"Große Koalition" wird immer wahrscheinlicher
Die Parlamentsabgeordneten der Partei der Regionen (PR) und des Blockes Julia Timoschenko (BJuT) haben gestern offen zur Bildung einer Koalition aufgerufen. Ihre Pläne, deren Ziel die Durchführung von Verfassungsreformen ist, müssen Wiktor Janukowitsch und Julia Timoschenko innerhalb von zwei Monaten durchführen: nach Ende dieser Frist in der Ukraine eine parlamentarische Regierungsform einzuführen, wird aufgrund der nahenden Präsidentschaftswahlen problematisch. Derweil befürchten die Abgeordneten, dass nach der Unterzeichnung der Koalitionsvereinbarung zwischen BJuT und der PR Wiktor Juschtschenko einen Ukas über vorgezogene Präsidentschafts- und Parlamentswahlen herausgibt.
Vertreter von BJuT und der PR haben gestern für die Bildung einer neuen Koalition bereits von der Tribüne der Werchowna Rada agitiert. “Heute haben wir die historische Chance den Teufelskreis der Anspannungen zwischen dem Osten und dem Westen der Ukraine zu durchbrechen. Wir haben eine Medizin für die gefährlichste Krankheit. Diese heißt: große Koalition”, erklärte gestern im Namen der Fraktion der PR der Parlamentsabgeordnete Dmitrij Tabatschnik. “Und wir sind verpflichtet den Leuten die Wahrheit zu sagen: allein eine große Koalition kann das Land einen und die notwendigen Änderungen in die Verfassung einbringen, ohne die eine effektive Arbeit der Regierung und eine Überwindung der Krise unmöglich ist”.
Der Vorsitzende der Fraktion von BJuT, Iwan Kirilenko, rief dazu auf “mit der gemeinsamen Anstrengung aller politischen Kräfte und Organe der Staatsgewalt aller Ebenen Ordnung ins Land zu bringen und eine großartige Zukunft zu errichten”.
“Verehrte Freunde, beruhigen sie sich. Schließen sie sich an und fürchten sie sich nicht”, sagte er. Bemerkenswert ist, dass noch am Montag Kirilenko die Möglichkeit der Gründung einer Union von BJuT und der PR kategorisch zurückwies: “Belustigen sie das Land nicht mit ihren makabren Geschichten. Es gibt nichts derartiges.”
Der Entwurf für die Verfassungsänderungen, der von den Führern der neuen Koalition vorbereitet wurde, ist bislang nicht veröffentlicht worden, jedoch sind dessen Hauptbestandteile kein Geheimnis; die Verhandlungen von BJuT und der PR zur Durchführung von Verfassungsreformen zogen sich mehr als ein Jahr, wurden mehrfach angehalten und wiederbelebt und in dieser Zeit wurde der Inhalt einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Insbesondere sieht die Verfassungsreform den Übergang des Landes von einer parlamentarisch-präsidialen Form der Regierung zu einer parlamentarischen mit der Wahl des Staatsoberhauptes in der Werchowna Rada vor; dem Präsidenten die Hebel zur Kontrolle der Tätigkeit des Premierministers und die Möglichkeit normative Akte des Kabinetts aufzuhalten zu entziehen. Gleichzeitig bleibt bei ihm das Recht der Kontrolle über die Leiter der Machtorgane und der vorzeitigen Auflösung des Parlaments unter bestimmten Umständen, beispielsweise im Falle der Handlungsunfähigkeit der Werchowna Rada.
Die Teilung der Hauptrollen in diesem Regierungssystem ist bekannt, da sich das Szenario im Laufe der Gespräche zwischen BJuT und der PR nicht geändert hat. Es ist vorgesehen, dass die neue Koalition Julia Timoschenko auf dem Posten der Premierministerin belässt und Wiktor Janukowitsch zum Präsidenten wählt. Und damit die Partei der Regionen sich nicht benachteiligt fühlt, den Posten des Präsidenten mit beschnittenen Vollmachten erhaltend, wird ihr die Hälfte der Posten in der Regierung angeboten. Übrigens bleiben die Wirtschaftsbehörden, darunter das Wirtschafts- und das Finanzministerium, unter der Kontrolle der Premierin. Außerdem ist geplant die Vollmachten des aktuellen Parlaments bis zum Jahr 2015 zu verlängern, damit die nächsten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen gleichzeitig stattfinden.
Alle vorhergehenden Runden der Verhandlungen zur Vereinigung von BJuT und der PR, die im Sommer, Herbst 2008 und Frühling 2009 stattfanden, endeten ohne Resultat, vor allem aufgrund des tiefen Misstrauens der Führungen beider politischen Kräfte. Heute sind die ehemaligen politischen Antagonisten gezwungen über ihren Schatten zu springen. Der Grund liegt in der Unsicherheit über den Sieg bei den Präsidentschaftswahlen sowohl bei Julia Timoschenko als auch bei Wiktor Janukowitsch. Gemäß den Maiumfragen, liegt das Präsidentenrating von Timoschenko bei 15% (zweiter Platz) und die sich verstärkende ökonomische Krise erlaubt es der Premierin nicht auf eine Ausweitung ihrer Popularität zu hoffen.
In Verbindung damit beabsichtigen die Politiker nicht in die Wahlkampagnen große Mittel zu investieren. “Es steht die Frage im Raum: macht es überhaupt Sinn zu Wahlen unter den erschwerten Bedingungen der Wirtschaftskrise anzutreten? Da, glauben Sie mir, der Tiefpunkt noch nicht zu sehen ist”, betonte früher der stellvertretende Parteivorsitzende der Partei der Regionen, Andrej Kljujew.
Die Aktivität, mit der die PR und BJuT an die Bildung einer Koalition gehen, erklärt man bei beiden Fraktion mit dem Zeitrahmen, der für die Einbringung in die entsprechenden Änderungen in die Verfassung vorgesehen ist. Erinnern wir daran, dass diese Prozedur auf zwei Sitzungen der Werchowna Rada angelegt ist und noch eine Zustimmung des Verfassungsgerichts erfordert.
“Wenn man von Fristen für die Einbringung von Änderungen redet, schreibt die Verfassung nur eines vor: die zweite Abstimmung soll in der nächsten ordentlichen Sitzungsperiode stattfinden. Was die erste Abstimmung betrifft, so kann diese auf einer außerordentlichen Sitzung zwischen Juli und September stattfinden”, sagte dem “Kommersant-Ukraine“ das Mitglied des Parlamentsausschusses für Fragen der Rechtspolitik, Jurij Miroschnitschenko (PR). Auf diese Weise kann man die Mindestfrist, für ein Zustandekommen der ersten Abstimmung für die Einbringung der Verfassungsänderungen, bis auf die letzten Tage des August ansetzen, da die nächste ordentliche Sitzungsperiode der Werchowna Rada am 1. September anfängt.
“Doch wenn die Rede von der gegenseitigen Auferlegung zweier Prozesse geht – der Einbringung von Verfassungsänderungen und der Präsidentschaftswahlkampagne – kommen zusätzliche einschränkende Faktoren hinzu”, unterstreicht Miroschnitschenko. In diesem Fall muss, seinen Worten nach, die zweite Abstimmung für die Einbringung von Änderungen in das “Grundgesetz” bis zum Datum der Abstimmung über den Präsidentschaftswahltermin stattfinden. Übrigens stört in diesem Fall das zur Zeit diskutierte Datum der Präsidentschaftswahlen – der 17. Januar 2010 – den Prozess nicht. “Man kann es eindeutig schaffen”, resümierte Jurij Miroschnitschenko.
Die Vertreter von BJuT sagen bereits vorher, dass die Formalisierung ihrer Beziehungen zur Partei der Regionen den Präsidenten dazu zwingt zur Idee einer gleichzeitigen Durchführung von Präsidentschafts- und Parlamentswahlen zurückzukehren. “Meinen Informationen nach, sind im Präsidialamt bereits zwei Ukasentwürfe zur Ansetzung von außerordentlichen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen vorbereitet worden”, sagte der Abgeordnete Sergej Mischtschenko Journalisten. “Sobald diese Vereinigung (die Koalition von BJuT und der PR) zustande kommt, werden sie am nächsten Tag diese beiden Erlasse sehen”.
Übrigens, hat eine solche Entwicklung der Ereignisse diese Mal keine Befürchtungen bei den Abgeordneten. “Ein freiwilliger Rücktritt des Präsidenten wirkt sich positiv auf die Entwicklung des Landes aus”, erklärte der Vizesprecher Nikolaj Tomenko. Fast aufs Wort genau wiederholte ihn der Abgeordnete Nestor Schufritsch (PR).
“Falls Juschtschenko eine Erklärung schreibt und diese im Parlament verkündet, dann muss man bereits deswegen diese Prozesse (die Bildung der Koalition) beginnen”, sagte Schufritsch.
Derweil versicherte man im Präsidialamt dem “Kommersant-Ukraine“, dass von einer vorzeitigen Niederlegung der Vollmachten von Wiktor Juschtschenko nicht die Rede sein kann.
Jelena Geda, Sergej Sidorenko
Quelle: Kommersant-Ukraine