OK!

Diese Website setzt Cookies für personalisierte Werbung und statistische Zwecke ein und es werden Daten zeitweilig gespeichert. Mehr Informationen zum Datenschutz

FacebookXVKontakteTelegramWhatsAppViber

Der verlorene Krieg

0 Kommentare

Ich kann verlieren. Während des Krieges ist das eine sehr wichtige Fertigkeit. Als ich nach Jahrzehnten der Abwesenheit in das noch sowjetische Kiew zurückehrte, das feindliche, sich vor Angst versteckende, fühlte ich mich als Sieger. Ich verstand die Hauptsache: ich habe mich selbst gewonnen! In den Karzern und den Hungerstreiks des Protestes habe ich dem eigenen Land, das gegen mich kämpfte, gesagt: «Ich bin dein Feind, tatsächlich dein Feind, denn ich kenne den Sinn der Worte «menschliche Würde»!».

Beinahe meine gesamte Jugend fand im Krieg statt. Neben mir setzten die Alten Banderowzy und baltischen «Waldbrüder» ihren endlosen Kampf für die menschliche Würde fort, die in den sowjetischen Gefängnissen und Lagern ihre 25-jährigen Strafen absaßen. Sie, eben sie, lehrten mich die Gewissheit der eigenen inneren Freiheit.

Das sowjetische Imperium ist zerfallen. Wie durch eine unheilbare Krankheit verfaulendes Gewebe, unfähig zur Regeneration. Bevor ich lernte diesem Übel zu widerstehen, es offen zu hassen, beschloss ich den für mich neuen Beruf des Bauarbeiters zu lernen. Nicht die professionelle Politik, nicht den Karriereaufstieg in der sogenannten medizinischen Wissenschaft. Mehr als 20 Jahre baute ich, mauerte, mischte Mörtel … Und jetzt vor kurzem wurde mir bewusst: ich setze zu kämpfen fort! Bereits mit einem anderen Staat, meinem der Definition nach. So schien es mir: meinem.

Mein Krieg geht weiter. Ein gemeiner, abscheulicher Krieg der Vergangenheit mit der Zukunft. In dem der Feind, der von mir gewählte Präsident, der von mir gewählte Abgeordnete ist. Schmutzige, dumme, doch sehr clevere und gierige wie sie haben meinen Traum zertrampelt. Sie haben ihn bereits zertrampelt, ich sehe das am Gesundheitsministerium. Die tausendköpfige Hydra der Ineffektivität, des geldfressenden Monsters, das folgerichtig den Samen des gesunden Menschenverstandes und der Zweckmäßigkeit tötet. Ich beobachte mit wachsendem Ekel, wie das System der öffentlichen Gesundheitsversorgung im Land auseinanderfällt und der auf den Posten eingeladene Minister verspricht ungesehene Labsalen für uns alle. Die erste, Hauptlabsal aus den versprochenen ist die Privatisierung der medizinischen Einrichtungen. Mit Schrecken stelle ich mir vor, wie diese ungeheuerliche Privatisierung auf ukrainisch vor sich geht und womit sie endet. Mit Gram beobachtet ich, wie ehrliche und professionelle medizinische Angestellte (ja es gibt sie und davon nicht wenig!) die Maske höriger Dummköpfe überstreifen, da ihnen von der Obrigkeit ambitionierte und halsstarrige Zerstörer vorgesetzt wurden.
Alexander KwitaschwiliGesundheitsminister Alexander Kwitaschwili, Foto: Max Trebuchow

Ich habe versucht, erhört zu werden. Öffentlich und nichtöffentlich. Der Minister hört nicht. Nichts hört er. Die ukrainische Sprache nicht kennend, unterzeichnet der hohe Beamte fiebrig Dokumente, Pattsituationen im System schaffend. Die Realität des ukrainischen Systems nicht kennend (und diese unterscheidet sich heftig von dem ihm gewohnten georgischen), hat er sich mit einer dienstfertigen Meute von Einflüsterern umgeben, die ausschließlich ihre persönlichen Ziele materieller Natur verfolgen.

Mein Krieg geht weiter. Wünschend erhört zu werden, spreche ich immer öfter laut davon, wofür auf den Straßen geschossen wird. Aus Verzweiflung, nicht aus suizidalen Absichten. So sind die Bedingungen meines persönlichen Krieges. Ich weiß, ich werde niemals siegen. Nun, ich verstehe es, zu verlieren. In der Jugend hungerte ich 114 Tage und Nächte mit Zwangsernährung per Sonde. Ich vermochte es nicht die Rechtsmaschine der totalitären UdSSR davon zu überzeugen, humaner und gerechter zu sein.

Heute weiß ich: der niemals in der Ukraine gelebt habende georgische «Legionär» ist seinen Gewohnheiten den oberen Staatsangestellten näher als etwa ich, der ewig fordernde und anklagende.

Ich bin müde vom Kämpfen. Ich bin es leid Don Quichotte zu sein. Laut von allseits bekannten Tatsachen zu sprechen. Es ist Zeit einzugestehen, in erster Linie sich selbst: alles, was ich getan habe, erwies sich als vergeblich. In diesem Land wird immer der allmächtige sowjetische Apparat gewinnen – frech, brutal, gierig. Und noch: die Opfer auf dem Maidan waren vergeblich, so wie die Tode meiner Mitbürger im Osten der Ukraine vergeblich sind. Wie die vorzeitigen Gefängnistode meiner Freunde Wassyl Stus, Walerij Martschenko und vieler anderer vergeblich waren. Doch ich kann verlieren. Daher werde ich unbesiegt gehen und das jetzt, im Jahr 2015. Ich werde ein Schreiben an meine westlichen Freunde, ihre Regierungen, an die internationalen Fonds, an die Botschaften in meinem Land vorbereiten. Und ich werde sie alle lediglich um eines bitten: jede finanzielle und materielle Hilfe für das Gesundheitsministerium der Ukraine einzustellen. Aufgrund der Sinnlosigkeit der Hilfe. Schlussendlich helfen sie uns nicht mit Geldern aus ihrer eigenen Tasche, diese festigen die ukrainische Korruption nur mit Mitteln ihrer eigenen Steuerzahler. Die Fortsetzung dessen ist unmoralisch.

Ich werde nicht ausreisen. Hier sind meine Lebenden und meine Toten. Ich bleibe bei ihnen. Es wird viel freie Zeit für Erinnerungen geben, wo Iwan Switlytschnyj, Walerij Martschenko, Stepan Mamtschur und Dmitro Bassarab noch lebendig und bei mir sind. Dort, in der Vergangenheit, wissen sie noch nichts von der Gemeinheit und Niedertracht derjenigen, die sich mit ihren Namen und ihrem Traum wappnen. Derart wird mein Sieg sein. Mein persönlicher Sieg und danach, dann kann ich dort dem Allmächtigen aufrichtig sagen: «Ich habe mich bemüht, lange und eifrig bemüht. Man hat mich nicht vernommen.»

20. Februar 2015 // Semjon Glusman, Arzt, Mitglied des Kollegiums des Staatlichen Gefängnisdienstes der Ukraine

Quelle: Lewyj Bereg

Den täglichen oder wöchentlichen Newsletter abonnieren und auf dem Laufenden bleiben!

Übersetzer:   Andreas Stein — Wörter: 827

Hat Ihnen der Beitrag gefallen? Vielleicht sollten Sie eine Spende in Betracht ziehen.
Diskussionen zu diesem Artikel und anderen Themen finden Sie auch im Forum.

Benachrichtigungen über neue Beiträge gibt es per Bluesky, Facebook, Google News, Mastodon, Telegram, X (ehemals Twitter), VK, RSS und täglich oder wöchentlich per E-Mail.

Artikel bewerten:

Rating: 5.6/7 (bei 14 abgegebenen Bewertungen)

Neueste Beiträge

Aktuelle Umfrage

Werden die von Trump eingeleiteten Friedensgespräche erfolgreich sein?
Interview

zum Ergebnis
Frühere Umfragen
Kiewer/Kyjiwer Sonntagsstammtisch - Regelmäßiges Treffen von Deutschsprachigen in Kiew/Kyjiw

Karikaturen

Andrij Makarenko: Russische Hilfe für Italien

Wetterbericht

Für Details mit dem Mauszeiger über das zugehörige Icon gehen
Kyjiw (Kiew)10 °C  Ushhorod11 °C  
Lwiw (Lemberg)9 °C  Iwano-Frankiwsk12 °C  
Rachiw6 °C  Jassinja7 °C  
Ternopil9 °C  Tscherniwzi (Czernowitz)11 °C  
Luzk10 °C  Riwne11 °C  
Chmelnyzkyj9 °C  Winnyzja9 °C  
Schytomyr8 °C  Tschernihiw (Tschernigow)7 °C  
Tscherkassy8 °C  Kropywnyzkyj (Kirowograd)7 °C  
Poltawa6 °C  Sumy5 °C  
Odessa11 °C  Mykolajiw (Nikolajew)10 °C  
Cherson10 °C  Charkiw (Charkow)7 °C  
Krywyj Rih (Kriwoj Rog)9 °C  Saporischschja (Saporoschje)8 °C  
Dnipro (Dnepropetrowsk)8 °C  Donezk9 °C  
Luhansk (Lugansk)8 °C  Simferopol6 °C  
Sewastopol9 °C  Jalta10 °C  
Daten von OpenWeatherMap.org

Mehr Ukrainewetter findet sich im Forum

Forumsdiskussionen

„Awarija hat uns mitgeteilt, dass es heute für den Preis von hundert €uro Spielzeugdrohnen gäbe, mit der ein Panzer vernichtet werden könne. Könnte mit einer solchen Drohne auch ein Leopard II oder...“

„Und warum zählst das jetzt auf? Panzer dürften keine Rolle mehr spielen. Um die 10.000 von den Russen sollen zerstört worden sein. Unbemerkt kann sich eine grössere Anzahl auch nicht mehr ansammeln....“

„Einen reinen Bewegungskrieg gibt es nicht. Falls es den Verteidigern gelingt, die feindlichen Angriffsverbände in einigen Abschnitten aufzuhalten, kann daraus ein Stellungskrieg entstehen. Zur Verteidigung...“

„Panzer sind im modernen Krieg Dinos, zu schwerfällig, zu verwundbar, zu teuer. Jede 100€-Spielzeugdrohne kann so einen millionenschweren Koloß binnen Sekunden vernichten. Die Russen setzen sich inzwischen...“

„..... Sind solche gewaltigen Panzer-Operationen, die im Sommer 1941 real vollzogen worden sind, in der Gegenwart nicht mehr möglich? Damals hatte man auch mit riesigen Bomberschwärmen angegriffen. Das...“

„Eine Anmerkung zur Kriegsgeschichte: sind die Erkenntnisse aus dem Zweiten Weltkrieg heute technisch überholt? Als Student hörte ich in militärhistorischen Vorlesungen in Deutschland ungefähr Folgendes:...“

„@lev dann wünsche ich Dir eine gute Reise, es war sehr schön in LVIV, muss unbedingt nochmals so eine Rundreise machen. Ich habe so wundervolle Menschen kennengelernt, ich bin zutiefst beeindruckt! Es...“

„Danke Bernd für deine Eindrücke. Ich fahre Ende Mai wieder für mehrere Wochen nach Lviv. Nicht um Urlaub zu machen, sondern in unsere Wohnung. Hatte sie ja vor dem Krieg, aufwendig saniert und möchte...“

„Hallo liebe Forengemeinde und Mitleser, ich bin gerade auf einem Kurztripp durch die Ukraine. Es ist wunderschön wieder hier zu sein. Es fehlen die Touristen, gestern habe ich einen persönlichen und...“

„Kurzer Bericht, hab dann doch den Wachwechsel erwischt, bei den Polen ging dann bestimmt 45 Minuten gar nix. Und dann wurde in zwei Schüben eingelassen, ich finde, dann ging es in einem guten Tempo voran....“

„Bin jetzt da, 10 PKW vor mir, das ist akzeptabel, ist ja auch der 1.Mai. Bin zufrieden mit der Situation. @Frank Fahre immer noch ein schwarzes Auto... kennst doch meine Erfahrung mit der Polizei in UA...Kaffeebraun...“

„Probier doch einfach. Wenn der offen ist doch alles ok. Bin da glaube mal zurück drüber gefahren. War dann nur eine ewige Kurverei bis zur A4. Bin da aber eh erstmal bis Krakau. Kann natürlich auch...“

„Schade, dass es keine Info´s zu Zosin gibt, wer aber noch was weiß, bitte schreiben, ich fahre jetzt in 30 Minuten los und kann immer noch in ca. 10h bei einem Stopp nochmals nachlesen. Google Maps schickt...“

„Diesen Grenzübergang hatte ich schon auf dem Schirm, kenne ihn nur noch nicht. Kann jemand noch etwas zu Zosin sagen, wäre ja auch machbar oder lieber nicht? Vielen Dank Bernhard.“

„Hallo Bernd Es hängt etwas davon ab, wohin Du in Ukraine fahren möchtest. So wie es scheint möchtest Du (wie ich normalerweise) in Richtung Kiew fahren. Ich benütze deshalb seit Jahren den Übergang...“

„Ergänzend, möchte nach Luzk fahren, ist ja sicherlich nicht uninteressant für einen Ratschlag.“

„Möchte morgen über Nacht in die Ukraine fahren und plane die Ankunft an der Grenze sehr früh am Morgen. Fahre entweder über Polen oder ggf. über Tschechien, je nachdem was google maps empfiehlt. Normalerweise...“

„Das ist ein simples D-Visum, wie man es auch in Deutschland für die Beantragung einer Aufenthaltsgenehmigung braucht. Man benötigt dazu keine Mindestaufenthaltszeit. Auch bei der Aufenthaltserlaubnis...“

„Zunächst möchte ich sagen, daß die PKP für die Sitzplatzzüge, die zum Beispiel von Kattowitz bis nach Przemysl fahren, die Preise nicht erhöht hat. Allgemein gilt die Polnische Staatsbahn eher als...“

„"Warum verlangt die PKP von den Fahrgästen solch einen Preis ?" - Weil sie es können ... Die Nachfrage dürfte weiter hoch sein und weil es keine vergleichbaren Alternativen gibt (Buslinien über Nacht...“

„Die Polnische Staatseisenbahn PKP Intercity S.A. erhöhte für den Schlafwagen-Zug D 68 am 1. Februar 2025 die Fahrpreise um + 38 Prozent. : Vom Warschauer Ostbahnhof fährt abends um 17.49 Uhr der Schlafwagen-Zug...“

„Hallo. Meine Ex-Frau ist schon über 22 Jahre in Deutschland. Jetzt benötigt sie einen Termin für das Konsulat. Aber es werden nur Termine über Diia vergeben. Kann uns jemand erklären wie das genau...“

„Hallo..... Ich benötige nochmals euer Schwarmwissen.... Bin seit Dezember letzten Jahres in der Ukraine verheiratet worden Jetzt meine Frage.....ich habe auf der Seite der ukrainischen Botschaft einen...“