Die Logik des Bunkers
Zur Hauptfrage in der ukrainischen politischen Realität wurde unerwartet die Frage danach, was nach Ablauf der zweiwöchigen Frist passiert, die den Protestierenden von der Regierung in dem gerade von Präsident Viktor Janukowitsch unterzeichneten Gesetz über die Amnestie gegeben wird. Die Kommentatoren versuchen zu ergründen, ob die Regierung dann gewaltsam die Administrationsgebäude befreit oder noch einmal mit den Protestierenden verhandelt. Und hier gehen sie in die logische Falle.
Weil das Gesetz nicht von Administrationsgebäuden handelt, sondern von ihrer Rückführung unter staatliche Kontrolle im Austausch gegen die Freilassung von Teilnehmenden der Protestaktion. Und unter diesem Gesichtspunkt unbedeutend sowohl juristisch als auch politisch. Juristisch deshalb, weil die Idee, dass das Schicksal von Bürgern, die nur aus Sicht der Regierung Rechtsbruch begangen haben, von dem Verhalten anderer Bürger abhängt, die andere Gesetzesverstöße begangen haben, keine Analogie in der weltweiten Gerichtsbarkeit hat. Wenn es auch ein Gesetz ist, so ist es ein Gesetz des Krieges, da muss man sich nichts vormachen.
Und politisch, weil die Idee hinter der Annahme des Gesetzes nicht in der Forderung nach der Räumung der Gebäude und auch nicht in der Befreiung der Gefangenen besteht, sondern in der Demonstration des Einverständnisses der Fraktion der Partei der Regionen mit der präsidialen Variante der Lösung von Problemen. Für Viktor Janukowitsch und seinen Zirkel ist jetzt weniger wichtig, dass sich die Fraktion unversöhnlich zeigt, sondern, dass sie unter keinen Umständen ein eigenständiger politischer Spieler wird. Weil gerade darin, wie im Märchen von Kaschtschej dem Unsterblichen, die Legitimation des politischen Tods des Regimes steckt. Wenn die Abgeordneten der Regionalen selbständig abzustimmen beginnen, wenn sich unter ihnen eine Gruppe zusammenfindet, die bereit ist, einen Kompromiss mit der Opposition einzugehen und einen Beschluss zu fassen, der die Situation beruhigt, so könnte das nicht nur dem Land Veränderungen bringen, sondern auch die unausweichliche Erscheinung einer Kraft im Osten, einer alternativen Partei der Regionen. Und wenn man die riesige Zahl der Wähler einrechnet, die unzufrieden mit der Politik der Regierung sind, die aber keine reelle Alternative zur Abstimmung haben – die Oppositionellen zählen nicht, sie sind für die meisten Bewohner im Osten Fremdlinge – wäre diese Kraft der Beginn eines normalen Landes in politischer Hinsicht.
Weil zwei, drei Parteien im Osten das gleiche bedeuten wie zwei, drei Parteien im Zentrum und im Westen. Das sind die Suche nach Kompromissen, brüchige Koalitionen, Abstimmung von Interessen, gegenseitige Kontrolle; das, was in der zivilisierten Welt Politik genannt wird. Unter den heutigen Umständen unterhält sich diese Politik – die Suche nach einem gemeinsamen Verständnis dreier Oppositionsparteien, gezwungen zum Uhrenvergleich mit dem Maidan – mit einer Wand aus Beton, die sicher ist, dass jegliche Unzufriedene an ihr, der Wand, aufgerieben werden. Und solange es so ist, wird es keinen normalen politischen Prozess geben.
Aber Viktor Janukowitsch braucht diesen Prozess auch nicht. Und die, die ihm nahe stehen, auch nicht. Genau deshalb hat der Präsident das Gesetz zur Amnestie durchgedrückt, das keinerlei reale Möglichkeiten eines politischen Kompromisses bietet und die „Regionalen“ vor der Spaltung bewahrt.
Genau deshalb müssen wir, wenn wir darüber reden, was im Land in den nächsten zwei Wochen passieren wird, die Konkurrenz zweier gegensätzlicher Prozesse konstatieren: Verantwortlichkeit und Unverantwortlichkeit.
Die Verantwortlichkeit besteht in der Suche nach einem Weg zur Beilegung der politischen und sozialen Krise im Land. Diese Krise ist offensichtlich für jeden klardenkenden Menschen, selbst wenn er nicht Kämpfer des Majdan ist, sondern „Oligarch“ oder Abgeordneter der Regionalen. Der Kurs der nationalen Währung fällt, in der Staatskasse ist kein Geld, Russland hat seine sogenannte Hilfe gestoppt, eigene Reserven zur Änderung der Situation gibt es nicht. Und es tauchte noch ein zusätzlicher Umstand auf: die ökonomische Krise in Russland selbst wurde klar. Der Führung dieses Landes gelang es nicht, die Situation wenigstens bis zum Beginn der Winterolympiade „auszuhalten“, die der Haupttriumph der unendlichen putinschen Präsidentschaft werden sollte. Und schon jetzt begann die faktische Abwertung des Rubelkurses, für dessen Erhalt Mittel ausgegeben werden müssen, die nicht zu vergleichen sind mit den Summen, die Moskau der Ukraine zuteilen wollte. Deshalb wird schon nicht in irgendeiner fernen sondern in einer sehr überschaubaren Zukunft, wie bei den damals von der Sowjetunion umsorgten Ländern Afrikas, Russland niemandem wirklich helfen können. Und um zu überleben muss die Ukraine dringend über internationale Kredite verhandeln. Um aber internationale Kredite zu erhalten, muss die Krise politisch beigelegt werden. Hier schließt sich der Kreis, und die Quadratur dieses Kreises ist jedem klar, der einen Kopf auf den Schultern trägt.
Aber es gibt auch das andere, unverantwortliche, Verhalten gegenüber den Geschehnissen, welches die Regierung schon in den letzten Jahren an den Tag legte. Zeigte sich, überzeugte sich, und verstand doch nichts. In zwei Worten lässt sich das Verhalten einfach beschreiben: Alles zerstören! Verschrecken, diskreditieren, abreißen, erschlagen, letztendlich. Und wenn alle ängstlich und friedlich in ihren Wohnungen sitzen werden, beobachten sie die Verwandlung des Präsidenten, der beginnt, Fragen zu lösen.
Diese Herangehensweise kann nicht gewinnen aus Gründen, über die ich schon geschrieben habe, als ich über Verantwortung schrieb. Selbst wenn sich die kühnsten Träume der „Habichte“ der Regierung erfüllen würden, der Majdan wäre aufgelöst und nach einer langen Reihe der Beerdigungen der Opfer seiner Zerschlagung die mit dem Schrecken am Leben gebliebenen begännen aus den Ecken hervorzuströmen, selbst wenn die Macht der Regierung die westlichen Gebiete versöhnen könnte und man zur „Lösung der Fragen“ übergehen könnte als sei nichts gewesen, würde das den Zusammenbruch des Staates nur um wenige Monate herauszögern, vielleicht auch nur Wochen. Weil der Präsident dieses Staates sich einsam und allein einer leeren Staatskasse gegenüber sähe, mit dem verschreckten Westen, der sich hüten würde, die mit Blut befleckten Hände zu drücken, und erst recht, in diese Hände Geld zu stecken, und mit dem demoralisierten Russland, dessen Regierung sich um die eigene, nicht um die ukrainische Stabilität sorgen würde. Eben deshalb ist der verantwortungslose Weg chancenlos, nicht weil die Macht nicht triumphieren kann, sondern weil diese Triumph sinnlos für alle ist, und vor allem für die, die Anhänger dieser dummen Vorstellung von Frieden bleiben.
Und je mehr Zeit vergeht, desto mehr Menschen sogar unter den Vertretern und Anhängern werden verstehen, was tatsächlich im Land passiert. Und unter den normalen Bürgern wie auch unter den regionalen Abgeordneten und sogar unter den „Oligarchen“ die nicht so einfach in die Realität zu holen sind, wächst die Erkenntnis, dass die Wahl nicht zwischen Sieg und Niederlage besteht, sondern zwischen Weiterexistenz und dem totalen Zusammenbruch.
Eben diese Erkenntnis versucht Viktor Janukowitsch mit aller Macht zu verhindern, weil er mit einem kleinen Kreis Nahestehender in Frieden lebt, der sich der Logik dieser Welt verschlossen hat. Er denkt, einfach gesagt, in der Logik des Bunkers, in den er versucht alle hineinzutreiben, die er zu seinen Anhängern zählt.
Aber so viele Menschen passen einfach nicht in einen Bunker. Früher oder später müssen sie alle heraus kommen.
1. Februar 2014 // Witalij Portnikow
Quelle: Lewyj Bereg