Poroschenko, handele!


Am 25. Januar hat der Nationale Rat für Sicherheit und Verteidigung der Ukraine (RNBO) Sanktionen gegen Russland beschlossen. Der Sinn des Beschlusses ist folgend: „Um den Druck auf Russland zu erhöhen, hat der RNBO beschlossen, die Sanktionen in der Ukraine anzuwenden, welche seitens der EU, der Schweiz und der G7-Staaten gegen Russland eingeführt worden sind und brachte Vorschläge zu ihrer Verstärkung ein.“

Daraus lässt sich folgern, erstens, dass die Staatsführung für eine selbstständige Entscheidungsfindung über Eindämmungsmaßnahmen gegenüber Russland weiterhin nicht reif ist, obwohl das Gesetz „Über Sanktionen“ bereits am 21. September in Kraft trat. Zweitens, dass in Anbetracht vieler offizieller sowie inoffizieller Appelle an die Ukraine seitens der Partnerländer, die Sanktionen einzuführen, handelt es sich dabei eher um einen gezwungenen Schritt, der mit der Verlängerung und der Verstärkung internationaler Sanktionen einherging.

In dieser Zeit (seitdem ist beinahe ein Jahr vergangen!) hat die ukrainische Staatsführung weder ernsthafte Sanktionen beschlossen noch versuchte ihr Handeln mit dem Westen zu synchronisieren, um Russland mit Hilfe finanzieller und Handelsmaßnahmen zu zwingen, die Aggression zu beenden und die territoriale Integrität der Ukraine wiederherzustellen. Dagegen hatte sie Geschäfte mit dem Aggressor abgewickelt, um das Business sowie die Aktiva der ukrainischen Oligarchen auf dem okkupierten Territorium und in Russland selbst aufrechtzuerhalten.

Ich nenne einige Beispiele. Das Gesetz „Über Sanktionen“, das eine Vielzahl an Einschränkungen gegenüber dem ausländischen Staat und seiner Residenten vorsieht, passierte das Parlament fast zur selben Zeit, wie das gegensätzliche Gesetz über die freie Wirtschaftszone auf der okkupierten Krim verabschiedet wurde. Zwischen dem Verabschieden der Gesetze im August 2014 lagen lediglich zwei Tage. Beide Gesetze traten mit einem Unterschied von zwei Wochen im September in Kraft. Das lobbyistische Gesetz über die freie Wirtschaftszone „Krim“ wurde kurzerhand angewendet, dadurch wurden beinahe zweitausend Unternehmen berechtigt, die Erzeugnisse auf die Krim zu liefern. Auf diese Weise wurde einer Lebensmittelkrise vorgebeugt und unzählige Unternehmen ukrainischer Oligarchen erzielen weiterhin Erlöse, ohne dabei in das Budget der Ukraine einzahlen zu müssen (wie sollte man denn auf einem okkupierten Territorium die Steuer eintreiben können?). Auf das Gesetz „Über Sanktionen“ wurde erst vier Monate später zurückgegriffen, als der Nationale Rat für Sicherheit und Verteidigung der Ukraine sich entschloss, internationale Sanktionen anzuwenden.

Ein weiteres vielsagendes Beispiel bezieht sich auf den Dezember, als die EU den Entschluss gefasst hat, die Sanktionen gegen die Krim einzuführen, welche einer Blockade der okkupierten Halbinsel ähneln: Handelsverbot für Güter und Technologien für den Transport-, Telekommunikations- und Energiebereich sowie für die Bereiche der Erdöl-, Erdgas- und Mineralressourcengewinnung, Investitionsverbot, Verbot der Unternehmungsgründung sowie des Immobilienerwerbs, Tätigkeitsverbot für die europäische Reisebranche, Einlaufverbot für Schiffe usw. Am 20. Dezember trat der Beschluss in Kraft. Am 30. Dezember kam es zum umstrittenen Vertragsabschluss zwischen dem ukrainischen staatlichen Unternehmen Ukrinterenergo und dem russischen Unternehmen InterRAO. Der Vertrag regelte den Import von Elektroenergie aus Russland für die Krim zu einem Festpreis, der um 15 Prozent unter dem aktuellen Preis liegt und drakonische Lieferbedingungen vorsieht. Der Vertrag ist äußerst nachteilig im wirtschaftlichen Sinne und sogar verbrecherisch für die nationale Sicherheit (da infolgedessen die Abhängigkeit von dem Aggressor-Staat verstärkt wird; darüber hinaus wird die autonome Republik Krim im Vertrag als Föderationskreis Krim bezeichnet) und somit ein unbegründeter Schritt seitens der Ukraine in der Zeit zunehmender Sanktionen der westlichen Partner gegen Russland und die Krim, die (westliche Partner) unter anderem ungeachtet finanzieller Verluste eigener Wirtschaftsbranchen für unsere territoriale Integrität kämpfen.

Soweit ich mich erinnere kam der erste offizielle Appell an das Gewissen der ukrainischen Politiker Ende Oktober. Der Botschafter der USA Geoffrey R. Pyatt sagte im Interview der Zeitschrift Fokus: „Es ist äußerst wichtig, dass die Ukraine mit ihren Entscheidungen im Wirtschafts- und Handelsbereich nicht die Wirkung schwächen soll, welche die europäischen und amerikanischen Sanktionen erzielen. Es ist nicht okay, dass ukrainische Firmen kommerziellen Nutzen genießen, während europäische und amerikanische Unternehmen Verluste schreiben müssen, die infolge der Maßnahmen zur Unterstützung der ukrainischen Unabhängigkeit und der territorialen Integrität zustande kommen“.

Interessanterweise wandte sich zwei Wochen später Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk live an den RNBO mit dem Appell möglichst bald Sanktionen gegen Russland anzuwenden. (Jazenjuk gehört dem Rat genauso wie Poroschenko an, A.d.R.)

„Ich wende mich wieder mal an den Nationalen Rat für Sicherheit und Verteidigung. Vor zwei Monaten schlug die Regierung vor Sanktionen anzuwenden, welche unter anderem auch ein Handelsverbot vorsehen. Die ganze Welt hat Sanktionen eingeführt, wir warten aber auf das Jüngste Gericht. Es ist höchste Zeit, dass auch wir Sanktionen anwenden“, so Jazenjuk. Nebenbei bemerkte er, dass die Sanktionen auch das Einfuhrverbot für russische Braunkohle vorsehen.

Am 22. August, nachdem das Gesetz „Über Sanktionen“ verabschiedet, aber noch nicht durch den Präsidenten signiert wurde, teilte Justizminister Pawel Petrenko mit, dass das Ministerkabinett für den RNBO Dokumente ausgearbeitet hatte, welche die Einführung von Sanktionen gegen Russland sowie 65 juristische und 176 physische Personen vorsehen. Die Mehrzahl dieser Personen sind im Besitz russischer Staatsangehörigkeit, einige davon bekleiden hohe Posten.

Das Schicksal der Dokumente ist bekannt- die Sanktionen blieben aus. Es ist ungewiss, ob es diesmal zur Verstärkung internationaler Sanktionen kommen würde, wie dies nach der Sitzung des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates am 25. Januar berichtet wurde bzw. ob die Ukraine die Sanktionen im vollen Umfang anwenden würde.

Nach Informationen einiger unabhängiger Quellen wurde bei der Sitzung des RNBO keine Entscheidung über die Sanktionen in Form eines Schriftstückes gefällt, es wurde lediglich die Anwendung der Sanktionen „signiert“, die von der EU, der Schweiz und der G7-Staaten gegen Russland verhängt wurden. Die Ausarbeitung des Dokuments läuft zurzeit, das Ministerkabinett wurde damit beauftragt. Für morgen früh, den 31. Januar wurde im Außenministerium eine gemeinsame Sitzung aller Ministerien anberaumt, um die Bereiche zu bestimmen, wo die Sanktionen angewendet werden dürfen sowie um die Listen mit juristischen und physischen Personen anzulegen. Nach der Meinung vom RNBO und der Regierung sollen in der Ukraine nicht alle internationalen Sanktionen angewendet werden. Manche der sektoralen Sanktionen können nicht in der Ukraine angewendet werden, da sie der ukrainischen Realität nicht entsprechen. Unter anderem das Verbot Kredite an russische Unternehmen zu vergeben sowie das Technologietransferverbot für den Bereich der Tieferdölförderung.

Die Klarheit besteht heutzutage nur bei der Frage der „Schwarzen Liste“ für Politiker, Journalisten sowie Künstler mit beinahe achthundert Namen. Aber auch hier wird man nicht aktiv.

Besonders interessant dabei ist, dass die Ukraine aller Wahrscheinlichkeit nach die Sanktionen gegen die Krim nicht anwenden würde mit der Begründung, dass die Krim zur Ukraine gehört und es dürfen keine Sanktionen gegen das eigene Land und eigene Bürger angewendet werden. Außerdem „wurden da bis jetzt beinahe alle Beziehungen abgebrochen“. Einer unserer Gesprächspartner teilte mit, dass die Sanktionen gegen die Krim seitens der Ukraine bereits eingeführt seien, es ist im Gesetz über das okkupierte Territorium geregelt.

Verzeihung, aber hatten die EU, die USA und die G7-Staaten ihre Sanktionen mit dem Gedanken eingeführt, dass die Krim nicht zur Ukraine gehört? Oder liegt der Sinn der Sanktionen nicht gerade darin, die Krim zurück an die Ukraine zu geben?

Irreführend ist auch die Behauptung, dass die Handlungen ukrainischer Staatsführung hinderlich für die Machthaber des okkupierten Territoriums seien. Die Tatsache, dass im Rahmen des Vertrages zwischen Ukrinterenergo und InterRAO der Kaufpreis für die russische Elektroenergie über dem Preis liegt, zu dem die Elektroenergie an die Krim weiterverkauft wird, spricht aber eine andere Sprache. Tatsächlich, es wurde Einiges abgebrochen, aber wer musste dabei die Konsequenzen tragen? Der schlagartige Wegfall der Bus- und Eisenbahnverbindung mit der Krim traf vor allem die Ukrainer, welche die Halbinsel verlassen haben, aber ihre Verwandten gern besuchen würden, die Studenten, welche die Hochschule wechseln mussten, die Geschäftsmänner, welche ihre Unternehmen auf das Festland umgesiedelt haben, aber Krim-Geschäftsreisen unternehmen müssen. Besonders hart war dabei die Tatsache gewesen, dass der Transportkollaps sich kurz vor Neujahr- und Weihnachtsfeiertagen ereignete. Deswegen mussten die Leute vom Dorf Nowoaleksejewka bis zur „russischen Grenze“ entweder zu Fuß gehen oder mehrere Stunden im Stau stehen, während unzählige Lastwagen mit Waren für die Krim an ihnen vorbeifuhren, für sie blieb ja das Regime gleich, da das Gesetz „Über die freie Wirtschaftszone“, wonach auf der Krim ansässige Ukrainer nun als Nicht-Residenten gelten, weiterhin seine Gültigkeit behält. Hätte man internationale Sanktionen im vollen Umfang angewendet, dann verlöre das Gesetz seine Gültigkeit. Ebenso wie der Liefervertrag zwischen Ukrinterenergo und InterRAO. Aber dieser Schritt wird nicht gewagt, da dahinter Leute mit Aktiva auf der Krim und in Russland sowie die aktuellen Entscheidungsträger im Lande stehen.

Finanzielle und wirtschaftliche Sanktionen seitens der Ukraine würden eine starke Unterstützung für diplomatische Anstrengungen des Landes leisten, wenn sie zur richtigen Zeit angewendet würden oder wenn sie zumindest in einem symmetrischen Verhältnis zu den Handlungen des Kremls stünden. Der Handelskrieg als solcher ging lange vor der Okkupation der Krim und dem Krieg im Osten los. Eigentlich war er in den russisch-ukrainischen Beziehungen ständig präsent. Der Gas-, Röhren-, Käse-, Fleisch-, Süßwarenkrieg…Dabei antwortete die Ukraine darauf nie symmetrisch. Selbst dann nicht, als der Okkupant unser Land angegriffen hatte und dabei weiterhin alle Instrumente des Drucks und des Einflusses gekonnt anwendet.

Kiew hat mindestens drei Trümpfe in der Hand, mit Hilfe derer die Aggression gebändigt und die Ukrainer vor der Verfolgung seitens Russlands geschützt werden könnten. Diese drei Trümpfe sind die Schwachstellen der Krim, die schon immer bestanden- die Abhängigkeit vom ukrainischen Festland im Bereich der Elektroenergie, der Wasser- und Lebensmittelversorgung (75 Prozent). Zwei davon sind bereits nachteilig abgegeben worden…

30. Januar 2015 // Walentina Samar

Quelle: Serkalo Nedeli

Übersetzerin:   Ljudmyla Synelnyk  — Wörter: 1541

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