«Unbekannte Werchowna Rada»: sündhaft und heilig
Im vierten Artikel aus dem Zyklus „Unbekannte Werchowna Rada“ der Internet-Zeitung LB.ua wird erzählt und gezeigt, wie die Parlamentsabgeordneten unmittelbar im Parlamentsgebäude Sünden abbeten, sich fein machen und Arbeit mit Pediküre und Fußmassage vereinbaren.
Platz zum Beten
In der Räumlichkeit der Parlamentsausschüsse auf der Sadowa-Straße 3a, wo Parlamentarier und ihre Assistenten sowie der zahlreiche Apparat der Werchowna Rada tätig sind, findet man nicht nur Arbeitszimmer und Konferenzsäle.
Im sechsten Stock dieses gläsernen Gebäudes, das die Parlamentarier „Glasbau“ nennen, gibt es gegenüber der „Ventilationskammer“ und unter der großen Anzahl solider hölzerner und gleichartiger Arbeitszimmertüren mit Schildern, auf denen Namen von Abgeordneten stehen, eine Kirche – das „Gotteshaus des heiligen Wolodymyr“.
Diese Kirche entstand noch zu der Zeit, als die Partei der Regionen an der Macht war. Damals war es eine Kirchengemeinde der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats. Nach der Revolution der Würde wurde die Angehörigkeit der Kirche wie auch erwartet geändert. Jetzt hängt hier ein Schildchen mit der Berufung auf die Kanzlei der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche des Kyjiwer Patriarchats.
Diese Kapelle, die mehr einem Kiosk oder einem winzigen Laden aus Kunststoff ähnelt, ist ständig für die Besucher offen. In der Regel steht sie aber leer. Es sieht so aus, dass die Delegierten keinen brennenden Wunsch haben, ihre Sünden abzubüßen. Obwohl man selbstständig Kerzen nehmen kann, die Spende in einem dazu bestimmten Becher lassend. Hier findet man auch die traditionellen orthodoxen Zettel: „Für Gesundheit“, „Für ruhiges Entschlafen“ und so weiter.
Im Allgemeinen ist das Gebetszimmer ziemlich bescheiden: keine große Ikonenwand, ein paar Fresken von Heiligen an den Wänden in ganzer Größe, eine Ikone, einige Leuchten… und Stille.
Barbierstube und Parfümerieladen
Einer größeren Beliebtheit als die Kirche erfreut sich der Schönheitssalon. Im Zimmer 128 im Erdgeschoss befinden sich ein Frisier- und ein Pediküresalon, die von 9:00 bis 18:00 arbeiten.
Hier, wie auch in jedem Schönheitssalon gibt es eine Rezeption, bei der man einen Termin vereinbaren kann.
„Wir haben einen großen Kundenandrang. So einfach zu kommen und eine Frisur oder Maniküre sich machen zu lassen ist deswegen unmöglich. Man muss im Voraus anzurufen und einen Termin zu vereinbaren“, so eine der Mitarbeiterinnen.
Vermutlich ist dieser Ansturm mit den niedrigen Preisen für die Dienstleistungen verbunden. Gemäß der Preisliste, die an einer der Wände am Eingang in den Saal mit Waschanlagen und Haartrocknern hängt, kostet „Pony-Schnitt“ nur 15 Hrywnja (umgerechnet nicht einmal 50 Cent)! Die teuerste Leistung ist der „Modell-Schnitt Bubikopf, der 65 Hrywnja (knappe zwei Euro) wert ist. Die Pediküre ist auch billiger als in anderen Salons der Hauptstadt – 120 Hrywnja (circa 3,75 Euro) für alles. Wichtig, dass auch die wundgelaufenen Füße der Abgeordneten wegen der Kräfte übersteigenden Arbeit hier auch geheilt werden können. Die Beseitigung jedes Hühnerauges kostet 20 Hrywnja (circa 0,63 Euro). Eine Fußsohlenmassage nach der Pediküre beläuft sich sowohl für Frauen als auch für Männer auf nur auf 30 Hrywnja (circa 0,94 Euro).
Im Anschluss an solch angenehme Prozeduren kann man gleich Duftwasser oder Parfüms anschaffen. Im Laden, der sich im Gang aus der Sadowa-Straße zur Hruschewskoho-Straße „unter die Kuppel“ befindet, werden schon seit mehreren Jahren Parfüms nach jedem Geschmack verkauft. Beginnend mit den noch zur Sowjetzeit beliebten Climat und Fidji, abschließend mit der ganzen Reihe der Düfte der modernen Escentric Molecules. Die Verkäuferin behauptet, dass alle Waren aus „Frankreich und Paris“ kommen. „Diese Leute kaufen keine Fälschungen“, setzt sie weiter fort.
Die Preise entsprechen hier de facto den Preisen in anderen Parfümeriegeschäften in Kyjiw. Aber den Bequemlichkeitsfaktor – „hier und heute zu kaufen, ohne sich von der Werkbank zu entfernen“ hat noch niemand abgeschafft. Deswegen wird das Sortiment hier, wie uns die Verkäuferin versicherte, ständig ergänzt. „Es wird ständig gekauft, unabhängig von Feiertagen“, fügt die Frau hinzu.
Spielzimmer und Souvenirs nach jedem Geschmack
Nach der Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens zwischen der EU und der Ukraine wurde in der Rada beschlossen, in allem näher an Europa zu sein. Nach dem Beispiel der europäischen Parlamente, wo Grundsätze der Gleichberechtigung der Geschlechter übereifrig eingehalten werden, und Parlamentarierinnen sich unmittelbar im Sitzungssaal Babys zu stillen erlauben, wurde entschieden, ein separates „Spielzimmer“ einzurichten.
Dieser aus bestimmten Gründen immer leere Raum „hinter Glas“ fand im ersten Stock der Ausschüsse Platz. Das bunte Zimmer mit kleinen grellen Stühlchen und Kuscheltieren drinnen tut dem Auge wohl und sticht gegenüber den tristen Arbeitszimmern hervor. Aller Wahrscheinlichkeit nach kann man hier nach der ursprünglichen Absicht sein Kind spielen lassen. Freilich alleine und ohne Aufsicht, trotz der Aufschrift, dass der Raum „unter Videobeobachtung steht“.
Diesem Kinderzimmer gegenüber, noch einen der Gänge entlang befindet sich eine ganze Reihe an Ständen. In den zahlreichen Läden kann man alles anschaffen – von Ikonen über Anstecker mit dem Logo der Werchowna Rada und Geschenkmünzen der Nationalen Bank der Ukraine bis zu banalen Strumpfhosen, Lippenstiften und „Perlen-Ringen“ für Damen, deren es mehr als genug in jedem Durchgang zu den U-Bahn-Stationen gibt.
Hier gibt es auch eine extra Kasse, wo Bahnfahrkarten und Flugzeugtickets verkauft werden. Nebenbei gesagt behaupten kundige Leute, dass man gerade hier immer noch ein übriges Ticket finden kann, wenn man in anderen Kassen der Stadt „keine Plätze mehr“ hört. Wie gesagt ist alles für die Bequemlichkeit und Komfort unserer Parlamentsabgeordneten eingerichtet worden, denn eine russische Redensart besagt: „das Gericht wird nach dem Geschmack erkannt, die Heiligkeit aber in Verführung.“
21. April 2018 // Anna Steschenko
Quelle: LB.ua