Eine Ukraine für Chinesen?
Merkwürdige Leute sind unsere Politiker: Der Wahlkampf hat noch nicht begonnen, aber sie haben es schon geschafft, potenzielle Wähler zu vergraulen. Zum Beispiel bei dem Vorfall mit „Swoboda“ (Freiheit) und Haitana/Gaitana – warum hielt man die Zunge nicht im Zaun? Würde Haitana die Ukraine in der Eurovision schlechter vertreten, als die vorjährige Sängerin mit dem seltsamen Namen Aljoscha? Oder, ist die erste weniger Ukrainerin als Werka Serdjutschka (Verka Serduchka)? Und überhaupt, soll die Eurovision ein Gesprächsstoff für ernste Menschen sein? Übrigens, „die oberste Liga“ hat noch geschwiegen, weil sie weiß, es gibt keine richtige Antwort auf solche Fragen. „Die jüngere“ konnte sich nicht zurückhalten, und ist bis zu den Ohren in Fettnäpfchen getreten.
Vitali Klitschko sagte „Ukraine für Ukrainer“ – das ist nicht unsere Ideologie, und wir werden sie niemals akzeptieren“. Selbstverständlich, der Kampf mit Chisora war nicht leicht für unseren Sieger. Die Berater traten, offensichtlich, nicht auf den Ring! Die Ukraine ist nicht für Ukrainer, das haben wir schon verstanden. Aber für wen denn sonst? Für Chinesen?
Damit die Zähne heil bleiben, nehmen die Boxer einen Zahnschutz in den Mund. Könnte man so eine Schutz für Politiker erfinden, damit sie keinen Blödsinn reden?
Anderseits wird das Rassenthema bei uns in letzter Zeit seltsam vorangetrieben. Es gab sogar eine neue Werbung im Fernsehen, in der ein Chinese auf der Bandura spielt, ein Araber auf der Sopilka, und unser Foma ein Lied dabei singt und Toleranz propagiert.
Das Thema ist also aktuell geworden. Und aus diesem Grund muss der Politiker etwas dazugeben. Vor kurzem haben sich Organisatoren der oben genannten Werbung im Studio Radio Era unterhalten. Und was wunderte war, dass keiner, der angerufen hat, sie unterstützte. Sowohl der russisch- als auch der ukrainischsprachige Radiohörer behaupteten einstimmig, es wäre für alle gefährlich abends auf den Straßen, Ukrainer kämen genauso oft zur Miliz, wie dunkelhäutige, und das Ganze hier wäre nur banale eine Spekulation.
Ehrlich gesagt, wir zweifeln sehr daran, dass die aktiven Zuhörer des Radio Era ausschließlich Xenophobe und Rassisten sind. Und das bedeutet, dass Toleranzpropagandisten in ihren Ansprachen etwas außer Acht gelassen haben.
Vielleicht haben die Zuhörer des populären Radiosenders und alle andere Ukrainer etwas nicht ganz richtig verstanden. Aber in letzter Zeit benimmt sich auch Europa an dieser Front merkwürdig. Insbesondere Frankreich und Deutschland äußern sich öffentlich dazu, dass die Politik der globalen Multikultur in die Brüche gegangen sei, und man sich etwas anderes ausdenken müsse. Na so was!
Übrigens, ein aufmerksamer Leser könnte sich auch daran erinnern, dass das Scheitern der europäischen Nationalpolitik keine Überraschung ist. Er wurde längst von einigen Intellektuellen vorhergesagt. Sie haben dies nur etwas leise gemacht, damit man sie nicht der Xenophobie beschuldigt.
Und der Grund für das Misslingen ist ziemlich lächerlich. Er ist im Wort TOLERANZ versteckt, weil das moderne Fremdwort auf Ukrainisch einfach „Geduld“ heißt.
Zum ersten Mal haben wir es erlebt, was falsch an diesem Terminus ist, als der Botschafter der Niederlanden das Programm zur Toleranzunterstützung in der Ukraine präsentierte. In dem Programm ging es vor allem um Juden, Holocaust und ziemlich traditionelle Angelegenheiten. Alles sah korrekt und aus der internationalen Sicht offiziell aus.
Als plötzlich sich zu Wort ein junger Mann meldete, der sich als Vertreter des Zentrums der Sexualminderheiten vorstellte. Er nahm das Mikrofon und behauptete, die Juden zu schützen und die sexuelle Minderheiten nicht, sei intolerant. Mehr noch, das wäre eine Blamage für ganz Europa. Und so weiter.
Die Holländer waren kurz erschüttert von dieser Frage und haben sogar angefangen, sich zu rechtfertigen. Und bei uns drehte sich alles im Kopf.
Warten Sie! Wie kann man das in einen Topf werfen? Die Juden sind eines der ältesten Völker der Welt. Dank ihnen haben wir die Bibel und letztendlich das Christentum, auf dessen Basis die ganze europäische Kultur gewachsen ist. Und sexuelle Minderheiten sind kein Volk, keine Nation, sie sind einfach Leute mit besonderen intimen Geschmäckern.
Das Wort „Toleranz“ ruft im allgemeinen Unmengen an Spekulationen hervor. Hier verlässt Walid Harfouch das Fernsehstudio , weil ein Journalist mitteilte, wo jener geboren wurde. Als es eine Sünde sei, in Libanon geboren zu werden! Oder, Irina Bilik , die für russische Lieder ausgepfiffen wurde, beschwert sich über rassistische Einstellungen. Was sagt man dazu? Nur, dass Blondinen keine Rasse sind?
Die Ukraine ist ein Vielvölkerstaat. Wir brauchen keine Einweisungen zum Zusammenleben mit anderen Völkern, und insbesondere nicht mit dem Geld ausländischer Fonds. Hunderte Jahre haben wir Schulter an Schulter mit Bulgaren, Krimtataren, Moldauern, Karäern, Juden gelebt und das, unglaublich, ohne Werbespots.
So leben wir auch heute. Und wenn das bulgarische Kulturzentrum in Odessa zerstört wird, dann sind daran nicht die Ukrainer schuld, sondern die örtlichen Machtstrukturen und Businessvertreter, die dem Ukrainertum nicht zugeschrieben werden können. Denn unsere Regierung ist der Feind aller Menschen, unabhängig von ihrer nationalen Zugehörigkeit.
Erinnern Sie sich übrigens daran, als die Krimtatarin Jamala irgendeinen überseeischen Songcontest gewonnen hatte, weder „Swoboda“ noch jemand anderer hatte sich dazu geäußert. Wir sind doch nicht so schlecht. Warum fängt man auf einmal mit Rassismus, Toleranz und Geduld an?
Das erste, was einem in den Sinn kommt, ist eine bewusste Provokation für nationalistisch orientierte Politiker. Im Sinne von: „kommt, zeigt euer menschenfeindliches Wesen!“ Ernste Menschen lassen es selbstverständlich außer Acht, allerdings nicht der Plebs…
Zweitens, es erinnert an die Reinkarnation des alten sowjetischen Märchens „bei Euch werden Schwarze geschlagen“. Vielleicht gibt es einen oder anderen, der sich daran erinnert, wie man mit Rassismus den hoffnungslosen Rückstand der UdSSR hinter der kapitalistischen Welt zu vertuschen versuchte.
Jetzt auf so eine tückische Art und Weise versucht man den Fakt in den Hintergrund zu stellen, dass vor allem die Ukrainer hier geschlagen werden. Denken Sie an Indilo (gemeint ist der Student Ihor Indilo, der in Milizgewahrsam „die Treppe herunter fiel“ und daran verstarb, A.d.Ü.), der kein Chinese ist, oder viele andere Tausende, die von den Milizionären gefoltert werden, und die anderen Tausenden Ukrainer, Russen, Moldauer, Krimtataren, die von Schlägern beraubt werden.
Das Problem liegt nicht daran, dass die Migranten bei uns geschlagen werden. Sondern, dass bei uns Menschen geschlagen werden, dass unsere Miliz aus Sadisten und Scharfrichtern besteht, dass wir in der Regierung Diebe haben, und die Staatsanwälte Knastlieder („Murka“) singen.Somit erzeugt die Propaganda einer besonderen Einstellung zu Menschen mit anderer Hautfarbe im Lichte der alltäglichen Brutalität eine absolut umgekehrte Reaktion: Sie darf man nicht schlagen, uns aber doch?
Die Regierung schützt die russische Sprache vor „großen Repressionen“, und schaut ruhig zu wie andere Sprachen wie Karaimaisch, die krimtschakische Sprache, Urum aussterben, und gleichzeitig fordert man aus dem Fernseher heraus dazu auf, die Araber zu lieben… Dann soll man sich nicht wundern, wenn derartige Propaganda nur xenophobische Auswirkungen hat und dieses Publikum dadurch größer wird.
Wir denken „ Geduld“ ist ein falsches Wort, wenn es um fremde Kulturen geht. Denn einerseits erniedrigt sie sie: Was ist an der Hautfarbe oder Sprache unpassend oder schlecht, dass man andere davon überzeugen muss, sie zu „dulden“? Und andererseits erniedrigt es uns: kommen Sie und machen Sie hier, was Sie wollen und wir werden es dulden!
Selbstverständlich ist die Frage des Zusammenlebens der verschiedenen Kulturen nicht leicht. Allerdings kann man dieses mit Geduld nicht lösen – sondern nur mit Zusammenarbeit. Die Ukrainer haben nicht weniger Erfahrung in einer solchen Zusammenarbeit als der Rest der Welt.
Außerdem sieht die Situation viel einfacher aus, wenn man sich die Frage des Zusammenlebens der Nationen am Beispiel bestimmter Personen anschaut. Denkt man nur an Mustafa Najem, der sich für seine eigene Nationalität nie geschämt hat und die Staatssprache besser beherrscht als der Premierminister. Er arbeitet für die Ukraine sogar ungeachtet der Drohungen seitens des Präsidenten. Und stelle man ihn neben den Herrn Harfouch, der sich seines Geburtslandes schämt und sich über die Staatssprache hinwegsetzt, jedoch leitet er eine staatliche Informationsressource (er ist Vizepräsident des Staatlichen Ersten Kanals und verantwortlich für die ukrainische Version von Euronews).
Ein realer Mechanismus wie die Leute mit verschiedenen Nationalitäten zusammenleben können, ist nicht die Toleranz sondern der kulturelle Dialog. Und es ist traurig, dass viele Politiker diese Begriffe verwechseln. Für einen kulturellen Dialog bedarf es erstens, dass beide Parteien Träger dieser Kulturen sind.
Gangster, Betrüger und die Mehrheit der Politiker sind dafür nicht geschaffen und das nicht wegen der Hautfarbe. Die zweite Besonderheit des kulturellen Dialogs ist die Gegenseitigkeit. Man interessiert sich für das Andere und zeigt das Eigene. Kann denn so etwas Aggressivität hervorrufen? Selbstverständlich gibt es in der Ukraine Persönlichkeiten, die ihre eigene Kultur für etwas Besonderes halten – höher als die Glockentürme der Lawra, und unsere Kultur wird ignoriert oder diskriminiert. Zum Beispiel, die Abgeordnete Olena Bondarenko (Partei der Regionen), die sich gegen schlechte ukrainische Musik im Fernsehen wehrt. Das wird wohl kaum zum Dialog bewegen. Dazu ist noch Folgendes zu sagen.
Es ist gleich, welche Hautfarbe diese Menschen haben, sie haben keine Toleranz von uns verdient und müssen direkt in das Land „ihrer höheren Kultur“ geschickt werden.
Und drittens. Der kulturelle Dialog wird auf einem gemeinsamen Fundament gebaut, d.h. auf einer für alle verständlichen Sprache und auf einem Wertesystem, das für alle gilt, damit die beiden Parteien einander verstehen.
Wenn wir staatlich denkende Menschen sind, können wir leicht das Gesagte auf die Beziehungen zu den verwurzelten Nationalitäten unseres Landes übertragen. Dann wird es nicht nur ein Dialog, sondern ein Polylog. Dafür brauchen wir genau diese Kulturen, Gegenseitigkeit der Interessen und ein gemeinsames Fundament für Kommunikation.
Was ist an diesem Modell so schwer, dass die Politiker es nicht verstehen können? Wissen Sie nicht, was Kultur ist? Das ist möglich.
Andererseits, wenn man die Gedanken von dem Abgeordneten-Oligarchen Feldman zum Thema Migranten liest, schleichen einem böse Gedanken in den Kopf. Vielleicht ist es alles nicht einfach so? Die Betriebe zu stehlen, den Boden zu berauben, das geht einfach, doch wie schützt man sich von den Menschen, die auf diesem Boden leben? Sie haben Wählerstimmen, und im Notfall – Heugabeln.
Irgendeiner versucht somit schrittweise ein Projekt zu verwirklichen: Die Ukrainer sollen nach Portugal arbeiten gehen, und an ihren Platz treten Chinesen. Die Chinesen sind anspruchslos, billig und gehorsam – und stimmen während der Wahlen nicht ab, zu Heugabeln werden sie auch nicht greifen. Somit werden die schlechtesten Arbeitsbedingungen für die Ukrainer in der Ukraine geschaffen und die Ausreise wird erleichtert. Als Deckmantel dient Werbung im Fernsehen, ein Chinese mit der Bandura und ein Araber mit der Sopilka. Gewöhnen Sie sich daran.
Die Ukraine für Chinesen, Portugal für die Ukrainer? Das, was mit Holodomor und Sürgün (krimatatrische Deportation) nicht geschah, wird unter „Toleranz“ erreicht?
Klar sind das alles Phantasien, sie entstehen jedoch nicht nur in unseren Köpfen. Und dessen Grund ist nicht die mythische „ukrainische Xenophobie“, die niemals existiert hat und in Anbetracht unserer traditionellen multiethnischen Volksstruktur niemals existieren konnte, sondern das Fehlen von Antworten auf strategische Fragen, die das Leben der Ukraine stellt.
Die Herrscher, die mit dem Raub nationalen Eigentums beschäftigt sind, haben keine Zeit, sogar keinen Begriff davon, wie man die Probleme formulieren soll, von denen die Zukunft der Nation und des Landes abhängen. Was machen wir mit der Migration?
Soll sich Kiew ethnisch in ein Paris oder Moskau verwandeln, oder ist es besser, den Weg Warschaus einzuhalten? Wie bewährt man das Eigene im Rahmen offener Grenzen?
Letztendlich – wie kann in Anbetracht von Ressourcenknappheit und Überbevölkerung, was von Wissenschaftlern ständig behauptet wird, das eigene bewahrt werden, das Land, das nicht der schlechteste Teil der Erde ist? Das Land, das Gott uns anvertraut hat.
Gleich entsteht die Frage, ob irgendeine Regierung dafür zuständig ist, die Fragen der Migrations- und Kulturpolitik zu lösen? Und sofort die Antwort – wohl kaum. Nicht laut der Verfassung zuständig, sondern an sich.
Janukowytsch kann nicht die Grenzen für Vietnamesen öffnen, sogar wenn er 450 Stimmen im Parlament hat. Die einzige legitime Migrationspolitik ist die, die vom Volk gebilligt wird, und um genau zu sein, von allen verwurzelten Völkern der Ukraine.
Versuche der Kompetenzüberschreitung in diesem Bereich haben einfache und grausame Folgen – Pogrome. Weil die nationale Migrationspolitik von keinem käuflichen Verfassungsgericht bestimmt wird, sondern sie das Ergebnis der alltäglichen kulturellen Wechselwirkung verschiedener Völker ist.
Somit, anstatt sich hinter den Verweisen auf das Europa von vor zehn Jahren oder auf das jetzige Moskau zu verstecken, soll jeder, der sich ein wenig um die Zukunft, die eigene oder die der Nachfolger kümmert, jeden Tag und mit jedem Wort um sich herum einen Raum des kulturellen Dialogs schaffen.
Erstens, sich nicht für eigene Rasse, eigene Nation oder Kultur zu schämen. Zweitens, Respektlosigkeit gegenüber anderen genauso nicht zu verzeihen, wie gegenüber sich selbst. Drittens, Menschen für Gespräche auszuwählen, die zu Wechselbeziehungen fähig sind, und für die Unfähigen keine Zeit zu vergeuden.
Und nicht zuletzt. Wenn man nach einem gemeinsamen kulturellen Fundament für den Dialog sucht, sollte man sich fern der postsowjetischen Standards des Informationsraums halten – dem bauchorientierten denationalisierten sowjetisch sozialisierten (Sowok). Denn genau diese „Biomasse“ ist die Grundlage für die Weltanschauung der Mehrheit der Politiker heute. Wir alle sehen ganz deutlich, was sich daraus ergibt.
29. Februar 2012 // Witalij und Dmytro Kapranow
Quelle: Ukrajinska Prawda