Träumt man bei BJuT von der Rückkehr zur Verfassung von 1996?
Der Block Julia Timoschenko (BJuT) hat den ersten Schritt zur Rücknahme der Verfassungsreformen des Jahres 2004 gemacht. In der Werchowna Rada wurde ein Gesetzesentwurf zu Änderungen im Gesetz zum Verfassungsgericht registriert, welcher das Verfassungsgericht verpflichtet zusätzliche Erläuterungen bezüglich der
Verfahren zum Außerkrafttreten von normativen Akten zu geben. Der Meinung von Juristen nach, macht diese Gesetzesnorm nur Sinn im Falle der Aufhebung des Gesetzes zu Verfassungsänderungen. Bislang ist unklar, ob die Initiative von BJuT bei der Partei der Regionen unterstützt wird.
Der Gesetzesentwurf zu Änderungen im Gesetz zum Verfassungsgericht wurde in der Werchowna Rada am 6. November von fünf Abgeordneten der Fraktion BJuT registriert. Der Text des Dokuments lag gestern dem “Kommersant-Ukraine“ vor. Er sieht die Einführung einer besonderen Form der Veröffentlichungen von Entscheidungen des Verfassungsgerichts in dem Falle vor, wenn das Gericht irgendein Gesetz oder einen normativen Akt zu Änderungen in einem anderen Gesetz oder normativem Akt als verfassungswidrig ansieht.
Die Abgeordneten fordern, dass das Verfassungsgericht in seinen Entscheidungen zeigt, “welche Rechtsnormen vom Tage der Verabschiedung des Beschlusses über die Verfasssungswidrigkeit des Aktes oder Teile dessen angewendet werden sollen”. “Sollen sie (die Richter des Verfassungsgerichts) uns ruhig erklären, welche Rechtsnorm im Falle der Aufhebung von Änderungen an normativen Akten gelten soll. Und ob dabei die Geltung der alten Fassung des Dokumentes gelten soll”, erläuterte dem “Kommersant-Ukraine“ die Motive zur Einreichung des Gesetzesentwurfes einer der Autoren, Wiktor Schwez (BJuT), Vorsitzender des Parlamentsausschusses für Fragen der Gewährleistung der Funktion der Rechtsschutzorgane.
Die Initiative der Mitglieder von BJuT hat Verfassungsrechtsjuristen erstaunt. “Ich höre zum ersten Mal, dass bei jemandem Zweifel darüber aufkamen, was im Falle der Rücknahme von Änderungen in normativen Akten durch das Verfassungsgericht geschehen soll”, erklärte dem “Kommersant-Ukraine“ der Erste Vorsitzende des Verfassungsgerichts und Verfassungsrichter von 1996-2004, Iwan Timtschenko. “Es versteht sich von selbst, dass in diesem Falle die alte Norm in Kraft tritt. Das Gericht sollte hier nicht irgendetwas erläutern”. “Die Annahme dieses Gesetzes ist unzulässig, da in diesem Falle dem Verfassungsgericht wesensfremde Vollmachten gewährt werden. Das Verfassungsgericht hat, im Unterschied zu Gerichten der allgemeinen Jurisdiktion, kein Recht anderen Organen der Staatsgewalt Anweisungen zu geben, welche Normen diese anzuwenden haben”, vervollständigte Timtschenko die Stellvertreterin der Präsidialamtsleiterin, die Vertreterin des Präsidenten beim Verfassungsgericht, Marina Stawnijtschuk.
Alle vorhergehenden Entscheidungen des Verfassungsgerichts zur Rücknahme von Gesetzen, die Änderungen in andere Gesetze einbrachten, riefen keine zweideutigen Auslegungen hervor. Die Gesetze kehrten jedes Mal zu ihrer alten Fassung zurück, was sich in der Gesetzesbasis auf der Seite der Werchowna Rada widerspiegelt.
Iwan Timtschenkos Meinung nach, könnte der einzige Grund für Änderungen im Gesetz zum Verfassungsgericht die Vorbereitung auf eine Rücknahme der Politreformen des Jahres 2004 über die Anerkennung des Gesetzes #2222 zu den Verfassungsänderungen als verfassungswidrig sein. “In diesem Fall ist die Situation tatsächlich nicht geregelt, denn die Verfassung sieht eine solche Prozedur, wie die Rücknahme von Verfassungsreformen, nicht vor. Doch andererseits, sollte bei der Verletzung der Prozedur bei der Verabschiedung des Gesetzes zu den Verfassungsänderungen ein Mechanismus für dessen Rücknahme existieren. Beispielsweise über die Vorlage einer Verfassungsintepretation beim Verfassungsgericht”, teilte Timtschenko seine Überlegungen mit.
Zur Wahrscheinlichkeit von Vorbereitungen zur Rücknahme von Politreformen reden auch Politologen. “Versuchungen die Verfassungsreformen zurückzunehmen tauchen bei jedem zukünftigen Präsidenten auf. In diesem Falle wird ihm die gesamte Vertikale der Exekutive unterstellt”, erinnert Jurij Jakimenko, der Direktor der polit-rechtlichen Programme beim Rasumkow-Zentrum.
Bei der Mannschaft des amtierenden Präsidenten ist man sich über die Durchführbarkeit der Aufhebung/Rücknahme des Gesetzes #2222 beim Verfassungsgericht im Klaren. “Für mich ist absolut klar, dass beim Beschluss des Gesetzes #2222 Prozeduren verletzt wurden. Und ich schließe es nicht aus, dass das Verfassungsgericht dieses als verfassungswidrig in Verbindung mit der Verletzung der Prozeduren anerkennt. Doch das bedeutet nicht, dass die toten Normen der Verfassung von 1996 sofort neues Leben erhalten. Ich meine, dass sich hier ein rechtlicher Abgrund auftut und man muss erneut Verfassungsänderungen nach der Standardprozedur einbringen”, erklärte Marina Stawnijtschuk dem “Kommersant-Ukraine“. Die gleiche Meinung vertritt auch Timtschenko.
Für Änderungen im Gesetz zum Verfassungsgericht und die Überwindung eines offensichtlichen Präsidentenvetos muss sich BjuT der Unterstützung der Partei der Regionen versichern. Zum gestrigen Tag wurde keine Vereinbarung zu einer solidarischen Abstimmung bei dieser Frage erreicht. Die Profilabgeordneten der Partei der Regionen erklärten dem “Kommersant-Ukraine“, dass sie noch nicht mit dem Gesetzesentwurf von BJuT vertraut sind und der Erste Vizesprecher, Alexander Lawrinowitsch (Partei der Regionen) unterstützte die Position von Stawnijtschuk zur Unmöglichkeit des Rollbacks der Politreformen über eine Aufhebung des Gesetzes #2222. “Den alten Text der Verfassung kann man nur über neue Änderungen im Grundgesetz wieder herstellen. Und die Aufhebung von Verfassungsreformen ist juristischer Nonsens”, erklärte Lawrinowitsch dem “Kommersant-Ukraine“.
“Wenig wahrscheinlich ist, dass die Arbeit zur Rückkehr der alten Verfassung bis zum Abschluss der Wahlen beginnt. Im Falle der Rücknahme der Reformen erhält der Sieger alles. Jetzt, wo die Chancen für die Führer des Wettlaufes 50 zu 50 sind, werden sie kaum so ein Risiko eingehen”, denkt Jakimenko.
Sergej Sidorenko, Jelena Geda
Quelle: Kommersant-Ukraine