Janukowitsch konnte in Davos nicht von den guten Perspektiven der Ukraine überzeugen
Auf der am Freitag in Davos stattfindenden Lunch-Konferenz versuchte Wiktor Janukowitsch Investoren von der Attraktivität der Ukraine und der Einhaltung der europäischen Werte zu überzeugen. Jedoch waren die Vertreter der EU und des ukrainischen Großkapitals mit seinen Ausführungen nicht einverstanden. Allein die Türkei unterstützte die Ukraine. Deren Vertreter erklärte, dass sich das Land jetzt in ähnlich schwierigen bilateralen Beziehungen zu den EU-Staaten wie die Türkei befindet.
Das türkische Szenario
Am Freitag besuchte Präsident Wiktor Janukowitsch auf dem World Economic Forum in Davos zwei Veranstaltungen: die Konferenz „Neue Energiearchitektur: mögliche und effektive Umgestaltung“ und die achte ukrainische Lunch-Konferenz „Wege der zukünftigen Entwicklung“, die vom Fonds Wiktor Pintschuk organisiert wurde.
Die Eindrücke von seiner Teilnahme an der Energiekonferenz teilte Janukowitsch während des Lunches mit: „Ich habe begriffen, dass wir heute unserem Gastransportsystem eine zu große Bedeutung beimessen, wo in der Welt die Rolle des Flüssiggases und der zugehörigen Umschlagterminals wächst, worauf auch wir uns konzentrieren sollten“. Übrigens, wie der Leiter der Nationalen Agentur für ausländische Investitionen, Wladislaw Kaskiw, erzählte, gelang es während des World Economic Forums nicht, Interessenten für den Bau von neuen Flüssiggasterminals in der Ukraine zu finden. Und der Chef des Energieministeriums, Jurij Bojko, bestätigte dem “Kommersant-Ukraine”, dass die ukrainische Seite trotz allem mit Aserbaidschan keinen Vertrag über die mögliche jährliche Lieferung von bis zu 15 Mrd. Kubikmeter Erdgas unterzeichnet hat. Bojko erläuterte, dass „anstelle eines Abkommens mit Aserbaidschan zwei unterzeichnet werden: eines zwischen den Regierungen und eines zwischen den Erdöl-Erdgasunternehmen“.
Der Auftritt Wiktor Janukowitschs auf der Lunch-Konferenz war hauptsächlich den Erfolgen in der Wirtschaft und der Werbung für Investitionen in der Ukraine gewidmet. „Im letzten Jahr hat das Land den Export um 34% erhöht und das Haushaltsdefizit sank von 5,5 auf 3,5% und wird in diesem Jahr auf 2,5% sinken. Es verbessern sich auch das Investitionsklima und die Bedingungen für die Investoren“, berichtete der Präsident. Der Ex-Präsident Polens, Aleksander Kwaśniewski, dem es als Einzigem gelang sich dazu vor dem Weggang Wiktor Janukowitschs zu äußern, war weniger optimistisch in seinen Einschätzungen: „Ich finde, dass die Ukraine das letzte Jahr verloren hat. Und derzeit steht das Land vor der Frage, wo es in 10-20 Jahren sein will. Auf Ihre Integration in die Europäische Union wirkt sich die Sache Julia Timoschenko ernsthaft aus. Und Vergünstigungen bei der Eurointegration wird weder Ihnen noch der Türkei jemand geben“. Im Gegenzug atmete Janukowitsch tief durch und betonte, dass die im Land durchgeführten Reformen es auf die Eurointegration vorbereiten und fügte hinzu, dass die Korruption überwunden werden muss. „Mit der Zeit“, präzisierte der Präsident.
Der ehemalige Präsident Polens erklärte, dass die Ukraine sich festlegen solle, wohin sie sich bewegt – in die Europäische Union oder in die Eurasische Union: „Wir begreifen es in Europa eindeutig, als sich gegenseitig ausschließende Dinge“. Das Oberhaupt des ukrainischen Staates antwortete darauf, dass die Frage einer Integration in die Eurasische Union nicht geschlossen ist. „Wir werden schauen, was für uns von größerem Vorteil ist, zumal wir mit Russland lange Partner sind und unser Warenumsatz erreichte im letzten Jahr 55 Mrd. $“, teilte der Präsident mit. Später versuchte der Parlamentsabgeordnete Arsenij Jazenjuk diesen Anstieg zu erklären: „Russland verkauft uns immer mehr teures Gas und wir liefern ihnen derweil aufgrund von Antidumpinguntersuchungen immer weniger Waren“.
Später kam es für den Präsidenten noch schwieriger. Janukowitsch erklärte in seiner Rede, dass die neue Strafprozessordnung im Falle einer Verabschiedung durch die Werchowna Rada das Problem der strafrechtlichen Verfolgung Julia Timoschenkos zu lösen gestattet. Doch daraufhin erklärte der Abgeordnete des Europaparlaments Marek Siwiec: „Der Präsident der Ukraine verspricht erneut etwas, was in keiner Beziehung zur Realität steht. Den Worten ukrainischer Abgeordneter nach wirkt sich der Beschluss der Strafprozessordnung in keiner Weise auf die Sache Timoschenko aus“. Übrigens hörte der Präsident diese Worte nicht mehr selbst – entgegen den vorläufigen Plänen, zog er sich von dem Treffen sofort nach der Unterhaltung mit Kwaśniewski zurück und wartete den Auftritt des Außenministers von Schweden, Carl Bildt, der bekannt für seine scharfen Auftritte an die Adresse der Ukraine ist, nicht ab. Bildt änderte sich auch diesmal nicht und erklärte: „Die Ukraine ist für uns heute die Türkei Nr. 2. Sie ist hoffnungslos bei der Eurointegration stecken geblieben. Die Bürgerrechte werden in Ihrem Land nicht beachtet, die Gesetze funktionieren nicht und die Standards degradieren.“
Diese Erklärung erfreute den auf dem Lunch anwesenden Europaminister der Türkei, Egemen Bağış. „Wir haben seit 1959 einen schwierigen Weg in Richtung EU zurückgelegt. Beispielsweise wurde der Mensch, der als Erster in unserem Land die Eurointegration vorschlug, später erschossen“, bemerkte Bağış aus irgendeinem Grunde. Er brüstete sich damit, dass die Türkei die größte Bevölkerung hat und die größte militärische Macht in Europa ist. „Wenigstens dafür sollte man uns in die EU aufnehmen, doch werden wir diskriminiert. Und jetzt meine ich, dass die Türkei und die Ukraine Verbündete sind. Unsere weiteren Freunde sind Bosnien und Herzegowina und Albanien“, erklärte der türkische Minister.
Die Ergebnisse der Diskussion fasste der ehemalige Finanzminister Russlands, Alexej Kudrin, zusammen. Er teilte mit, dass das BIP pro Person in der Russischen Föderation bei 15.000$ liegt, wo es gleichzeitig in der Ukraine ganze 7.000$ beträgt. Ungeachtet der im Vergleich zur Ukraine größeren ökonomischen Erfolge, vermochten die russischen Machthaber es, Kudrins Worten nach, nicht die nötigen Reformen durchzuführen und effizienter zu werden, was die Welle der Entrüstung im Lande hervorrief.
Ukrainische Geschäftsleute sehen die wirtschaftliche Situation in der Ukraine und der Welt ohne überflüssigen Optimismus. „Auf dem World Economic Forum haben wir keine eindeutige Antwort erhalten, was mit der Eurozone und der europäischen Wirtschaft wird. Die europäischen Führer strahlen die Überzeugung aus, dass alles in Ordnung ist, doch haben sie keinen klaren Begriff davon, was sie dafür unternehmen werden. Das anstehende Jahr wird sehr schwierig“, erzählte der Generaldirektor der „Smart-Holding“, Alexej Pertin. Die Leiterin der „Europäischen Business Assoziation“ (EBA), Anna Derewjanko, teilte mit, dass sich das gesamte letzte Jahr die Investorenstimmung Monat für Monat verschlechtert hatte. Das steht in Verbindung mit der Erhöhung des Steuerdrucks, der Korruption und dem faktisch nicht funktionierenden Justizsystem. „Ich stimme mit diesem Einschätzungen vollständig überein. In der Ukraine wurde die Steuerpolitik im letzten Jahr verschärft“, erklärte dem “Kommersant-Ukraine” der Geschäftsführer des Unternehmens VS Energy, Michail Spektor. Und der Direktor des Vorstandes der Industrieunion Donbass, Sergej Taruta, betonte, dass der Staat die Prüfungen von Unternehmen verstärkt hat, Steuern im Voraus einzutreiben begann und dabei die Rückzahlung der Vorsteuer an seine Unternehmen verzögert. Über die Fiskalpolitik beschwerte sich auch der Präsident der OAO (Offenen Aktiengesellschaft) „Lukoil“, Wagit Alikperow. „Heute stimuliert das Steuersystem in der Ukraine die Modernisierung und Entwicklung von Erdölverarbeitungskapazitäten nicht. Mithilfe der Steuern subventioniert die Ukraine Importeure, damit den eigenen Raffinerien keine Entwicklungsmöglichkeiten gebend“, erklärte er.
Der Generaldirektor der DTEK, Maxim Timtschenko, betonte, dass es auch im Elektroenergiebereich ungelöste Probleme gibt. „In der Branche gibt es eine zulange Investitionsperiode und sehr wichtig ist das Vorhandensein einer klaren und deutlichen Strategie. Bislang gibt es keinen Begriff davon, welche Energie wir entwickeln – beispielsweise die grüne oder die Atomenergie. Das gestattet keine Prognose für die Geschäftsentwicklung in langfristiger Perspektive und schafft eine bestimmte Turbulenz“, sagte er. Timtschenko betonte ebenfalls, dass die Marktteilnehmer im nächsten Jahr Gesetzesänderungen erwarten, die den Beginn für eine Reform des Energiemarktes ermöglichen.
Vertreter der Metallwirtschaft schauen optimistischer auf die Situation. Sogar ungeachtet des Sinkens des Wachstums in der Welt, zählen sie darauf, dass sie unter der Bedingung der Beibehaltung von Investitionen in Infrastrukturprojekte damit fortsetzen können, die Produktionsziffern zu erhöhen. Der Generaldirektor der „Metinvest“-Holding, Igor Syryj, erzählte, dass die Auslandskonjuktur des Marktes sich verschlechtert habe. „Auf dem Forum habe ich keine Informationen dazu erhalten, ob die Haushalts- und Finanzkrise in Europa beendet wird. Und ich denke, dass wir in den nächsten drei bis vier Jahren ein Wachstum von maximal 1-2% pro Jahr in den Ländern der Europäischen Union beobachten werden können“, sagt Syryj. „Daher ist es für die ukrainische Regierung äußerst wichtig die Binnennachfrage nach Metall und Maschinenbautechnik sicherzustellen und große Infrastrukturprojekte ähnlich denen zur Euro-2012 zu entwickeln“, sagt der Leiter der ukrainischen Morgan-Stanley-Vertretung, Igor Mitjukow. Seiner Meinung nach haben eben die Investitionen zur Vorbereitung der Europameisterschaft ein endgültiges Zusammenbrechen der Wirtschaft im letzten Jahr verhindert. Falls es gelingt, dieses Niveau 2012 zu halten, dann könnte das Land wenigstens das Schicksal Griechenlands und Spaniens vermeiden. Bei „Metinvest“ erklärte man, dass man beständig den Anteil der Produkte erhöht, die auf den ukrainischen Markt geliefert werden, wo in den nächsten Jahren ein jährliches Wachstum des Metallkonsums von 10% erwartet wird.
Oleg Gawrisch
Quelle: Kommersant-Ukraine