Der Minister für Bildung und Wissenschaften, Dmitrij Tabatschnik, teilte gestern mit, dass seine Behörde ein neues Konzept der Unterrichtung der Geschichte der Ukraine in den Schulen prüft. Dieses basiert auf einem anthroprozentrischen Ansatz – ein Studium der Geschichte von der Position der Personen ausgehend und nicht von einer bestimmten ethnischen Gruppe. Die Autoren der Konzeption glauben, dass diese die Auslegung der Ereignisse neutraler macht und strittige Momente vermeidet. Experten meinen, dass man die Geschichte unbedingt aus der Sicht der Staatsideologie lehren muss.
Gestern erzählte der Minister für Bildung und Wissenschaften, Dmitrij Tabatschnik, von der neuen Konzeption der Lehre der Geschichte der Ukraine in den Schulen. Seinen Worten nach, ist die Hauptidee der Verzicht auf den Ethnozentrismus – die Wahrnehmung von Ereignissen aus der Sicht einer einzelnen ethnischen Gruppe – und die Einführung eines anthroprozentrischen Ansatzes – die Auslegung der Ereignisse über die Wahrnehmung des einzelnen Menschen. „Diese Materialvorlage macht das Lehrbuch konfliktlos und human. Lügen in der Geschichte wird es weiter nicht geben!“, versprach der Minister. Dabei hob Tabatschnik hervor, dass man in den Lehrbüchern zur Geschichte den Terminus „Großer Vaterländischer Krieg“ nicht mit „Zweiter Weltkrieg“ und den Begriff „Tag des Sieges“ nicht mit „Ende des Krieges“ ersetzen darf.
Das ist nicht der erste Versuch die Lehrkonzeption für Geschichte in den Schulen zu ändern. Im letzten Jahr hat das Bildungsministerium das Schulprogramm für Geschichte gutgeheißen, wo die Hauptakzente auf dem Holodomor der Jahre 1932-33, die Massenrepressionen durch die kommunistische Regierung in den Jahren 1920-50, die Tätigkeit der Organisation Ukrainischer Nationalisten und der Ukrainischen Aufstandsarmee (OUN-UPA) und den Widerstand der Dissidentenbewegung gegenüber dem kommunistischen Regime gelegt wurden (Ausgabe des „*Kommersant-Ukraine*“ vom 11. Juni 2009 an).
Dem „*Kommersant-Ukraine*“ liegt der Entwurf der Konzeption vor, über die Tabatschnik informierte. Gemäß dem Dokument sollen die Schüler die Ukraine als Territorium wahrnehmen, wo Vertreter unterschiedlicher ethnischer Gruppen und Religionen leben. Die Autoren des Projekts, unter ihnen Natalja Jakowenko, Inhaberin des Geschichtslehrstuhls an der Nationalen Universität „Kiew Mohyla Akademie“, glauben, dass bei der Beleuchtung von Kriegen, interethnischen Konflikten und politischen Ereignissen im Lehrbuch Korrektive und ein neutraler Auslegungsstil beibehalten werden sollen.
Jakowenkos Meinung nach, schließt der anthoprozentrische Ansatz Konfliktfragen, die mit ethnischen Territorien und Staatsbildung verbunden sind, aus. „Derzeit stellen die Lehrbücher zur Geschichte eine Mischung aus nationaler und sowjetischer Geschichte dar, wo die Fakten durch das Prisma des Konflikts betrachtet werden, haupthandelnde Person ist dabei der Staat und das Hauptprinzip ist: ‘wer nicht mit uns ist, der ist gegen uns‘“, erklärte sie dem „*Kommersant-Ukraine*“. Dabei hob Natalja Jakowenko hervor, dass die Vertreter des Bildungsministeriums sich bislang nicht an sie für eine Nutzung dieser Ausarbeitungen in Schulprogrammen gewandt haben.
Experten kommentieren die neue Konzeption der Lehre der Geschichte unterschiedlich. So unterstützt das Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften, Pjotr Tolotschko, diese. Seinen Worten nach, ist es bei der Lehre der Geschichte notwendig ein positives Image der Ukrainer zu formen. „Derzeit sind die Ukrainer in Lehrbüchern als Volk dargestellt, welches ständig erniedrigt und unterdrückt wird. Doch gab es nicht nur Tragödien sondern auch Erfolge. Alle Erscheinungen, welche die Gesellschaft spalten – Holodomor, Tätigkeit der OUN-UPA – muss man adäquat beleuchten und nicht politisieren!“, sagte Tolotschko.
Mit ihm stimmt der Prorektor und Inhaber des Lehrstuhls für Neuere Geschichte der Saporoshjer Nationalen Universität, Professor Fjodor Turtschenko, nicht überein, der Autor des Lehrbuchs „Die neuere Geschichte der Ukraine“ für die 10. Klasse ist. Er ist überzeugt, dass man die historischen Ereignisse den Schülern unbedingt „aus Sicht einer harten staatlichen Ideologie und des Patriotismus“ näher bringen muss. „Eine neutrale Sichtweise spielt der neuen Regierung in die Hände. Wir dürfen die Geschichte nicht aus neutraler Sicht lehren. Im Vordergrund sollten die Akzente der ukrainischen nationalen Geschichte stehen!“, erklärte Turtschenko.
Julia Rjabtschun
Quelle: Kommersant-Ukraine
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