Briefe zur Verteidigung der Demokratie. Zweiter Brief
Der kürzeste Weg zu einer Balance in der Redaktionspolitik der hiesigen Massenmedien ist also die Schaffung eines vollwertigen Medienmarktes in der Ukraine. Ich denke, hier geht es vorwiegend um das Fernsehen, insofern hier die größten Stücke des „Reklamekuchens“ verteilt werden.
Als ich zur Jaltaer YES- Konferenz zurückkehrte, erinnerte ich mich eines Warschaubesuchs Viktor Pintschuks Anfang der 2000er Jahre. Er reiste damals für Verhandlungen mit dem Inhaber des Medienunternehmens ITI in die polnische Hauptstadt. Soweit mir bekannt ist, wollten die Polen in den ukrainischen Fernsehmarkt einsteigen und waren bereit, Aktien von ein bis zwei TV-Anstalten zu übernehmen. Zu dieser Zeit besaß ITI einen der höher bewerteten Kanäle – TVN. Schon das zentrale Büro der Holding unweit des Warschauer Stadtzentrums, die gut ausgerüsteten Studios und die hohe Professionalität der Mitarbeiter zeugten davon, dass der Sender seinen Besitzern solide Einkünfte garantiert. Unter anderem bestand der Erfolg des Senders darin, dass er Abstand zu den politischen Kräften hielt. Wenn dies vielleicht auch nicht vollständig der Fall war, so ging es doch umso mehr um die hohe Qualität der Leute, welche die Informationsprodukte für dieses TV-Projekt ausarbeiteten. Den Nachrichten, die unter der Marke TVN ausgestrahlt wurden, glaubten Millionen von Polen und folglich erreichten die Preise für Werbezeiten Rekordzahlen.
Ich erinnere mich an die warmen Worte, welche Aleksander Kwasniewski während eines Banketts zu Ehren eines der Gründer von TVN an den Kanal richtete. Und das obwohl die Reporter des Senders ihn während eines Charkow-Besuchs beileibe nicht ins beste Licht gerückt hatten.
Auch in der Ukraine verfestigt sich stetig der Marktzugang zur Informationspolitik der Nachrichtenprogramme, welche den Radio- und TV-Kanälen einen guten Gewinn bringen. Und wenn dies nicht so schnell geht, wie es zu wünschen wäre, so sicher nicht deshalb, weil die Machthaber diesen Prozess bremsen würden. Ich habe es nicht nur einmal betont und wiederhole es erneut: Der derzeitige Präsident ist auf dem Schachbrett der Ukraine eine ausreichend starke und selbstgenügsame Figur, um den Fakt, dass die Massenmedien ihre Aufmerksamkeit nicht nur ihm, sondern auch seinen politischen Gegnern widmen, ruhig anzunehmen. Es liegt nicht in seinem Interesse, der Zerstörung der Demokratie beschuldigt zu werden. Der Starke, und in diese Kategorie von Politikern gehört er, erniedrigt niemals den Schwachen und nimmt ihm nicht das Recht, gehört zu werden. Dass der Schwache versucht, sich als Opfer des Autoritarismus darzustellen, stellen wir auch nach dem Wahlsieg Janukowitschs beinahe täglich fest. Dieser Sieg wurde übrigens nicht möglich, weil der damalige Oppositionsführer, wie einige behaupten, freien Zugang zu den Fernsehkanälen gehabt hätte. Ich weiß sehr gut, unter welchen Umständen die Wahlkampagne verlief und was dafür getan wurde, dass das Auftreten unsere Anführers im Fernsehen gegen ihn arbeitete; welche schwarzen Technologien genutzt wurden, um ihn in den Augen des Wählers zu diskreditieren. Dieser Methoden bedient man sich auch heute noch.
Ein leuchtendes Beispiel für die Desinformation der Öffentlichkeit bezüglich unserer Politik im Informationsbereich ist der Vorwurf, dass wir vorhätten, „Euronews“ in einen gelenkten, den Machthabern unterstellten Sender zu verwandeln.
Ich erfuhr mit großer Verwunderung, dass ein Kollege von „Internews-Ukraine“ sich entschieden hatte, der Öffentlichkeit von heimtückischen Versuchen der Bankowaja zu berichten, welche eine Nutzung von „Euronews“ – neben dem Ersten Kanal und „Inter“ – zu Propagandazwecken zum Ziel hätten. Seiner Meinung nach ist der Aufbau von „Euronews“ nach westlichem Modell ein langwieriger und schwieriger Prozess. Er sagt, es wäre unmöglich, durch einfache Aussonderung von Mitteln einen Informationskanal mit Qualität zu schaffen. Von daher die Schlussfolgerung: Die ukrainischen Machthaber sind daran interessiert, ein russisches Modell der Nachrichtenübertragung einzuführen. Hinzu kam nach Meinung des Autors noch, dass die Entscheidung über die Eröffnung eines ukrainischen Ablegers von „Euronews“ verdächtig schnell getroffen wurde und wahrscheinlich von russischen Politstrategen, welche als Berater der jetzigen Machthaber tätig waren, diktiert worden wäre.
Dieser Logik folgend, hätte man die Entscheidung über dieses Projekt soweit wie möglich verschleiern und keine Mittel verteilen sollen, so dass unsere westlichen Partner die ukrainische Initiative nur ignorieren könnten, weil eben Viktor Janukowitsch die Präsidentschaftswahlen gewonnen hat und nicht Julia Timoschenko.
Als Amtsperson, die zusammen mit dem Vize-Premier Boris Kolesnikow und mit Unterstützung des Präsidenten, die Gespräche mit „Euronews“ betreffs der Eröffnung einer ukrainischen Redaktion initiiert hat, muss ich die Gegner enttäuschen: Ihre Prognosen werden sich nicht bewahrheiten. Wir verfolgen absolut entgegengesetzte Aufgaben. Das neue Projekt verfolgt vordergründig das Ziel, die internationale Autorität der Ukraine zu stärken. Präsident und Regierung sind daran interessiert, dass man über uns möglichst viel weiß im geeinten Europa und uns folglich auch besser versteht. Das ist eine größere Garantie dafür, dass die Ukraine in den Augen der Europäer demnächst aufhört, das Enfant terrible zu sein, dessen Gesicht ihr die Opposition gerne geben möchte. Das passt der Opposition gut, denn sie hat nach der Niederlage bei den Präsidentschaftswahlen keinen dankbareren Gegenstand für Beschuldigungen, als Spekulationen über einen vermeintlichen Demokratieabbau in der Ukraine.
Ich bin weit davon entfernt, zu behaupten, dass es in unserem Informationsraum keine Dienstbeflissenheit gegenüber den Machthabern geben würde. Aber ich möchte mit aller Verantwortung sagen: Erklärungen vonseiten der staatlichen Kanäle, darunter auch des Ersten, über die Unumgänglichkeit loyal gegenüber den Machthabern zu sein, haben eine entsprechende Bewertung des Präsidenten bekommen, mit allen daraus entstehenden Folgen. Es ist bekannt, dass eben dem Präsidenten die Initiative zur Transformation des Ersten Kanals in einen öffentlichen Sender obliegt. Es wäre unlogisch, wenn er den Versuchen, seine Entschlossenheit zur Erreichung einer öffentlichen Kontrolle über den Ersten Fernsehkanal im Land zu diskreditieren, keine Aufmerksamkeit schenken würde.
Ich bin überzeugt, dass morgen, am 31. Oktober, während der Lokalwahlen alle Radio- und Fernsehkanäle, und die staatlichen umso mehr, den Gang der Stimmabgabe möglichst objektiv beleuchten werden. Das ist umso wichtiger, als vonseiten der Opposition alles getan werden wird, die Wahlen als undemokratisch darzustellen. Wir haben das nicht nur einmal erlebt. Ich erinnere mich seit den Parlamentswahlen 2007 an keine einzige Wahl, bei der Politiker des so genannten demokratischen Lagers nicht versucht hätten, die Öffentlichkeit –auch über die Grenzen der Ukraine hinaus – davon zu überzeugen, dass die Resultate der Abstimmung in jedem Falle gefälscht wären. Es genügt, das Beispiel der Präsidentschaftswahlen 2010 und die Reaktion auf die Willensäußerung des ukrainischen Volkes vonseiten der BJuT-Führerin anzuführen, Ich denke, auch dieses mal werden im Stab die Texte für Eingaben, Proteste, Appelle und vieles andere schon vorbereitet sein. Es wird das Ziel verfolgt, im Falle einer Niederlage eine Reihe von Verstößen zu beweisen, welche es nicht erlauben, die Wahlen als jene anzuerkennen, die sie waren.
Ich weiß nicht, wie die Ergebnisse der Abstimmung sein werden. Aber ich kann mit Bestimmtheit sagen, dass der Präsident als Garant der Verfassung alles getan hat, damit das Volk der Ukraine die Möglichkeit hat, jene in die lokalen Machtorgane zu wählen, denen es ein Mandat oder ein Bürgermeisteramt zutraut. Ich weiß außerdem, dass für jeden Versuch der Druckausübung auf Wähler oder der Wahlfälschung die Verursacher –auch strafrechtlich – zur Verantwortung gezogen werden. Ich hoffe, die Entschlossenheit der Machthaber, insbesondere in Bezug auf jene, die ihr Amt für Missbrauch riskieren, wird bei niemandem Zweifel an der Konsequenz ihrer Handlungen auch nach dem 31. Oktober lassen.
Es ist zu erwarten, dass vom Moment der Verkündung der offiziellen Wahlergebnisse die propagandistische Kampagne zur Diskreditierung der Machthaber nachlassen wird. So ist die Logik der politischen Kriegsführung: Wenn ein bestimmtes Instrument nicht funktioniert, dann muss es ausgetauscht werden. Die Versuche, das Thema eines vermeintlichen Demokratieabbaus auszuschlachten, werden zurückgehen, denn die Ukraine steht vor ganz anderen Herausforderungen. Die Korruption, die Käuflichkeit von Richtern, Beamten und Journalisten begründet vor allem die Armut. Das ist unser Hauptfeind. Mit ihm sollten wir alle kämpfen, sowohl die Machthaber, als auch die Opposition. Sonst könnte sich die ukrainische Demokratie wirklich in Gefahr befinden. Dann aber schon nicht mehr nur virtuell, sondern vollkommen konkret.
Solche Gedanken an die Demokratie ruft der Blick aus dem Krankenhausfenster wach, aus dem, wie es scheint, viel mehr zu sehen ist, als aus dem hohen Fenster eines Regierungskabinetts.
30.10.2010 Anna German/Hanna Herman
Hanna Herman ist Stellvertreterin des Leiters der Präsidialadministration und arbeitete lange Zeit als Journalistin für Radio Liberty.
Der erste Brief ist hier zu finden und der dritte hier.
Quelle: Serkalo Nedeli