Aber: Wer kommt in die Ukraine?
Am 27. September tritt das neue Gesetz über das vereinfachte Verfahren zur Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer in unserem Land in Kraft.
Das Dokument mit der Bezeichnung „Über die Einführung von Veränderungen in bestimmten Gesetzesakten der Ukraine zur Reduzierung der Barrieren für ausländische Investitionen (bzgl. Wegfall der Registrierungspflicht für ausländische Investitionen sowie Änderungen bei der Beschäftigung und beim befristeten Aufenthalt von Ausländern)“ wurde auf Initiative von Unternehmen – den Mitgliedern der Europäischen Business Association – in Zusammenarbeit mit dem Abgeordneten Sergej Kiral ausgearbeitet. Aber was können wir von dem Gesetz erwarten?
Analoge Gesetze wurden seinerzeit in vielen europäischen Staaten, unter anderem bei unseren Nachbarn in Polen, in der Tschechischen Republik, in Russland, der Slowakei und in anderen Ländern, verabschiedet. Mit diesen wollen die betreffenden Länder Ausländer ermutigen, ihr Geld in die inländische Wirtschaft zu investieren, um anschließend die Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer zu vereinfachen.
Negativer Saldo
Aktuell sieht es hinsichtlich der Investitionen in der Ukraine nicht wirklich rosig aus. Die neu ins Land fließenden Investitionen können den Abfluss nicht kompensieren. Gemäß den Zahlen des Arbeitsamts der Oblast Lwiw ist die Gesamtzahl der Unternehmen mit ausländischen Investitionen um 19.1 Prozent gesunken. Am stärksten in Kiew – mit 29,1 Prozent. Und wenngleich die Regierung für diese Negativtendenz den Krieg im Osten verantwortlich macht, wissen eigentlich alle, dass dem de facto nicht so ist. Die eigentliche Ursache liegt in der politischen Instabilität, der Korruption, der Inkonsequenz und Unprofessionalität der Regierung – auf sämtlichen Ebenen. 2015 wurden in der Ukraine 22.356 Unternehmen mit ausländischem Kapital, in die ausländische Investitionen flossen, registriert. An der Spitze befindet sich Kiew mit 10.389 Unternehmen, was 46,4 Prozent entspricht. Danach folgen fünf Oblaste: Oblast Lwiw – 1.422, Oblast Dnipropetrowsk – 1.226, Oblast Odessa – 1.153, Oblast Charkiw – 1.134, Oblast Kiew – 850. Die übrigen Oblaste kommen jeweils auf 200 bis 300 Unternehmen mit ausländischem Kapital.
Ein analoges Bild zeigt sich bei der Anzahl der erteilten Arbeitsgenehmigungen für Ausländer. In Kiew (Stadt) wurden 5.404 (59,8 Prozent) Arbeitsgenehmigungen erteilt, in der Oblast Lwiw – 352 (3,9 Prozent), in der Oblast Dnipropetrowsk – 359 (4,0 Prozent), Oblast Odessa – 228 (3,2 Prozent), Oblast Charkiw – 202 (2,2 Prozent), Oblast Kiew – 537 (6,0 Prozent). In allen anderen Oblasten wurden zwischen 50 und 100 Genehmigungen erteilt, was etwa 0,5-1,0 Prozent entspricht. Insgesamt sind heute offiziell etwa 9.500 ausländische Arbeitnehmer in der Ukraine beschäftigt. In Wirklichkeit sind es allerdings sehr viel mehr.
Eine mögliche Maßnahme zur Erhöhung der Investitionen ist das Absenken der Beschäftigungsbarrieren für ausländische Arbeitnehmer.
Das neue Gesetz erweitert den Kreis der ausländischen Spezialisten, die in der Ukraine arbeiten dürfen, schafft die Vorrangprüfung ab, setzt den Mindestlohn für ausländische Arbeitnehmer fest – auf 32.000 bzw. 16.000 Hrywnja (etwa 1.000 bzw. 500 Euro, A.d.R.) in gemeinnützigen und Hilfsorganisationen sowie Bildungseinrichtungen. Die Liste der für eine Arbeitserlaubnis erforderlichen Dokumente wurde auf die Hälfte gekürzt. Zudem wurden die Fristen für den Erhalt einer Aufenthaltserlaubnis verkürzt.
„Meiner Meinung nach ist dies ein sehr positiver Schritt für die Ukraine“, sagt der Finanzdirektor von Gefele Ukraina, Igor Pichurko. „Bei uns sind momentan zwar keine Ausländer angestellt, aber ich erinnere mich daran, dass wir früher immer eine ganze Reihe von Problemen mit der Ausländerbehörde, dem Arbeitsamt hatten, wenn wir die Aufenthaltsgenehmigungen für unsere Ausländer verlängern wollten. Das war sehr schwierig und unsere Ausländer hatte das überrascht. Es wurde gesagt, dass mit ihnen nicht wenig Geld in die Ukraine gekommen sei. Es waren insgesamt etwa 500 Arbeiter beschäftigt, mit der Beschäftigung von einigen Ausländern aber, die allerdings für den Produktionsablauf bedeutend waren, tauchten Probleme auf.“
Der gleichen Meinung ist der Vorsitzende des Businessclubs „Club der Geschäftsleute“ Nikolaj Sawuljak. Allerdings mit einigen Einschränkungen. „Hier werden wir genau schauen müssen, wer diese Ausländer sein werden. Von Führungskräften aus dem mittleren Managements oder Top-Managern haben wir in der Ukraine nicht genug und sind froh, diese bei uns zu sehen. Wir haben aber auch nicht genügend einfache Arbeiter. Man kann zum jetzigen Zeitpunkt also nicht sagen, dass Ausländer in naher Zukunft uns unsere Arbeitsplätze wegnehmen werden. In unserem Unternehmen zum Beispiel haben wir heute einige unbesetzte Stellen, aber kaum Bewerber auf diese Stellen – trotz der recht guten Bezahlung. Warum ist das so? Weil wir einen Abfluss von Arbeitskräften nach Polen beobachten können. Und niemanden haben, der diese ersetzen könnte.“ Daher würde seiner Meinung nach die Beschäftigung von Ausländern zumindest in der ersten Phase nicht den Interessen ukrainischer Arbeitnehmer entgegenstehen.
Jede Medaille hat zwei Seiten
„Ein Vorteil des neuen Gesetzes ist, dass dieses ein positives Image eines für Investoren offenen Staats vermittelt, der die Aufenthaltsbedingungen für Ausländer vereinfacht“, sagt die Juristin Irena Najda. „Ein großes Plus des neuen Gesetzes besteht auch darin, dass ein ausländischer Arbeiter ab jetzt von einem einzelnen Unternehmer beschäftigt werden kann. Vorher konnte dies lediglich eine juristische Person.“
Allerdings sieht sie in den modifizierten Mindestgehältern ein Problem. Denn das Gehalt, das mindestens für ausländische Arbeitnehmer gezahlt werden muss, ist beträchtlich heraufgestuft worden. „Ich weiß nicht, wer von meinen Kollegen bereit ist, diese Gehälter zu zahlen. Als wettbewerbsfähig sind diese nicht zu bezeichnen. Als diskriminierend für die Ukrainer? Durchaus! Niemand kann die Höhe nachvollziehen. Und ob dadurch jetzt die Ausländer in der Ukraine legal beschäftigt werden? Wird dadurch nicht vielmehr der Anreiz geschaffen, dies zu verbergen“, fragt I. Najda.
Gemäß dem neuen Gesetz müssen ausländische Arbeitnehmer auch für die Verlängerung der Beschäftigungsgenehmigung zahlen. Die Höchstgebühr (die von der Länge der Genehmigung abhängt) beträgt 9.600 Hrywnja. Nach jetziger Gesetzgebung wird lediglich beim ersten Mal eine Gebühr (6.400 Hrywnja) verlangt. Angesichts des Preisanstiegs, der Steuerhöhe, der an den Staat zu zahlenden Gebühren gewinnt man den Eindruck, dass die Regelungen des neuen Gesetzes vor allem Großunternehmern zugute kommen sollen.
Und weiter? Wird dieses Gesetz zu einer riesigen Migrationsbewegung in die Ukraine führen?
„Nein. Diesbezüglich ist nichts zu befürchten“, sagt Oksana Iwantschuk, die 1. stellvertretende Vorsitzende des Arbeitsamts der Oblast Lwiw. „Wir hoffen natürlich, dass die Ausländer, die eine Arbeitsgenehmigung in der Ukraine bekommen werden, Experten auf ihrem Gebiet sein werden. Aber selbst wenn dies nur hochqualifizierte Facharbeiter mit hohen Gehältern sein sollten, können unsere Arbeiter von diesen etwas lernen.“
Aber einen Zustrom billiger Arbeitskräfte aus Asien, Afrika, China oder Indien wird es ihrer Meinung nach nicht geben.
Wie das Gesetz allerdings in der Praxis funktionieren wird, sagt bislang niemand. Dabei gibt es einige Risiken. Insbesondere aufgrund der hohen Löhne. „Ich befürchte, dass die Unternehmen nach Möglichkeiten suchen werden, die hohen Kosten und Steuern im Zusammenhang mit der Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer zu umgehen“, sagt Irena Najda. Dass jetzt weniger Dokumente für den Antrag erforderlich sind, könnte ein „Türchen“ für unqualifizierte Arbeiter öffnen.
Während Ausländer früher ihr Zeugnis über einen höheren oder mittleren Ausbildungsabschluss, ein ärztliches Attest sowie ein Führungszeugnis vorlegen mussten, ist dies im neuen Gesetz nicht vorgesehen.
Zur Beschäftigung eines ausländischen Arbeitnehmers werden zukünftig lediglich die Bewerbung, ein Foto, ein Entwurf des Arbeitsvertrages sowie eine Übersetzung des Passes erforderlich sein. Ein Abschlusszeugnis wird nicht mehr nötig sein! Das Wort „Diplom“ ist im neuen Gesetz lediglich einmal anzutreffen – wenn es um eine Genehmigung für eine Stelle an einer angesehenen Universität geht (gemäß internationaler Ratings). Entsprechend kann man davon ausgehen, dass ein Abschlusszeugnis – mal abgesehen von diesen Bereichen – überhaupt nicht erforderlich sein wird.
Gemäß Nikolaj Sawuljak können wir heute noch gar nicht abschätzen, was für ausländische Arbeitnehmer kommen werden. Man könnte prinzipiell auch Arbeitnehmer aus armen Ländern an ein Förderband stellen. Denn mittlerweile arbeitet kein Ukrainer mehr für 4-5.000 Hrywnja – aber eben diejenigen, die aus Afrika oder Indien kommen werden. Daher dient das Gesetz zwar der Befriedigung der Bedürfnisse großer Unternehmen, die Ukraine aber könnte als Nation, als Staat verlieren.
??„De facto kann man unsere Grenzen jetzt „visafrei“ überschreiten. Jetzt kann jeder, der will, zu uns kommen. Solange unser Land arm ist, wird der Zustrom ausländischer Arbeitskräfte unbedeutend sein. Aber sobald wir anfangen uns zu entwickeln und unser Wohlstand ansteigt, wird sich das alles drastisch ändern.
Wir spüren heute in Lwiw keine Dominanz durch Ausländer. Hier leben in erster Linie Ukrainer, Russen, einige Polen. Aber sobald jeder zweite Ausländer ist – egal, ob Inder, Chinese oder Syrer – werden diese hoffentlich wohlhabender Herkunft sein. Das kann aber auch durchaus vollkommen anders sein. Denn auch diese „Medaille“ hat zwei Seiten. Als Bürger von Lwiw und der Ukraine beunruhigen mich die potenziellen sozialen Probleme, die im Zuge eines großen Zustroms unqualifizierter Arbeitskräfte auftreten können. Daher darf dieser Prozess nicht unkontrolliert ablaufen.“??
Wir müssen zuerst für unsere Leute sorgen
Viele Unternehmer sind der Meinung, dass es wichtig ist, im Staat selbst Ordnung zu schaffen, um einen Zustrom billiger und unqualifizierter Arbeitnehmer aus armen Ländern zu vermeiden. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der wertvollsten Ressource – dem Personal!
„Die Arbeitnehmer sind das wertvollste für jedes Land, das sich zu einem selbstständigen Staat entwickeln möchte“, sagte einmal die Premierministerin Großbritanniens Margaret Thatcher.
Bis dato ist stark zu bezweifeln, dass gerade Oxford-Absolventen in die Ukraine kommen werden. Wahrscheinlich werden eher einfache Arbeitnehmer kommen. Einzelhändler, Kleinbetriebler und klassische Handwerker. Daher sollte man vor allem dafür sorgen, dass die Menschen, die im Ausland studieren oder arbeiten, in die Ukraine zurückkehren. Wie es so schön heißt: Champignons brauchen zum Wachsen die richtigen Bedingungen.
Auch Igor Pichurko glaubt, dass man sich zunächst einmal um eine Reduzierung des Abflusses von ukrainischen Arbeitnehmern in die westlichen Länder und Russland kümmern sollte. Heute fahren die Polen wegen der besseren Bezahlung nach Deutschland, die Ukrainer dagegen nach Polen. Wer aber in die Ukraine kommen wird, ist bislang nicht klar. Diese Lücke wird irgendwann von irgendjemandem geschlossen werden. Das ist ein grundlegendes Problem, das in jedem Fall aktuell werden wird, wenn sich die Ukraine anfängt zu entwickeln.
8. September 2017 // Wassilij Chudizkij
Quelle: Serkalo Nedeli
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