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Die Evolution der wirtschaftlichen Komplexität der Ukraine: Lauf auf der Stelle

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Einige Faktoren sind für eine langfristige wirtschaftliche Entwicklung von größerer Bedeutung als technologischer Fortschritt. Den Grad technologischer Entwicklung oder – anders ausgedrückt – des Produktionswissens, das zur Herstellung besserer und billigerer Erzeugnisse genutzt werden kann, zu messen, stellt sich als schwierige Aufgabe heraus. Ricardo Hausmann und Cesar Hidalgo entwickelten das dafür notwendige Instrument: den Index der wirtschaftlichen Komplexität – the Economic Complexity Index (ECI). In diesem Artikel soll untersucht werden, wie sich die Position der Ukraine im ECI-Rating im Laufe der Zeit und im Vergleich mit Nachbarstaaten verändert hat.

Der Index der wirtschaftlichen Komplexität

Die Begründer des ECI gehen von folgender Annahme aus: Je umfangreicher das Wissen eines Landes über Herstellungsprozesse ist, desto größer ist sein Produktionsvolumen und desto komplexer sind seine Erzeugnisse. Dementsprechend kann die Vielfalt der Produktion Aufschluss über das Technologieniveau eines Landes geben. Genau diese Idee steckt hinter dem ECI. Länder mit vielschichtigen und komplexen Produktionserzeugnissen weisen einen höheren ECI-Wert auf. Neugierige Leser und Leserinnen können sich auch mit dem Atlas der wirtschaftlichen Komplexität vertraut machen, um die dem ECI zugrundeliegende Mathematik besser zu verstehen.

Ein exakter Kennwert der wirtschaftlichen Komplexität erfordert eine gigantische Menge an Daten, die jedoch nicht immer zugänglich sind. Zum Beispiel wäre es notwendig, die genaue Produktionsmenge einzeln klassifizierter Waren und Dienstleistungen aller Länder zu kennen. Um dieses Problem zu umgehen, verwendet der ECI Daten des internationalen Handels – des Exports und Imports. Der größte Vorteil dieser Herangehensweise besteht darin, dass diese Information detailliert auf der Internetseite “UN Comtrade” abrufbar ist und auf den genauen Zolldaten der einzelnen Länder beruht. Die Verwendung von Handelsdaten birgt jedoch auch Defizite.

  1. Mittels dieser Vorgehensweise kann insofern kein exakter Kennwert der Produktion erzielt werden, als nicht alle Waren und Dienstleistungen Gegenstand des Außenhandels sind und sich die Exportstruktur eines Landes von der Struktur der Gesamtproduktion unterscheiden kann.
  2. Dienstleistungen lässt der ECI vollkommen außer Acht, die in den meisten Ländern jedoch mehr als 50 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ausmachen und sogar mehr als zwei Drittel des BIP in Industrieländern.
  3. Der ECI verwendet ein vierstelliges harmonisiertes System zur Klassifizierung von Waren. Beispielsweise betrachtet der Index alle Waren der Gruppe “8703: Personenkraftwagen und andere Kraftfahrzeuge zur Personenbeförderung” als gleichwertig. Allerdings können sich die Waren in einer Gruppe durchaus voneinander unterscheiden: Vergleichen Sie nur ukrainische mit deutschen Autos.

Dementsprechend misst der ECI lediglich die Komplexität der Produktion, die Gegenstand des internationalen Handels ist. Im Folgenden gehen wir dennoch davon aus, dass dieser Index ein qualitativer Indikator für das allgemeine technologische Niveau eines Landes ist.

Dass dies nicht die schlechteste Annahme ist, zeigt der Atlas der wirtschaftlichen Komplexität, demzufolge Länder mit einem höheren ECI tendenziell einen größeren Reichtum und ein schnelleres Wirtschaftswachstum aufweisen. Dieser Zusammenhang erweist sich als haltbar, selbst wenn der Einfluss der Regierung und des Bildungsgrads unbeachtet bleibt.

Der ECI in der Ukraine

Die erste Zeichnung illustriert die Entwicklung des ECI-Werts der Ukraine – die gepunktete hellblaue Linie – und ihrer Nachbarländer. Es lassen sich einige Tendenzen beobachten. Zunächst wird deutlich, dass sich die Position der Ukraine im Laufe zweier Jahrzehnte verschlechtert hat. Dagegen ist eine tendenzielle Verbesserung der EU-Staaten sowie der Staaten, die nicht in der EU sind, zu erkennen, Während sich die Position Ungarns, der Slowakei und Polens verhältnismäßig verbessert hat, stiegen die Ukraine, Russland, Weißrussland und Moldawien im Rating ab.

Position der Länder im ECI-Rating
Index der ökonomischen Komplexität für die Ukraine, Ungarn, Slowakei, Polen, Rumänien, Belarus, Russland, Moldova zwischen 1996 und 2014

Den Export der Ukraine lässt sich in Bereiche und Warengruppen unterteilen, um nachzuvollziehen, worin die Ursachen für die gemessene Verschlechterung der wirtschaftlichen Komplexität der Ukraine liegen. Die folgende Zeichnung spiegelt die Struktur des ukrainischen Exports in den Jahren 1996-2014 wider.

Im Jahr 2014 machten Metalle, Mineralressourcen, Produkte pflanzlichen Ursprungs sowie Nahrungsmittel mit ungefähr 70 Prozent einen bedeutenden Teil des ukrainischen Exports aus, was Wert des Jahres 1996 sogar übersteigt. Wie zu erwarten, werden diese Bereiche nach dem ECI-Indikator im Durchschnitt zu den weniger komplexen gezählt.

Der Anteil komplexerer Bereiche – Maschinenbau, elektronische Geräte, chemische Produktion, Transportmittel – belief sich im Jahr 2014 auf 15 Prozent und war im Vergleich zum Jahr 1996 um fünf Prozent gesunken. Dies führt zu der Schlussfolgerung, dass im ukrainischen Außenhandel seit Mitte der 1990er Jahre keine Umorientierung stattgefunden hat und man komplexeren Produktionsbereichen noch immer nicht mehr Beachtung schenkt.

Die Struktur des ukrainischen Exports nach Bereichen
Was hat die Ukraine zwischen 1995 und 2014 exportiert"Was hat die Ukraine zwischen 1995 und 2014 exportiert", Quelle: The Atlas of Economic Complexity

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Es ist anzumerken, dass die Gruppierung der Branchen, wie sie in der Abbildung vorgenommen wird, ziemlich grob ist. Jeder der Bereiche kann aber viele verschiedene Arten von Waren beinhalten, deren Produktion möglicherweise von unterschiedlicher Komplexität ist.

Betrachtet man den Export jedoch mit Hilfe der vierstelligen HS-Klassifikation etwas detaillierter, wird deutlich, dass dies nicht der Fall ist. Es gab keinen signifikanten Wechsel zu einer weitaus komplexeren Produktherstellung. Wenn es Veränderungen gegeben hat, dann weisen die unten aufgeführten Tabellen in die gegenteilige Richtung.

In diesen Tabellen sind die Exportanteile und die ECI-Werte einiger Produktgruppen im Jahr 2014 aufgeführt. Wie auch im Ländervergleich steht ein höherer Index für die höhere Komplexität des jeweiligen Produkts. Der ECI betrachtet die Waren verschiedener Länder als gleichwertig.

Um den ECI für das Jahr 2014 richtig zu interpretieren, muss festgehalten werden, dass sich der Index der komplexesten Wirtschaft (Japan) auf 2,20 belief (Ukraine: – 0,42). Ein Viertel der Waren hatte einen ECI von 2,24 und höher, die Hälfte der Waren wies einen ECI von 1,07 und höher auf und ein Viertel weniger komplexer Waren hatte einen ECI von 0,43 und weniger.

Die Tabellen enthalten Daten von zwölf und von zehn Warengruppen mit den größten Exportanteilen in den Jahren 1996 und 2014 mit einem Gesamtanteil von fast 50 Prozent in jedem Jahr.

Zunächst lässt sich beobachten, dass im Jahr 2014 Getreide eine höhere Bedeutung zugemessen wurde – einer technologisch nicht komplex produzierte Warengruppe. Des Weiteren zeigt sich keine Umorientierung hin zu komplexeren Erzeugnissen. So stieg bei den Metallerzeugnissen der Anteil der Stahlhalbfabrikate im Vergleich zum Anteil aufwendigerer warmgewalzter Flacherzeugnisse aus Eisen.

Die wichtigsten Handelswaren der Ukraine und ihr Exportanteil 1996

Exportanteil in ProzentECI in 2014BrancheBeschreibung
91,59MetalleWarmgewalzte Flacherzeugnisse aus Eisen oder unlegiertem Stahl
6-2,15NahrungsmittelRohrzucker in festem Zustand
50,06MetalleHalbfabrikate aus Eisen oder unlegiertem Stahl
4-0,90Chemische ProduktionMineralische oder chemische Stickstoffdüngemittel
4-2,80Mineralische RessourcenEisenerz und Konzentrate
4-1,77Chemische ProduktionChemische Produktion
4-0,41MetalleEisenlegierungen
42,60MetalleWinkelstücke und Stahlrohre aus legiertem und unlegiertem Stahl für Bohrarbeiten
3-0,35Mineralische RessourcenRaffinierte Erdölprodukte
31,33MetalleWarmgewalzte Stahlrohre aus Eisen oder unlegiertem Stahl
30,38MetalleRohre und Röhren mit rundem Querschnitt
32,32MetalleNahtlose Rohre, Röhren und Hohlprofile aus Eisen oder Stahl

Quelle: The Atlas of Economic Complexity

Die wichtigsten Handelswaren der Ukraine und ihr Exportanteil 2014

Exportanteil in ProzentECI in 2014BrancheBeschreibung
90,06MetalleHalbfabrikate aus Eisen oder unlegiertem Stahl
8-2,80Mineralische RessourcenEisenerz und Konzentrate
70,88Pflanzliche ProdukteUnraffiniertes Sonnenblumenöl oder -samen
7-0,96Pflanzliche ProdukteMaissamen
50,71Pflanzliche ProdukteWeizen und Mengkorn
51,59MetalleWarmgewalzte Flacherzeugnisse aus Eisen oder unlegiertem Stahl
30,76MetalleStahlrohre aus Eisen oder unlegiertem Stahl
2-0,41MetalleEisenlegierungen
2-0,87NahrungsmittelÖlkuchen, Baumwollfaser
2-0,31Maschinenbau / Elektronische GeräteIsolierte Drähte, optische Faserkabel

Quelle: The Atlas of Economic Complexity

Diese Tendenzen hätten sich nicht unbedingt schlecht auf die Position des Landes im ECI-Rating auswirken müssen, wenn sich andere Volkswirtschaften ebenso entwickelt hätten. Jedoch steigerten viele Länder die Komplexität ihrer Wirtschaft und verbesserten wahrscheinlich Produktionswissen und Technologie.

Beispiel – Rumänien und seine Exportstruktur: 1996 deckte der Textilbereich mehr als ein Viertel des rumänischen Exports, ein weiteres Viertel bestand aus Metallen und Mineralprodukten. Maschinen, elektronische Geräte und Transportmittel machten ca. acht Prozent aus.

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Im Jahr 2014 stieg der Anteil komplexerer Maschinen und Transportmittel auf 45 Prozent zulasten eher rückständiger Bereiche. Dies half Rumänien, seit 2004 im ECI-Rating um zehn Positionen zu steigen und die Ukraine zu überholen.

Heute gehört die rumänische Wirtschaft zu den 30 Volkswirtschaften mit der weltweit höchsten Komplexität. Eine ähnliche Entwicklung lässt sich bei der Exportstruktur Ungarns, der Slowakei und Polens beobachten – all diese Länder änderten die Struktur ihres Exports und konzentrierten sich auf fortschrittlichere Branchen.

Hingegen sind die Russische Föderation, Weißrussland und Moldawien noch immer stark von den Exporten weniger komplexer Waren abhängig. Beispielsweise machen Erdöl und Gas 70 Prozent des russischen Exports aus.

Die Branchenstruktur des rumänischen Exports
Was hat Rumänien zwischen 1995 und 2014 exportiert"Was hat Rumänien zwischen 1995 und 2014 exportiert", Quelle: The Atlas of Economic Complexity

Folgen

In diesem Artikel wurde versucht, das allgemeine vom ECI gemessene Technologieniveau der ukrainischen Wirtschaft näher zu untersuchen. Im Hinblick auf wirtschaftliche Komplexität blieb die ukrainische Wirtschaft stets hinter den führenden Staaten zurück, da die Exportstruktur keine Hinwendung zu komplexeren Bereichen und Waren verzeichnete. Obwohl 81 Länder im ECI-Rating schlechter abschneiden, ernüchtert das Ergebnis.

Dem Autor liegt es fern, die schlechten Resultate des ECI direkt mit dem Niveau des wirtschaftlichen Wohlstands in der Ukraine in Verbindung zu bringen. Es gibt weitaus reichere Länder als die Ukraine, wie etwa Neuseeland oder Australien, die jedoch einen niedrigeren ECI-Wert aufweisen.

Der ukrainische Index ist vielmehr so zu interpretieren, dass es in der Wirtschaft gewisse Probleme gibt, die es der Ukraine unmöglich machen, dieselben hohen Resultate wie manche Nachbarstaaten zu erzielen und ihre Handelsstruktur zu ändern. Diese Probleme sind womöglich dafür verantwortlich, dass ukrainischen Hersteller nicht zahlreiche Halbfabrikate aus Eisen zur Erzeugung von Transmissionswellen verwenden können, um diese wiederum für die Herstellung komplexerer Ausrüstung zu nutzen.

Der Index der wirtschaftlichen Komplexität weist selbst nicht auf konkrete Probleme hin und gibt auch keine Lösungsvorschläge. Einen hohen ECI-Wert zu erzielen sollte daher nicht das Hauptziel der Wirtschaftspolitik sein, da dies in einigen Bereichen zu Manipulationen führen kann mit der Folge einer unerwünschten Verfälschung der Arbeit in diesen Bereichen. Viel wichtiger ist, dass die Regierung eines Landes versteht, welche Faktoren es sind, die die Einführung neutechnologischer Fertigungsprozesse verhindern: Mangel an ausgebildeten Arbeitskräften, niedriger Investitionsschutz, Monopole, Korruption oder ein das Geschäft belastendes Steuersystem.

19. Januar 2016 // Sergej Meleščuk, VoxUkraine

Quelle: Ekonomičeskaja Pravda

Übersetzerin:   Romina Heim — Wörter: 1656

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