Warum die Entpolitisierung des Staatsdienstes unabdingbar ist


Der Hauptgrund für das Zustandekommen dieses Artikels sind die politischen Spiele rund um den Gesetzentwurf über den Staatsdienst. Die Abgeordneten wollen aus dem Text des Gesetzesprojektes eine der bedeutendsten und proeuropäischen Vorschrift entfernen lassen, nämlich die Vorschrift über die Entpolitisierung (Parteilosigkeit) des Staatsdienstes.

Am 7. April 2011 verhandelte der Oberste Rat den Gesetzentwurf über den Staatsdienst, der in der ersten Lesung angenommen wurde. Justizminister Lawrinowitsch hob während der Vorstellung des Gesetzesprojektes besonders die Initiative des Präsidenten zur Entpolitisierung des Staatsdienstes hervor und wies darauf hin, dass sie den europäischen Demokratiestandards entspricht.

Dabei lies er insbesondere verlauten, der Präsident werde „im Interesse des Dialogs mit der Opposition“ nicht darauf bestehen, dass die Entpolitisierung an die Mitgliedschaft in politischen Parteien gebunden werde. Der gespielte Pass wurde angenommen.

In der Diskussion wurde das Feuer der Kritik auf die Vorschrift des Parteiverbots für Staatsbeamte (Verbot der Mitgliedschaft in politischen Parteien für Staatsbeamte) und den Status von Mitarbeitern der Abgeordneten (hier auch im Sinne des Parteiverbots) gelenkt.

Selbst die Anhebung des Renteneintrittsalters für Staatsbeamte auf 65 Jahre rief weniger Kritik hervor, als die Vorschrift über die Entpolitisierung.

Gegen das Prinzip des Parteiverbots traten geschlossen die Kommunisten Krawtschenko, Matwejew und Samoilik, Karpuk aus der Partei „Unsere Ukraine“, der Abgeordnete des Litwin-Blocks Sarubinski und die Abgeordneten des Timoschenko-Blocks Schischkina, Bodnar und Pawlowski auf.

Der Dialog zwischen der Staatsmacht und der Opposition kam zustande. Im Parlament wurde ein zynisches Spektakel aufgeführt. Im Endeffekt stimmte die Opposition nicht für das Gesetzesprojekt, dieses war aber in der ersten Lesung angenommen worden, allerdings ohne die drei kritisierten Prinzipien, darunter auch das des Parteiverbots.

Als Kritiker der Entpolitisierung des Staatsdienstes treten nicht nur Abgeordnete auf, sondern auch einige Politologen, unter anderem auch in der „Ukrainskaja Prawda“. Dabei begründen sie ihre Kritik im Interesse des Schutzes der ukrainischen Demokratie.

Allerdings liegt das Problem genau darin, dass die Möglichkeit für Staatsfunktionäre, einer Partei anzugehören, die Entwicklung und das Funktionieren der ukrainischen Demokratie ernsthaft deformiert bzw. schwerwiegende Risiken für ihre Perspektiven mit sich bringt.

Ab der zweiten Hälfte der 1990er Jahre wird in der Ukraine regelmäßig der Versuch unternommen, eine Partei der Staatsmacht zu etablieren, am Anfang in Form der „Volksdemokratischen Partei“ (NDP) und zuletzt der „Partei der Regionen“.

Jede beliebige Staatspartei beginnt damit, durch Zwang oder die Motivation, Karriere machen zu können, Mitglieder unter Staatsfunktionären für die eigenen Reihen zu rekrutieren. Durch die Parteizugehörigkeit von Staatsfunktionären in ihren Reihen sorgt eine Staatspartei nicht nur für ihren Einfluss auf das System der staatlichen Administration, sondern verstärkt auch ihren Führungsstatus. Es kommt zur Verbindung der herrschenden Partei und des Staatsapparats. Ist es nötig zu erklären, dass es hier keine Gemeinsamkeiten mit einer gewöhnlichen Demokratie des politischen Wettbewerbs gibt? Die Parteizugehörigkeit der ukrainischen Staatsfunktionäre ermöglichte auch in der Periode des parlamentarisch-präsidialen Systems Deformationen des Staatsdienstes in großem Ausmaß. Mit dem Übergang zum System der Wahl nach Parteilisten und dem Koalitionsprinzip bei der Regierungsbildung fing man an, die leitenden Posten in der Exekutive – von den Ministerien bis zu den Gebietsverwaltungen – nach dem Quotenprinzip zu besetzen. In der Kaderpolitik kam die Parteizugehörigkeit auf Platz eins und nicht die fachliche Kompetenzen. Die Zahl der Minister, der Leiter ausführender Organe im Zentrum und in den Regionen und ihrer Vertreter stieg bemerkbar, insbesondere deshalb, weil jedem Koalitionspartner – darunter Wahlblöcke, die bis zu 10% einer Partei ausmachen können – eine führende Position auf allen Ebenen der Pyramide der ausführenden Gewalt gewährt werden muss.

Desweiteren wurden zwischenparteiliche Konflikte in die staatliche Administration hineingetragen, besonders auffällig in der Periode des Gegensatzes zwischen Präsident Juschtschenko und Premier Timoschenko.

Das „Diktat der Entpolitisierung“ existiert in der Vorstellung von nur wenigen Politikern und Politologen, dafür sehen wir in den letzten Jahren das Diktat der unreflektierten und käuflichen Parteizugehörigkeit im System der staatlichen Administration am Wirken.

Wenn man jetzt die Parteizugehörigkeit von Staatsfunktionären nicht verbietet, dann wird sich die Mehrheit der ukrainischen Beamten sehr bald in den Reihen der Partei der Regionen befinden. Dann passiert das, was Anfang der 2000er Jahre mit der Partei „Einiges Russland“ in der Russländischen Föderation passierte, die jetzt nicht nur Staatspartei, sondern Partei der Funktionäre ist.

Eine solche Perspektive erscheint vielen regionalen Eliten und einfachen Parteimitgliedern der Partei der Regionen attraktiv. Doch sie wird die Entwicklung der Demokratie des politischen Wettbewerbs in der Ukraine kaum fördern. Eher umgekehrt.

Sollten die Kommunisten und Anhänger des Litwin- und Timoschenko-Blocks etwa naiv annehmen, dass diejenigen Funktionäre, die noch im Besitz der Mitgliedsbücher der KPU, der Volkspartei und der Partei „Vaterland“ sind, auch in Zukunft in diesen Parteien oder auf ihren staatlichen Führungsposten bleiben werden? Analysieren wir die Argumente, die die Gegner des Parteiverbots für Staatsbeamte vorbringen.

Die Kritiker der Entpolitisierung des Staatsdienstes sagen, dass sich dieses Prinzip nicht auf alle Angestellten im Staatsdienst bezieht, teilweise auf den Präsidenten, die Abgeordneten, Mitglieder des Ministerkabinetts und ihre ersten Vertreter.

Es kann sein, dass einige schlecht informierte Abgeordnete nicht wissen, dass in der europäischen politischen Praxis eine Trennung in administrative und politische Ämter existiert. Professionelle Politologen sollten dies allerdings wissen.

Die Träger administrativer Ämter werden ernannt, wobei professionell-fachliche Charakteristiken und Wettbewerb bei der Auswahl die Grundlage dafür bilden. In politische Ämter wird man entweder gewählt oder durch die Entscheidung eines gewählten Organs delegiert.

Das ist nicht unsere Vorstellung, sondern europäische Praxis. In der europäischen Tradition sind das Regierungsmitglied und der Minister politische Handlungsträger und behalten somit logischerweise ihr Recht auf Parteizugehörigkeit.

Die Parteizugehörigkeit des Präsidenten, der den Staat im Ganzen repräsentiert, ist begrenzt. Nach der ukrainischen Verfassung kann er keine Posten in bürgerlichen Vereinigungen, darunter auch politischen Parteien, inne haben.

Die Mitarbeiter von Abgeordneten kann man allerdings kaum als politische Handlungsträger bezeichnen. Nach der Art ihrer Tätigkeit sind sie ausführenden Organen näher. Prinzipiell ist wichtig, dass Leiter regionaler staatlicher administrativer Einrichtungen nicht zu politischen Posten gehören.

Die Gegner des Parteiverbots im Staatsdienst erklären, dieses Prinzip würde dem Artikel 36 der ukrainischen Verfassung widersprechen, der den Bürgern das Recht garantiert, sich in politischen Parteien zu organisieren. Dieses Argument ist glatte List. Der Artikel 36 lässt Einschränkungen der Parteizugehörigkeit zu, die durch Gesetz zu regeln sind. Es wird behauptet, das Parteiverbot für Staatsbeamte macht es ihnen schwieriger, an Wahlen teilzunehmen. Es macht es schwieriger, doch es verbietet nicht. Und wenn im Gesetz über die Wahl von Abgeordneten und im Gesetz über die Regionalwahlen die Möglichkeit fixiert werden sollte, dass sich Kandidaten auf Abgeordnetenposten selbst aufstellen lassen dürfen, wird es dahingehend überhaupt keine Probleme geben.

Von Bedeutung ist etwas anderes. Das Gesetzesprojekt über den Staatsdienst verbietet es Beamten, sich an Wahlkampagnen zu beteiligen und öffentlich Sympathien für eine bestimmte Partei zu artikulieren. Eine Ausnahme sind diejenigen, die sich zu Abgeordneten wählen lassen wollen. Dies stellt eine ernsthafte Begrenzung administrativer Ressourcen im Wahlkampf dar.

Wir erinnern uns, mit wem Gouverneure und verschiedene Regionalbeamte in den Regionalwahlen offen sympathisiert haben. Als ob erreicht worden wäre, im Interesse der Kritiker der Entpolitisierung diese wichtigen Begrenzungen aus dem Gesetzesprojekt zum Staatsdienst zu entfernen.

Von den Befürwortern des Rechtes auf Parteizugehörigkeit von Staatsbeamten hört man Klagen darüber, dass die Parteien ohne Beamte schwach würden und ein bedeutender Teil gebildeter und qualifizierter Leute verloren ginge.

Sollten sich also gebildete und qualifizierte Leute nur unter unseren Staatsbeamten befinden? Und sind unsere Parteien so stark?

Wo sind diejenigen Parteien, die sich in ihrer Entwicklung auf die Rekrutierung von Staatsbeamten stützten heute? Sie fanden sich sehr schnell auf dem politischen Abladeplatz wieder.

Das Problem der heutigen Parteien ist, dass sie Unterstützung durch die administrativen Ressourcen, d.h. durch die Staatsbeamten selbst, und politische Korruption suchen. Unterstützung und Kraft müssen die Parteien in der Gesellschaft und sozialen Mehrheitsinteressen suchen, jedoch nicht in der künstlichen Ausdehnung der Partei auf den Staatsdienst.

Gegner des Parteiverbots für Staatsbeamte diskutieren gern über politische Verantwortung, doch dies ist nicht die Verantwortung der Beamten vor den Parteien. Die Verantwortung eines Beamten hat rechtlichen und administrativen Charakter. Politische Verantwortung ist Verantwortung der Parteien und aller gewählten Personen vor ihren Wählern.

Ein Staatsbeamter ist verpflichtet für den Staat zu arbeiten, und nicht für eine Partei, ob es nun eine führende oder eine oppositionelle Partei ist.

In einer normalen demokratischen Gesellschaft muss eine klare Trennung zwischen Staatsbeamten, Parteipolitikern und Geschäftsleuten bestehen. Wir hoffen, dass die Ukraine trotz Allem eine solche Gesellschaft werden wird.

26. April 2011 // Wladimir Fessenko, Vorstand der Leitung des Zentrums für politische Studien „Penta“

Quelle: Ukrainskaja Prawda

Übersetzer:   Alexander Hering  — Wörter: 1373

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