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Verhandlung, Depression, Zustimmung

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Verhandlung, Depression, Zustimmung - Wolodymyr Selenskyj

Am Anfang war das Verneinen.

Ein Clown kann nicht im Präsidentenrennen führen. Ein ideenloser Humorist, der keine politische Erfahrung hat, kann nicht den amtierenden Präsidenten mit Armee, Sprache und Glaube [Hauptwahlkampflosung von Petro Poroschenko, A.d.Ü.] schlagen. Die Wahlumfragen sind fabriziert, gemalt, gekauft.

Schaut auf die Abstimmung bei Facebook. Sogar wenn die veröffentlichte Soziologie nicht aus den Fingern gesogen ist, wird die Wählerschaft von Selenskij [Wolodymyr Selenskyj] trotzdem nicht in die Wahllokale gehen.

Erinnert Euch an UDAR [ehemaliger und vielleicht zu den Parlamentswahlen bald wiederbelebter Wahlverein des nunmehrigen Kiewer Bürgermeisters Vitali Klitschko, A.d.Ü.], die bei den Wahlen halb so viel Stimmen bekamen, wie in den Umfragen. Am 31. März wird die Seifenblase mit dem Namen Se unvermeidlich platzen! [Se!Komanda, Se!Präsident – Bestandteil des Brandings des Wahlkampfs von Wolodymyr Selenskyj, A.d.Ü.]

In der Folgezeit ging die Verneinung gleitend in Zorn über.

Selenskij wird von Volltrotteln, Infantilen und Kleinrussen unterstützt. Idioten, Analphabeten, Vieh. Hirnlose Jugend, die sich in drittklassigen Hochschulen eingegraben hat. Dumme Banausen, die fressen, wiehern und schlafen möchten.

Ukrainophobe, in die Sowjetzeit und die russische Welt verliebte. Aus Donezk geflüchtete Putinfans/Watniki [aus dem russischen Diskurs entlehnter Begriff für Putinfans bzw. Anhänger der russischen Welt. Wortwörtlich sind damit Wattejackenträger gemeint. Vergleichbar mit dem Unterschichtendiskurs in Deutschland, A.d.Ü.], die hinterhältig über das Land verstreut sind und es bis nach Wolhynien und das Gebiet Riwne geschafft haben.

Verräter, die erschossen werden müssen – sollen doch sechs bis acht ukrainische Gebiete/Oblaste verloren gehen. [gemeint ist der erst 2015 aus Moskau in die Ukraine übergesiedelte krimtatarische Journalist Aider Muschdabajew, A.d.Ü.]

Die Stadien der Annahme des Unvermeidlichen, die von der Amerikanerin Elisabeth Kübler-Ross beschrieben wurden, sind traditionell populär im belesenen Publikum. Sie werden gern und oft bemüht, angemessen oder nicht, im Scherz oder ernsthaft.

Doch leider ist es schwer ein illustrativeres Beispiel für die Reaktion auf den Präsidentschaftswahlkampf von Wladimir Selenskij [Wolodymyr Selenskyj] zu finden.

Die Reaktion eines Teiles der ukrainischen Gesellschaft, für den der Sieg von Se ähnlich einem nicht operierbaren Krebs ist.

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Diese Leute kann man undifferenziert als „Porochobots / Poroschenko-Bots“ bezeichnen. Ihre kürzliche Selbstsicherheit und Einbildung auslachen.

Schadenfreude ob der Informationsblase zeigen, in der diese sich selbst einsperrten. Doch, wie es auch immer sei, sind das Leute mit einer aktiven Bürgerposition, die in vielem die öffentliche Agenda der Ukraine definieren. Und jetzt sind sie wirklich nicht zu beneiden.

Die Soziologie, die ihre Stichhaltigkeit unter Beweis gestellt hat, lässt dem derzeitigen Präsidenten fast keine Chance.

Die klassischen Beispiele der Wiederwahl Jelzins und Kutschmas sind für uns bereits nicht mehr aktuell: der ungeliebte Boris Nikolajewitsch (Jelzin) und der unpopuläre Leonid Danilowitsch führten dennoch nach der ersten Runde. Und den zweistelligen Rückstand auf den Führenden mit einem 50-prozentigen Ablehnungswerten aufzuholen ist wenig wahrscheinlich.

Retten können Pjotr Alexejewitsch [Petro Olexijowytsch] höchstens extreme Szenarien: Eben jene, welche die Ukraine am 31. März vermied.

So oder anders haben die Leugnung und der Zorn der regierungstreuen Öffentlichkeit sich erschöpft. Doch, entsprechend der Lehre von Frau Kübler-Ross, bleiben noch drei Stadien. Drei gedankliche Positionen, drei Sichtweisen auf die Vorgänge. In verschiedenen Varianten figurieren sie bereits im ukrainischen öffentlichen Raum.

Erstens: Verhandeln

Es ist noch nicht alles verloren. Auf der Zufahrtsstraße zur Bankowaja [Sitz des Präsidenten, A.d.Ü.] kann man den Kandidaten Se noch aufhalten. Ausspielen, diskreditieren, unschädlich machen. Das Volk mit der bevorstehenden Apokalypse einschüchtern, wenngleich eine inbrünstige Panikmache nicht erst seit einem Monat betrieben wird.

Alle für Poroschenko mobilisieren, die man mobilisieren kann, obgleich das maximale Mobilisierungsniveau bereits vor dem ersten Wahlgang erreicht wurde. Der amtierenden Regierung einen Blankoscheck für jegliche Kampfmethoden ausstellen: noch grober Verwaltungsressourcen einsetzen, massiver Wählerstimmenkauf, direkte Fälschungen, obgleich das alles die Ukraine in den Augen des Westens befleckt.

Im äußersten Fall ist eine Torpedierung der Wahlen möglich, obgleich man äußerst ungern darüber nachdenkt.

Zweitens: Depression

Alles ist verloren. Die herannahende Katastrophe in Person von Se ist nicht mehr aufzuhalten. Das ist das Ende der unabhängigen Ukraine. Es wiederholt sich die nationale Tragödie von vor einhundert Jahren. Vor uns liegen Finsternis und Ausweglosigkeit. Der Verlust alles Erreichten in den vergangenen fünf Jahren.

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Eine schändliche Kapitulation vor dem Kreml, wirtschaftlicher Zusammenbruch, der Verzicht auf die euroatlantische Integration, der Verlust von Visafreiheit und Tomos, die Preisgabe der ukrainischen Kultur, Geschichte und Sprache.

Wir gehen in die innere Emigration. Geben die Freiwilligendienste und andere zivilgesellschaftliche Aktivität auf. Packen die Koffer und verlassen das Land.

Schlussendlich: Zustimmung

Die Niederlage von Pjotr Alexejewitsch (Petro Olexijowytsch Poroschenko) und der Sieg von Wladimir Alexandrowitsch (Wolodymyr Olexandrowytsch Selenskyj) ist noch nicht das Ende der Welt. Die Ukraine ist eine parlamentarisch-präsidiale Republik, die unter dem neuen Präsidenten alle Chancen hat zu einem vollwertigen parlamentarischen Modell überzugehen.

Selenskij fehlen die Kompetenzen, um alles zu machen, wonach ihm oder seinen Gönnern gelüstet. Im Herbst stehen Parlamentswahlen an, bei denen es eine Revanche geben kann.

Noch vor den Wahlen muss der siegreiche Se mit den einheimischen Eiferern und ihrer Kraft rechnen. Und die Hauptsache: Im Falle eines Sieges von Selenskij geraten seine Gegner in eine äußerst vorteilhafte Lage. In der Rolle der Kritiker des unerfahrenen Präsidenten, der schnell seine Popularität verliert.

Denn in der ukrainischen Realität beginnt der Sieger, der als „geringeres Übel“ gewählt wurde, früher oder später wie das „größere Übel“ auszusehen: eben deswegen, weil er siegt.

Es versteht sich, dass das letzte Stadium, das konstruktivste von allen ist. Zu diesem gelangen gerade die einsichtigsten und weitsichtigsten der Anhänger Poroschenkos.

Die Akzeptanz einer fremden Wahl hilft bei der Wahrung der ukrainischen Einheit und der Festigung der einheimischen Institute.

Strategisch ist das eine erfolgssichere Position, die es erlaubt der wahrscheinlichen Präsidentschaft von Selenskij gut gewappnet zu begegnen. Doch taktisch trifft eine solche Rezeption den amtierenden Garanten, der den Kampf noch fortsetzt.

Die gedankliche Bereitschaft auf den Sieg von Se unterdrückt die panische Stimmung, die Pjotr Alexejewitsch zusätzliche Stimmen von eingeschüchterten Ukrainern bringen könnte. Doch, was noch wichtiger ist, sie behindert den Erhalt einer gesellschaftlichen Card Blanche für jegliche Methoden zur Neutralisierung von Selenskij.

Besonnenheit, Ruhe, Kaltblütigkeit sind für die Ukraine von Vorteil. Doch für den unterliegenden Kandidaten sind apokalyptische Erwartungen, Hysterie und Verzweiflung vorteilhaft.

Die Interessen des Landes erfordern keine Gleichheitszeichen zwischen der wahrscheinlichen Niederlage Poroschenkos und dem Zusammenbruch der ukrainischen Staatlichkeit.

Doch wenn die Anhänger der amtierenden Regierung aufhören das eine mit dem anderen gleichzusetzen, dann verliert Pjotr Alexejewitsch sogar die bescheidenen Chancen, die ihm noch verblieben sind.

Mit welchen Mitteln sie auf der Bankowaja sich auch anschicken für den Sieg zu kämpfen, sie werden nicht ohne den entsprechenden psychologischen Hintergrund funktionieren. Ohne das Halten der eigenen Sympathisanten in der erforderlichen emotionalen Starre. Und daher ist die erste Aufgabe von Pjotr Poroschenko und seines Teams die Stadien von Kübler-Ross zurückzudrehen. Die beginnende Zustimmung in Depression verwandeln und die Depression in Verhandeln.

6. April 2019 // Michail Dubinjanskij

Quelle: Ukrainskaja Prawda

Übersetzer:   Andreas Stein — Wörter: 1129

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