirtschaftlichen und politischen Lostrennen der Territorien, die aktuell nicht unter der Kontrolle der ukrainischen Staatsführung stehen.

Dem Anschein nach ist Kyjiw zu einer solchen Entwicklung der Ereignisse psychologisch beinahe bereit.

Womöglich ist die Einfrierung des Konflikts zurzeit nicht das schlechteste Szenario für die Ukraine. Trotz des Nordzypern-Konflikts hat die Republik Zypern es geschafft, eine erfolgreiche Reisebranche zu entwickeln, sowie die EU-Mitgliedschaft zu erlangen. Seit Beginn des bewaffneten Konflikts war die Politik der EU auf die Einfrierung des Konflikts gerichtet. Europa möchte zumindest den Anschein der Stabilität in der Ukraine und einer Konfliktlösung in der Donbass-Region haben. Allerdings schmieden die „Großmeister“ in Kreml ihre eigenen geopolitischen Pläne.

20. Februar 2015 // Wolodymyr Krawtschenko

Quelle: Dserkalo Tyshnja

Übersetzerin:   Ljudmyla Synelnyk  — Wörter: 1845

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