Donezk. Reportage aus einer parallelen Realität
Das Leben auf dem Territorium der DNR (Donezker Volksrepublik – Anm. d. Übers.) ist besonders. Das siehst du sofort, wenn du nach Donezk hineinfährst. Und Donezk schaut auf besondere Weise auf dich.
„In der Schlange im Amstor sieht man die Neuankömmlinge in Donezk schon von weitem. Es geht nicht darum, dass sie die Rubel- und die Hrywnja-Kassen verwechseln. Sie haben es einfach eilig“, erzählt mir meine Freundin, eine praktizierende Psychologin aus Donezk.
Die Donezker, die, die die Stadt nicht verlassen haben, erkennt man auch sofort – sie reagieren nicht auf die Schlangen. Sie haben eine Menge Beschüsse, zerschlagene Fenster und verletzte Verwandte erlebt. Sie schätzen jede Sekunde ihres Lebens und eilen nicht.
Und wenn du in dieser Schlange hörst: „Wer ist der Letzte? Ich hole jetzt noch Mehl und dann komm ich zurück!“, fangen alle umher an zu lächeln. „Kann es sein, dass sie anfangen, zurückzukehren, kann es sein, dass es Frieden geben wird?“, erklärte mein Bekannter, der mit mir in der Schlange stand.
Im Übrigen hat derselbe Mensch fünf Tage im Voraus die heutige Zuspitzung vorhergesagt. „Ich kann einen Verwandten nicht aus Dokutschajewsk herausholen. Es wird Kämpfe geben!“, fügte er hinzu.
Auf die Frage: „Warum macht er eine solche Aussage?“, sagte er, dass drei einander Unbekannte, die er persönlich kannte, weggefahren sind.
„Zwei Nutten und ein Tankwart an der Tankstelle. Alle drei, in der Spezifität ihrer Beschäftigungen verständigen sich mit „Geldfluss“. Aber Geld haben in der Stadt zurzeit nur Soldaten und die Obersten der DNR. Wenn diese weglaufen, heißt das, dass die Obersten Angst vor der nahen möglichen Katastrophe haben. Aber mein Verwandter hört nicht auf mich und flieht nicht!“
Die Stadt lebt ihr Leben. Die Kommunalverwaltung arbeitet wie ein Uhrwerk. Kann sein, dass die Bevölkerung weniger wurde oder mehr arbeitet, doch die Stadt sieht sauberer aus als sonst. Am dritten Juni begannen die Kämpfe in Marinka, alle Ein- und Ausfahrten sind gesperrt, aber im Zentrum laufen genauso sorgfältig die Straßenmarkierungsarbeiten. Darin besteht ein gewisser besonderer Donezker Fatalismus.
Besonders bei den Müttern kommt er zum Ausdruck. „Wir leben! Und werden weiter leben! Und alles ist gut! Wir werden spazieren gehen, egal, was ist!, ist ein üblicher Ausspruch auf dem Puschkin-Boulevard.
Das Volk hängt sich mit aller Kraft an das friedliche Leben. Es gibt Arbeitsgemeinschaften für Kinder, es finden Wettkämpfe statt, Tanzstunden, Jugendmeisterschaften im Fußball.
Wer was im Beutel hat, vergnügt sich mit Fitness, Kontakte zurückkehrender Yoga-Trainer werden wie teure Valuta gehandelt. Man fährt zur Datsche, sogar bei Jassinowataja.
„Hast du gesehen, was Fleisch kostet?“ Fragt mich noch ein Freund im Rentenalter aus einem früheren Leben, „und weißt du, wie viele meiner Freunde zum Gartenbau zurückgekehrt sind, Hähnchen züchten? Das ist eine sehr lohnende Sache. Schon nach drei Wochen kann man sie auf den Tisch bringen! Ich denke selbst für meinen Garten darüber nach. Nur feuern in der letzten Woche selbstfahrende Artilleriegeschütze aus den Datschen. Schießen zehnmal hintereinander und fahren weg. Und in der Presse findet sich nichts. Weißt du nicht etwas?“
Ich denke, dass diese „Artilleriegeschütze von den Datschen“ gerade auf das Awdejewkaer Kokswerk schossen, aber darüber in Donezk zu sprechen ist unangenehm.
Ein besonderes Thema sind die Schwarzen Bretter und Warteschlangen. Es gibt Anzeigen für alles – zur ungefährlichen und garantierten Ausreise nach Moskau, Rostow am Don, Woronesch und Kursk. Oder über eine zu vermietende Wohnung. Man bietet sie aktiv in „Stalinkas“ (neoklassizistische Gebäude aus der Stalinzeit – Anm. d. Übers.) an, im Bereich des Leninplatzes – zentraler geht es nicht!
Einraumwohnungen – von 1000 bis 1500 Hrywnja im Monat (ca. 42-65 Euro). Bezeichnend wie der Preis ist die Tatsache, dass dieser Preis nirgendwo in Rubeln ausgezeichnet ist.
Warteschlangen, das ist auch so eine Geschichte. Es gibt sie, sie sind lang und geduldig. In den Abteilungen der „Republikanischen Bank“, unter deren Dach alle möglichen Dienste ukrainischer Handelsbanken zusammengefasst sind und die Renten auszahlen. Und Warteschlangen sind auch dort, wo es garantiert billig ist.
Alte Menschen treffen sich ab halb zwei nachts an vorher verabredeten Orten. An diese Orte werden Fässer mit Milch für zehn Hrywnja (etwa 43 Cent) der Liter gebracht. Es gibt bessere Orte und nicht so gute.
An „gute“ bringen sie die Milch aus den von der DNR kontrollierten Gebieten, zum Beispiel aus Starobeschewo. An „schlechte“ fährt das Fass aus dem unsicheren Marinka und dessen Umgebung.
In den Warteschlangen gibt es besondere Gespräche, deren Sinn sich mir teilweise nicht erschließt. Ich verstehe noch „über unsere Polina“ und ihren zweiten Platz bei der Eurovision, aber die Masse der russischen Serien und Shows ist mir einfach unzugänglich und unverständlich.
Russisches Fernsehen, das sind ja nicht nur Nachrichten, sondern auch ein ganzes Meer an Unterhaltungssendungen. In diesem leben jetzt unsere Großmütter.
Die Straßen und Märkte sind verschieden gefüllt. Die Markthalle – zentral und teuer – ist auch deshalb leer, weil vor allem Menschen mit Geld und Möglichkeiten im Zentrum lebten.
Dort sind siebzig Prozent der Fenster in den Häusern nicht erleuchtet, es blieben nur die Alten. Und wenn im Zentrum Restaurants auf Hochtouren laufen, dann sind sie etwas weiter unten, an der Straße „50-Jahre UdSSR“ leer. Es gibt keine Kunden.
Die Verkäufer im Markt provozieren aggressiv: “Was, Sie wissen nicht, was Schweinefleisch heute kostet? Die dort wollen uns aushungern. Aber es gelingt ihnen nicht!“ Das Sortiment ist gewöhnlich: eingelegtes Kalbfleisch, Pferdewurst, Speck in Auswahl, Hausmacherwurst… Käufer gibt es zu wenig.
„In Donezk sieht jeder etwas Eigenes“
Am 1. Juni ist der Schtscherbakow-Park voll mit Spaziergängern. Auf dem Puschkin-Boulevard auch voll. Das Kunsthaus ist geöffnet, die Eltern bringen ihre Kinder zu Kursen. Für die, die Donezk nicht verlassen haben, so scheint es, hat der Frieden begonnen. Die Menschen haben gelernt, im Zustand des „Friedens für einen Tag“ zu leben.
An diesem Bild arbeitet der propagandistische Block der DNR. Aber die Realität ist hart.
Wenn du dieses „Bild“ nicht anerkennst, störst, kritisierst, dich einfach nicht ins System integrierst? Was droht dir dann? Die Festnahmen von Menschen durch bewaffnete Kämpfer ohne Erkennungszeichen ist eine übliche Sache.
Es verschwinden nach örtlichen Maßstäben völlig seriöse Personen, Abteilungskommandeure, Professoren, frühere Beamte der DNR, zum Beispiel im Rang eines „Vertreters des Ministers für Auslandsangelegenheiten“.
Der letzte Arrest des Bildungsministers ist nicht eingerechnet. Da gab es die Staatsanwaltschaft, ein Untersuchungsgefängnis und irgendeine deutliche „juristische“ Geschichte.
Aber so, der Arrest von Ministern ist eine Art Volkssport in der DNR. In der ersten Reaktion verhaftete man den Vize-Premier Kaljuskow und den Minister für Kraftstoff und Energie Granowskij.
Beide sind erfahrene Apparatschiks auf Gebietsebene von der Partei der Regionen. Granowskij trat oft in Talk-Shows in Moskau auf und wirkte deutlich klüger und vorzeigbarer als Sachartschenko. Weshalb er, wahrscheinlich, auch zum Opfer wurde.
Beide Funktionäre wurden noch im November 2014 wegen „Amtsmissbrauch und Kompetenzüberschreitung“ verhaftet. Granowskij ließen sie nach vier oder fünf Monaten in Untersuchungshaft frei und er arbeitet, als wäre nichts gewesen als „Berater des Staatsoberhaupts“.
Für den „Diebstahl von Autos des Donezker Theaters“ saß der vorhergehende Kulturminister der DNR. Aus dem Arrest floh der Landwirtschaftsminister, im März verschwand der Justizminister. Jetzt gerade haben sie den Bildungsminister verhaftet.
Es gab wohl Verhandlungen, aber man hat bis heute von keinem einzigen Urteil gehört…
In der DNR gibt man alles für Imitation aus. Aber wenn Menschen, die „Minister“ genannt werden, ganz ohne Imitation in reale Untersuchungszellen gesteckt werden, rüttelt das die gesamte Führung der DNR ziemlich auf.
Nun, aber die Geschichte mit dem spurlosen Verschwinden ist noch viel härter. Und erst kürzlich sah die Niederlage der Donezker Kosakenschaft ganz aus wie eine typische Kriegshandlung.
Deshalb sind die Leute – ob es nur Befürworter der DNR, Soldaten oder einfache Bürger sind, nicht sicher, dass es den nächsten Tag für sie geben wird.
Alle verehren die DNR inbrünstig und verlassen sie nicht.
Dies den Ukrainern zu erklären ist schwierig, sie haben die Realien von 1937 gründlich vergessen.
Und so… In der DNR versuchen alle, irgendwelches Geld zu erarbeiten, humanitäre Hilfe zu erstreiten, „auf Kohle zu setzen“ und bei noch existenten Geschäften nach materieller Unterstützung „für den Bedarf der Republik“ zu bitten.
Dreck am Stecken haben alle und alle wissen, dass es hier keine Unberührbaren gibt. So wird eine einzigartige Regierbarkeit und Disziplin erreicht – in den Regierungsabteilungen.
Und genauso versuchen sie, eine „Armee“ aufzubauen. Vor allem ominöse Feldkommandeure flohen oder kamen unerwartet um. Kaum einer erinnert sich an Menschen mit den Tarnnamen „Abwehr“, „Kertsch“ oder „Chmuryj“ (der Finstere).
Sie haben unterschiedliche Schicksale. Über „Abwehr“ sagt man, er kümmerte sich in Russland um seinen einflussreichen Schwiegervater, „Kertsch“ versteckt sich vor ernsthaften und gekränkten Menschen auf der Krim und „Chmuryj“ blieb in Rostow am Don hängen. Er darf nicht mal mehr auf die Krim. Die Gesetzlosen versuchte man aus Donezk zu entfernen.
Heute gibt es auf den Straßen keine „Feiern“ bewaffneter Leute. Heute tragen Leute nur Waffen „im Dienst“. Und Sachartschenko mit der Vorliebe für die Liquidation derer, die sich seiner als wenig selbstsicheren Verkäufer von Hühnerfleisch erinnern oder zu viele Verdienste vor der „Bewegung“ haben, begann man „unser kleiner Stalin“ zu nennen.
Die Ecke die Universitätsstraße und Prospekt Komsomolskij bilden, an der sich das Büro des „Oberhaupts der Republik“ befindet, nennt man jetzt Altai. Ich fürchte, die Veränderung der Ortsnamen in Donezk und ihr Eintragung in jede Wohnung und die Köpfe aller Teilchen der DNR ist auch eine Hauptaufgabe russischer Polittechnologen.
Ihrer arbeiten hier ein Paar „Moskauer“ mit weitreichenden Kompetenzen, Dmitrij Tschajka und Alexander Kasakow.
In der „Republik“ arbeitet nicht ein Unternehmen vernünftig, schneidet man für den Schrott die Kupferkabel über den Bahngleisen ab, ist die Versorgung der Krankenhäuser und Apotheken mit Medikamenten katastrophal.
Obwohl gerade im Sortiment für die Versorgung Verwundeter alles in Ordnung ist – es gibt gut funktionierende Zustellungen direkt aus den Vorräten des Verteidigungsministeriums Russlands.
Das Unternehmen „Topas“ verwandelte sich in eine Kaserne, Versuche eine „Rüstungsindustrie“ zu schaffen, erlitten scheiterten. Das Maximum sind Reparaturen von Fahrzeugen und Verteidigungstechnik.
Die einzige Sphäre, außer der kriegerischen, in der eine klare und effektive Arbeit läuft, ist Ideologie und Propaganda.
Örtliche Fernsehsender waschen die Gehirne ohne Unterbrechung
Das Fernsehbild der örtlichen Sender ist viel professioneller als das der ukrainischen: zu beliebigen Schusswechseln zeigt man immer den Ort der Explosionen, die Opfer, Kriegsexperten, Zeugen aus den Nachbarhäusern – die ganze Sammlung der „Zeichen für Objektivität“. Um nicht davon zu sprechen, dass die Fernsehleute von einigen Beschüssen schon vorher wissen.
Schon in Donezk gibt es eine ausreichende Zahl neuer regionaler Zeitungen des Typs „Donezker Republik“, „Neurussland“ oder „Friedlicher Donbass“ mit Auflagen ab 50.000 Exemplaren. Und sehr viel hochwertige Souvenirprodukte.
Die Moskauer Hand ist noch an der im Herbst gestarteten Auszeichnungskampagne sichtbar. „Georgskreuze“, Orden der „Russischen Helden“ in vier Abstufungen, Abzeichen „Held der DNR“, Medaillen „für Tapferkeit“ und andere Auszeichnungen, bis zu Medaillen, die man an die Brust ausgezeichneter Kommunalarbeiter hängt… „Helden“ sollte es viele geben.
Einer der mit einem Orden ausgezeichneten versicherte mir inbrünstig, dass er jetzt als „Kavalier“ eine unbegrenzte Anzahl Würdiger zur Auszeichnung vorschlagen könne, und ich glaube ihm gerne. Hier setzt man erfolgreich Legenden in die Köpfe, die noch lange in Selbstreproduktion weiterleben werden.
Im März glaubten alle, dass Mariupol auf ganz friedlichem Weg als Resultat politischer Verträge eine Stadt der DNR wird. Und in Bezug auf den gescheiterten „Russischen Frühling“ sagte mir einer der „kompetenten“ Herren buchstäblich Folgendes: „Alles geriet am 11. Mai 2014 außer Kontrolle, als das Referendum nur in zwei Gebieten abgehalten wurde. Warum gelang das nicht in den anderen? Die Etats wurden geraubt!“
Wenn du siehst, wie sie die Heimatstadt übers Knie brechen, fühlst du manchmal körperliche Schmerzen. Sie spielen zynisch und ungestraft mit Menschen und dem Territorium.
Der ehemalige zweimalige Gouverneur von Pskow von LDPR und Jedinaja Rossija/Einiges Russland Jewgenij Michajlow bringt es fertig, die Wirtschaft der DNR vollkommen nichtöffentlich zu führen und ich weiß noch nicht einmal, ob sie Teil der Sanktionsliste ist.
Ein Beamter auf föderaler Ebene kam vom Posten eines Beraters Wladimir Putins zur Führung der DNR. Dem ehemaligen Vizepremier Transnistriens und der heutigen DNR Alexander Karaman schreibt man die Worte zu: „Wir dürfen alles! Denn wir sind Terroristen-Idioten, uns ist nicht beizukommen!“
Unternehmerisches Donezk
Mein Bekannter, ein Geschäftsmann, zeigte mir mit Verwunderung eine Packung Zigaretten „Don-Tabak“. In Donezk kosten sie zwölf Hrywnja (ca. 50 Cent) oder 24 russische Rubel, aber in Rostow am Don nach seinen Worten 56 Rubel.
Er betonte auch, dass das Design der Packung „irgendwie anders“ sei. Das spricht vielleicht dafür, dass die Donezker Tabakfabrik aufgehört hat, „normale“ „Malboro“ zu produzieren und zur Fälschung russischer Marken übergegangen ist.
Ich rechne damit, dass in Kürze in Russland viele solcher „nicht dieser“ der Donezker Tabakmacher, Wodkabrenner und anderer Bastler gefangen werden. In jedem Fall verstehe ich, warum sie die gemeinsame Grenze mit den „sozial nahen“ DNR und LNR verstärken.
Ein anderer Bekannter erzählte mir, dass das gesamte Geschäft hier Bataillone „Oplot/Bollwerk“ und „Wostok/Osten“ decken. In Wirklichkeit gibt es noch die Schirmherrschaft des Stadtverwalters Igor Martynow, aber auf ihn zu hoffen ist dumm – dieses „Schutzdach“ leckt oft.
Das Benzin hat vollständig „Oplot“ (lies Sachartschenko) unter seine Fittiche genommen und die Hauptbasis seiner Schmuggelware befindet sich anscheinend in Tores.
Die ökonomischen Reibereien sind hart. Fleisch für 130 Hrywnja (ca. 5,6 Euro) und himmelhohe Preise für Medikamente lohnen sich für irgendjemanden sehr, auf diese „Felder“ lässt man keine Fremden, die viel stärker sind als die ukrainische Blockade.
In Donezk erscheint sie übrigens ziemlich dumm. Wenn der Fonds „Entwicklung der Ukraine“ Achmetows über in einem halben Jahr aktiver Arbeit ausgehändigte drei Millionen Lebensmittelpakete als humanitäre Hilfe berichtete, und das sind nicht mehr und nicht weniger als 30.000 Tonnen Lebensmittel, die ungehindert die ukrainischen Kontrollposten passierten, sieht man in dieser Blockade keinen Sinn.
Wie leben die Menschen in Donezk? Sehr verschieden.
Jede beliebige Straße nach Donezk beginnt mit Menschen, die Passagiere bitten, die ein oder andere Tasche Essen mitzunehmen. Die Fahrer lehnen die Sendungen entschieden ab. Passagiere ziemlich selten. Speck, Hühnchen, Eier in Massen …
Praktisch jeder auf dem südlichen Busbahnhof von Donezk nimmt etwas entgegen – aus dem „großen Land“ fahren Geld, Passierscheine, Dokumente.
Persönlich habe ich es nicht gesehen, dass sie an den ukrainischen Kontrollposten irgendetwas nicht durchließen oder wegnahmen, aber es gibt genug Erzählungen darüber. Auf der Seite der DNR ist die Kontrolle meistens formal.
Das einzige Hindernis sind die Transportsteuern. Man legt sie in Euro fest und nimmt sie in Hrywnja. Von einem kleinen Bus zwei Euro, mit mehr als 40 Plätzen fünf Euro, große Linien des Typs „Donezk-Odessa“, bei denen auch Busse mit 50 Plätzen vorkommen, zahlen zehn Euro pro Fahrt. Den heutigen „Kurs“ und die Summe teilt man am Dispatcher-Punkt mit, an der Mariupoler Trasse ist er zum Beispiel in der Siedlung Dolja.
In Donezk haben die Banken wie bisher nicht geöffnet, es gibt keine legalen Notare und die Lebensmittel sind im Schnitt doppelt so teuer wie in Mariupol und Konstantinowka.
Die Preise in der Markthalle sahen diesen Sonntag so aus: Speck 150 Hrywnja, Wurst 250, Schweinefleisch begann bei 120. Obst und Gemüse zu liefern ist anscheinend schwieriger, die Preise kann man mutig durch drei teilen, um sie mit den ukrainischen zu vergleichen.
Es gibt nicht viele Verkäufer, aber trotzdem keine Schlangen. Mit dem Gehalt eines Staatsbediensteten macht man keine großen Sprünge. In den Ministerien der DNR bekommen führende Spezialisten etwas mehr als Staatsbedienstete in der Ukraine, im Durchschnitt bis 4000 Hrywnja (ca. 170 Euro) oder 8000 Rubel.
Ein Beamter im Rang eines Ministers 24.000 Rubel. Böse Zungen behaupten, dass Spezialisten im Rang des Oberhaupts des Informationsdienstes unter der Regierung auch 70.000 bekommen könnten, in Hrywnja. Aber irgendwie glaubt man hier nicht daran. Ein Gehalt von 6000 Hrywnja (ca. 260 Euro) ist für „Staatsbedienstete“ schon toll.
In der halbtoten Produktion verdient man deutlich weniger. Staatsangestellten bezahlt man unterschiedlich. Ärzten zum Beispiel zahlte man im Mai feierlich einen erhöhten Vorschuss in Rubeln aus, gleichzeitig wurden aber die Gehälter für März und April „eingefroren“. Rentnern verdoppelte man einfach die ukrainische Rente und zahlt sie in Rubeln aus.
Mit diesen Rubeln ist es auch so eine Geschichte. Auf dem Markt nimmt man sie zum Beispiel an, aber im Unterschied zu Hrywnja gibt man in Rubeln keine Rabatte. Warum? Der Rubelkurs wurde auf Befehl der Regierung auf fünf Hrywnja zu zehn Rubel festgelegt. Es ist verboten, am Umtausch zu verdienen. An allen Wechselstuben zeigen die Anzeigetafeln einheitliche Ziffern gegenüber dem Rubel, sowohl im Ankauf als auch im Verkauf.
Wohin führt das? Mit geheimnisvollem Lächeln wechseln die Operatoren auf Anfrage Rubel in Hrywnja. Umgekehrt wechseln sie ungern. Ganz einfach, in 50 km Entfernung kann man für vier Hrywnja zehn Rubel kaufen.
Übrigens sieht das Geld, das in der DNR ausgegeben wird, sehr präsentabel aus, in Bankpäckchen oft mit laufenden Nummern versehen. Aber das Ausgabejahr ist immer genau das Gleiche – das erste nach der Denominierung des Rubels – 1997. (Der Autor glaubt anscheinend, dass es Rubelscheine mit anderen Jahreszahlen als 1997 gibt. A.d.R.)
Die Leute schimpfen und überleben. Die Alten sind betrübt, die Jungen lächeln. Erinnern Sie ich an die Neunziger? Da war es schlimmer, und die Überlebensfähigkeit ist nicht verschwunden.
In den Läden gibt es keine Chips? Machen wir sie selbst aus in Quadraten geschnittenem armenischen Fladenbrot. Wenn man sie mit Salz und Gewürzen bestreut, etwas davon in der Pfanne brät und dann im Ofen trocknet, knuspern sie nicht weniger als Chips.
Es gibt keinen Import-Alkohol? Dafür gibt es viel billigen örtlichen Wodka. Hier ist das Rezept für den Donezker Likör Baileys: drei Eigelb, zwei Päckchen Vanillezucker, eine Dose gezuckerte Kondensmilch, ein Esslöffel löslichen Kaffee, zehn Prozent Sahne und 0,5 Liter Wodka.
In Donezk gibt es wenig Bier, das schlechtschmeckende russische Schiguljowskoje kostet in der Großpackung mit 2,25 Litern 75 Hrywnja (ca. 3,2 Euro). Aber Wodka etwa 40 Hrywnja (ca. 1,73 Euro) die Flasche. Und es gibt viele, sowohl regionale als auch russische.
Im Lädchen bei meinem Haus sah ich plötzlich eine Auswahl ukrainischer „Artjomowsker“ (Sekt). Ich fragte den Besitzer und erhielt eine unerwartete Portion Offenheit: „Ja, ukrainische, aus den Überresten! Ich war ein paar Tage in Mariupol, habe Rente erhalten, sah mir die vielen Läden an, „Medoff“, „Nemirov“ und fing plötzlich an zu weinen. Wann nimmt das mit der DNR endlich ein Ende?
Dies ist der dritte Verkäufer in meiner Sammlung des letzten Monats, der sich vor einem fremden Menschen über die DNR beklagt.
Ukrainische Patrioten schweigen in dieser Stadt zumeist, man erkennt sie auch am Schweigen, unter den Taxifahrern, Nachbarn in der Warteschlange und weiteren Menschen. Und hier traut sich das Volk, weit entfernt von der Politik, die die neue Regierung einführte, aufzubegehren.
Der unechte Zar, Putin hat uns verstoßen, Russland kam nicht. Die Bewohner sind schwer zu kontrollieren.
In der Ukraine scheint es, als ob Putin alles Mögliche und noch mehr für die Kriegsmacht von DNR und LNR tut. Aber ein Mann der Landwehr erklärte mir böse, dass Putin alle verlassen hätte, weil er durchaus in der Lage gewesen wäre: „dieses Kiew mit zig Geschwadern zu zerbomben, aber uns stattdessen zum Sterben in sinnlosen Attacken auf altertümlichem Eisengefährten zu schicken.“
Aber ich würde diese Unzufriedenheit nicht überbewerten, wie auch den Hass auf alles Ukrainische, obwohl es auch davon genug gibt.
Ich würde den Enthusiasmus der Sympathisanten der DNR und der jeden Tag das Bild der mit den Müttern spazierenden Kinder auf dem Puschkin-Boulevard hervorhebenden und der arbeitenden Kommunalarbeiter nicht überbewerten.
Genauso wie die ukrainischsprachigen Aushänge am noch geöffneten Kinotheater „Swjosdotschka/Sternchen“ oder dem Schewtschenko-Theater, Hinweisschilder mit der ukrainischen Flagge und dem Dreizack, die am Gebäude des Donezker Stadtrats erhalten sind, den roten Mohn auf den Wandzeitungen der ukrainischen Schulen…
Ich neige dazu, Jelena Stjaschkina zuzustimmen, die das Geschehen in den verständlichen Kategorien der Okkupation beschreibt. Sie sagte in etwa, dass es in Cherson im Notfall genauso wäre. Wie in Donezk. Nur dort wurden die Russen nicht hingelassen.
Ich glaube, darin steckt ein großer Teil Wahrheit.
4. Juni 2015 // Konstantin Saperewalnyj
Quelle: Ukrajinska Prawda – Schyttja