Der Besuch von Wiktor Janukowitsch am 20. Oktober in Brüssel bleibt von einer Absage seitens der Europäischen Kommission bedroht. Beim Außenministerium der Ukraine bereitet man sich darauf vor als erstes über eine Änderung der Pläne des Staatsoberhauptes zu informieren, da man eine „negative Variante“ der Entwicklung der Ereignisse nicht ausschließt. Die wahrscheinlichere Variante bleibt übrigens aber die „optimistische Variante“, die den Beschluss eines Gesetzes am Dienstag vermutet, welches den Freispruch Julia Timoschenkos beim Berufungsgericht ermöglicht und damit den Abschluss der technischen Runde der Verhandlungen über die Freihandelszone zwischen der Ukraine und der EU am Mittwoch und das Treffen des Staatsoberhauptes mit der Führung der Europäischen Kommission am Donnerstag.
Am Freitag bestätigte die Europäische Kommission zum ersten Mal offiziell, dass das vorher angekündigte Treffen von Wiktor Janukowitsch mit der Führung der EU nicht zustande kommen könnte. „Eine endgültige Entscheidung wird in den nächsten Tagen getroffen“, erklärte die Pressesekretärin der Europäischen Kommission, Pia Ahrenkilde Hansen. Ein Gesprächspartner des “Kommersant-Ukraine” beim außenpolitischen Dienst der EU bestätigte diese Information: „Wir bereiten uns sowohl auf den Besuch als auch auf die Variante der Absage vor“.
Wie dem “Kommersant-Ukraine” eine informierte Quelle in Brüssel mitteilte, informierte die EU-Führung Kiew über die Umstände, unter denen ein Besuch stattfinden könnte: „Die Europäische Kommission übermittelte Janukowitsch eine inoffizielle Mitteilung darüber, dass mit ihm solange keine Gespräche geführt werden, wie er keine entschlossene Reaktion in der Strafsache Timoschenko zeigt. Bis Dienstag/Mittwoch soll Janukowitsch dieses Problem lösen“.
Bei der EU fordert man keine Freilassung Julia Timoschenkos in der angegebenen Frist, da man begreift, dass dies unmöglich ist. Die Gesprächspartner des “Kommersant-Ukraine” erwarten die Annahme des Gesetzes zur Humanisierung des Strafgesetzbuches durch das Parlament und die anschließende Unterzeichnung durch den Präsidenten in einer Redaktion, welche die vollständige Rehabilitierung der Führerin von „Batkiwschtschyna/Vaterland“ bei der Prüfung der Berufung ermöglicht. Damit erschöpfen sich die Forderungen der EU ab nicht. Brüssel besteht auf einer objektiven Prüfung der Strafverfahren gegen die anderen Oppositionspolitiker und auch ihre Zulassung zu den Parlamentswahlen und beabsichtigt ebenfalls von Kiew „bestimmte Änderungen in der Wahlgesetzgebung“ zu fordern. „Die Beziehungen zwischen der Ukraine und der EU werden bereits nicht mehr diejenigen sein, wie früher“, erklärte einer der europäischen Diplomaten.
Am Freitag entbrannte in der Presse ein weiterer Skandal, der mit den Verhandlungen zwischen der Ukraine und der EU auf oberster Ebene in Verbindung steht. Bei der Abteilung für Informationspolitik im Außenministerium informierte man über die für den 17. Oktober geplante Anreise des EU-Kommissars für Handelsfragen, Karel De Gucht, in Kiew. „Dieser Besuch findet nicht statt und er war nicht geplant“, verkündete man bei der EU-Vertretung in der Ukraine im Gegenzug. Beim Außenministerium war man gezwungen zuzugeben, dass der EU-Kommissar an dem angegebenen Tag nicht in Kiew sein wird. „Die Reise von Karel De Gucht war dennoch angesetzt, doch wurde danach die Entscheidung getroffen, dass der Erste Vizepremier, Andrej Kljujew, selbst nach Brüssel reist, wo am 19. Oktober dessen Gespräche mit dem Europakommissar stattfinden werden“, erläuterte dem “Kommersant-Ukraine” der Leiter der Abteilung für Informationspolitik beim Außenministerium, Oleg Woloschin. „Diese Änderungen im Zeitplan waren noch vor dem Urteil für Timoschenko abgestimmt worden und haben demgemäß nichts gemein mit ihm“.
Ein Informant bei der Delegation, die Kljujew begleitet, bestätigte dem “Kommersant-Ukraine”, dass die Verlegung der Gespräche vorher abgestimmt wurde. In Brüssel findet nicht nur ein Treffen des Vizepremiers, sondern auch die abschließende Runde der Verhandlungen über die Schaffung einer Freihandelszone zwischen der Ukraine und der EU statt. Entgegen den vorher ertönten Erklärungen ukrainischer Staatsbediensteter sind die Verhandlungen zur Freihandelszone in einer Reihe von Bereichen bislang nicht abgeschlossen.
Darunter ist, dass beide Seiten noch nicht zu einer Übereinkunft bezüglich der Exportzölle für Leder von Großhornvieh, Schrott von Eisen- und Nichteisenmetallen und Sonnenblumenkernen gekommen sind. Die Ukraine besteht wie gehabt auf der Einführung einer Übergangsperiode für den Zugang ukrainischer Spediteure zum EU-Markt (Brüssel weigert sich, den Transportmarkt für ukrainische Unternehmer zu öffnen). Die Diskussion zu den Garantien des Gastransits über das Territorium der Ukraine und über die Übergangsperioden für die Senkung der Importzölle für europäische Autos auf Null wird ebenfalls fortgesetzt.
Im Falle dessen, dass am 19. Oktober all diese Positionen geschlossen werden, erhält Wiktor Janukowitsch die Möglichkeit in Brüssel offiziell den Abschluss der Verhandlungen über die Freihandelszone mit der EU zu verkünden. Ein hochgestellter ukrainischer Diplomat, der an der Vorbereitung des Besuchs beteiligt ist, versicherte dem “Kommersant-Ukraine”, dass das Team von Kljujew auf einen Erfolg eingestellt ist. „Uns wurde versichert, dass am 18. Oktober in der Rada die Abstimmung zum Gesetz über die Entkriminalisierung stattfindet, der Beschluss dazu wurde bereits gefällt“, ist sich der Informant des “Kommersant-Ukraine” sicher.
Übrigens bestätigen andere Gesprächspartner des “Kommersant-Ukraine”, dass man sich in Kiew auch auf die „negative Variante“ vorbereitet: die Absage des Präsidentenbesuchs für den Fall, falls ein positives Ergebnis für seine Reise nicht offensichtlich wird. Eben aus diesem Grunde gibt es auf der Präsidentenseite bislang keine entsprechende Ankündigung und beim Außenministerium bekräftigt man, dass das Reisedatum bisher noch nicht abgestimmt ist. Dabei werden in der außenpolitischen Behörde weitaus spätere Reisen angekündigt. Beispielsweise beabsichtigt Wiktor Janukowitsch vom 21. bis 24. Oktober Kuba und Brasilien zu besuchen. „Es ist nicht ausgeschlossen, dass wir (die ukrainische Seite) selbst verkünden, dass es für den 20. Oktober keinen Besuch geben wird“, erklärte ein ukrainischer Diplomat dem “Kommersant-Ukraine”.
Sergej Sidorenko
Quelle: Kommersant-Ukraine
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