Die paradoxen Ergebnisse der Verwüstung des Donbass durch Putin - Der Mythos „der Donbass ernährt alle“ bröckelt
Die russische Aggression im Donbass vollzieht sich im Augenblick vor Prozessen, die für die Ukraine außergewöhnlich bedeutend sind, und denen man sich nicht entziehen kann.
Erstens. Die Ukraine hat sich endlich der unvermeidlichen Umwandlung der veralteten Wirtschaft, die ihre Wurzeln noch in der Stalin-Epoche hat, zugewendet. In der gesamten mehr oder weniger entwickelten Welt ist bereits der Übergangsprozess von der industriellen zur postindustriellen Wirtschaft abgeschlossen. Vereinfacht geht es dabei um den Übergang von der primitiven industriellen Produktion von Kohle und Stahl zur modernen Hochtechnologie.
Zweitens. Die Ukraine hat sich endlich an die beschleunigte Schaffung einer modernen Zivil- oder wenn Sie wollen, politischen Gemeinschaft gemacht, die man politische Nation nennt. Dieser Prozess lief während der 23 Jahre der Unabhängigkeit. Aber langsam. Mit vielen Fehlern wie beispielsweise Versuchen oder genauer gesagt Provokationen, eine politische Nation nur auf ethnischen oder sprachlichen Prinzipien zu errichten, die den Prozess der Konsolidierung der Nation verlangsamt und beinahe gestoppt haben. Heute hat sich in der ukrainischen Gesellschaft ein Konsens über die Prinzipien der Konsolidierung eingestellt. Hierbei spielen ethnische, sprachliche, religiöse oder rassische Faktoren keine bedeutende Rolle. Die ukrainische Zivilgesellschaft gründet auf der Loyalität zum Staat, auf der Staatsbürgerschaft in ihrem umfassendsten Verständnis. Diese Beschleunigung der Konsolidierung des Ukrainer-Seins im staatsbürgerlichen Sinne ist ein Ergebnis der ukrainischen politischen Erfahrung, die der Majdan der Würde und der russisch-ukrainische Krieg herbeigeführt haben.
Man kann nicht sagen, dass es dabei keine Irrwege gibt und dass alle Teile der ukrainischen Gesellschaft im Herbst 2013 bis zum Ende auf diesem Wege schritten, dem Weg zu einer ukrainischen politischen Nation. Die Ergebnisse der Parlamentswahlen 2014, die die Partei Swoboda (Freiheit) aus der Werchowna Rada (Oberster Rat) warf, aber in den meisten Wahlkreisen ihren Führern den dritten Platz gaben, zeigten, dass selbst der Westen der Ukraine sich der Bildung der Bürger-Nation angeschlossen hat und sich von den krypto-nationalistischen Illusionen distanziert hat. Sie fragen, warum krypto- und nicht klepto-? Ich antworte so: krypto- weil klepto-…
Aber kehren wir zurück zu den Problem-Regionen. Derzeit sind es zwei: Die Krim und ein Teil des Donbass.
Die Krim ist ein besonderer Fall. Und dies nicht nur deshalb, weil sie nicht merkte, wie sie in die russische politische Konstruktion sich einfügte. Wir alle wissen, dass es nicht ohne Unterstützung vieler Bewohner der Krim geschah. Aber alles ging so rasend schnell, dass selbst die Figuranten diese Annexion kaum fassen konnten.
Ein interessanter Fall ist der Donbass. Hier wurde der Prozess zu einem langwierigen und schmerzhaften. Und entsprechend gibt es Zeit nachzudenken. Alle denken nach, auf beiden Seiten der Konfrontation. Von den russischen Invasoren spreche ich nicht.
Schon jetzt können wir sagen, dass vor unseren Augen sich die Verwüstung des Donbass vollzieht. Aber nicht nur die Verwüstung, sondern auch der Suizid, und zwar auf unterschiedliche Weise.
Zuallererst einige Paradoxien, die mit den ideologischen Aspekten der Intervention und der Rebellion im Donbass verbunden sind. Es geht nämlich genau um eine Intervention der Russen und um die Rebellion ortsansässiger Separatisten, die es auch gibt, nicht nur russische Besetzer.
Also, die ideologischen Paradoxien
Erstens. Man kann feststellen, dass in die jetzige Phase der Konfrontation eines bedeutenden Teiles des Donbass (nicht des gesamten und interessanterweise auf beiden Seiten der Front, wenn auch in unterschiedlichen Anteilen) der Prozess der Bildung einer neuen politischen Gemeinschaft fiel, der ukrainischen Bürger-Nation. Man hat dort nicht die Veränderung der Qualität der Konsolidisierungs-Vorgänge wahrgenommen, die seit dem vergangenen Jahr vonstattengingen. Die Vernünftigen unter den Führern der Regionen wollten in den vergangenen 23 Jahren gerade die politische Nation. Als die Sache überging in die Bildung dieser republikanischen Gemeinschaft, sind sie aus diesem Prozess ausgestiegen. Das ist ein Paradox. Freilich nur auf den ersten Blick. Offensichtlich war der Republikanismus des Donbass, vielleicht darf man ihn Donbasser Sowjetland nennen, etwas ganz und gar anderes. Darum geht es.
Zweitens . Irgendwie sieht niemand Offensichtliches: die „sowjetische“ Gemeinschaft des Donbass, die auf eine Kernregion zusammengezogen hat (über den Kern später), verfiel in einen extremen russischen Nationalismus mit Elementen des Faschismus. In vielerlei Hinsicht kann man dies sowohl „Russismus“ und Putinismus nennen, auch wenn man nicht erkennen kann, was die wesentliche Ideologie der Separatisten ist und ihr Fremdgehen mit der Seite der Russen genau im ethnischen Sinne des Wortes. Es ist dabei egal, dass viele von diesen neuen Putin-Russen tatsächlich nicht ethnische Russen sind. Vielmehr „Sowoks“ (Sowjetmenschen). So können wir das zweite Paradox feststellen: Zu dem Zeitpunkt, als die Mehrheit des Landes sich schnell in eine neue politische Gemeinschaft nach republikanischen Prinzipien wandelt, da glitten die Donbass-Rebellen ab in vulgären russischen Nationalismus und sogar Faschismus (bezogen auf das methodische Vorgehen und die Wut, mit der sie alles Ukrainische zerstören).
Drittens. Der Paternalismus des Donbass ist zusammengebrochen. Dieser Paternalismus durchbohrte als Ideologie und Struktur-Prinzip der Donbass-Gesellschaft diese wie ein Spieß. Oben die allmächtigen und schrecklichen Janukowytsch-Achmetows, unten die Bevölkerung. Die Macht der Donbass- Clans zerstörte sowohl der Majdan als auch die Aggression Putins. Putin feuert nicht ohne Anlass regelmäßig die kopflosen atamanenhaften Separatisten. Aber die Hauptsache ist nicht dies: Am wichtigsten ist, dass der Glaube an den „Paten“, den „Vater“, der alles für uns macht, jedem die Portion zuteilt und einen Platz gibt, zerbröckelt ist. Der Donbass hat den Paten verloren. Hoffentlich verstehen jetzt alle, dass Jefremow mit Achmetow sehr schwach geworden sind. In ihren Bemühungen natürlich. Jetzt gibt eine Hoffnung, das ist Putin. Allerdings hat er es nicht eilig, Pate des Donbass zu werden. Das Paradigma scheint zu funktionieren. Aber die Liebe zwischen Bevölkerung und Pate ist irgendwie einseitig, unerwidert. So nimmt Putin den Dobass nicht nach Russland auf, und das ist es. Das gleiche Paradox. „Die Leute, die Putin so lieben”.
Viertens. Der Identifikations-Prozess der „Bevölkerung im Donbass“ hat sich beschleunigt. Sie floh zwei Jahrzehnte vor dieser Identifikation. Versteckte ihr „Sowjettum“. Sie stimmte dafür, dass es wie unter Stalin und Breschnew war. Jetzt ist es schwierig geworden, sich zu verstecken. Entweder man zieht um in von Invasoren freies Land und nimmt genau damit nolens volens teil an diesem ukrainischen Bürger-Projekt. Oder man flieht nach Russland oder greift zu den Waffen und positioniert sich deutlich als „russisch“. Es findet ein Entfremdungs-Prozess statt. Zerrissen ist die Nabelschnur zwischen dem imperialen sowjetisch-russischen Projekt und dem republikanisch-ukrainischen Projekt. Vor allem vollzieht sich die Entfremdung nicht entlang der Linie ethnische Ukrainer gegen ethnische Russen oder Russischsprechenden. Tatsächlich geht es um eine Entfremdung entlang der Linie ukrainische Republikaner gegen russische Imperiums-Anhänger. Es gibt eine Ablehnung des vom russischen imperialen Zentrum vorgeschlagenen Projektes. Während ein Teil der Bewohner des Donbass sich vollständig und bewusst mit ihm identifiziert, vollzieht sich ein aktiver Prozess der Trennung. Mehr noch, der Prozess der Ablehnung der Ukraine hat sich ebenfalls beschleunigt. Und er hat verschiedene Konsequenzen. Man kann niemanden zur Liebe zwingen. Es kann enden mit der Abtrennung eines Teils der Donbass Gemeinschaft, die sich selbst in der „Russische Welt“ sieht, mit einem Teil des Territoriums und der Trennung, gefolgt von Abschiebung oder Auswanderung der Separatisten aus der Ukraine, am schlimmsten aber ist die Trennung in ein inneres Ghetto. Von der letzten Variante träumt Putin. Dies ist ein innerukrainischer Aspekt dieses Paradoxes. Aber es gibt einen weiteren.
Fünftens. Das erste Mal seit dem Bürgerkrieg der Jahre 1917-1922 kämpfen gegen das russische neo-imperiale Zentrum aufseiten der ukrainischen Republikaner nicht nur viele Russischsprechende, sondern gerade auch ethnische Russen. Russen sind aktiv an der Schaffung der ukrainischen Bürger-Nation beteiligt. Und das, obwohl eigentlich in den Augen Putins und der russischen Nationalisten „Russen gegen Ukrainer kämpfen“ – ein Paradox. Außerdem eine interessante Perspektive. Dies ist ein Paradox, das man gerade in Russland bekanntmachen sollte. Zur Beendigung der Karriere Putins. Aber dieser Faktor ist zuallererst gerade für die Ukraine von großer Bedeutung und verweist darauf, dass sie eine gute Aussicht haben kann.
Sechstens. Ein für die ukrainischen Traditionalisten sehr unangenehmes Paradox. Erinnern nicht alle diese Donbass-Popanze, die Sachartschenkos, Puschylins, Moshowojs an unsere glorreichen Atamanen: Machno, Selenyj, Anhel, Hryhorjew und andere? Unter den letzteren gab es natürlich viele ukrainische Patrioten – so wie sie ihr Ukrainertum verstanden, in Bezug auf ihr Dorf. Aber ich will nicht über Patriotismus sprechen – Don und Kuban hatten ihre Patrioten „für König und Vaterland“. Schauen Sie, was für Kosaken geholfen haben, die Krim zu annektieren – waren es nicht unsere Brüder aus dem Kuban , die Mutter Ukraine gebissen haben? Verkleidet als Putin-Leute – mit Peitschen und Kegel-Mützen … Was für ein raffinierter Sadismus. Aber noch einmal, ich will nicht darüber sprechen, sondern über ein Bevölkerungselement. Genauer dasjenige, das im Donbass aus dem mafiösen Atamanensystem hervorgekommen ist: der Krieg aller gegen alle. Es geht mir um das Atamanensystem an sich, um die politische Kultur der Lösung gesellschaftlicher Probleme. Diese Gruppierung erinnert in keiner Weise an die strenge und sogar etwas düstere Struktur der UPA (Ukrainische Aufstandsarmee, nationalistische Partisanenarmee während und nach dem 2. Weltkrieg, A.d.R.). Es ist eine andere politische Kultur. Augenblicklich ist der Donbass zerrissen von irgendwo um die 50 Mafia-Gruppen. Denken Sie an die „Hochzeit in Malinowka“ (sowjetische Filmkomödie von 1967). Kurz gesagt – das Paradox ist auch eine Grimasse unserer Kosaken- Vergangenheit mit ihren Atamanen, die uns so im ersten Befreiungskampf 1917-1921 aufgewiegelt haben. Dies an die Liebhaber der Wiederherstellung des Kosakentums. Und schließlich, um den Gegner völlig erstarren zu lassen: Gibt es auf unserer Seite keine solchen Atamanen? Alle unsere glorreichen Kämpfer? Mit all dem Negativen, die nicht nur im Schlepptau der patriotischen Traditionen der Ukrainer befindet, sondern auch in „Hochzeit in Malinowka“.Mit den Gefahren unter den Umständen der russischen Aggression sind die Freiwilligenbataillone nach Kiew zurückgekehrt. Wer kämpft mit wem? Genau darum geht es …
Schließlich die wirtschaftlichen Paradoxien
Erstens. Der Mythos „der Donbass ernährt alle“ ist zerbröckelt. Im Donbass kommt es zu einer humanitären Katastrophe. Der Rest der Ukraine beißt sich durch, aber lebt. Man hat dem Donbass endlich die Rechnung präsentiert: Man hat erklärt, wie viel dem Rest der Ukraine der subventionierte Kohlebergbau, die Stahlerzeugung, die hierfür erforderlichen Einkäufe von „billigem“ russischen Gas gegen die nationalen Interessen usw. kostet. Welches Paradox, der Donbass, der Ernährer der Ukraine, ernährt nicht, sondern hungert de facto. Und genau hier hat sich der Ukraine wie immer eine große Perspektive eröffnet. So ist es nicht verwunderlich, dass erneut die Landwirtschaft, die unter den Bedingungen der Überbevölkerung der Welt und der ökologischen Gefahren für die Menschheit eine strategische Bedeutung gewinnt. Wo auch immer, in der Ukraine jedenfalls sind die Perspektiven für die Landwirtschaft enorm. Es ist genau Zeit, von der Industrie auf die Landwirtschaft umzusatteln, natürlich mit einer neuen entwickelten Technik. Hier fällt der industrielle Kern des Donbass schlicht weg.
Zweitens. Putin hilft nicht in dem Maße, wie er den Donbass zerstört. Er zerstört bewusst und methodisch. Dies sollte ein Paradox sein für „eine Bevölkerung, die Putin liebt“.
Drittens. Indem er die Industrie des Donbass zerstört, ein Großteil dieser Industrie aber veraltet und unrentabel ist, vollzieht Putin gemeinsam mit den ortsansässigen Kollaborateuren von den „Sowoks“ des Donbass gerade die Arbeit, die früher oder später die Regierung der Ukraine erfüllen müsste. Das heißt, die Regierung der Ukraine hätte, wenn sie die ukrainische Wirtschaft hätte modernisieren wollen, die für den Staatshaushalt belastenden Produktionsstätten loswerden müssen. Am größten darunter ist der Industriekomplex Donbass. Natürlich nicht der gesamte. Aber selbstverständlich das, was im zentralen Haushalt dafür festgesetzt war, damit die Kohle- und Stahlbarone weiter ausrauben konnten. Diesen Weg hat Deutschland beschritten, als es das Industriegebiet der Ruhr auflöste, Großbritannien, das seine Kohleproduktion einstellte, Polen mit seinem schlesischen Kohlebecken, usw. Diese Reformen können freilich entweder Politiker und Bomben vollziehen oder sehr starke Politiker wie Margaret Thatcher. Bei uns sehe ich solche nicht. Aber wir haben das nächste Paradox: Putin nimmt der Ukraine ohne es richtig zu erkennen, eine schwere Last vom Hals, der es ihr nicht erlaubte, wirklich einen im ökonomischen Bereich einen Durchbruch zu schaffen. Paradoxerweise macht er den Weg frei für die ukrainischen Reformer. Wenn denn solche gefunden werden…
Viertens. Der Industrie-Komplex Donbass ist nicht nur Produktionsstätte, sondern auch ein großer Bevölkerungs-Ballungsraum. Dies ist das zweite Problem, vor dem die Reformer in diesen Gebieten stehen. Ihre Erfahrung hat gezeigt, dass Mitarbeiter von Minen und Stahlarbeiter sich schwer damit tun, Programmierer zu werden. Selbst in der zweiten Generation. Es gibt Länder, in denen das kein Problem war, beispielweise in den USA. Hier gibt es eine große Mobilität. Aber es gibt auch Länder mit einer sehr ortsverbundenen Bevölkerung. Wir sind im Mittelfeld. Aber es wäre noch schlimmer, gäbe es keine Abhilfe. Der gegenwärtige Konflikt ist in vollem Umfang ein lokaler Krieg. Deshalb flieht die Bevölkerung aus der Kampfzone. Derzeit sind sowohl in der Ukraine als auch im Ausland bis zu einer Million Vertriebene. Eine Lösung des Konfliktes ist nicht sichtbar. Ein Großteil der Vertriebenen bleibt in den neuen Orten. All dies ist eine menschliche Tragödie. Zugleich ist es aber ein Prozess, der voranschreitet. Man kann das als eine Umsiedlung einer riesigen Menge von Menschen nennen, die einst Stalin zur Arbeit hierher brachte.
Kurzum, es wäre schlimm, wenn die Not nicht Hilfe bringen würde. Für Menschen, die die Welt nicht mit weit geöffneten Augen betrachten können, eine kleine Erklärung: Paradox vom griechischen παράδοξος meint eine seltsame, unglaubliche, atemberaubende Aussicht. Vielleicht möchte Ihnen das gefallen.
7. Dezember 2014 // Taras Wosnjak
Quelle: zaxid.net