"Der Tod ist ein absoluter Reiniger" - Foto: Alexander Ratuschnjak
Der gesunde Menschenverstand hat also wieder verloren. Das ist unser Schicksal. Das Lustrationsgesetz wurde verabschiedet. Es soll die Reinigung der Behörden von politisch belasteten Mitarbeitern zum Ziel haben. Eingeschüchtert von einem geschickt organisierten Volkszorn und brennenden Autoreifen haben unsere unangefochtenen Abgeordneten dafür gestimmt. In einem Staat, in dem Geist und Wortlaut des Gesetzes ständig mit Füßen getreten werden, ist auf dem Feld des Gesetzgebers eine weitere Deklaration aufgetaucht. Sie ist sinnlos, schlecht erarbeitet und sie zerstört die Logik der Rechtsanwendung.
Passen Sie auf: Niemand von denen, die das scharfe Schwert der Lustrationsvergeltung auf ihrer Brust spüren sollten, hat aus Furcht seinen Palast verlassen, niemand hat sich erschossen.
Die zahlreichen potenziellen Objekte der Lustration haben keinen Schrecken bekommen, weil sie wissen: Deklarationen funktionieren in unserem Land nicht.
Die große juristische Öffentlichkeit hat sich ebenso wenig empört. Und obwohl das alle diese Doktoren und Rechtsgelehrten verstehen: Das Lustrationsgesetz, das die Werchowna Rada unter dem Druck der Straße verabschiedet hat, ist kein Rechtsdokument. Es widerspricht sogar dem Recht. Denn ein effektiv funktionierendes Rechtssystem muss eine sorgfältig überprüfte Logik haben. Unser Lustrationsgesetz aber schert aus dieser Logik eindeutig aus. In einem Land, in dem es durchaus konkrete Normen im Strafgesetz gibt, die das rechtswahrende System und die Gerichte dazu verpflichten, hochrangige Beamte, die moralische und juristische Normen übertreten, zu bestrafen, sieht die durchaus des Sehens mächtige Göttin Themis diese Sünder nicht. Sie sieht sie überhaupt nicht. Denn Themis selbst besteht aus ihnen.
Es ist so: Die Strafverfolgung hochrangiger Rechtsverletzer (Diebe, Mörder etc.) ist faktisch unmöglich. Dennoch sprechen wir von irgendeiner Lustration. Genau so ist es, von irgendeiner. Von einer, die für den Verbrecher ungefährlich, doch für uns, die Gesellschaft, sehr gefährlich ist. So schreiten wir in die zivilisierte europäische Welt: Zuerst wählen wir einen der wichtigsten Beamten des kommunistischen Systems zum Präsidenten, der sogar über dem fast allmächtigen Komitee der Staatssicherheit stand. Etwa 20 Jahre später nehmen wir ein Lustrationsgesetz an, das Leutnants und Hauptmänner des KGB, die die Weisungen der wichtigsten ideologischen Behörde jenes Landes blind ausführten, verbietet, im staatlichen System zu arbeiten.
Was ist der Ausweg? Es gibt keinen. Und es kann keinen geben. Die Lustrationsbemühungen sind sinnlos, das Kind kommt nicht auf die Welt. Es gibt ein sehr seltenes Phänomen in der medizinischen Praxis: die Scheinschwangerschaft. Es scheint, dass wir Ukrainer schon sehr lange an dieser Pathologie leiden. Wir möchten in einem sauberen und satten Land aufwachen, wo ideale Beamte von morgens bis abends alle unsere Bedürfnisse zufriedenstellen, in Schulen und Kindergärten Gutes, Vernünftiges und Ewiges säen. Wir wollen das sehr. Doch dafür müssen wir alle Spiegel zerschlagen, die wir im Land haben, sowohl in Privathäusern und Wohnungen als auch in öffentlichen Toiletten und Behörden. Denn wenn man sich selbst nicht sieht, ist es leichter an die eigene Tugendhaftigkeit zu glauben.
…und ich war so naiv, dass mir schien, es sei aus einem völlig anderem Grund unausweichlich, unsere Gesetzgeber mit brennenden Reifen stark unter Druck zu setzen. Es schien mir, man müsse eine Änderung der Wahlgesetzgebung fordern, eine Öffnung der Wahllisten der Parteien, Sanktionen gegen unlautere Abstimmungspraktiken im Parlament (Stimmabgabe nach Tschetschetow) etc.
Im Übrigen ist der Ausweg derselbe – ein ewiger. Wir werden alle sterben, sogar diejenigen unter uns, die so gewitzt waren, in einigen Jahren Milliarden und Millionen Dollar anzuhäufen – durch verbrecherische Machenschaften, die physische Beseitigung von Konkurrenten oder mit dreistem, offenem Diebstahl. So wird es geschehen. Der Tod ist ein absoluter Lustrator (Reiniger).
22. September 2014 // Semjon Glusman, Arzt, Mitglied des Kollegiums des Staatlichen Dienstes für Strafvollzug der Ukraine
Quelle: Lewyj Bereg
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