Gibt es ein Leben nach der Wahl von Janukowytsch?


Der Sieg des Antihelden von 2004 bei den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2010 hat eine Menge an Pessimismus unter seinen Gegnern hervorgerufen. Aber macht es Sinn in Panik zu geraten oder in wärmere Länder auszuwandern?

Der Autor schätzt die Aussichten der Ukraine, die mit diesem Präsidenten verbunden sind, persönlich sehr kritisch ein, aber es handelt sich trotzdem um eine Übergangszeit. Es gibt ein paar wichtige Bereiche, in denen Janukowytschs Führung Herausforderungen für die Ukraine darstellt.

Es ist zum einen die Frage der Demokratie als bestehende Spielregeln der Gesellschaft.

Bildlich gesprochen, läuft das auf die Antwort der Frage hinaus, “ob Juschtschenko ein Dummkopf ist, weil er weder Druck auf den in der Opposition befindende „Donezker-Clan “ ausgeübt hat, noch deren Vermögen beschlagnahmte, noch sie verprügelte oder ins Gefängnis steckte?”

Wenn die primitive Logik des Jahres 2004, der Wunsche nach symbolischer Vergeltung und Rache auch weiterhin in den Köpfen der “Regionalen” vorhanden sein wird, dann sollte man einen aussichtslosen Kampf mit schlimmen Folgen für den Staat erwarten. Wenn es doch nicht der Fall sein wird, dann besteht die Chance, dass sie Teil des ukrainischen politischen Zyklus werden, ähnlich dem, als sie 2006 an der Macht waren und 2007 diese wieder verloren …

Weniger als 50% der Gesamtzahl der Stimmen, eine andere Rolle des Präsidenten und eine starke Opposition geben Janukowytsch nicht die Möglichkeiten zur Usurpation der Macht, die er im Jahr 2004 gehabt hatte. Jedoch hilft ihm in diesem Moment die Abwesenheit einer qualitativen Alternative (und nicht einfach “das kleinere Übel”).

Die heutige Situation stellt eine Chance für die orangen Aktivisten dar, sich die Kraft für den Kampf um eine normale Ukraine zurückzuholen, weil es nach der Revolution zu viel Entspannung und Hoffnung auf einen “Onkel” an der Macht gab.

Wir müssen der Welt klar sagen: die Gerüchte über den Tod des Majdan sind stark übertrieben, er hatte einfach noch nicht genug Zeit, um Ergebnisse zu zeigen. Dafür muss man ein wenig Geduld haben und konsequent arbeiten.

Die zweite Dimension ist gesellschaftlicher Natur. Werden Janukowytsch und sein Team die gesellschaftlichen Prioritäten der Juschtschenko – Ära revidieren wollen?

Werden sie entsprechend der Empfehlungen des russischen Außenministeriums in diesem Bereich handeln? Werden sie freiwillig zu einem zweiten Kreml – oder werden sie Respekt vor den Überzeugungen ihrer Gegner zeigen und dabei erkennen, dass nur, wenn sie vollwertig human sind, sie auch politisch vollwertig sein können?

Offensichtlich ist, dass etwas Besseres als den schizophrenen Ansatz von Kutschma kaum zu erwarten wäre, allerdings ist der Ansatz “Die Ukraine ist nicht Russland” besser als “die Ukraine ist ein Teil der gesamten (russischen) Geschichte”.

Und hier stellt sich die Frage nach den qualitativen gesellschaftlichen Alternativen zu Mischa Krug, Jan Tabatschnyk und dem nord-östlichen “Großen Bruder“: wenn wir klüger, interessanter, erfolgreicher werden, dann können zumindest die aktuellen Positionen aufrechterhalten werden.

Die dritte Dimension ist die Außenpolitik. Orientieren sich die Donbasser Oligarchen wirklich so nach dem Westen – oder sind sie wie arabische Scheichs, die in der Lage sind, französische Schlösser und niederländische Superjachten zu kaufen, das Geld bei Schweizer Banken zu halten, ihre Kinder zu den teuersten britischen Schulen und Universitäten zu schicken, deutsche Limousinen zu fahren und italienische Anzüge zu tragen und trotzdem immer noch die gleichen Feudalherren zu bleiben?

Ist ihnen bewusst, dass die hohe Lebensqualität in diesen Ländern eine Folge der persönlichen Freiheit, der freien Marktwirtschaft und der demokratischen Politik ist? Verstehen sie, dass nach dem Gemeinsamen Wirtschaftsraum (Weißrussland, Russland, Kasachstan – JeEP) der Beitritt zu EU bereits unmöglich ist – oder ist dieser europäische Raum ihnen fremd und sogar schädlich für ihr sozial und ökologisch unverantwortliches Geschäft?

Fühlen sie wenigsten, dass, solange die Truppen eines anderen Staates in ihrem Hoheitsgebiet stationiert sind, sie nicht vollständig souverän sein werden?

Offensichtlich ist, was Janukowytsch betrifft, der eine für europäische Politiker nicht hinnehmbare „Schule des Lebens“ besucht hat, wird seine Behandlung nach dem „französischen Alphabet“ stattfinden und somit wird der Bereich seiner internationalen Aktivitäten erheblich eingeschränkt sein.

Die einzige Richtung, die sich effizient weiterentwickeln kann, ist die wirtschaftliche, denn wir können jetzt mit keiner politischen europäischen Integration rechnen, während Janukowytsch als Präsident an der Macht ist.

Allerdings darf man nicht glauben, dass wenn Wiktor Fedorowytsch als Präsident an der Macht ist, dies unsere europäische Perspektive dauerhaft beenden wird, zumindest aus dem einfachen Grund, dass die EU selbst im Allgemeinen nicht wirklich so weiß und flauschig ist.

Silvio Berlusconi, der große “Freund von Putin“ ist ein italienischer Hybrid aus Janukowytsch und Achmetow, ein Mensch, der mehrmals der Korruption beschuldigt und in Verbindung mit der Mafia gebracht wurde. Er war der Initiator des anrüchigen Gesetzes über die Unantastbarkeit des Ministerpräsidenten, das seine Fraktion kurz vor den Gerichtsverhandlungen gegen Don Silvio ins Parlament eingebracht hat. Er hat sowohl öffentliche als auch private Sender unter Kontrolle.

Weitere Beispiele aus der jüngsten europäischen Politik sind zwar nicht so empörend, aber auch vielsagend. Die Ermordung von Pim Fortuyn – des Vorsitzenden der niederländischen Rechtsradikalen – einen Tag vor den Wahlen in den Niederlanden oder die Bildung einer Koalition zusammen mit den Neo-Faschisten von Haider in Österreich – so etwas hat es in der Ukraine noch nicht gegeben.

Der Korruptionsskandal um Helmut Kohl bezüglich der “schwarzen Kassen” der Christdemokraten erschütterte ganz Europa, und Jacques Chirac hatte noch viel zu lange mit der Schleppe eines der korruptesten Bürgermeisters von Paris zu kämpfen. Darüber hinaus existieren in der EU noch solche Gruppierung wie die ETA und die IRA, zu denen es einfach keine Analogien in der Ukraine gibt.

Daher erscheint die Dämonisierung der Ukraine vor diesem Hintergrund, wenn nicht als eine politische Bestellung ihrer Gegner dann zumindest als Blindheit westlicher Journalisten die bereit sind, den Inhalt der dramatischen Handlung zu opfern.

Als die wichtigste Spekulation in der Außenpolitik erscheint die Frage, “wie sehr die Ukraine in den Einflussbereich von Russland geraten wird“, und ob es notwendig ist die Ukraine nur als Marginalien der bilateralen Beziehungen mit Russland wahrzunehmen oder ob sie wirklich ein Subjekt in der Außenpolitik ist.

Das was wir tun können ist, die Freunde der Ukraine zu finden, ihnen am eigenen Beispiel zu zeigen, dass es die europäische Ukraine gibt und dass sie sich weiterentwickeln wird.

Die vierte Dimension ist die wirtschaftliche. “Asarowschtschyna” (Mykola Asarow, ehemaliger Finanzminister der Partei der Regionen) sollte ein Begriff werden, der als ein eigenes Wort in den Sprachen der Welt (wie “Sputnik” und “Temnik“) gilt.

Die Praxis einer aggressiven Unterdrückung von kleinen und mittleren Unternehmen mit gleichzeitigem Parasitentum der Oligarchie mit Subventionen des Staates und Steuerhinterziehung in den Steueroasen wird wahrscheinlich bald unsere Realität sein.

Diese ist ein Signal an die Unternehmer, die das Jahr 2004 nicht wiederholen möchten: entweder wird es eine Kraft geben, die ihre Interessen vertreten wird oder sie werden einzeln vernichtet.

Die fünfte Dimension ist moralischer Natur. Gerade die moralische Unzulänglichkeit des neuen Führers ist die größte Bedrohung für unseren Staat: sowohl die Korruption als auch die Manipulierbarkeit nehmen ihren Ursprung genau hier.

Die Frage, ob die neue Alternative selbst moralisch hinreichend ist, wird ihre Wettbewerbsfähigkeit für die nächsten fünf Jahre bestimmen.

Damit wir nach Janukowytsch eine normale Regierung haben, braucht es sowohl einer klarer Vorstellung von der neuen Ukraine, als auch der Menschen, die in der Lage sind, sie zu verwirklichen – von den lokalen Abgeordneten, den Leitern der Gemeinderäte und Kreisverwaltungen bis hin zu den Direktoren der Abteilungen, Ministern und schließlich bis zu einer neuen Führungspersönlichkeit, die würdig wäre, der Präsident der freien, unabhängigen, europäische Ukraine zu sein.

10. Februar 2010 // Ostap Krywdyk, Politologe und Aktivist

Quelle: Ukrainskaja Prawda

Übersetzerin:   Ilona Stoyenko  — Wörter: 1254

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