„Don’t follow the crowd, let the crowd follow you.“ – Margaret Thatcher
Eines der Schlüsselargumente in jeder Situation in der Ukraine sind die Worte der Meinungsführer. Oft hat es keine Bedeutung, ob es ein Aktivist, Blogger, Priester oder Künstler ist – sie alle werden Führer der gesellschaftlichen Meinung genannt. Eine besondere Aktivität dieser „Anführer“ zeigt sich während des Wahlprozesses, wenn sie dazu auffordern die eine oder die andere Partei oder den einen oder anderen Kandidaten zu unterstützen, da sie „persönlich von ihnen überzeugt“ sind.
Eine andere Variante der Führer sind Politiker, an die wir, der Meinung der Mehrheit nach, Führerfunktionen delegiert und eine gewisse Verhaltensweise delegiert haben. Jemand wird zum Führer per Definition, indem er den einen oder anderen Posten erhalten hat, und muss die Rolle des Anführers ausfüllen, obgleich er keiner ist.
Was wird bei uns ständig über Führer gesagt? Das ist derjenige, der anführt, der immer vorn ist und siegt, er trifft Entscheidungen und alle vertrauen ihm, er ist reich und erfolgreich. Das ist nur ein Teil der Wahrheit. Denn ein Anführer ist vor allem derjenige, der bereit ist, Verantwortung zu übernehmen. Und wenn der Mensch, der uns anführt, nicht verantwortungsvoll ist, dann ist er kein Führer, sondern wahrscheinlicher ein Politiker.
Verantwortungsvolle Führerschaft – dabei geht es nicht nur um den Leiter des Landes, des Parlaments, der Regierung oder eines Unternehmens. Dabei geht es um die Bereitschaft wichtige, schwere und unpopuläre Entscheidungen in schwierigen Situationen zu treffen. Dabei geht es nicht nur um die Führung in Prozessen, sondern um die Bereitschaft Verantwortung unabhängig vom Posten im erforderlichen Moment zu übernehmen.
Das beste Beispiel für eine solche Führerschaft sind Militärs. Sie müssen während des Kampfes schwere Entscheidungen in Sekundenbruchteilen fällen und im Fall des Todes des Kommandeurs gibt es immer denjenigen, der bereit ist die Verantwortung für die Führung zu übernehmen und so geht es weiter bis zum letzten Soldaten.
Leider gibt es in der ukrainischen Politik keine solchen Führer und wahrscheinlich gab es sie auch nicht. Die politische Zweckmäßigkeit und die nächsten Umfragewerte wurden wichtiger als die Ergebnisse für die Gesellschaft. Eben deshalb können Parlamentsfraktionen eine Reihe von Änderungen zum Haushaltsbudget, die für sie vorteilhaft sind, ins Budget einbringen und dann nicht für das ganze Budget stimmen, denn sie „möchten die Verantwortung nicht auf sich nehmen“. Gute Personalinitiativen, die den Monopolen auf dem Energiemarkt und dem Einfluss der Oligarchen einen Schlag versetzen würden, scheitern, denn irgendeine Fraktion stimmt dagegen, dabei das schnelle Scheitern der Regierung erwartend, „damit die Ukrainer etwas begreifen“.
Abgeordnete stimmen nicht für die eine oder andere Entscheidung, denn „die Regierung trägt die Verantwortung“, „sollen sie zeigen, dass sie die Mehrheit haben“. Oder umgekehrt: eine Abstimmung der Parlamentsmehrheit nach dem Prinzip „man muss den Präsidenten unterstützen“, „wir müssen zeigen, dass wir die Macht haben“. All das sind grelle Beispiele dafür, dass niemand Verantwortung und die Strafe in Form von Wählerstimmenverlusten auf sich nehmen will. Eine klare und argumentierte Positionen, wenn sich auch unpopulär ist, ist eine große Seltenheit in unserer Politik.
Man kann lange von Patriotismus, der russischen Aggression und dem ukrainisch-russischen Konflikt sprechen. Doch Doch hinreichend oft bauen die Thesen der Politiker auf Emotionen und dem Schüren von Feindseligkeit auf. Für sie sind das Umfragewerte und zusätzliche Mandate in der Werchowna Rada. Für die Gesellschaft sind das Probleme auf Jahre. Man kann so oft wie man will [Ex-Präsident Petro] Poroschenko als Führer und Hetman bezeichnen, doch, im Hinblick auf das Gesagte, wird er nie zu einem verantwortungsvollen Anführer werden.
Das Schüren von Feindschaft und das Spiel mit schmerzhaften und emotionalen Momenten der ukrainischen Geschichte und des Jetzt – das ist eine weitere Verantwortungslosigkeit der Politiker. Für sie ist das ein Instrument des Erreichens politischer Ziele und niemand denkt an die Folgen. Ich erinnere daran, dass DNR und LNR [die sogenannten Donezker und Lugansker Volksrepubliken im Donbass] aufgrund solcher Flirtereien mit dem Separatismus 1993 und 2004 entstanden. In beiden Fällen brachten sie den Organisatoren politische Dividenden, doch führten sie im Resultat zu einer Katastrophe.
Etwas anders gehen die Oppositionsplattform für das Leben und die prorussischen Kräfte vor. Sie schlagen sofort einen Diktator vor, doch nennen sie ihn Führer. Das mangelnde Verständnis der Leute, wie ein Führer sein sollte, das begrenzte Bewusstsein von den notwendigen Eigenschaften für ihn (stark, sportlich, forsch und reich) macht es möglich die gesellschaftliche Meinung zu manipulieren, das anzubieten, was weder Poroschenko, noch [der aktuelle Präsident Wolodymyr] Selenskyj bieten können.
Ein Führer müsste den Bürgern die Möglichkeit geben sich selbst zu erweisen, Geld für ein würdiges Leben zu verdienen. Doch die „Beschützerin der sozial ungesicherten Ukrainer“ Julija Tymoschenko schlägt vor alles auf andere Weise zu lösen. Der Staat zahlt und ihr dient treu und schweigt. Ihr Verhalten ist ebenfalls weit entfernt von wirklicher Führerschaft, sie bietet uns ein Verhaltensmodell an und ist nicht bereit andere zu akzeptieren.
Auch Wolodymyr Selenskyj ist kein Führer. Zuallererst ist das an seinem Verhältnis zur Regierung sichtbar. Die Entscheidung trifft der Präsident, doch der Verantwortung überträgt er an den Ministerpräsidenten. Selenskyj hätte zum ersten wirklichen Landesführer werden können, wenn er seine These „ich bin nur für eine Amtszeit gekommen“ angefangen zu realisieren hätte und nicht die Folgen fürchten würde. Doch die ständige Orientierung auf die Meinung der Leute führte dazu, dass alle Entscheidungen nicht von den realen Bedürfnissen diktiert werden, sondern von dem Bestreben die Zuneigung der Massen zu erlangen.
Die Bürgermeister, die für Führer ihrer Gemeinschaften gehalten werden und die nach den Dezentralisierungsreformen und der Schaffung neuer territorialer Verwaltungseinheiten um einiges mehr an Möglichkeiten und Vollmachten erhalten haben, verhalten sich auch wie Jungs in ihrem Stadtbezirk und nicht wie Führer. Ihr Eintreten in Konflikte mit der Zentralregierung ist Verantwortungslosigkeit und nicht das Zeigen der Unabhängigkeit der örtlichen Selbstverwaltung. Die Dezentralisierung stellt neue Entwicklungsprojekte für die Gemeinschaften sicher und nicht dafür, um das Leben, die Gesundheit und das Wohlergehen der Menschen zu gefährden.[Der Autor meint die (kurzzeitige) Weigerung einiger Bürgermeister Lockdowns und bestimmte Quarantänemaßnahmen in ihrer Stadt umzusetzen. A.d.Ü.]
Das Fehlen von Führern und die ständige Manipulation unserer Politiker führten dazu, dass nicht wenige Ukrainer in [Belarus Präsident Alexander] Lukaschenko einen guten Manager sehen, sogar nach der gewaltsamen Niederschlagung der Versammlungen. Wir hören damit auf einen Führer zu suchen und sind sogar bereit uns einem Diktator anzuvertrauen. Wir brauchen denjenigen, der Entscheidungen für uns trifft. Eben deswegen gibt es viele derjenigen, die unzufrieden mit den Ergebnissen des Majdans sind. Bis dahin hatten die Leute einen Herrscher, der sagte, was zu tun ist und nach 2014 hing das Leben mehr von ihnen selbst ab. Daher halten neun Prozent der Ukrainer [Wiktor] Janukowytsch weiter für den besten Präsidenten.
Die Worte Margaret Thatchers beschreiben die Situation in der Ukraine sehr gut, wie pathetisch sie auch sein mögen. Unsere Politiker und Landesführer wollten und wollen sich für ihre Handlungen nicht verantworten, sie waren und sind keine verantwortungsvollen Führer. Daher entscheidet alles, was bei uns geschieht, die Straße, die Menge, die ebenfalls nicht verantwortungsvoll, sondern emotional handelt.
28. Januar 2021 // Stanislaw Besuschko
Quelle: Zaxid.net
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