Juschtschenko trat gestern vor der Rada auf
Gestern trat Präsident Wiktor Juschtschenko vor der Werchowna Rada mit seiner jährlichen Ansprache zur inneren und äußeren Situation der Ukraine auf. In dieser rief das Staatsoberhaupt die Politiker zur Einheit auf, kritisierte die Tätigkeit der Regierung und verkündete die Notwendigkeit von Verfassungsreformen. Die Mehrheit der Abgeordneten geht davon aus, dass die Initiativen Juschtschenkos nicht zeitgemäß sind und Vorschläge derart, wie der Einführung eines Zweikammernparlamentes, hätte man im Jahr 2005 machen müssen und nicht jetzt.
Während seiner Zeit als Präsident trat Wiktor Juschtschenko erst zum zweiten Mal vor dem Parlament mit einer jährlichen Ansprache auf. Bleibt anzumerken, das der am Vortag zusammengetretene Vermittlungsausschuss der Leitung der Werchowna Rada dem Vertreter des Präsidenten im Parlament, Igor Popow, vorschlug, für den Auftritt des Präsidenten den Sitzungstag des 1. April zu verwenden. Doch dieser Vorschlag erwies sich als unannehmbar für das Präsidialamt (PA), am Abend des 30. März darauf bestehend, dass das Staatsoberhaupt am 31. März auftreten wird. Den Informationen des “Kommersant-Ukraine“ nach, erklärt sich die Position des PA damit, dass Juschtschenko am 1. April in Poltawa sein soll, wo die Feierlichkeiten anlässlich des 200. Jahrestages des Geburtstages des Schriftstellers Nikolaj Gogol stattfinden, der in Welyki Sorotschynzi im Gouvernement Poltawa geboren wurde.
Der gestrige Auftritt des Präsidenten ist der erste in der Geschichte der Ukraine, der nicht von einem Expertenvortrag des Nationalen Institutes für strategische Forschungen (NISI) begleitet wurde. “Die Sache ist die, dass dieses Dokument des NISI immer in Zusammenarbeit mit der Regierung vorbereitet wurde, doch im letzten Jahr waren die gegenseitigen Beziehungen zwischen dem Präsidenten und der Regierung, sagen wir mal, angespannt. Im Ergebnis hat das Kabinett den notwendigen Beschluss nicht verabschiedet”, sagte dem “Kommersant-Ukraine“ der Direktor des NISI, Jurij Ruban.
Den Präsidenten und die Premierministerin Julia Timoschenko begrüßten die Abgeordneten der Koalition mit Applaus. Übrigens, später, als der Vorsitzende der Werchowna Rada, Wladimir Litwin, die Anwesenheit der Gäste verkündete, applaudierten die Vertreter der Fraktion von BJuT (Block Julia Timoschenko) nur ihrer Vorsitzenden und die Abgeordneten von “Unsere Ukraine – Nationale Selbstverteidigung” – dem Staatsoberhaupt. Besonders hoben sich die Kommunisten hervor, die niemandem Beifalls spendeten, doch dafür im Saale Plakate mit für den Präsidenten beleidigendem Inhalt aufhängten. Eines von ihnen verkündete: ??“Dem Präsidenten Juschtschenko den Orden ‘Für Russophobie’ Erster Klasse”.
Der Auftritt Wiktor Juschtschenkos dauerte etwa eine Stunde und bestand bedingt aus drei Blöcken. Im ersten – dem allgemeinen – erzählte er von den demokratischen Errungenschaften der Ukraine seit dem Jahre 2004 und rief die politischen Kräfte zur Einheit auf. “Wir sind ein freier Staat geworden. Seit dem Jahre 2004 ist das Volk zum Hauptschiedsrichter des Landes geworden. Zweimal ist die Opposition über freie und ehrliche Wahlen an die Macht gelangt. Bereits vier Jahre lang sind das freie Wort und Wahlen zur gewöhnlichen Norm für uns geworden. Früher gab es das nicht. Heute ist es für uns selbstverständlich, wie die Luft”, erklärte das Staatsoberhaupt.
Der zweite Teil, den wirtschaftlichen Block, widmete der Präsident Vorschlägen zur Stärkung der Wirtschaft des Staates und kritisierte die Tätigkeit der Regierung. “Wir haben uns in bedeutendem Maße als nicht bereit auf die Begegnung mit der Krise erwiesen, daher war der erste Schlag schmerzhaft und sehr schwer. Wir verloren Außenmärkte, auf die 60% des ukrainischen Exportes entfielen. Von diesen hingen fast zwei Drittel unserer gesamten Devisenerlöse ab und in diesen, der Metallwirtschaft, der Chemie und den angrenzenden Branchen waren fast 2 Mio. Menschen beschäftigt”, klagte Juschtschenko.
Der dritte Block – zu politischen Fragen – rief augenblickliche Reaktionen in den Abgeordnetenreihen hervor. Wiktor Juschtschenko erzählte in aller Kürze über den Verfassungsentwurf, den er dem Parlamentssprecher sofort nach dem Auftritt überreichte. “Ich schlage vor zu einem zweikammerigen Umbau des ukrainischen Parlamentes mit einer gleichzeitigen Verringerung der allgemeinen Zahl der Parlamentsabgeordneten überzugehen”, sagte der Präsident, den entrüsteten Stimmen aus den Sektoren, wo die Fraktionen von BJuT und der Partei der Regionen angeordneten sind, keine Aufmerksamkeit schenkend. “Außerdem sollte endlich eine prinzipielle Forderung der Menschen erfüllt werden – die Aufhebung der unbegrenzten Abgeordnetenimmunität”.
Im Präsidialamt war man darauf vorbereitet, dass die politischen Thesen des Staatsoberhauptes keine Unterstützung unter den Abgeordneten finden. “Daran ist nichts verwunderliches”, merkte später die Stellvertreterin des Präsidialamtsleiters, Marina Stawnijtschuk an. “Jeder, der heute im Saal sitzt, fühlt sich von den Vorschläge persönlich angesprochen”. Übrigens, öffentlich erregten sich die Parlamentsabgeordneten nicht darüber, dass Wiktor Juschtschenko einen Anschlag auf ihren Status verübte, sondern darüber, dass er den Verfassungsentwurf nicht früher eingebracht hat.
“Wenn Wiktor Juschtschenko mit einer solchen Ansprache im Jahr 2005 aufgetreten wäre, dann hätte wir das als Botschaft bewertet, die des Präsidenten würdig ist. Doch er ist damit im Jahr 2009 aufgetreten und offensichtlich müssen wir dem entnehmen, dass dies der letzte Auftritt des Präsidenten in diesem Sitzungssaal ist und die Reformen, von denen er redete, wird schon der neue Präsident verwirklichen”, erklärte der Vizesprecher, Nikolaj Tomenko, von der Parlamentstribüne bereits nach dem Auftritt von Präsident Juschtschenko.
Wladimir Litwin betonte bei der Beendigung der morgendlichen Plenarsitzung betonte, dass er bedeutend mehr vom Auftritt des Staatsoberhauptes erwartet hat. “Zusammen damit muss man die Besonderheit der ukrainischen Präsidenten betonen – wenn die Frist ihrer Vollmachten abläuft, erinnern sie daran, dass wir keine ideale Verfassung haben”, sagte der Parlamentssprecher.
“Sergej Golownjew, Sergej Sidorenko
Quelle: Kommersant-Ukraine
Die Ansprache des Präsidenten findet sich im Volltext hier auf ukrainisch und hier auf russisch.
Highlight war die Erwähnung eines 25-30%-tigen Rückganges des BIP im Januar und Februar diesen Jahres. Gegenüber welchem Zeitraum, ob Vorjahr oder Dezember, erwähnte er nicht.