Verlangsamtes Wirtschaftswachstum, Inflation und Kursverfall. Der Preis für den Abbruch der Beziehungen zu den ORDLO
Die Energie- und Metallurgie-Holdings von Rinat Achmetow gestanden heute (15. März, A.d.R.) den Kontrollverlust über ihre Unternehmen in den okkupierten Sonderregionen des Donezker und Lugansker Gebiets (ORDLO, ORDLO steht für „bestimmte Kreise der Gebiete Donezk und Lugansk“ in den Minsker Vereinbarungen, A.d.R.) ein. Man kann sagen, dass diese Unternehmen höchstwahrscheinlich ihre Tätigkeit einstellen werden – sie waren alle fest in die ukrainische Wirtschaft integriert. Ohne diese Verbindungen haben sie weder einen Absatzmarkt noch Rohstoffquellen. Vor wenigen Tagen haben wir ausführlich über die wirtschaftlichen Verbindungen der ORDLO zur übrigen Ukraine berichtet. Jetzt wollen wir untersuchen, welche Folgen der endgültige Abbruch der wirtschaftlichen Beziehungen zu den nicht von ihr kontrollierten Gebieten für die Ukraine haben wird.
Schon am 2. März 2017 benannte die Präsidentin der Nationalbank der Ukraine, Walerija Gontarjewa, mögliche Folgen des Abbruchs der Wirtschaftsbeziehungen mit den okkupierten Gebieten im Osten des Landes (siehe Video ab 07:22).
„Das Worst-Case-Szenario bis zum Ende des Jahres bei fortgesetzter Blockade ist ein um 1,3 Prozentpunkte verlangsamtes Wirtschaftswachstum von 1,5 Prozent im laufenden Jahr. Eine solche Situation im Osten des Landes kann als negativer Einfluss auf Zahlungsbilanz und Wechselkurs mittelbar die Prognose für die Inflation bedrohen. Der mögliche Rückgang des Exports von metallurgischen Produkten und der steigende Import von Kohle als Energieträgerin können die Zahlungsbilanz drücken. Unseren Schätzungen zufolge kann sich der Saldo des Kontokorrents insgesamt um etwa 2 Milliarden Dollar verschlechtern. Das kann sich entsprechend negativ auf die Dynamik des internationalen Währungsmarkts auswirken“, sagte Gontarjewa. Und auch wenn die Bewertungen der Zentralbank nur Schätzungen waren, sind viele Wirtschaftsexperten derselben Meinung.
Die Inflationserwartung der Bevölkerung und der Wirtschaft kann sich ebenfalls verschlechtern. Und bekanntermaßen können solche Erwartungen sich auf die tatsächliche Dynamik bei der Geschwindigkeit des Preiswachstums auswirken. Aber die Preise werden nicht nur wegen negativer Vorahnungen der Bevölkerung steigen, sondern auch aus objektiven Gründen. „Wir müssen etwa 4-5 Millionen Tonnen Anthrazit importieren. Das bedeutet einen Valutaabfluss im Umfang von 400 bis 500 Millionen Dollar im Jahr“, erklärte gegenüber LB.ua der Leiter der Analyseabteilung der Investmentgesellschaft Concorde Capital, Alexander Paraschtschij. Energiefirmen müssen importierte Kohle kaufen, was zu einem Anstieg des Strompreises zumindest für kommerzielle Verbraucher um 3 bis 4 Prozent führen wird.
Die leitende Volkswirtin der Investitionsgesellschaft Dragon Capital Jelena Belan sagt über das Risiko einer Geldentwertung und eines verlangsamten Wirtschaftswachstums: „Wenn man die Kontrolle über die Produktionsaktiva (in den nichtkontrollierten Gebieten – Lb.ua) endgültig verliert, stellt das keinen vorübergehenden, sondern einen dauerhaften Schock für die Wirtschaft dar, was zu einer Verlangsamung des Wirtschaftswachstums führen kann. Außerdem erhöht sich das Risiko der Geldentwertung, das heißt neben dem Verlust des Währungserlöses aus dem Stahlexport muss man für Valuta Kohle kaufen.“ Ihrer Einschätzung nach wird am Ende die Geschwindigkeit des Produktionswachstums und der gesamten Wirtschaft 2017 2 bzw. 5 Prozent betragen, was mit den Angaben des Vorjahres übereinstimmt und höher ist als die Prognosen der Nationalbank.
Aber nicht alle Schätzungen sind ausschließlich pessimistisch.
Der Analyst der Investmentgesellschaft Аdamant Capital Konstantin Fastowez stimmt der Leiterin der NBU zu, dass in Abhängigkeit vom Umfang der Lieferungen importierter Kohle die Auswirkung auf die Handelsbilanz 120 bis 200 Millionen Dollar im Monat oder 1,4 bis 2 Milliarden Dollar im Jahr betragen kann. „Das ist durchaus gravierend, aber noch keine kritische Zahl“, sagt Fastowetz.
Der Finanzanalyst Witalij Schapran glaubt generell nicht an einen endgültigen langfristigen Abbruch der Wirtschaftsbeziehungen zu den nichtkontrollierten Provinzen: „Die ‚Volksrepubliken Donezk/Lugansk‘ haben keine Chance, diese Blockade zu überleben.“ Er geht davon aus, dass sich die Pseudorepubliken nicht selbst versorgen können und dass Russland nicht genug freie Mittel hat, diese Territorien dauerhaft zu versorgen.
Aleksander Paraschtschij von Concorde Capital empfiehlt, die potenziellen Wirtschaftsverluste durch die dumpfe Blockade der nichtkontrollierten Gebiete des Donbass nicht zu übertreiben. Schon am 9. März 2017 sagte der Analyst in einer Sendung von Hromadske TV (siehe Video ab 08:30), dass es im Fall eines verlangsamten Wachstums des Bruttoinlandsprodukts um das Stück des ökonomischen Kuchens geht, der nicht gerade unter der Bevölkerung aufgeteilt ist: „Das bedeutet potenzielle Verluste für Achmetow, Taruta und andere Oligarchen. Wenn sie diese Einkünfte bekämen, würden sie sie nicht unbedingt mit uns teilen. Deswegen denke ich nicht, dass es um das Bruttoinlandsprodukt geht, das alle betrifft.“
16. März 2017 // Andrej Janizkij, Wirtschaftsredakteur, LB.ua
Quelle: Lewyj Bereg