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Briefe zur Verteidigung der Demokratie. Dritter Brief

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Ein bekannter westlicher Politiker sagte, dass man auf die Stimme der Opposition in der Ukraine hören sollte, aber zum realen Kommunikator bei der Inszenierung eines wirklichen Dialogs zwischen Machthabern und Gesellschaft sind die Nichtregierungsorganisationen geworden. Die NGO’s sind in ihrer drückenden Mehrheit unabhängig und deswegen kann man ihrer Meinung Glauben schenken.

In Fortführung dieses Gedankens möchte ich sagen, dass die heute in der Ukraine tätigen, gesellschaftlichen Organisationen – und deren gibt es nicht wenige – weit mehr für die Stärkung der Demokratie in unserem Hause tun als die Opposition. Ihre Kritik an die Adresse der Machthaber klingt zwar scharf, ist aber im Prinzip konstruktiv. Die gesellschaftlichen Organisationen versuchen jene Intellektuellen, die ihre Aufgabe in der Formierung einer Bürgergesellschaft und nicht im Fortkommen auf der Karriereleiter sehen, zur Mitarbeit zu bewegen. NGO’s beschweren sich nicht beim Ausland und beschäftigen sich nicht mit bezahlten Artikeln, wenn es um die Verbreitung kritischer Materialen über die Ukraine in den Zeitungen in der Alten Welt oder in Übersee geht. Wenn sie etwas über den Zustand der ukrainischen Demokratie zu sagen haben, so sprechen sie darüber zuerst mit der ukrainischen Öffentlichkeit und erst dann, wenn ihnen dies unumgänglich scheint, mit europäischen Parlamentariern oder amerikanischen Senatoren. Umso mehr als man im Westen hervorragend darüber informiert ist, was an den Ufern des Dnjepr vor sich geht. Dafür verfügt man über genügend erfahrene, in der Ukraine akkreditierte, Diplomaten.

Meiner Meinung nach sollten die Machthaber nicht nur in einen Dialog mit dem „Dritten Sektor“ treten, sondern zu einer engen Zusammenarbeit übergehen. Jeder, der glaubt, dass dies aufgrund irgendwelcher, ideologischer Antagonismen unmöglich sei, irrt sich. Die Machthaber sind an einer Korrektur ihrer Politik vonseiten unabhängiger Experten interessiert und nicht vonseiten jener, die selbst nach Macht streben, ungeachtet des Preises. Das ist absolut natürlich. Alle Machthaber möchten Wählerunterstützung erreichen, wenn schon nicht für immer, so doch für einen möglichst langen Zeitraum. Und der beste Partner hierfür sind die öffentlichen Organisationen, welche die wirklichen Stimmungen innerhalb der Bevölkerung widerspiegeln. Ohne sie ist es riskant, am Ende richtige Regierungsentscheidungen zu treffen.

Wenn es um die Ausgeglichenheit der ukrainischen Nachrichtenprogramme geht, so schenke ich eher dem Monitoring „Telekritika“ Glauben, als den Mitteilungen von Oppositionspolitikern. Die Opposition – und die heutige ukrainische umso mehr – hebt niemals positive Umschwünge hervor, die von klugen Regierenden hervorgerufen wurden. Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass irgendjemand der BjuT-Kämpfer (Block Julia Timoschenko) für die Freiheit des Wortes sich dazu durchringen könnte, öffentlich zu erklären, dass der Erste Kanal den Verlauf der Wahlen vom 31. Oktober objektiv dargestellt hat, wie es viele unabhängige Beobachter getan haben.

Aus den Mündern unserer Gegner hören wir größtenteils Beschimpfungen, Obszönitäten und Beleidigungen, aber niemals irgendeine Dialogbereitschaft. Wir werden Zustimmung im gesamten ukrainischen Volk suchen, darunter auch bei Vertretern des so genannten „Dritten Sektors“, der meiner Meinung nach demokratischer ist, als die Opposition in Person des BJuT und eher darauf aus, den Staat aufzubauen und nicht zu zerstören.

Der Zustand der ukrainischen Demokratie ist eben so, wie er ist: Mit bestimmten, nationalen Besonderheiten, aber immer noch stabil genug, um vor wirklichen Bedrohungen geschützt zu sein. Ja, die lokalen Wahlen haben bestimmte Probleme aufgezeigt. Wir müssen die Wahlgesetzgebung vervollkommnen, die örtlichen Machthaber lehren, während der Wahlen ihre Parteigebundenheit oder politischen Sympathien zu vergessen. Die Wähler müssen lernen, sich für die getätigte Wahl verantwortlich zu zeigen. Es ist jedoch bekannt, dass die Regierungspartei nicht überall die gewünschten Resultate erreicht hat und in einigen Regionen von der Opposition abgelöst wurde, darunter auch dort, wo sie nach soziologischen Umfragen alle Chancen hatte, den Sieg davonzutragen. Das zeugt davon, dass man den Resultaten Glauben schenken darf. Und wer hat etwa von der Opposition erwartet, dass sie etwas anderes tun würde, als dazu aufzurufen, die Übertretungen als systematisch zu betrachten?

Die Regierung weiß, dass die Demokratie eine unbedingte Voraussetzung für die Fortentwicklung der Ukraine ist. Man denkt jedoch im Unterschied zu seinen Vorgängern heute sowohl auf der Bankowaja (Sitz des Präsidenten), als auch auf der Gruschewskaja (Sitz der Regierung) in anderen Kategorien. Der Romantismus der Orangenen hat zu Unordnung und Regress geführt. Die Technokratie der Blau-Weißen soll der Ukraine politische Stabilität und Fortschritt bringen. Auf diesem Weg können die Wort- und Versammlungsfreiheit und das Bürgerrecht auf Zugang zu öffentlichen Informationen durchaus nicht in Konflikt zu den Interessen der Machthaber stehen. Im Interesse der Staatsmacht ist es, innenpolitische Stabilität zu erreichen, sowie eine Konsolidierung der Gesellschaft um die Idee einer Umgestaltung der Ukraine in einen Staat freier und damit wohlhabender Bürger. Ohnedies kann sie der Gesellschaft ihre Fähigkeit, die Wahlversprechen zu erfüllen, nicht demonstrieren.

Es liegt außerdem im Interesse der Staatsmacht, in den Augen der internationalen Gemeinschaft verständlich und berechenbar zu sein. Und das nicht nur im Westen. Wenn sich die Opposition ihrer gestrigen Kokettiererei mit der Führung der Partei der Regionen nicht schämt und eine offen antirussische Position bezieht, realisiert der Präsident das, wonach er stets strebte: Er errichtet gutnachbarliche, partnerschaftliche Beziehungen zur Russischen Föderation. Offensichtlich nicht zulasten der ukrainischen Interessen. Das gefällt in Russland, wie letztlich auch in der Ukraine, nicht allen. Aber eine erfolgreiche Zukunft der ukrainisch-russischen Beziehungen ist viel wichtiger, als die Reflexionen einzelner Politiker. Und wenn es nicht demokratisch ist, augenblicklich auf jegliche „Nieser“ von der einen wie von der anderen Seite zu reagieren, so werden wir eben für ein „autoritäres“ Regime gehalten. Wichtig ist, dass das ukrainische Volk dabei besser lebt und nicht schlechter.

Ich glaube nicht, dass es ein universelles Verständnis vom Begriff „Demokratie“ gibt. Ihre Definition kann nicht für alle Epochen, Kulturen und Zivilisationen gleich tauglich sein. Die Übereinstimmung der Interessen von Macht und Volk geschieht im Kontext dessen, wie anspruchsvoll die Gesellschaft bezüglich ihres Wohlstands und ihrer Freiheiten ist und inwieweit die Machthaber bereit sind, auf die Wünsche einzugehen.

Die ukrainische Demokratie wächst so, wie es ihr die Geschichte vorgibt. Wie auch jeder andere Prozess durchlebt sie Höhen und Tiefen, bleibt dabei aber nicht stehen, sondern entwickelt sich. Die Machthaber, deren Ziel eine Unterstützung ihrer Politik vonseiten der Gesellschaft ist, können manchmal versuchen, die Normen der Demokratie einem „bestimmten Moment“ anzupassen. Für sie ist das Resultat wichtig, im gegebenen Fall die Erreichung eines beschleunigten, ökonomischen Wachstums, die Verbesserung des Lebensstandards der Bürger, die Erhöhung des internationalen Ansehens. Bei den Bemühungen, dies zu erreichen, sollten sie sich daran erinnern, dass man sich synchron mit der Gesellschaft weiterentwickeln muss. Ansonsten hört die Gesellschaft auf, den Sinn der Politik zu verstehen.

Ich weiß, dass der Präsident an der Verbesserung des gegenseitigen Dialogs mit der Gesellschaft interessiert ist. Er ist daran interessiert, dass alle Probleme in den Beziehungen zwischen Machthabern und Gesellschaft in Form eines gemeinsamen Suchens nach möglichen Wegen zur Einigung gelöst werden. Die administrativen Hebel bei der Suche nach Ansätzen in der humanitären Politik stammen sicher nicht aus dem Regierungsinstrumentarium.

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Die Wahlergebnisse haben gezeigt, dass uns schwere Zeiten bevorstehen. Die Radikalisierung der Einstellungen einiger Gesellschaftsteile regt zu intensivem Nachdenken darüber an, wie zum Beispiel jene Demokratie verstehen, welche die „Swoboda/Freiheit“ unterstützen. Es ist offensichtlich, dass die wachsende Popularität dieser politischen Kräfte eine Folge der Enttäuschung über die so genannten Demokraten ist. Dies ist für die Machthaber ein Signal für eine gewisse Umgestaltung der politischen Landkarte der Ukraine mit alle Folgen, die daraus erwachsen. Ich denke, dass sich nun, nach den Wahlen, die Gemüter beruhigen werden und die Politiker von Wahlrhetorik zu Zusammenarbeit übergehen und sich Konfrontationen bis zur nächsten Wahl aufsparen. Zumindest sind die Machthaber ihrerseits schon heute dazu bereit.

Zu guter letzt stimme ich zu, dass Korrespondenz Dialog bedeutet. Manchmal ist es wirklich besser, ein Blatt Papier zur Hand zu nehmen und ruhig einen Brief über das zu schreiben, was einen beunruhigt, als sich an bezahlte Mittelsmänner oder ausländische Zeitungen zu wenden, um Dreck auf die Ukraine zu werfen.

Es heißt, dass Schreiben wieder in Mode ist und die elektronische Post bald verdrängen wird. Das ist irgendwie interessant und neu… Zumindest ruft der Blick aus dem Krankenhausfenster, aus dem manchmal soviel mehr zu sehen ist, als aus den hohen Fenstern des Regierungskabinetts, solche Gedanken wach.

06.11.2010 // Anna German/Hanna Herman

Hanna Herman ist Stellvertreterin des Leiters der Präsidialadministration und arbeitete lange Zeit als Journalistin für Radio Liberty.

Der erste Brief ist hier zu finden und der zweite Brief hier.

Quelle: Serkalo Nedeli

Übersetzer:   Stefan Mahnke — Wörter: 1362

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